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Wo die Wüste endet
Marc träumte von den wasserblauen Augen seiner Tochter Joelle. Sie erinnerte ihn daran, dass er versprochen hatte, ihr zu zeigen, wo das Meer am blausten, der Wald am dichtesten ist und wo die Wüste endete. Keine dieser Fragen konnte er beantworten. Joelle schüttelte den Kopf, seine Frau runzelte die Stirn und zeigte ihm einen Gesichtsausdruck, der ihm bedeutete, sie ertrüge seine Launen nicht mehr, wüsste genau, warum sie so lange nicht miteinander geschlafen hatten, warum er so selbstverliebt grinste und die Nase zum Himmel reckte, anstatt sich die Erde anzuschauen.
Blumenberg tauchte auf, der Therapeut, der irgendwann das Wort Burn-Out ausgesprochen hatte. Burn-Out, was für ein unzulängliches Wort. Es beschrieb nicht, wie man sich selbst verliert, sich für einen Gewinner hält, obwohl man zu den Verlierern gerechnet wird. Marc musste herausfinden, wo die Wüste endet. Das war alles.
Marc fasste deshalb den Entschluss, dem Trübsinn zu entfliehen, der Hitze zu widerstehen und sich auf den Weg zu machen. Er hatte Frau und Tochter nach Windhoek gefahren, damit sie den letzten Flug nach Frankfurt erwischten, bevor der Airport schloss. Er hätte hier noch etwas zu erledigen, käme alsbald nach, sagte er ihnen. Nachdem er ihnen zugewinkt hatte, wandte er sich ab, schnaufte durch und fuhr ins Camp zurück. Die anderen waren abgereist, selbst die Einheimischen. Die Erforschung des Klimawandels in der Küstenregion nahe der Namib-Wüste pausierte wegen der Seuche, die überall den Stillstand erzwang.
Im Camp verluden ein paar Leute Ausrüstung und Einrichtungsgegenstände auf Pickups. Sie schwitzten und ihre Haut glänzte in der Sonne, aber sie arbeiteten mit der stoischen Bedächtigkeit von Menschen, die an die Hitze gewöhnt waren. Marc erklärte ihnen, dass er noch ein paar Tage bleibe und dann nach Windhoek fahren würde. Sie grinsten ihn an, schüttelten den Kopf und achteten auf Abstand. Vielleicht hatten sie seinen Husten gehört oder hielten ihn für verrückt. Es war ihm egal, was sie dachten.
Er folgte dem Instinkt. Was blieb ihm anderes übrig. Er schob es auf das Schicksal, als er von einer verlassenen Mine gehört hatte, die ein paar Meilen vom Strand entfernt in der Namib-Wüste liegen solle. Er hatte ein Ziel. Dort musste er suchen. Ihm blieben Vorräte für ein paar Wochen. Außerdem besaß er einen Generator und den Jeep. Den Weg zur Mine hatten die Dorfbewohner ihm zunächst nicht verraten, den Kopf geschüttelt und irgendwas gemurmelt, das er für Magie hielt. Als er ihnen ein paar Geldscheine zusteckte, gutes europäisches Geld, ein Monatslohn für sie, ein Taschengeld für ihn, schrieben sie ihm die Koordinaten auf. Dann kicherten sie wie Kinder und steckten das Geschenk in die Taschen. Er hätte sie verprügeln sollen, wenn er den Mut dafür aufgebracht hätte. Er zwang sich zu einem Lächeln, obwohl er sie gerne gefragt hätte, welcher Zauber gegen das Fieber hilft. Das Dorf lag einige Meilen im Süden, direkt am Strand. Er war vor Wochen dort gewesen.
Marc ging zu den Männern, um ihnen zu sagen, dass er das Zelt selbst abbauen würde. Sie zuckten mit den Achseln, setzten sich in den Wagen, starteten den Motor und verschwanden in einer Staubwolke. Er atmete die Meeresluft ein, die gegen den Wüstenstaub anzukämpfen schien und lief zum Strand, wo eine Seebärenkolonie lagerte. Er hörte die Tiere grunzen und rufen, roch den Dunst aus Fisch und Fäkalien und sah, wie sie sich aneinander rieben, um eine enge Gemeinschaft zu bilden. Er griff nach dem Rucksack und steckte sich ein Stück Trockenfleisch in den Mund. Wenn er lange genug kaute, würde er etwas schmecken, auch wenn er im Augenblick gar nichts unterscheiden konnte, weder Süße noch irgendetwas anderes wahrnahm. Das ging seit Tagen so. Alles hatte sich verändert.
Sein Blick schweifte zu den Sanddünen, dem gewellten Niemandsland in rot und braun. Dort irgendwo musste er hin. In einer Senke bemerkte er einen vierbeinigen Schatten und nahm das Fernglas zur Hand, um besser sehen zu können. Je näher die Hyäne kam, desto unheimlicher wirkte das Raubtier, das aussah wie eine Fantasiemischung aus Hund und Bär und Zebra, mit gestreiften Läufen, einem gedrungenen Körper, zerfranstem Fell und einzelnen Strähnen, die ihm ins Gesicht hingen, als hätte irgendeiner die überdimensionierten Ohren kaschieren wollen, die zum Himmel ragten, um alle Geräusche ringsum aufzusaugen.
Als die Hyäne zur Seebärenkolonie gelangte, schien sie zu zögern, blieb stehen, richtete die Schnauze zum Himmel, zum Boden und öffnete das Maul. Ihr Schrei erinnerte an Kinderlachen und Eulenrufe, an etwas Unheimliches, das die Ordnung störte.
Unterdessen hörte die Hyäne das Herz des Mannes schlagen und beschloss, am Strand entlang zu gehen, um sich die wasserglänzende Haut der Seebären anzuschauen. Ihren Hunger versteckte sie. Er konnte warten. Sie musste jetzt klug sein. Fleisch und Blut gab’s am Strand genug. Deshalb ließ sie sich treiben. Ein Reflex, ein innerer Zwang würde entscheiden, wann sie zuschlug. Die Seebären sollten sie ruhig bemerken, spüren, dass die Hyäne nichts als einen Strandspaziergang genösse und auf keinen Fall wahrnehmen, dass der Hunger nahezu das ganze Bewusstsein der Hyäne bestimmte, sie auszehrte, mehr und mehr schwächte. Geduld war die wahre Stärke des Jägers und sie war jederzeit in der Lage, den Trieb zu unterdrücken. Einstweilen stellte sie sich vor, wie das Blut schmeckte, wenn sie den Leib aufritzte und ein großes Stück an sich riss. Die Babys, wann würden sie die Babys alleine lassen, um zu tauchen, um Fische zu fangen? Die Seebären beschützten ihre Nachkommen, aber irgendwann mussten sie Nahrung für sich selbst und die Kleinen beschaffen, über kurz oder lang würden sie im Meer jagen und die Babys eine Weile alleine lassen. Die Hyäne riss das Maul weit auf und gähnte, während sie an die glühenden Augen ihrer eigenen Welpen dachte, die hungern mussten, wenn die Jagd erfolglos endete. Sie würden ihr entgegenlaufen, wenn sie heimkam und die Beute präsentierte. Sie hörte sie jetzt schon fressen und betteln, brüllen und jauchzen, niemals satt, niemals zufrieden, niemals genug.
Marc beobachtete die Hyäne, die in den Sand sank, als wolle sie in der Sonne schlafen, verlor das Interesse und ließ das Fernglas sinken. Die Hitze brannte Löcher in sein Hirn, pochte und pochte an seinem Bewusstsein, verstärkte die Kopfschmerzen und den Schwindel, der ihn wie ein Traumgespinst umgab. Deshalb lief er die paar Schritte zu dem Sonnenschirm, den er am Fuß einer Düne aufgebaut hatte. Neben dem Regiestuhl lag der Rucksack mit der Pistole. Marc lehnte sich zurück und schloss die Augen. Erst als er ein Geräusch hörte, das er nicht zuordnen konnte, nicht in den Traum passte, der von Diamanten und Gold wimmelte, von einer eigenen Insel der Glückseligkeit, von einem Leben in Glanz und Gloria, handelte, wachte er auf und suchte das Sichtfeld ab. Er wusste instinktiv, was geschehen war. Das Siegeslachen der Hyäne hatte ihn geweckt und war ertönt, um ihren Triumph anzuzeigen. Das Raubtier trug die Beute im Maul davon und schleppte weg, was sie sich geschnappt hatte. So funktionierte eine erfolgreiche Jagd: sich anschleichen, Geduld üben und im rechten Moment zuschlagen. So einfach war das und so effizient.
Während die Hyäne in ihrem Glück schwelgte, sich über das freute, was sie sich verdient hatte, während sie das Baby der Seebärin, das sie ausgespäht hatte, in ihrem Maul festhielt, weil sie sauber gearbeitet, präzise zugebissen, einen guten Tod bereitet hatte, während sie das Gewicht ausbalancierte, gerade so fest zubiss, dass die Kiefersperre eingeleitet wurde, damit keiner stehlen konnte, was sie erworben hatte, erfasste Marc eine unbändige Wut. Er griff nach der Jagdflinte und feuerte blindlings ein paar Schüsse auf die Hyäne ab, ohne dass er sein Ziel traf. Die Hyäne bemerkte zwar einen Luftzug neben sich, fühlte sich aber nicht in Gefahr, so sehr war sie noch erfüllt vom Adrenalinausstoß, der sich nach dem Jagderfolg in ihr ausgebreitet hatte. Sie schüttelte sich, als wolle sie lästige Insekten abhalten und trabte in gleichmäßigen Schritten weiter über den harten Sand. Sie musste sich schließlich die Kräfte einteilen. Marcs Zorn flaute nicht ab, füllte ihn mit Energie. Er stand auf und schüttelte sich, als wolle er die Mutlosigkeit abstreifen, die ihn gefangen gehalten hatte.
Ohne nachzudenken, schnappte Marc sich den Rucksack und folgte dem Tier, das der Wüste entgegenlief. Er musste Abstand halten, konnte das Tempo gerade so hochhalten, dass sich die Distanz zwischen Tier und Mensch nicht allzu sehr vergrößerte. Düne für Düne erklomm er, aber die Hyäne entfernte sich mehr und mehr. Er würde sie nicht erreichen. Als er in der Ferne Gebäude zu erkennen glaubte, überfiel ihn mit aller Macht Durst. Er musste rasten. Auf dem Kamm einer Düne trank er eine Wasserflasche in einem Zug aus. Dann nahm er das Fernglas zur Hand, um den Horizont abzusuchen. Nichts, keine Spur der Hyäne, nicht einmal die Bauten, die er zuvor noch klar und deutlich gesehen hatte, nichts konnte er erkennen, nichts als glühendbraune Farbtöne. Er resignierte, kontrollierte die aufkommende Panik gerade noch und dachte darüber nach, umzukehren. Vielleicht würde er doch nach Windhoek fahren, vielleicht gab es noch einen Flug zurück.
Doch er zögerte und blickte sich ein weiteres Mal um, suchte den Weg, den er gelaufen war, die Spuren im Sand, irgendeinen Anhaltspunkt und fand nichts als die beginnende Dämmerung und die Sonne, die glühend zwischen den Dünen versank. Bald schon würden die Sterne zum Greifen nah sein und das Himmelsgewölbe auf ihn herabsinken. Aber die Nacht würde den Sand auch etwas abkühlen, das Gehen erleichtern. Und er hatte Ersatzbatterien für die Armeetaschenlampe im Rucksack. Außerdem hatte er noch etwas Wasser. Und weit konnte das Ziel nicht entfernt sein. Eine Stimme, ein Flüstern aus der Stille, kaum mehr als ein Windhauch erklang und rief ihm zu, dass die Hyäne gerade dort ihren Bau hatte, wo er hinmusste. Warum auch nicht? Die Raubtiere dieser Welt brauchten einen sicheren Rückzugsort. Die Hyäne würde kein Loch am Kamm einer Sanddüne bauen, sondern einen Bau innerhalb fester Gemäuer bevorzugen, die den Rückzugsort abschirmten und wenn es staubumwehte Ruinen waren.
Marc fasste Mut, erinnerte sich an die Gradangaben, die genauen Daten aus Sekunden und Minuten: Nordost hatten sie gesagt und auf einem Zettel notiert, was sie wussten. Es war eine Frage des Durchhaltevermögens, der Energie, der Anspannung, dann wär’s ein Kinderspiel, die Mine zu finden. Mitten in der Wüste. Nicht dort, wo sie endete. Er streckte die Nase in die Luft, als wolle er Witterung aufnehmen, als wolle er das Gebaren eines Raubtiers nachahmen. Die Sonne ging unter, die Konturen wurden schärfer, bevor sie kurz darauf von der Dunkelheit verschlungen wurden. Er stellte sich gerade, richtete die Kompassnadel aus und ging los, auf und ab, auf und ab, mit den Sternen über ihm und ihrem Schimmer aus Gold und Silber.
Die Hyäne erklomm die letzte Dünenhöhe vor ihrem Ziel. Die Kleinen hatten schon Witterung aufgenommen. Sie hörte ihre Rufe. Als die Hyäne bei den verfallenen Steinbauten ankam, rannten die Welpen ihr entgegen. umkreisten ihre Mutter, bis sie ihre Last fallen ließ. Erleichterung, ja Glück empfand, weil sie es wieder geschafft hatte. Das Lachen der Welpen ertönte, bevor sie das Maul öffneten, um ein neues Fleischstück zu verschlingen, das sie dem Körper des Bärenbabys entrissen. Die Hyäne hörte ihnen zu. Sie suchten noch den richtigen Ton. Sie ließ die Welpen spielen und fressen, nachdem sie sich selbst ein Stückchen Fleisch angebissen hatte, um den Hunger zu stillen, der so lange in ihr rumort hatte. Das Fleisch schmeckte süß und bekämpfte das Ziehen in ihrem Bauch und ihrem Kopf. Dann schnaufte sie durch. Die Anspannung wich. Sie konnte die Welpen jetzt alleine lassen. Um sich auszuruhen, lief sie zum Eingang ihres Baus und kroch durch die Öffnung. Unten war es dunkel und angenehm kühl. Sie streckte sich auf den Textilresten aus, die sie in den Häusern gefunden hatte. Der Menschengeruch war längst verschwunden. Sie streckte und reckte sich. Neben ihr lagen Steine, die von innen her wie Sterne glitzerten. Die Hyäne beachtete sie nicht weiter. Sie glänzten wenn Licht auf sie fiel. Deshalb hatte die Hyäne die Steine im Bau aufgeschichtet. Als wären diese leblosen Gegenstände ein Schatz.
Bei Sonnenaufgang erreichte Marc die Ruinen der Mine. Trotz Kompass war er umhergeirrt und hatte seinen Wasservorrat fast aufgebraucht. Anfangs hielt er die Steinbauten hinter der Düne, die aus dem Nebel der ersten Sonnenstrahlen aufgetaucht waren, für ein weiteres Trugbild seines angespannten Verstandes. Seine Beine, sein Kopf, alles an ihm brannte. Sand klebte überall auf seinem Körper, auch an den Stellen, die von der schweißdurchtränkten Kleidung verhüllt war. Er sehnte sich sehr danach, anzukommen. So erschöpft fühlte er sich, dass es ihm vorkam, als müsse er für jeden einzelnen Schritt einen Befehl erteilen.
Am ersten Mauerstück blieb er stehen, berührte den Stein. Seine Hände waren angeschwollen. Der Sand hier sah röter aus. Wo er war, musste eine Straße verlaufen sein, gesäumt von Wirtschaftsbauten. An deren Ende bemerkte er einen Brunnen auf einer Art Platz. Marc schleppte sich hin und beugte sich über die Einfassung aus Stein. Ein hölzerner Eimer hing an einem ausgefransten Seil in der Mitte der Öffnung, aber er konnte den Mechanismus nicht bewegen und aus der Tiefe wehte ihm nichts als Fäulnis entgegen. Er lehnte sich gegen die Mauer, glitt zu Boden und nahm den Rucksack von den Schultern. Sollte er den letzten Schluck aus der Wasserflasche vergeuden? Er musste, konnte dem Drang nicht widerstehen. Also trank er und gab der ausgezehrten Kehle, was sie brauchte. Das Wasser schmeckte nach Fisch. Danach hustete er so lange, bis er Geräusche hörte und kaum hatte er bemerkt, woher sie kamen, standen schon die Hyänenwelpen vor ihm und schnüffelten an seinem Rucksack, kamen ihm ganz nah, streiften wie Katzen um ihn herum, steckten ihre Nasen unter seine Achseln, öffneten das Maul, um zu gähnen und ihm das scharfe Gebiss zu zeigen. Sie rochen nach Fleisch und tatsächlich hatte eines der Tiere einen Brocken rohe Fleischmasse im blutbesudelten Maul.
Hier war der Rückzugsort der Hyäne, auf die er am Strand geschossen hatte Er wusste auch, dass die Hyäne das Fleisch für ihre Kinder erbeutet hatte. Wo war die Mutter? Würde sie ihn angreifen? Konnte er sich mit den Welpen anfreunden, um den Verdacht der Heimtücke zu zerstreuen, die ja offensichtlich war, seit er die Schüsse abgegeben hatte. Er griff nach dem Rucksack, strich über das Metall der Pistole und schnaufte durch. Irgendwo hier musste es auch Wasser geben. Wie sonst könnten die Raubtiere hier überleben?
Die Welpen verloren das Interesse an ihm und tobten durch die Mauerreste. Wenn er ihnen einfach hinterherlief, würden sie ihn irgendwann zur Wasserstelle führen. Er streifte den Rucksack über die Schultern und folgte ihnen. Er spürte die Hitze, glaubte, dass er Fieber habe und bemerkte die Hyänenmutter erst, als sie direkt auf ihn zulief, ihn zu fixieren schien, ihn mit glühenden Augen am Boden festnageln wollte. Aus Marcs Bauch kroch Angst empor, Unbehagen, das ihn zwar erstarren ließ, aber sich nicht dergestalt anfühlte, als müsse er fliehen, als käme eine echte Gefahr auf ihn zu. Die Hyäne verzögerte ihre Schritte kurz bevor sie ihn erreichte, machte überhaupt keine Anstalten Laute von sich zu geben, das Maul mit den Reißzähnen zu öffnen. Stattdessen legte sie sich etwa zwei Meter von ihm auf den Boden, ohne aufzuhören ihn anzustarren, ganz so, als wolle sie eine Unterhaltung, irgendeine Form des Austausches beginnen. Marc konnte sich aus dem Blick nicht lösen, sah durch die Augen des Tieres und wieder stieg die Wut in ihm empor, wieder konnte er sich nicht wehren. Die Hyäne wusste, wo die Diamanten versteckt waren, sie kannte die Wasserstelle, sie vermochte alle Probleme zu lösen, die Marc belasteten. Warum nur durchbohrte sie ihn mit ihren Blicken? Warum half sie ihm nicht? Ein Mensch, ein Mann wie er, war allemal stärker als irgendein Tier und wenn es noch so scharfe Zähne hatte. Also nahm er all seine Kraft zusammen, richtete sich auf und stürzte sich auf die Hyäne.
Das Tier aber bewegte sich nicht, öffnete das Maul und begann zu lachen, so laut und durchdringend, dass es Marc mit allen Fasern seines Körpers spürte. Obwohl die Entfernung so gering war, dass er die Hyäne im Bruchteil einer Sekunde erreicht haben müsste, dehnte sich die Zeit und als er sich der Stelle näherte, wo das Tier auf ihn gewartet hatte, war da nichts, gar nichts, kein Pfotenabdruck, keine einzelne Haarborste, die eine vormalige Anwesenheit der Hyäne hätte beweisen können. Marc griff ins Leere, ins Nichts. Selbst der Wüstensand war verschwunden, die Bauten, die Welpen, der Brunnen, alles versunken in der Leere des Raums.
Marc blinzelte, öffnete langsam die Augen, die er gegen die Sonne geschützt hatte, spürte Vibrationen unter sich. Das Velours des Flugzeugsitzes fühlte sich warm an. Die Decke, unter der er sich verkrochen hatte, war verrutscht und Joelle schaute ihn an, als hätte sie schon eine Weile darauf gewartet, dass er aufwachte. Er rieb sich die Augen und streichelte über die Wangen seiner Tochter.
„Hast du geträumt?“
„Nein, ich habe gar nicht richtig geschlafen.“
„Was hast du dann so lange gemacht? Du hast dich unter der Decke bewegt.“
„Ach nichts, ich habe nachgedacht.“
„Ach so.“
„Und weißt du was?“
„Was?“
„Ich weiß jetzt, wo die Wüste endet.“
„Wirklich?“
„In mir, Liebling, in mir!“
Joelle nickte und schaute ihn an, als ob sie verstanden hätte, was er gesagt hatte.