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Wissen Sie, was ich meine?

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02.11.2001
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Wissen Sie, was ich meine?

Wenn ich es so ohne weiteres erzähle, glaubt es mir ja doch niemand. Aber ich will von einem Tag erzählen. Einem Tag, der an seinem Ende schön wurde. Es war so. Ich hatte damit nicht gerechnet. Der Smog lag über den Dächern und die Tauben in den Dachrinnen versuchten erst gar nicht zu starten.
Ich meine diese Gesichter, wenn ich jetzt davon spreche. In den Autobussen. In den Straßenbahnen. Der Regen war es nicht, der mir meine Laune raubte. Ich dachte nicht über den Regen nach. Der Regen war schon gut. Er gehörte zu all dem.
Die Leute stauten sich als dunkle Masse in dichten Trauben an den Bahnsteigen. Es war alles nass, alles kalt. Alles wollte weg und musste eben genau aus diesem Grund in einen dieser Autobusse, einer dieser Metros, Schnellbahnen einsteigen. Niemand war glücklich damit. Jeder suchte sein Glück, indem er weiter wollte. Leuchtziffern zeigten den Weg. Es ging weiter. Aber die Masse rundum war krank.
Ich fühlte mich krank.
Ich stand mitten darin. Mitten in dieser Masse. Ich wartete auf meine Metro. Ich wartete darauf, dass es endlich vorbei war. Ruhe, dachte ich. Ruhe und ein kaltes Bier. Wenn ich es schaffen würde vor dem Wegschlafen, dann würde ich diesmal wieder versuchen, den Eisschrank zu finden. Dass ich nicht Angst haben musste, von jemandem zufällig berührt zu werden, ohne Absicht, das wusste ich. Von jemandem, der keine Träume sein Eigen nannte. Ich wusste es. Es gab zu wenige mit eigenen Träumen.

Das war es auch nicht.
Ich quälte mich zwischen den Autobussen zu meinem Job und abends wieder auf demselben Weg zurück in mein Leben. Das war es. Wieviel kann jemand ertragen? Ich ahnte den Kreisverkehr dahinter. Vielleicht bin ich auch nur ein klein wenig verrückt. Es täte mir gut, wenn ich es tatsächlich wäre. Es gibt welche, die mich dafür halten. Das alleine Sein hinterlässt so manches. Spuren, Narben. Aber irgendwie ging es bis jetzt. Es ging weiter in dem Sinne, wie sich ein Stern einen anderen sucht und daran zerbricht. Ich will nicht über Sterne plaudern. Ich weiß nichts über sie. Ich kenne den Mond. Und ich habe gehört, dass der über Spanien dasselbe Gesicht hat. Pockennarbig und aschfahl. Aber die Flachdächer der Haziendas sind warm. Manchmal sitzen Frauen darauf und starren in die Stratosphäre. So glaube ich. Ich habe allerdings keine Ansprüche auf irgendetwas. Schon gar nicht darauf, etwas glauben zu dürfen.

Ich stand eingekeilt zwischen den anderen Eingekeilten. Wir alle in dieser Metro wollten alles. Nur nicht das. Dann sah ich ihn. Sehen ist vielleicht übertrieben. Ich stand hinter ihm und beneidete ihn um den Sitzplatz. Er las in einer Zeitung. Die hatte er groß aufgeschlagen und ich stierte mit roten Augen dorthin. Alles in diesem Waggon war dicht und eng und jeder hatte wahrscheinlich das Bedürfnis abzuhauen, weit weg von all dem zu sein. Man denkt wahrscheinlich an die Malediven. An das azurblaue Wasser dort. Man denkt an eine Frau, verspricht sich Liebe von ihr, denkt noch nicht an kommende Enttäuschungen.
Dann wird die nächste Station ausgerufen und es ist wie eine Peitsche. Ich meine die Worte. Worte sind wie Waffen.
Die Luft war wie bei Mac’s, wenn die wieder was neues probierten. Es ging. Wie gesagt, es ging. Es war aber nicht leicht, das alles bis nach Hause. Der Typ las einen Artikel über Stressabbau. Ich war beeindruckt. Ich meine, alles um uns und in diesem Waggon war Stress.
Er las davon, wie es ginge, ohne dem auszukommen. Ich blickte über seine Schulter und las mit.
Alles wogte um ihn herum. Alles drängte. Er lachte und blätterte in seiner Zeitung. Wissen Sie , was ich damit meine? Diese ganze Geschichte hat sich daraus ergeben. Nein. So kann ich das nicht sagen. Es war in dieser Metro. Dort war es schon spürbar. Man hat nicht viel, an das man sich klammern kann. Die Tage kommen und gehen. Es war nie leicht. Nie so leicht, dass wir etwas nicht tun mussten, um es nicht schwerer werden zu lassen.
Er saß dort und hatte meinen Respekt. Ich kann nicht sagen, wie er aussah. Es ist egal. Verstehen sie das?

Es war nur so, dass ich danach wusste, es nicht sofort nach Hause schaffen zu wollen. Manche, die andere Sprachen ihr Eigen nennen, sagen Flash dazu. Für mich war es notwendig. Als ich aus der Metro stieg, wusste ich, dass ich Stress hasste. Ich wusste es schon lange. Aber dieser Mann und sein Artikel und die dichtgedrängte Masse von Leuten, die mich lecken konnten, das war es dann auch schon. Es geht schnell, wenn man weiß, wohin mit einem.

Ich hatte Glück. Eine Bar hatte offen. Es waren danach ein paar Biere. Ich glaube, dass ich den Wodka nicht bezahlen musste. Die hinter der Theke kannte mich. Es begann der Zirkus, der immer begann, wenn ich glücklich war. Sie sagte, dass irgendeine Rechnung offen wäre. Ich sagte, dass es nicht sein konnte. Ich holte Geld aus meiner Jacke, versuchte die Frau hinter dem Tresen zu küssen. Sie wehrte sich, knallte mir das letzte Glas Wodka vor die Nase.
,Kein Stress, Baby’ sagte ich. An ihrem Blick erkannte ich, dass sie wusste, was ich damit meinte.
Damit wurde dieser Tag mit all seinen müden Tauben doch noch schön.
Wissen Sie, was ich damit meine?
Es war ein Tag. Aber es war ein wichtiger. Von denen hatte ich nicht allzu viele, ja.

 
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Hallo Aqualung!

Wieder eine beeindruckend nachvollziehbare, Geschichte, die wie ein Film vor einem abläuft. Super geschrieben! :thumbsup:

Was ich nur sagen wollte...

Vielleicht bin ich auch nur ein klein wenig verrückt. Es täte mir gut, wenn ich es tatsächlich wäre.
...Verrückt sind die anderen... Du bist voll in Ordnung. ;)

Was ich mich jetzt frage ist, ob Dein Protagonist, wenn er nicht in der Zeitung gelesen hätte, die Worte "Kein Stress, Baby" nicht gefunden hätte? Waren diese Worte eine Folge dessen, was in der Zeitung stand oder hätte er sie auch so gefunden?

Jedenfalls eine schön zu lesende Geschichte, nachdenklich machend, - wo Aqualung draufsteht, ist Qualität drin. :)

Alles liebe,
Susi

 

Mein Prot hätte auch ohne dem Artikel in der Zeitung ,Baby' gesagt. Ob ihm das mit dem Stress auch eingefallen wäre, oder ob es die Finte des Autors war, darf ich nicht verraten, Susi.
Danke für deine Worte zu allem.

Liebe Grüße - Aq

 

hi aqua,
die geschmäcker sind verschieden.
ich stimme zu, dass dein schreibstil wirklich ausgezeichnet ist. du bist ein meister darin, gefühlsmomente festzuhalten. es sind deine arten von geschichten.
mein geschmack sucht eine handlung. ich meine, eine handlung, die weitergeht als das opernhafte darstellen eines gefühls.
wenn jemand so mit mir redet, wie du es in deiner geschichte tatest, dann würde ich in stoppen und sagen: "hey mann, was willst du eigentlich von mir?"
ich habe die geschichte verstanden - auch die botschaft in ihr. und so ist es auch wieder eine gelungene geschichte, die meinen geschmack nicht trifft.
ich denke aber, dass das ok geht, denn
die geschmäcker sind verschieden.

auweihja - der barde hat echt einen fehler gefunden.
nicht böse sein!

Das ich nicht Angst haben musste, von jemandem zufällig berührt zu werden, ohne Absicht, das wusste ich.

das erste "das" >> das

bye
barde

 

Hallo Aqua!

Eigentlich kann ich Geschichten nicht so gut leiden, die den Leser persönhnuich ansprechen, "wenn du weißt, was ich meine...", aber bei Dir fließt es in die Story so unaufdringlich ein, und es passt...(an dieser sStelle würde ich gern einen Smily setzen, bin aber nicht in Weihnachtsstimmung...).
Du beschreibst die Gefühle, Stress, die Zwanghaftigkeit so nachvollziehbar, es liest sich so flüssig, als würde ich mit dabei sein...die Stimmungen fängst Du ein, die Athmosphäre, den Moment. Und das ist toll. Und Stress... ja, den sollte man isch nicht auch noch selbst machen, da sollte man lockerer werden... ist nurmanchmal nicht so einfach.

Aqua, liebe Grüße, Anne

 

Ja, Barde, du bist ein guter Schnüffler. Der Fehler ist Tatsache und wird auch korrigiert. Danke für den Hinweis. Ich werde versuchen, weiterhin gelungene Geschichten zu schreiben. Irgendwann treffe ich deinen Geschmack. Versprochen.

Danke, Barde.
Deine Kritiken sind in Ordnung.

Maus, du bist immer dran. Du gehörst zu einem meiner treuesten "Fans". Gut zu wissen.

Liebe Grüße an euch beide - Aq

 

@ Aqua

Klasse Schreibe. Sehr gefühlvolle und interessante Beschreibung eines Gemütszustandes.
Der Prot taumelt durch eine hektische Welt, und da er sensibel ist, werden ihm die alltäglichen Dinge des Lebens zur Belastung. Entspannung sucht er im Alkohol und findet sich kurzfristig auch. Bis zum nächsten Tag dann, vermutlich.

Ganz toll geschrieben – hatte die ganze Zeit Bilder im Kopf.

Liebe Grüße
Liz

 

Schön, Liz, schön.
Wenn du viele Bilder aneinander reihst, ergibt sich ein Film. Viele von diesen Filmen machen einen Tag aus.
Viele dieser Tage sind die Zeit, die uns zur Verfügung steht. Du weißt, was ich damit meine.
Alltag ist Belastung. Genau das ist es, was ich vermitteln möchte, Liz.

Alltag ist aber auch unser Leben und umgekehrt. Wenn ich nicht recht habe, dann steinigt mich.

Umarmung - Aqua

 

@ Aqua

Da musst du glaub ich lange suchen, bis dich wer steinigt – du hast nämlich absolut recht.

Statt dessen bekommst du einen :kuss:, als Ausgleich für die nicht statt findende Steinigung, so zu sagen.

Halt die Ohren steif und man liest sich,

Liebe Grüße
Liz

 

Hi Aqua
...................- gelesen:-)
Ja, verstehe, was sie meinen.
Aber wie hältst du die anderen aus-

 

Hei Aq, ich denke hier sind mehrere Interpretationsmöglichkeiten im Angebot.
Ich sehe es so.
Der Typ führt Krieg mit sich selbst. Die Umwelt hat ihn geschafft, er ist fertig. Aber er scheint im Augenblick nicht ganz fertig zu sein. König Alkohol regiert gerade. Leicht verwirrt ist er schon. Evtl durch totale Reizüberflutng seiner Umwelt, und n wenig viel Wodka.
Verrückt ist er nicht. Verrückt ist wohl eher der, der nicht verrückt wird!

Liebe Grüsse Arche,

Schreibstil....haha....dein Schreibstil!.....soll ich jetzt mal schreiben "Hey du schreibst aber sehr flüssig...haha, dann hätt´ ich wohl echt gar keine ahnung denke ich?

 

Ich mag das, wie sich hier die Gedanken zerstreuen, mal von einer Hazienda, mal vom kühlen Bier in heimischen Gefilden gesprochen wird. Das macht mir die Situation des Protagonisten so vertraut. Ja, irgendwie hat das Atmosphäre. Schon einmal habe ich mich dafür entschuldigt, kein blendender Kritiker zu sein, jetzt will ich mich wiederholen, denn viel bleibt mir nicht zu sagen, als: wunderbar.

 

@monstermind, Du hast doch viel mehr gesagt, als "wunderbar"... Mit der Zeit kommt die Übung und dann fällt Dir manchmal auch noch mehr ein, was Du schreiben kannst. Aber was will man bei Geschichten von Aqualung auch viel kritisieren? Viel mehr kann man da ja nicht sagen. ;)

 

Recht hast du. Er macht es einem nicht gerade einfach, etwas zu bemängeln. Ich werde weiter üben, solange der Fluss an lesenswerten Geschichten nicht nachlässt, was ich stark annehme.

 

Vielen Dank euch Allen fürs Lesen dieser Geschichte.

Alex,
das nicht Beantworten können deiner Frage verblüfft mich immer wieder aufs Neue. Ich weiß es nicht, Alex.

Arche,
trotzdem ihm alles schwer zu schaffen macht, gibt es dann Tage wie diesen. Es reicht eine kleine Beobachtung und schon geht es wieder.

Monstermind und Häferl,
Kritiken wie die euren machen den Tag exklusiv. Dem Prot ging es in dieser Geschichte ähnlich.

Umarmung für alle - Aq

 

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