Wirtshausgespräche
Wirtshausgespräch
"Eleonore, sie legt Wert darauf so angesprochen zu werden und hasst jede
Verkürzung ihres Vornamens, ist etwa einmetersiebzig groß, hat grüne Augen,
deren Farbe je nach Laune mehr oder weniger changiert. Sie ist korpulent,
vollschlank hört sie lieber, besonders ihr Oberkörper mit ihrem voluminösen
Busen beeindruckt. Ihre dunklen Haare trägt sie zu einem Knoten
zusammengebunden. Eleonore Manteuffel, die Manteuffel, ist eine
weithin bekannte Sopranistin. Sie bevorzugt langwallende Gewänder. Sie trinkt mehr als ihrer Stimme gut tut, mag das aber nicht wahrhaben. Schon lange hat sie kein wirklich herausragendes Engagement mehr gehabt. Trotzdem träumt sie davon, noch einmal an einem renommierten Haus aufzutreten. Sie lebt von ihrem Namen. Ihre Lieblingsbeschäftigung ist die feingesponnene Intrige, mit der sie schon eine Reihe junger vielversprechender Künstlerinnen weggebissen hat.
Eleonore lebt mit der Nervenärztin Dr. Lina Braschke zusammen. Die
Presse hat bisher keinen Wind davon bekommen."
Neugierig blickte er von seinem Text auf, tupfte sich die Schweißperlen von
der Stirn, nahm einen Zug aus seinem Weizenglas, wischte den Schaum von der Oberlippe und schaute erwartungsvoll.
"Du hast sie sehr gut beschrieben. Ich kann Eleonore direkt vor mir sehen.
So eine Art Walkürentyp. Aber...." lachte sein Gegenüber, winkte dem Wirt,
deutete auf die beiden beinahe leeren Gläser und schmunzelte.
"Was aber? Sag mir, was ich ändern muss. Passt dir nicht, das sie lesbisch
ist?" ereiferte sich der Hagere und stieß seinen Stift in die verräucherte
Luft der Gaststube.
"Nein, nein, das ist alles gut. Hmm, nur, eine Nervenärztin, die Lina
Braschke heißt. Ich weiß nicht. Das klingt nach Ohnsorgtheater, wenn sie
dann noch ausschaut wie Heidi Kabel...." kichernd verschluckte sich der
etwas rundliche ältere Herr und fuhr mit der Hand durch sein bis auf die
Schultern wallendes graues, strähniges Haar.
"Mach einen Vorschlag" forderte der Jüngere und nahm wieder einen großen
Zug aus seinem frischgefüllten Bierglas.
"Was hältst du von Frau Dr. Wilpert-Wondraschek, oder von
Hornstein-Bilgenroth. Der Name sollte ein wenig überspitzt, etwas
hochgestochen klingen. Das beherzige ich selbst in meinen Novellen.
Müller-Wittgenstein denkt übrigens über eine Neuauflage meiner
Kurzgeschichten nach" legte der Dicke nach und lehnte sich behaglich
grinsend im Stuhl zurück.
"Nicht schlecht. Aber hör mal, wie gefällt dir Frau Dr. Meyer-Zumstein?",
trumpfte sein Gesprächspartner mit erhobener Stimme und hieb die flache Hand auf die Tischplatte, das die Gläser erzitterten.
"Ne, geht nicht" fuhr der Andere auf und flüsterte, während die Farbe aus
seinem normalerweise rosigen Gesicht wich "Die gibt’s wirklich. So heißt ja
meine Therapeutin."
"Was sind das denn für komische Heilige?", beugte sich der Gast an der Theke
zum Wirt hinüber.
"Ach die, " grinsend brachte der Wirt seine sonst so volltönende Stimme auf
ein flüstern herunter.
"Die beiden Schreiberlinge da drüben. Keine Angst, die sind harmlos. Der Lange werkelt seit fünf Jahren an seinem Roman, soll der große Renner werden, behauptet er. Und der Dicke da, der schreibt jedes Jahr eine
längere Geschichte und lässt sie veröffentlichen. Geht ganz schön ins Geld
sein Hobby."
"Wieso, verdient man als Autor nicht recht ordentlich?", wollte der Gast
neugierig wissen.
"Natürlich, wenn man schreiben kann und bei einem guten Verlag herauskommt. Er aber zahlt jedes Mal für die Ehre, ein eigenes Werk in den Händen zu halten, ein paar Tausender" grinste der Wirt schlau.
"Das versteh ich nicht" raunte der Gast und leerte das Glas, das der Wirt
ihm unaufgefordert herübergeschoben hatte.
"Na für Druckkosten, fürs Papier, für den Vertrieb, die Werbung usw., und
natürlich mein Honorar dazu, nicht zu vergessen“ kicherte der Wirt.
"Wieso??" staunte der Gast.
"Ich bin sein Agent, hab ihn Müller-Wittgenstein vermittelt" prustete der
Wirt heraus.
"Müller-Wittgenstein, der vom Müller-Wittgenstein Verlag? Kenn ich!
Sie haben das Talent - Wir verlegen Ihr ganz persönliches Buch. Das
Geschenk für den Gabentisch" lachte der Gast.
"Ach, köstlich. Zwei Bier für die beiden, Herr Wirt" sagte der Gast und wandte
sich den beiden eifrig disputierenden Künstlern zu.
ENDE
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