Was ist neu

Wir wachsen

Seniors
Beitritt
03.07.2004
Beiträge
1.585

Wir wachsen

„Gebt endlich mal Ruhe! Das ist ja schlimmer als im Kindergarten.“ Die Narzissen waren genervt von dem ständigen Gejohle der Schneeglöckchen und dem Gekreische der Krokusse. Die drängelten und schubsten sich unter der Erdoberfläche. Jeder wollte der erste sein und einen guten Platz auf dem Rasen, der über ihnen lag, ergattern.
Seit dem Morgen schien die Sonne und der Boden erwärmte sich langsam. „Der Frühling kommt“, sangen alle kleinen Blumenzwiebeln, während die Tulpen und Hyazinthen weise ihre Häupter schüttelten. „Gewiss nicht. Gleich kommt wieder ein Schneeschauer.“
Und so war es dann auch. Kaum schauten die ersten zarten Spitzen aus der Erde, wurden sie wieder von zahlreichen Schneeflocken zugedeckt. „Hoffentlich bleibt der Schnee liegen“, meinten die älteren Krokusse. „dann wird es nachts nicht so kalt, wenn wir gut zugedeckt sind.“
„Es ist Frühling, was kann schon geschehen“, jubelten einige Primeln, die sich mit den Winterlingen zusammengetan hatten und schon ihre Blüten über der Schneedecke entfalteten.
Es wurde schnell wieder dunkel. Die Tage waren noch kurz und die Winterlinge schlossen ihre gelben Blüten, als die Dämmerung hereinbrach. Aber die Primeln waren so übermütig, dass sie mit offenen Kelchen den vollen Mond bestaunten, der über ihnen über den Himmel zog. Niemand hatte ihnen erzählt, dass in klaren Nächten der Frost übers Land streifte und so wurden sie überrascht, als er über ihre Blüten hinwegstrich und sie erfrieren ließ.
„Ja, ja“, grummelten die Narzissen, als sie einige Tage später zaghaft ihre Triebe in die laue Luft schoben. „Wer nicht hören will, muss eben leiden.“
Als auch die Tulpen gerade zum Vorschein kamen, ging ein Raunen durch die Blumenschar. „Die Bienen kommen!“ Und alle öffneten weit ihre Blüten und winkten im sanften Wind, um die Bienen anzulocken. Und bald herrschte ein heftiges Gedrängel auf dem Rasen. Die Narzissen, die Hyazinthen und die Tulpen zwängten sich zwischen Krokusse und Schneeglöckchen und breiteten ihre großen Blätter aus. Das gab manches böse Wort.
„Ihr nehmt uns die ganze Sonne weg.“
„Wachst doch woanders.“
„Wir waren zuerst hier.“
Irgendwie schafften es die verschiedenen Blumen dann doch, sich so zu arrangieren, dass alle etwas von der wärmenden Frühlingssonne abbekamen.
„So macht das Leben Freude“, summten die Blumen, als der Tag wieder zu Ende ging. Der schmelzende Schnee hatte die Erde gut durchfeuchtet, so dass sie alle genug Wasser in ihren Zwiebeln speichern konnten. Der Sonnenschein regte sie an, zu wachsen und ihre schönsten Blüten zu entfalten. Eine wahre Farbenpracht überflutete den Rasen. Und wie jedes Jahr meckerten einige Tulpen, weil die Bienen so gerne zu den Schneeglöckchen und Gänseblümchen flogen. „Wir haben die schönsten großen roten Blüten und diese kleinen Gänseblümchen sind doch nur unscheinbar weiß. Warum also fliegen die Bienen zu ihnen?“
Da es auf dem ganzen Rasen keine Pflanzenschule gab, konnten die Tulpen auch nicht einmal ahnen, dass die Bienen das Weiß viel deutlicher vor den grünen Blättern und dem ebenso grünen Rasen sahen, als Rot, das ihnen nur Schwarz erschien. Nur gut, dass es hier keine Ampeln gab. Die Bienen hätten das rote Männchen gar nicht sehen können und wären einfach weitergeflogen.
Weil es auf dem Rasen keine Schule gab, hatten die Blumen auch nie erfahren, warum sie die Bienen so freudig willkommen hießen. „Das war schon immer so gewesen“, murmelten die Hyazinthen, wenn ein vorwitziger kleiner Krokus danach fragte.
Aber dann begannen die Linden zu blühen und die bunte Pracht auf dem Rasen verging. Die Blüten verwelkten und fielen ab. Die Pflanzen holten sich neue Kräfte aus dem Boden und von der Sonne, um ihre Früchte reifen zu lassen. Außerdem speicherten sie alle verfügbaren Nährstoffe in ihren Knollen für den nächsten Frühling.
Schon kam der Sommer. Die Blätter der Frühlingsblumen verwelkten, ihre Fruchtstände vertrockneten und platzten auf. Sie verstreuten ihre Samen so weit wie möglich, um im kommenden Jahr viel Nachwuchs zu haben. Dabei war es auf dem Rasen jetzt schon ziemlich eng.
Dann begann der Herbst und die Tage wurden wieder kürzer. Die Luft kühlte merklich ab. Bevor sie endgültig im Boden verschwanden, verabschiedeten sich die Pflanzen voneinander: „Angenehmen Winter und guten Schlaf. Bis zum nächsten Frühling.“

 

Hallo Jobär.

Eine nette Frühlingsgeschichte! Wirklich. Der zweite Satz hatte mich, dass ich in einer Blumen-Welt bin. Schöne Idee!
Meine makabere Seite dachte bei dem Wort "Rasen" ständig an "Rasenmäher" - der kam aber nie - so dass es wohl doch eher eine Wiese, als ein Rasen sein müsste.

Der Sommer und Herbst kamen mir zu schnell. Das wikte so: ich brauche einen Abschluss, also müssen die Knollen noch durch Sommer und Herbst durch - Winterschlaf - fertig. (ich denke immernoch an den Rasenmäher)

Mein Vorschlag: nimm doch einen kleinen Krokos, der zum ersten mal blüht als Protagonist. Lass ihn das erleben, die Älteren nach dem Warum?, und dem "was passiert hier?" - "was ist Schnee?" - fragen. Lass ihn um die Sonne kämpfen, so dass eine Tulpe ihm die Sicht versperrt. Ihn zum ersten mal von einer Biene kitzeln lassen... Oder so was in der Art. Dann wird das mehr Geschichte - und vielleicht auch spannender.

hat denn keine Blume Angst vorm Rasenmäher?

Dabei fällt mir ein: Ich muss mir noch nen Vertikutierer borgen! :)

gern gelesen, ich wünsche einen schönen Frühling
pantoholli

 

Hallo Jobär,

mir gefällt Dein Text wirklich gut. Liest sich sehr angenehm und hat eine schöne allegorische Ebene. Ich mag auch diese Vielfalt, die sich eröffnet.

LG

 

Lieber jobär,
weißt du, dass Schneeglöckchen meine Lieblingsblumen sind?
Ich hab mich richtig dolle gefreut über die johlenden Schneeglöckchen und die kreischenden Krokusse. Ja, den Anfang fand ich herzallerliebst. Von mir aus dürftest du da ruhig noch ein paar unflätige Blumen rumrandalieren lassen.
Ich fand deinen Text sehr nett, ja sogar goldig. Auch wenn da so ein Konflikt ... naja, du weißt schon, der fehlt einfach.
Aber wurschtegal, mir gefällt das trotzdem, weil es sehr liebevoll und bunt ist.
Einziger Kritikpunkt: Das Ende. Okay, so gehts in der Natur zu und du bringst natürlich auch etwas Bildungsgut in deiner Geschichte rüber, aber ich finds halt etwas kurz, auch etwas zu allgemein oder gar trocken. Nur der letzte Satz ist wieder sehr nett.
Bis die Tage, lieber jobär und frohe Ostern für dich. Mit vielen Blüten und Düften.

 

Au wei, als ich gestern Abend nachschaute, war nix. Und dann kamen die Nachtarbeiter. :D
Ich packe gerade für meinen Osterurlaub. Also nur ganz kurz: Vielen Dank pantoholli Alltagsschleife Novak Freut mich, dass euch die kleine Geschichte überwiegend gefallen hat. Der Schluss ist zu kurz, das hatte ich auch schon befürchtet. Und an Rasenmäher habe ich wirklich gar nicht gedacht. Auch die Idee mit dem kleinen Krokus finde ich interessant. Mal sehen.

Liebe Grüße und schöne Ostern

Jobär

 

Hej jobär

und wenn ich mir auch was wünschen dürfte, dann würde ich mir die langersehnten Frühjahrsboten, anders als das Gemüse von RinaWu, leiser und zurückhaltender erbeten. ;)

Schöne Ferien, Kanji

 

Hey JoGy
nur mal kurz: (hat ja was mit dem Text zu tun)

ich dachte stark an den Text von RinaWu und fragte mich, ob du dich nicht ihrer Idee bereichert hast?
Klar, das Thema ist was anderes, aber die Idee ...
Da bin ich anderer Meinung: das, was RinaWu oder auch ich selbst in meinem Romanprojekt (Kaleidoskop) mache - denkende, sich äußernde Gegenstände - macht schon Hans Chrsitian Andersen in seinen Märchen und wer weiß noch, wer alles zuvor, da bereichert sich also niemand; aus der Literaturgeschichte schöpfen wir am Ende alle.

Und wenn ich schon mal dabei bin, jobär:
Ich mag die Geschichte, vielleicht etwas süßlich und am Ende zu lau auslaufend, aber ich stell mir die Kinderaugen vor, die das zu hören bekommen :Pfeif:

viele Grüße
Isegrims

 

JoGy

Lieber JoGy, ich bin im Urlaub und hatte die Absicht, meine Zeit nicht am Computer zu verbringen. Aber auf Deine Worte möchte ich doch etwas bemerken: Ich habe keine Verblndung meiner Geschichte zu RinaWus tanzenden Topfpflanzen gesehen und ich sehe diese auch jetzt nicht. Denn RinaWu behandelt die Kommunikation zwischen empathischen Menschen und "unbelebten" Gegenständen. Es handelt sich um eine gelingende gegenseitige Kommunikation. In meiner Geschichte kommunizieren Blumen miteinander - nicht mit Menschen. Diese Frage, ob Blumen mit Menschen Kontakt aufnehmen können, ist für meine Geschichte völlig unerheblich. Deshalb kommt mir Deine Bemerkung so vor, dass man nichts über Blumen schreiben darf, weil jemand anders gerade eine empfohlene Geschichte geschrieben hat, in der auch Pflanzen vorkommen. Ich denke, bei einem so rigiden Maßstab müssten die meisten Geschichten hier als "ähnliche" Texte angesehen werden. Wenn ich mir alleine die vielen Geschichten anschaue, die das Thema Suizid behandeln. Darf jetzt vier Wochen lang keine Suizid-Geschichte veröffentlicht werden, weil gerade so eine Geschichte gepostet wurde?

Ich hoffe, Du merkst, dass ich Deine Anmerkung schlicht nicht nachvollziehen kann.

Liebe Grüße und schöne Tage

Jobär

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom