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Wir sind pleite !

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18.10.2001
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Wir sind pleite !

Wenn man sich auf eines verlassen konnte war es der Flurfunk. Die Nachricht ging um wie ein Lauffeuer. Meine Kollegen im Büro begannen nervös mit ihren Beinen zu hibbeln und die Synthetikhose meines Gegenüber klang dabei, wie das Scratchen einer HipHop-Performance. Die Sprachlosigkeit schlug schnell um in aufgeregtes Klackern der Computertastaturen um. Die Jobsuche hatte begonnen.

Mein Kaffee war alle und ich machte mich auf den Weg den langen Flur herunter, um in der Küche Nachschub zuholen. Das Schild an der Kaffeemaschine machte es deutlich. Die Welt geht unter, nichts geht mehr, das Leben geht zu Ende.

„Liebe Kollegen ! Auf Grund der angespannten Finanzlage kann, die Betriebsleitung ab sofort keinen Kaffee mehr für die Belegschaft bereitstellen !“

Am Fenster hatte sich ein kleines Grüppchen aus dem Projektmanagement zusammengerottet und sich den letzen Kaffee gesichert. Ihre Augen sagten alles: wir haben Schuld, wir wissen das; aber wir werden das auf keinen Fall zugeben.

„Na wie sieht aus“, fragte ich und ein gequältes Lächeln huschte über die Gesichter der Anwesenden.

„Na geht so“, „ Es ging schon besser“, bei zweien brach die andressiert Höflichkeit heraus, während die beiden anderen sich vielsagend und lange anblickten. Ich hätte mir die Frage auch sparen können.

„Dann man zu“. Ich spülte kurz meine liebgewonnen Tasse und entsorgte diese in der überfüllten Spülmaschine. Diese machte den Eindruck eines Friedhofs. Ich kannte sie alle. Die Tasse mit der Goofynase, die mit dem Formeleins Aufdruck, die Blümchentasse. Aus dieser Perspektive hatte ich sie nie gesehen. Kopfüber hingen sie mutlos im Gitter. Das fahle Licht der Neonleuchte gab ihnen einen morbiden Glanz. Welch ein Ende, noch gestern qualmend und leuchtend auf einem Stapel Papier, oder auf einem Mousepad, heute schon tot.

Die Spülmaschinenatmosphäre verbreitet sich schnell im gesamten Gebäude. Auf dem Weg zurück zu meinem Büro, blickte ich in das eine oder andere Büro. Ich konnte meine Schritte hören, das erste Mal. Es befanden sich ungefähr 120 Menschen in diesem Trakt des Gebäudes, doch sah ich nur den einen oder anderen Haarbüschel hinter den Monitoren hervorstehen.

In meinem Büro hatte sich währenddessen einiges getan. Die beiden jüngeren Kollegen hatten begonnen ihre Computergehäuse zu öffnen, um ihre privaten CD-Brenner auszubauen. Der vorher so aufgeräumte Raum erinnerte an ein Versuchslabor. Mein anderer Kollege, der vor kurzem Vater geworden war und seitdem unter einem andauernden Schlafdefizit litt, telefonierte, angestrengt blickend, mit seiner Frau.

„Ich weiß auch nicht wie es weitergeht. Ich weiß das wir erst hier hingezogen sind.“

Das aufgeregte Quacken seiner Frau am anderen Ende des Hörers, vermischte sich mit dem Geklapper der Metallwände der Computergehäuse der Kollegen. Ich setze mich auf meinen Bürostuhl und öffnete mein Mailprogramm. 21 Nachrichten in 12 Minuten.

„Wie geht’s weiter ?“

„Wer hat Lust die neue Kaffeekasse zu machen ?“

„Lasst uns eine Mitarbeitervertretung wählen“

„Anbei als PDF das Insolvenzgeldmerkblatt des Arbeitsamts ...“

„Ich möchte mich von euch verabschieden, da ich einen neuen Arbeitgeber gefunden habe ...“

Einige mussten schon im Voraus informiert gewesen sein. So schnell findet man keinen neuen Arbeitgeber. Ich lehnte mich zurück und blickte aus dem Fenster. Die Lamellen der Jalousien glänzten im Sonnenlicht, es war ein schöner Tag.

Etwas benommen von den vielen neuen Eindrücken öffnete ich den Rechner meines Computers. 5378,35 geteilt durch 100 mal 60. 3227,01. Im Kopf überschlug ich meine laufenden Kosten. „Zahlt das Arbeitsamt auch den Pfennig. Auf jeden Fall: das reicht!“ Meine Gedanken kreisten um zu Hause. „Meine Frau wird sich freuen, endlich kein Gerede mehr über schlechte Organisation, mieses Management, unpünktliche Kollegen“.

„Hallo !“ rief ich in den Raum hinein. Meine Kollegen blickten erstaut auf. Ich hatte sie aus ihrer angespannten Betriebsamkeit herausgerissen. Alle blickten sich an und um.

„Kommt jemand mit eine Zigarette rauchen ?“. Dies kam an, wie eine Verkündigung. Die beiden Jüngern schlossen sich an, während der Ältere, während wir den Raum verließen immer noch versuchte seine hysterisch klingen Frau, am anderen Ende seines Hörers irgendwie zu beruhigen und kopfschüttelnd signalisierte, das er nicht mitkomme.

Im Treppenhaus herrschte rege Betriebsamkeit. Muskulöse Genossen, denen man den Möbelpacker schon aus 100 Meter Entfernung ansehen konnte, schleppten originalverpackte Kartons mit Monitoren und Computerbedarf, die Treppen herunter. Mit ihren schwarzen T-Shirts mit dem Aufdruck ihrer Firma erweckten sie in diesem Augenblick den Eindruck als wären sie ein Sonderkommando des FBI. Wortlos huschten sie an uns vorbei, während wir uns an der Wand des Treppenhauses nach oben durchschlugen.

Der Raucherraum, bei dem es sich eigentlich um einen noch nicht ausgebauten Dachboden handelte, war gut gefüllt. Einige blickten auf und unterbrachen ihre Unterhaltung, als wir uns zügig auf unser Stammposition neben der Dachluke zu bewegten, nahmen noch eine kräftigen Zug aus ihren Zigaretten, drückten diese in dem überfüllten Aschenbecher aus und verließen den Raum.

Wortlos zogen wir an unseren Zigaretten. Der Kollege mit der Synthetikhose unterbrach die Stille.

„Was macht ihr den jetzt“

Wir blickten uns an.

„Na ja, ich wird gleich mal schauen was den so an freien Stellen im Internet zu finden ist“ sagte ich.

„Wo guckst den da ?“

Ich zählte die üblichen Jobsuchadressen auf. Ich hörte mich reden wie im Tunnel. Ich merkte, dass von mir verlässliche Informationen erwartet wurden. Erst jetzt merkte ich, dass ich ebenso betroffen war.

Wir rauchten noch zwei weitere Zigaretten, unterhielten uns über unsere Perspektiven und verließen dann den Raum, in den schon die nächste Fraktion einströmte. Angestrengt lächelnd liefen die beiden Gruppen aneinander vorbei.

Zurück am Arbeitsplatz eine neue Mail.

„Die Betriebsleitung informiert. Wir befinden uns in einer schwierigen Situation ...“

Die wohl übliche Massenberuhigungsnachricht. Zehn Uhr fünfzig. Die Zeit stand still. Vom meinem Gefühl her war es bereits Nachmittag. Das Signal im Computer informierte mich über eine neue Mail.

„Die Betriebsleitung fordert alle Mitarbeiter dazu auf, kein Firmeneigentum für private Zwecke ...“

Der Ton wurde härter. Ich ordnete meine Sachen. Was wollte ich heute eigentlich machen. War das noch wichtig. Was ist mit den Aufträgen. Eine neue Mail.

„Die Betriebsleitung bittet alle Mitarbeiter ihre privaten Sachen einzusammeln und das Gebäude innerhalb der nächsten 30 Minuten zu verlassen ...“

Aus dem Flur drang aufgeregtes Gemurmel und hektisches Gescharre in den Raum. Die letzen Minuten waren eingeläutet. Ich öffnete eine Schublade nach der anderen. „Ah, hier ist der Locher“. Die Festplatten der jüngeren Kollegen waren eifrig am rattern, während sie versuchten die Gigabytes an MP3 Files von den Datenträgern zu löschen. Der ältere Kollege nebenan machte einen etwas hilflosen Eindruck, da sein Schreibtisch mit Fachzeitschriften überfüllt war und er Probleme hatte Privates und Firmeneigentum auseinander zu halten. Sein Telfon klingelte. Seine Frau ... .

Ich packte meine Tasche nahm meinen Motorradhelm und machte mich auf den Weg. Vor der Tür standen bereits die Angestellten aus der Buchhaltung und wirbelten aufgeregt mit den Armen. Der Kollege aus der Administration fuhr mit quietschenden Reifen und ohne Zurückzublicken vom Hof.

Ich überlegte kurz, ob ich mich an dem nun folgenden Massenauflauf beteiligen sollte, entschloss mich jedoch mich dem zu entziehen, stieg auf mein Motorrad und fuhr davon.

Einige der Kollegen sehe ich ab und zu, im Vorbeigehen, in der Stadt, was sie heute machen, weiß ich nicht, ich hoffe es geht ihnen gut.

 

Ziemlich traurige Geschichte, muß ich schon sagen. Aber Arbeitslosigkeit ist ein trauriges Thema... :(

Gruß
stephy

 

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