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Wir sind Diebe
Artjom verließ das Haus im Morgengrauen. Er hasste die Frühschicht, war müde und schlecht gelaunt. Zwar benötigte man als Fließbandarbeiter nicht oft sein Hirn, schon gar nicht, wenn man Kleberollen in Kartons verpackt, aber er hatte morgens das Gefühl, überhaupt nicht klar denken zu können.
Artjom versicherte sich noch einmal, dass er seinen Schlüssel für das Haus dabei hatte, und machte sich auf den Weg sein Fahrrad aus dem Schuppen zu holen. Auf einmal spürte er, dass ihn jemand beobachtete.
Er sah sich um, niemand war zu sehen, doch dann erblickte er etwas an seiner Hausmauer.
Direkt neben der Haustür waren mit Kreide kyrillische Buchstaben, sowie ein Fadenkreuz gemalt. Artjom wurde schlecht, er begann zu schwitzen, er wusste, was dies zu bedeuten hatte. Er starrte die Kreidezeichnung an: преда́тель ⊕
Er blickte sich erneut um … niemand.
Verdammt! Sie haben mich gefunden.
Artjoms Hirn begann auf hochtouren zu arbeiten, als hätte es die Uhrzeit vergessen. Das russische Wort für Verräter und die Zielscheibe waren eindeutig. Seine alten Freunde hatten ihn nach Zwölf Jahren ausfindig gemacht. In einer Kleinstadt, im Norden Deutschlands, wo er eine kleine Doppelhaushälfte bezog und als Fließbandarbeiter ein unauffälliges, zurückgezogenes Leben führte. Er hatte seinen Namen geändert und sich die Haare lang wachsen lassen, aber Menschen mit denen man 20 Jahre seines Lebens verbrachte, finden einen, wenn sie wollen - erst Recht, diese Menschen, dachte Artjom. Er ging wieder ins Haus. Heute musste die Arbeit ausfallen. Artjom benötigte Zeit, um heraus zu finden, was zu tun war. Er wählte die Nummer seines Chefes.
«Niedermeyer.»
«Moin, Chef. Ich weiß, dass ist sehr kurzfristig … aber ich kann heute nicht kommen. Ich habe, glaube ich, was falsches gegessen. Hänge schon seit einer Stunde auf Toilette. Es tut mir sehr leid.»
«Oh man! Okay. Da lässt sich wohl nichts machen, ich versuche jemanden zu finden, der Einspringen kann. Dann sehen Sie mal zu, dass Sie wieder auf die Beine kommen, Herr Dall.»
Artjom bedankte sich und legte auf. Ob sein Chef jemanden finden würde, interessierte ihn nicht. Sein Problem war die Zeichnung an der Mauer, beziehungsweise die Menschen, die sie gezeichnet hatten.
Er erinnerte sich zurück.
Früher hatte er das Fadenkreuz selbst an Wände gemalt. Sie waren eine Gruppe von fünf Dieben. Nicht irgendwelche dahergelaufenen Kleinkriminelle, sondern professionelle Diebe. Mitglieder einer Diebesgilde, die es in fast jedem Land gab - zumindest damals. Einbrecher, Räuber und Diebe, die nicht der Gilde angehörten, verschwanden schnell von der Bildfläche, wenn sie unerlaubt in das Geschäft einstiegen, denn jeder Dieb musste einen gewissen Kodex einhalten.
Natürlich sind Diebe keine ehrenhaften Männer; sie sind nichts weiter, als eine Plage für den Rest der Gesellschaft, jedoch versucht die Diebesgilde mit Hilfe des Kodexes, Regeln und Ordnung in die Kriminalität zu bringen. Früher hatten solche Dinge noch funktioniert, heutzutage klauen und rauben alle wie sie wollen, und auf den Kodex wird gespuckt, vorausgesetzt - er ist noch bekannt. Auch wenn das Ganze nach einer schlechten Verschwörungstheorie oder einem Hollywood-Blockbuster klingt, die Gilde existiert.
Damals musste er einen jahrhundertalten Schwur ablegen:
Nur im Notfall anderen Personen gegenüber Gewalt anzuwenden.
Wir sind Diebe, keine Mörder.
Nicht von Bettlern und Todkranken zu stehlen.
Wir sind Diebe, keine Mörder.
Auf Frau und Familie zu verzichten.
Die Gilde ist unsere Familie, Gehorsamkeit nur dem Kodex.
Es gab neben diesen ‹Regeln› noch viele weitere:
Diebe, die nicht in der Gilde waren, mussten gemeldet werden und nur der Tod gewährte einem den Austritt aus der Gilde. Mitgliedschaft bis ans Lebensende.
Jeder Verstoß gegen den Kodex, sowie Deserteure, wurden vom Tribunal bestraft, und die Strafe war nicht selten der Tod. Außerdem zahlten alle Mitglieder einen Betrag an die Gilde, eine Art Versicherung für denn Fall, dass die Polizeit jemanden erwischte; dann wurde mit Hilfe des Geldes versucht Polizisten zu schmieren oder wenn das nicht gelang, ein Anwalt bezahlt.
Mit Elf Jahren lief Artjom von zu Hause weg und verhungerte fast auf der Straße, doch Boris fand und nahm ihn unter seine Fittiche. Es versteht sich von selbst, dass niemand freiwillig kriminell wird. Die meisten Gildenmitglieder waren Waisenkinder, Männer die sich vor der Armee drückten oder wie Artjom selbst, Kinder, die vor einem gewalttätigen Alkoholiker namens Papa wegliefen.
Boris war Mitte Dreißig, sah jedoch viel älter aus, vermutlich auch wegen seines grauen Bartes. Die blauen Kanoniersaugen und sein messerscharfer Verstand waren berühmt-berüchtigt. Er hatte Artjom ausgebildet, ihm gezeigt wie man Geldbeutel unauffällig stahl, Armbanduhren schnell öffnete, Schlösser knackte und ihm diverse Ablenkungsmanöver beigebracht. Das ganze Einmaleins des Diebstahls. In jungen Jahren musste Artjom für Boris (der mehr und mehr die Vaterrolle einnahm) und seine Bande, Häuser beobachten und ihnen dann mitteilen, wann jemand zu Hause war und wann nicht. Er klapperte ganze Dörfer ab, um nach Häusern mit wertvollem Inhalt zu suchen; wenn er eins fand, markierte er es mit einem Fadenkreuz. Eines, wie es jetzt an seinem Haus zu sehen war. Nur kam dieses mal niemand und raubte ein Haus aus, sondern kamen sie dieses mal, um sich zu rächen, sie kamen um Artjom zu töten.
Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie herkommen. Spätestens bei Einbruch der Dunkelheit. Vermutlich beobachten die mich schon über Wochen … und ich Vollidiot habe nichts gemerkt. Sie wissen wo ich arbeite, wissen wo ich einkaufe und wissen in welcher Kneipe ich ab und an ein paar Bier trinke. Wieso habe ich es nicht eher gemerkt?
Plötzlich hatte Artjom wieder das Gefühl beobachtet zu werden, er hörte etwas (Als jahrelanger Einbrecher, entwickelt man ein empfindliches Gehör). Da ist jemand vor der Tür …
Es klingelte.
Artjom ging langsam in Richtung Tür, bereit jeden Moment zur Seite zu springen.
«Hallo?…»
«Moin! DHL. Könnten Sie ein Paket für den Nachbarn annehmen, Herr … Dall?»
«Nein tut mir Leid, ich verreise heute … besser, wenn jemand anderes das Paket entgegen nimmt», sagte er laut genug, sodass man es durch die Tür hindurch hören konnte.
Er blickte aus dem Fenster und wartete ab, bis der Mann verschwunden war, dann zog er alle Rollos runter. Verflucht nochmal, was soll ich tun …
Flucht kam nicht in Frage, denn er wohnte in keiner Großstadt, wo man schnell untertauchen konnte und außerdem wurde er beobachtet. Meine einzige Chance ist ein Kampf, aber ich habe keine Waffen …
Artjom hatte eine zeitlang Boxtraining genommen, aber das würde ihm kaum weiter helfen, wenn seine Vier Weggefährten oder wen auch immer sie geschickt haben kommen würden.
Dima, Anton, Andrej und Sergej, sein bester Freund von klein auf. Alle Vier plus die gesamte Gilde, sowie Boris, wollten ihn tot sehen. Komm schon! Denk nach! Irgendwie muss ich verschwinden …
Artjom war so in Gedanken verloren, dass er zu spät merkte, wie die Tür aufgebrochen wurde. Die gute alte Brechstange. Doch nicht wie zu erwarten, betraten seine Vier ehemaligen Kollegen sein Haus, sondern nur einer - Sergej.
Auch nach Zwölf Jahren erkannte er ihn. Sergej war fast Zwei Meter groß und wog 120 Kilogramm, weswegen er von allen Medved, der Bär, genannt wurde. Aufgrund seiner Masse, fuhr Sergej oft den Wagen und half nur beim Einladen, der ergatterten Beute. Leise und schnell konnte er sich nicht bewegen, was es umso absurder machte, dass er ein Dieb war. Sie starrten sich an.
«Nach all den Jahren, Artjom …»
«Schön dich zu sehen, Medved», sagte Artjom und konnte sein Lächeln nicht unterdrücken. Sergej war so etwas wie sein Bruder, sie sind zusammen aufgewachsen und hatten deswegen eine enge Bindung zueinander.
«Freust du dich wirklich, mich zu sehen, Bruder?» Sergej grinste fies. «Weil ich mich wirklich sehr freue, dich endlich gefunden zu haben. Wieso hast du keine Postkarte geschickt? Ein Anruf wäre auch nett gewesen. Macht man das nicht so … unter Brüdern?»
«Lassen wir das. Ich weiß, wieso du hier bist. Wo sind die Anderen?», fragte Artjom und lies seinen Blick durchs Haus wandern.
«Die Anderen? Ich kann dir sagen, wo sie sind. Vor Zwölf Jahren, an einem gewissen Abend, als ein gewisser Artrjom nicht am Treffpunkt erschien und wir ohne ihn ins Haus gingen, kam plötzlich die Polizei. Oh … dass brauche ich dir ja nicht zu erklären, wo du sie doch gerufen hast und da nach geflüchtet bist. Viel mehr geht es darum, was dann geschah. Die Bullen stürmten das Haus und erwischten Dima, Anton und Andrej auf frischer Tat. Ich wartete im Auto, so wie immer. Was dann passierte, kann ich nicht genau sagen, nur das Schüsse fielen und ich sofort weg fuhr, du weißt - so ist es abgesprochen. Naja … jedenfalls erhielt ich am Tag danach einen Anruf von Dima, er sitze im Knast, ich soll die Gilde informieren, damit sie helfen. Andrej und Anton seien tot. Sie haben probiert die Polizisten zu attackieren oder sowas. Weiß der Teufel was, ich habe eh nicht mehr zugehört, zu groß war die Wut. Ich machte mich dann auf den Weg zu Alexej, der sich um solche Dinge kümmert, wie dir bekannt ist. Ich erzählte ihm alles und er erklärte mir, dass er da nichts machen könne. Einbruch und Gewalt gegen die Staatsgewalt - mit schmieren kommt man da nicht weiter, ein Anwalt wäre nur Geldverschwendung.» Sergej erzählte die Geschichte trocken und ruhig, fast zu ruhig, dieser zynische Hund …
Anton war wütend und traurig. Er hatte gerade erfahren, dass Zwei seiner Freunde tot waren und einer im Gefängnis sitzt, das alles nur seinetwegen.
Für ein paar Minuten herrschte Stille.
«Sergej, mir tut es leid, aber ich habe eine Erklärung dafür.»
Der Blick des Bären verschärfte sich, er blickte Artjom tief in die Augen und nun war seine Stimme nicht mehr ruhig. «EINE ERKLÄRUNG? WEN WILLST DU HIER VERARSCHEN?» Seine Stimme klang, als würde die Luft reißen. « Ich konnte es damals nicht glauben. Artjom hat uns an die Polizei verraten? Mein eigener Bruder? Doch man muss kein bekacktes Genie sein, um eins und eins zusammen zu zählen. DU warst nicht am Treffpunkt! DU warst nicht beim Einbruch dabei. DU verdammter Hurensohn hast deine Bande an die Polizei verraten, hast die gesamte Gilde hintergangen, hast Zwei deiner Freunde auf dem Gewissen, ergreifst die Flucht und versteckst dich ZWÖLF VERDAMMTE JAHRE LANG.»
«Sergej … »
«HALT DIE FRESSE!»
«Lass es mich … »
«Boris war am Boden zerstört. Sein Sohn ein elender Verräter, vermutlich eine Ratte, die sich an die Polizei verkauft hat! Das Tribunal hat Boris wochenlang ausgequetscht, ob er von deinen Plänen wusste. Sie haben ihn gefoltert, ihn geschlagen, ihn gefragt, wo du bist, doch er sagte nichts. Sie haben ihm alles weggenommen und ihm verboten zu stehlen. Er ist nun irgendein obdachloser alter Mann, wenn er nicht schon gestorben ist. Jeder erhielt das Verbot zu ihm Kontakt aufzunehmen oder ihm zu helfen.»
«Oh Gott. Boris! Daran habe ich nie gedacht … »
«Ich frage mich, ob du überhaupt jemals nachgedacht hast, du dreckige Bullenratte. Wie viel haben sie dir dafür gegeben?»
«Ich bin keine Bullenr…»
«WEIßT DU, was das aller Schlimmste war? Dass ich nie verstehen konnte - Warum?» Sergej glühte vor Wut. Seine Hände verkrampften sich um das Brecheisen, welches er immer noch in beiden Händen hielt. Artjom wusste, dass alles seine Schuld war, aber er wollte - nein er musste, den Grund für den Verrat erklären. Auch wenn es keiner verstehen würde, irgendwer musste den Grund erfahren, zumindest Sergej soll wissen, weshalb ich sie alle verpfiffen habe und geflohen bin.
«Bitte Sergej, lass es mich eklären. Ich hatte nie die Absicht, dass Jemand stirbt oder das Boris Probleme bekommt. Du musst mir glauben, bitte hör mir zu!»
«Weswegen hast du es getan, verflucht?», Sergej wirkte etwas ruhiger, seine Hände entspannten sich ein wenig, doch sein Blick war immer noch voller Hass.«Erklär’ es mir!»
«Wegen einer Frau … », sagte Artjom mit kühler Stimme und sobald die Worte gesprochen waren, kamen sie ihm noch lächerlicher vor, als in seinen Gedanken. Er empfand nichts weiter, als Scham.
«Wegen einer FRAU?»
«Ja, ich hatte sie Wochen vor der besagten Nacht kennengelernt. Sie heißt Katharina.»
Artjom begann die Geschichte zu erzählen und Sergej hörte ihm zu, völlig fassungslos, wütend, doch er unterbrach ihn nicht.
Artjom hatte Katharina in einem Café kennen gelernt. Er frühstückte hin und wieder dort, wenn die letze Nacht ein Erfolg war. Er saß immer alleine an einem Tisch am Fenster und beobachtete die Menschen draußen auf den Straßen. Katharina setzte sich einfach zu ihm und sprach ihn an. Sie war Studentin, doch ihre Eltern sind vor kurzem verstorben und haben ihr ein Haus hinterlassen, welches ganz in der Nähe stand. In der Woche verbrachte sie die meiste Zeit im Haus und an den Wochenenden kellnerte sie in einer anderen Stadt, in der sie auch studierte.
«Geerbt habe ich ein Haus - und ein Haufen an Schulden», sagte sie und lächelte. Sie hatte dunkles, lockiges Haar, grüne Augen und war gar nicht oder kaum geschminkt. Ganz natürlich, was Artjom sehr gefiel.
«In dem Haus ist eine Menge Kram, den ich jetzt verkaufen werde, um wenigstens einen Teil der Schulden abzubezahlen. Was ich mit dem Haus mache, weiß ich noch nicht … Tut mir leid, dass ich dich so vollquatsche, aber ich kenne hier niemanden in der Stadt und ich habe dich hier schon ein paar Mal alleine gesehen. Ich dachte mir, der sieht nett aus, vielleicht kann ich ihn überreden, mir die Stadt einwenig zu zeigen, damit ich in dem Haus nicht völlig untergehe.»
«Tut mir leid, ich kann dir da nicht weiter helf…»
«Ach bitte, nur ein paar Mal etwas trinken oder essen gehen.»
Und aus irgendeinem Grund konnte er nicht standhaft bleiben und so kam es, dass sie sich verabredeten. Sie waren gemeinsam essen und tranken das Eine oder Andere Bier zusammen. Artjom wählte bewusst Orte, an denen er niemanden von seinen Freunden erwartete.
Eines Tages, nach einem gemeinsamen Mittagessen, fragte sie ihn, ob er sie nach Hause begleiten könne. «Du musst ja nicht mit rein, nur ein kleiner Spaziergang, damit ich nicht alleine gehen muss.»
Er geleitete sie nach Hause und desto näher sie ihrem Haus kamen, umso unwohler fühlte sich der getarnte Kriminelle. Er kannte die Gegend. Erst vor kurzem hatten er und seine Jungs diese Gegend abgeklappert. Bitte lass sie nicht in einem markierten Haus wohnen!
«Da ist es, ganz schön groß, nicht wahr? Hey, alles gut bei dir? Du bist so blass!»
Artjom sah das Fadenkreuz und konnte nicht aufhören darauf zu starren. Es erkannte das Haus, in das für die nächsten Tage ein Einbruch geplant war. Hausnr. 4, scheint leer zu stehen. Ab und an kommt ein Mädchen vorbei, aber an den Wochenenden scheint niemand da zu sein, erinnerte er die Worte Dimas.
«Was starrst du denn auf das Gekritzel da? Das waren wohl irgendwelche Kinder aus der Straße hier. Kann ich dir eventuell was zu trinken anbieten? Dann kannst du mal das Chaos sehen.»
«Nein … ah … Danke, aber ich muss wirklich dringend los.»
«Schade, na gut. Danke für den netten Tag, du bist mir wirklich eine große Hilfe, auch wenn ich dich immer noch nicht ganz einschätzen kann.» Sie ging verlegen auf ihn zu und gab ihm einen Kuss auf die Wange. Es war der erste Kuss, den Artjom von einer Frau bekommen hatte, die er nicht zuvor bezahlen musste. In diesem Moment wurde ihm klar, dass er sich von Anfang an in das Mädchen verliebt hatte und das er und seine Freunde kurz davor standen ihr Leben noch weiter zu zerstören. Tote Eltern, ein Haufen Schulden und ein Einbruch, bei dem alles wertvolle mitgenommen wurde. Jackpot.
Er lief nach Hause und überlegte lange. Das erste Mal in seinem Leben, war es ihm nicht egal, welche Probleme die Menschen, die er ausraubte, hatten. Und er fasste einen Entschluss. Ich will dieses verdammte Leben nicht mehr!
Was danach folgte, veränderte sein Leben. Er kam nicht zum Raubzug und verständigte die Polizei, dann flüchtete er. Er sah Katharina nie wieder und hinterliess ihr auch keine Nachricht. Er nahm das Wichtigste mit und floh so schnell er konnte.
Nachdem er die Geschichte zu Ende erzählt hatte, blickte er Sergej an.
«Ich dachte, ich tue das Richtige, verstehst du? Ich wollte nich mehr dieses Leben führen!»
«Warum hast du mir nicht einfach erzählt, dass es um eine Frau geht. Wir hätten eine andere Lösung gefunden.»
«Was für eine andere Lösung? Du kennst den Kodex. Ich hätte doch nicht wissen können, dass Menschen sterben!»
«Du hast uns, deinen Vater Boris und mich, deinen Bruder wegen einer Frau, die du paar Mal getroffen hast, verraten!» Die Wut in Sergej stieg wieder an.
«Ich weiß, ich bin ein Verräter. Jetzt weißt du weswegen. Nun kannst du mich erledigen. Ich werde mich nicht wehren.»
«Zu gerne würde ich dich umbringen, du räudiger Bastard ,aber ich soll dich zum Tribunal bringen.»
«Was? Wieso?»
«Das sind die Regeln … und wenn du noch ein bisschen Anstand hast, kommst du mit und stellst klar, dass Boris nichts damit zu tun hatte!»
Artjom wurde bewusst, dass er das Boris schuldig war. Dieser Mann hatte ihn wie einen Sohn behandelt, ihn gelehrt, ernährt und sich wie ein richtiger Vater verhalten. Jetzt sitzt er irgendwo und bettelt nach Geld, um sich die nächste Flasche zu kaufen. Artjoms Schuldgefühle gegenüber seinen alten Gefährten wogen zu viel, als dass er sich zur Wehr setzen wollte. Er begleitete den Bären in seine Heimat, zum Tribunal.
Das Tribunal wurde in einer alten verlassenen Fabrik abgehalten. In der Halle tummelten sich die Zuschauer, welche sich im Kreis aufgestellt hatten, um den Prozess des elenden Verräters zu verfolgen. In der Mitte des Kreises standen drei ältere Herren, die Richter. Richter waren immer ältere Männer, zu alt für den Diebesalltag, sich jedoch weiter um die Gilde kümmerten. Sergej führte Artjom in die Halle. Als die Menge ihn kommen sah, begannen die Beleidigungen und Buh!-Rufe. Sie näherten sich dem Kreis, die Menge machte Platz - von den Seiten bekam Artjom ein paar Schläge und Tritte ab. Einer spuckte ihm direkt ins Gesicht. Er ging in die Mitte des Kreises, stellte sich den drei Richtern gegenüber und senkte seinen Blick auf den Boden. Bitte lass es schnell vorbei sein.
Es dauerte, bis die Meute sich beruhigte und einer der Richter begann zu sprechen:
«Wir haben uns heute zusammengefunden, um einen Verräter zu bestrafen.»
Wieder Schreie aus der Menge. «Hängt die verdammte RATTE!»
Der Richter fuhr fort, «Artjom Wladimirowitsch Gorodetzki, sie werden wegen Hochverra…»
Die letzten Worte konnte der Richter nicht zu Ende sprechen. In diesem Augenblick spürte Artjom, dass sich jemand von hinten an ihn herangeschlichen hatte und dann spürte er Wärme im Rücken, er drehte sich um, doch der Schmerz und der Schock waren zu stark. Er fiel zu Boden und sah den Mann, der ihn von hinten erstochen hatte. Es war ein dürrer Greis, mit einer Kapuze, über seinem langen Haar. Er nahm die Kapuze ab. Anton sah die Kanoniersaugen und den grauen Bart seines Ziehvaters - Boris!
Es wurde schwarz, Anton hörte nichts mehr um sich herum, nur ein lautes Piepen in seinen Ohren und seine eigenen letzen Worte: «Es tut mir leid, Vater … »
Er schmeckte nichts weiter als Blut. Die Dunkelheit umhüllte ihn nun gänzlich. Ein letzter Gedanke ertönte noch in seinem Kopf, bis die Stille eintrat …
Wir sind Diebe, wir sind Mörder.