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Wir rauchen Pfeife in Valhalla

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07.05.2015
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Wir rauchen Pfeife in Valhalla

Mit einem leisen Quietschen schließt die Tür des Busses hinter mir, als ich hinaus auf den Gehweg trete. Gegenüber ist das kleine Cafés, in dem ich frühstücke, seit ich zu Semesterbeginn wieder nach Osnabrück gezogen bin. Um diese Uhrzeit sind noch nicht viele Menschen unterwegs in der Stadt. Ich war fast allein im Bus, wie immer der einzige, der hier aussteigt. In ein paar Stunden wird es von Studenten wimmeln, mein Café ist nur zwei Haltestellen von der Uni entfernt.
Noch stehe nur ich auf dem Gehweg, kann die Einsamkeit des kalten Morgens genießen. Ich schließe die obersten Knöpfe meines Regenmantels, sodass er fast mein ganzes Gesicht bedeckt. Es ist windig und der Wind ist kalt. Aprilwetter. Wer die Sonne mag, kommt Mittags bereits auf seine Kosten; wer wie ich früh aufsteht, muss sich noch immer in einen Mantel hüllen.
Wenigstens regnet es nicht. Die letzten Wochen des März waren schrecklich verregnet. Ich schaue zum Himmel. Es ist noch dunkel, aber klar. Vereinzelte Wolken werden vom schwach leuchtenden Mond zum Schimmern gebracht und am Horizont sind bereits die ersten Vorboten des Sonnenaufgangs zu erkennen. Ein Romantiker würde diese Stimmung wohl als romantisch verstehen. Ich bin kein Romantiker. Für mich ist es ein Morgen wie jeder andere und das ist gut, denn er ist ruhig. Ich liebe die Ruhe.

Meine Armbanduhr, ein Erbstück meines Großvaters, zeigt zwölf nach sechs. Der Bus ist pünktlich, wie meistens. Pünktlichkeit ist wichtig. Sie ermöglicht sichere Planung. Nicht, dass ich viel zu planen hätte, aber es ist mir wichtig, das, was ich zu tun habe, richtig zu planen.
Sorgsam beobachte ich den Straßenverkehr. Mein Café liegt auf der anderen Seite der Straße. Es ist eher eine kleine Bäckerei, die sich nun Café nennt, seit sie den schlechten Automatenkaffee auch „zum hier trinken“ verkauft, wie ein kleines Schild vor der Tür anpreist. Der Fehler auf dem Schild stört mich. Ich hasse Fehler. Trotzdem habe ich nichts gesagt. Menschen mögen es nicht, korrigiert zu werden.
Die Ampel springt auf Rot und ich überquere die zweispurige Fahrbahn, den grasbewachsenen Mittelstreifen und dann wieder zweispurige Fahrbahn. Vier Spuren sind einfach zu viel; zu viele Autos, zu viel Verkehr, zu gefährlich. Warum können nicht alle Menschen Bus fahren oder Straßenbahn, so wie ich? Viel zu wenige Menschen fahren mit der Straßenbahn. Dabei ist diese doch ...
Mir fällt ein, dass Osnabrück keine Straßenbahn hat. Die letzte Linie wurde 1960 eingestellt, lange vor meiner Geburt. Es scheint, als sei mein Körper zwar hier, nicht aber meine Gedanken. Mein Geist hat Berlin noch nicht verlassen, hängt fest im Misserfolg der Hauptstadt, im erfolglosen Studium, erfolglosen Schreiben, erfolgloser Liebe. Berlin hat eine Straßenbahn, trotzdem fahren dort Autos, mehr Autos als in Osnabrück.
Was Svenja wohl gerade macht? Ob sie in ihrem Auto im morgendlichen Verkehr feststeckt, anstatt die Straßenbahn zu benutzen? In meine Gedanken mischen sich wehmütige Erinnerungen an meine erste echte Liebe, die ich im Streit zurückgelassen habe. Svenja ist ganz anders als ich. Sie mag alles, was ich hasse, und hasst die Ruhe, die ich liebe. Und trotzdem liebte ich sie, liebte sie mehr als die Ruhe, die ich für ihre Gegenwart oft aufgeben musste, liebe sie noch immer. Nur sie liebt mich nicht mehr. Hat mich vielleicht nie geliebt. Wer weiß das schon. Ich möchte nicht darüber nachdenken, möchte nicht riskieren auch die letzten schönen Erinnerungen an Berlin an meinen Pessimismus zu verlieren.
Ich entfliehe meinen Gedanken gerade noch rechtzeitig und betrete das Café. Von der zufallenden Tür ertönt ein leises Klingeln. Die Verkäuferin schaut zu mir auf. „Guten Morgen“, flötet sie mit lächerlich großem Ambitus in ihrer Stimme. „Morgen.“ Ich setze mich an einen der drei kleinen, runden Tische, die am Fenster stehen. Von hier kann man gut beobachten, was außerhalb passiert.

„So, 'n großer schwarzer Kaffee und 'ne Tageszeitung. Vorsicht heiß! Der Kaffee natürlich, nich die Zeitung.“ Die Verkäuferin schenkt mir ein breites Lächeln, als sie meine übliche Bestellung mit dem üblichen Witz serviert. Ich lache nicht. Ich habe noch nie darüber gelacht.
„Was darf ick Ihnen denn heute Schönes bringen?“ Ich schaue reflexhaft zu den frischen Backwaren, ohne sie wirklich zu sehen, und bestelle das erstbeste, was mir in den Sinn kommt: „Zwei Croissants.“ Hunger habe ich keinen.
Ohne einen Blick auf die Titelseite stecke ich die Zeitung in meine graue Umhängetasche und lehne mich zurück. Seit Semesterbeginn frühstücke ich hier. Ich könnte auch in meiner Wohnung frühstücken. Es wäre günstiger, der Kaffee wäre besser. Aber ich tue es nicht. Ich sitze gern morgens auf meinem Platz im Café und beobachte die Straße. Wieso, kann ich mir nicht erklären. Sicher nicht der Gesellschaft wegen. Ich bin doch eigentlich gern allein.

Die Verkäuferin stellt einen Teller mit zwei dampfenden Croissants vor mich. „Juten Appetit!“
Ich bedanke mich nicht. Ich halte nichts von Floskeln.
Wovon ich viel halte, das ist der Morgen. Der Morgen ist meine liebste Tageszeit. An einem Ort, wo so viele Menschen auf so engem Raum leben, die einzige Zeit, zu der man wirklich allein sein kann. Fast allein. Wirklich allein wäre ich in meiner Wohnung. Ich frage mich, ob man allein steigern kann. Hier bin ich ein bisschen allein. In meiner Wohnung wäre ich alleiner. Wo wäre ich dann am alleinsten? Nur mit mir selbst, ungestört, ganz und gar allein. Will ich das überhaupt? Egal.
Die Verkäuferin hatte anfangs versucht, sich mit mir zu unterhalten, mein Alleinsein zu verringern. Doch sie merkte schnell, dass der Versuch wenig Erfolg hatte. Freundlich blieb sie trotzdem. Das wundert mich. Wenige Menschen bleiben lange freundlich zu mir. Vermutlich will sie nur keinen guten Kunden verlieren.
Der Grund, warum ich ausgerechnet hierher komme, ist die Stille. Es läuft keine Musik im Café, kein Radio. Nur das Klingeln der Tür kündigt gelegentlich Kunden an, andere Frühaufsteher, die Brötchen kaufen auf dem Weg zur Arbeit. Sie kommen herein, bestellen, bezahlen und gehen wieder, ohne unnötige Worte zu verlieren. Nie versucht jemand, mich in ein Gespräch zu verwickeln.

Ich reiße mich los von meinen Gedanken, vom regelmäßigen Fluss des Verkehrs und seinem unregelmäßigen Rauschen, das durch die Fensterscheibe zu mir dringt. Es lohnt sich jedes Mal, so früh aufzustehen. Der Morgen ist die beste Tageszeit zum Denken und das sollte ich jetzt nutzen. Ich hole meinen Block aus der Tasche und schlage ihn auf, überfliege zunächst das Kapitel, das ich gestern geschrieben habe.
Tirza kehrt darin zum dritten Mal zu Lucifer zurück. Für einen kurzen Moment habe ich das Bild der echten Tirza vor Augen, die ich vor Ewigkeiten einmal kannte, die die Vorlage für die Figur in meinem Buch ist. Ein Engel in der Geschichte wie im wahren Leben; ein Engel, den ich immer nur von Weitem anhimmeln konnte, wie sich das für Engel gehört, die ein Bild perfektionistischer Einbildung sind und keine Wesen der Realität. Doch ich mag diese Einbildung. Widme ihr gerne meine Zeit, zu gerne, lieber als meiner Geschichte.
Deren Handlung dreht sich im Kreis. Ich sollte am besten ein neues Buch anfangen, aber ich habe dem Verlag eine Trilogie versprochen. Zumindest rede ich mir das ein, wenn ich aufhören will, weiter zu schreiben. Vertraglich wurde das nie festgehalten. Vielleicht habe ich in Wahrheit bloß keine Ideen mehr, die ich sonst noch thematisieren könnte. Und das nach nur einem Buch.
Wenn mir nicht bald etwas einfällt, kann ich mein Studium nicht mehr finanzieren. Das Geld, das ich für „Erwachen“ bekam, ist fast aufgebraucht. Eigentlich sollte ich nach fünf Jahren meinen Master machen, einen gut bezahlten Job finden, Erfolg haben. Erfolg, wie ihn mein Vater hat. Erfolg, wie ihn alle in der Familie haben außer mir, der sich entschieden hat, einen Traum zu leben, der für immer ein Traum bleiben wird.
Nach dem anfänglichen Höhenflug, als ich mein erstes Buch verkaufte, kam die Ernüchterung, das Gefühl schreiben zu müssen, sich endgültig für das Schreiben entschieden zu haben. Ein Jahr lang habe ich mich nur darauf konzentriert, alles daran gesetzt, den zweiten Teil zu Papier zu bringen. Er sollte mein Durchbruch werden. Er wurde nicht mein Durchbruch. Das Manuskript zurückgewiesen. Ich sollte es doch bitte komplett überarbeiten. Ob ich denn erwarte, dass das die Leser begeistert.

Also habe ich es überarbeitet. Erst einmal, dann nochmal und dann immer wieder. Nie hat mich zufrieden gestellt, was ich geschrieben habe. Nie habe ich eine der überarbeiteten Versionen an den Verlag geschickt. Wie sollte ich es denn jemand anderem geben, wenn ich selbst nicht zufrieden damit war?
Mit der Zeit musste ich auf Druck meines Vaters das Studium wieder aufnehmen. „Wir werden dir doch nicht dein Leben lang die Miete bezahlen, während du nichts tust. Weißt du eigentlich, wie teuer Berlin ist?“, hatte er damals versucht, mich in die Realität zurückzuholen, wie er meiner Mutter danach stolz berichtete. Während ich nichts tue. Nichts. Schreiben ist für meinen Vater keine echte Arbeit, Philologie kein echtes Studienfach, keins, für das man seinen Sohn finanziell unterstützt. Für ihn waren nicht einmal Psychologie oder Politikwissenschaft echte Studienfächer. Wirtschaft sollte ich studieren oder irgendwas mit Technik. „Damit kann man gutes Geld verdienen.“
Also habe ich Wirtschaft studiert, zwei Jahre lang, und dann irgendwas mit Technik, ein Jahr lang, und dann wieder Wirtschaft, weil Technik noch schlimmer ist als Wirtschaft. Keins von beidem hatte mich je interessiert, aber damit kann man scheinbar gutes Geld verdienen. Zumindest wenn man es durchhält. Wer vier Jahre studiert und immer noch keinen Abschluss hat, verdient kein Geld. Maximal ein paar Euro durch Kellnern oder was man sonst so während des Studiums macht. Doch ich bin Autor und kein Kellner. Also verdiene ich gar kein Geld, solange ich nichts zu Ende schreibe.
Inzwischen studiere ich Philosophie, denn auch mein Vater hat eingesehen, dass irgendein Abschluss besser ist als keiner und mit Philosophie kann man immerhin auch in der Wirtschaft arbeiten als Berater, und sowieso, dieses Studium schafft ja wohl jeder. Nachdenken und Rumkritzeln hätte ich doch immer schon gekonnt.

Wie die Zeit vergeht, wenn man sich in seinen Gedanken verliert. Der Kaffee ist kalt geworden, die Croissants dampfen schon lange nicht mehr und auf meinem Block steht noch immer kein einziges Wort. Jetzt lohnt es sich auch nicht mehr anzufangen. Ich nehme die Zeitung aus der Tasche und werfe einen Blick auf die Titelseite.
„Deutschland trauert um Günter Grass - Nobelpreisträger im Alter von 87 Jahren gestorben - Vaterfigur für das Denken der Bundesrepublik“
Günter Grass ist tot. „Günter Grass ist tot“ ist der einzige Gedanke, den ich fassen kann. „Günter Grass ist tot“ das Einzige, was ich sage, erst leise zu mir selbst, dann lauter, auffordernd zur Verkäuferin. Die mustert mich, als sei ihr erst jetzt aufgefallen, dass ich noch da bin.
„Ick wees“, antwortet sie nur. „Ham se jestern nich fern jesehn? Menschen sterben nunmal.“

Ohne ein Wort verlasse ich das Café, laufe weg vor der Titelseite der Zeitung, laufe weg vor meiner Einsamkeit, laufe weg vor meiner Ruhe, weg vor meinen Gedanken, weg vor diesem einen Gedanken. Was werden sie über mich sagen, wenn ich sterbe? „Menschen sterben nunmal.“ Das klingt wie etwas, das ich sagen würde. Menschen sterben. Das ist ganz normal. Auch berühmte Menschen, auch Günter Grass. Alle Menschen sind im Tode gleich, sagt man, hofft man. Aber es stimmt nicht.
Große Menschen hinterlassen ein großes Erbe, weise Menschen hinterlassen Wissen, Eltern hinterlassen Kinder, warmherzige Menschen hinterlassen trauernde Freunde. Was hinterlassen erfolglose, einsame Träumer?

Ich habe nicht darauf geachtet, wohin ich laufe. Meine Beine habe sich wie von allein bewegt. Als ich stehen bleibe, befinde ich mich im Innenhof des Schlosses. Ich setze mich auf eine Bank und nehme meinen Block aus der Tasche, schlage irgendeine Seite auf, weit weg von dem, was ich zuvor geschrieben habe.
Auf dieser Seite beginne ich einen Geisterdialog zu schreiben. Das Schreiben hat mir schon immer geholfen, meine Gedanken zu ordnen, damals, als es mir noch Spaß gemacht hat zu schreiben und zu denken. Seite für Seite beschreibe ich meinen Block, ohne auf Rechtschreibung, auf Wortwahl oder Zeichensetzung zu achten, schreibe einfach drauf los, wie ich es früher getan habe. Schreibe vielleicht das Beste, was ich jemals geschrieben habe, vielleicht das Schlechteste. Es interessiert mich heute nicht. Geisterdialoge habe ich oft geschrieben. Einfach Schreibübungen, gut geeignet, um mein Denken zu sortieren, grobe Entwürfe für spätere Geschichten.
In meinem Kopf bin ich dann in Valhalla und treffe die Helden meiner Geschichten, die mir von ihrem Leben erzählen, oder die Helden fremder Geschichten, die über das zu berichten wissen, was in den Büchern über sie fehlt, oder die Helden des echten Lebens, die von uns gegangen sind.
Heute treffe ich Günter Grass. Lasse mir vom Gewissen der Nation die Fragen stellen, die ich mich nicht traue, mir selbst zu stellen. Erzähle ihm, wieso mich sein Tod so schockiert. Dass ich immer davon geträumt habe, mich eines Tages literarisch mit ihm zu messen. In seinem Wohnzimmer mit ihm Pfeife zu rauchen, nachdem ich meine ersten Bestseller geschrieben habe. Mit ihm die Politik zu diskutieren. Dass er die Laudatio hält, wenn ich meinen Literatur-Nobelpreis erhalte. - Ob ich das ernst meine? - Nein, das letzte vermutlich nicht. Sein Tod habe mich wohl einfach daran erinnert, wie viel Zeit vergangen ist und wie fern ich meinem Ziel noch bin.
Nun rauchen wir Pfeife in Valhalla und er zwingt mich, über mein Leben nachzudenken, über meine Einsamkeit, darüber, dass ich keine echten Freunde mehr habe. Nicht in Berlin und nicht in Osnabrück. - Es sei halt nicht jeder zum Schreiben geboren, ob mich denn nichts anderes begeistern würde. - Ich möchte doch ein Held sein, ein Held der Worte, ein großer Mann mit einem großen Erbe, über das andere noch streiten, wenn ich schon lange tot bin. Niemand, der vergessen wird, der nunmal stirbt, wie Menschen nunmal sterben. Und dann in siebzig oder achtzig Jahren treffen wir uns wirklich in Valhalla und rauchen Pfeife und diskutieren unsere Werke.
Da beginnt Grass mich auszulachen: Du in Valhalla. Nach Valhalla kommen nur die heldenhaften Krieger. - Wir sind doch Krieger. Krieger, die mit Worten kämpfen. - Nicht wir, nicht du, ich. Du wirst nie ein Krieger sein und schon gar kein Held, du bist ein erfolgloser Träumer und wirst es immer bleiben. Glaubst du wirklich, dass du jemals ...

Bevor ich den Satz vollenden kann, mich selbst mit den Worten, die ich einem anderen in den Mund lege, in den Abgrund stoßen kann, nimmt mir jemand erst den Stift und dann den Block aus der Hand. Ich hatte nicht gemerkt, dass ich nicht mehr allein auf der Bank sitze, dass die zierliche, blonde Frau neben mir jedes Wort mitgelesen hat, jeden meiner Gedanken, die ich nie einem anderen Menschen anvertraut hätte. Ich will ihr den Stift aus der Hand reißen, sie anschreien, wie sie es wagen könnte, meine Privatsphäre so zu verletzen. Doch als ich aufschaue, blicke ich in zwei große, leuchtende Smaragde, die ich schon viel zu lange nicht mehr gesehen habe.
„Schreib doch lieber wieder über mich, wie in deinem ersten Buch. Und wenn du reden willst, dann besser nicht mit deinem Papier. Das ist so kaltherzig. Das bist nicht du“, flüstert Tirza mir ins Ohr und umarmt mich. Und zum ersten Mal seit Jahren beginne ich zu weinen.

 

Hallo blackfyre!

Ich mag deine Geschichte. Ich finde, du hast genau den richtigen Ton für das Thema getroffen, mir gefallen die Gedankenspiele, die Geisterdialoge, das Alleinsein im Cafe. Wirklich gut.
Auch dass die Bäckereiverkäuferin berlinert. Das hätte ich allerdings nicht wörtlich angesprochen, das hätte ruhig noch subtiler bleiben können, weil man automatisch ahnt, dass es ein Grund sein wird, weshalb er sich zu diesem Cafe hingezogen fühlt. Auch wenn es ihm vielleicht gar nicht bewusst ist.

Ansonsten: Ja, es gibt von mir nix zu meckern. Sauber erzählt, schön leise, hat mich angesprochen und was in mir zum Schwingen gebracht, obwohl kaum was Großartiges passiert. Das ist toll, wenn das eine Geschichte schafft. Hat mich gefreut und hat auch super zu meinem Morgenkaffee gepasst.


Lollek

 

Moin Lollek,

freut mich, dass dir meine Geschichte gefällt. Auf so positives Feedback hatte ich kaum zu hoffen gewagt! :) und das gleich bei meiner ersten Kurzgeschichte... :D

Das mit dem Berlinern ist ein guter Hinweis, werde ich auf jeden Fall ändern. Vielleicht fällt mir ja noch eine schöne, subtile Formulierung ein. Bis dahin, werde ich die wörtliche Erwähnung erstmal rausnehmen. Das wirkt besser, danke. :)

Liebe Grüße
blackfyre

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo blackfyre,

auch mir hat’s sehr gefallen. Ich mag gar nicht glauben, dass das deine erste Kurzgeschichte ist. Jetzt hab ich noch einen Blick in dein Profil geworfen und bin verblüfft über dein Alter. Du liest viel, nicht? Hör bloß nicht auf mit Schreiben!

Für meinen Geschmack hast du die richtige Mischung aus erzählen und zeigen gefunden, es gelingt dir gut, eine Stimmung zu schaffen.

Den Schluss fand ich überraschend, man ist ja gar nicht mehr gewöhnt, dass mal was gut ausgeht. Vielleicht etwas kitschig, aber dennoch schön. Die Welt braucht auch mal ein Happyend. Und ich ganz besonders. :)

Nun zum obligatorischen Gemecker.

Du neigst etwas zum Schwafeln. (Ich auch.) Du könntest einiges einkürzen, Füllwörter, unnötige Sätze, Nebensätze und sinngemäße Wiederholungen streichen, ohne inhaltlich etwas zu verlieren.

Mit einem leisen Quietschen schließt die Tür des Busses hinter mir, als ich hinaus auf den Gehweg trete, gegenüber des kleinen Cafés, in dem ich frühstücke, seit ich zu Semesterbeginn wieder nach Osnabrück gezogen bin.
Den ersten Satz finde ich recht verschachtelt und ungemütlich zu lesen. Ich hab erst befürchtet, dass sich das so durch die Geschichte zieht, aber das ist tatsächlich der einzige Schachtelsatz, der mich gestört hat. Ich würde ihn auf zwei Sätze aufteilen, vielleicht sogar die quietschende Tür ganz weglassen.
Die Tür schließt ... sich?
Gengenüber dem Café. Gegenüber funktioniert nur mit Dativ.

Ich war fast allein im Bus, wie immer der einzige, der hier aussteigt. In ein Paar Stunden wird es vor Studenten wimmeln, mein Café ist nur zwei Haltestellen von der Uni entfernt.
Noch stehe ich allein auf dem Gehweg,

In ein Paar Stunden wird es vor Studenten wimmeln
paar
von Studenten wimmeln

Warum können nicht alle Menschen Bus fahren oder mit der Straßenbahn, so wie ich?
Ich würde entweder „mit dem Bus fahren oder mit der Straßenbahn“ oder „Bus fahren oder Straßenbahn“ schreiben.

Hat mich vielleicht nie geliebt? Wer weiß das schon.
Da es keine Frage ist, würde ich kein Fragezeichen, sondern einen Punkt setzen.

Ich möchte nicht darüber nachdenken, möchte nicht riskieren, auch die letzten schönen Erinnerungen an Berlin an meinen Pessimismus zu verlieren.

„Morgen“, ich setze mich an einen der drei kleinen, runden Tische
„Morgen.“ Ich setze mich an einen der drei kleinen, runden Tische

Der Kaffee natürlich, nich die Zeitung.“, die Verkäuferin schenkt mir ein breites Lächeln
Der Kaffee natürlich, nich die Zeitung.“ Die Verkäuferin schenkt mir ein breites Lächeln

Ich hatte noch nie darüber gelacht.
habe

„Danke“, nicke ich.
„Danke nicken“ finde ich etwas holprig.

und bestelle das erstbeste, was mir in den Sinn kommt, „zwei Croissants.“
und bestelle das Erstbeste, was mir in den Sinn kommt: „Zwei Croissants.“

„Juten Appetit!“ Ich bedanke mich nicht.
Ich würde einen Zeilenwechsel nach der wörtlichen Rede machen, weil es mit der Handlung einer anderen Person weitergeht.

Wenige Menschen blieben lange freundlich zu mir.
Präsens?

Der Grund, warum ich ausgerechnet hierhin komme, ist die Stille.
„Hierher“ würde ich bevorzugen.

Es lohnt sich jedes Mal so früh aufzustehen.
Ein Komma fehlt, aber an welcher Stelle?
Es lohnt sich, jedes Mal so früh aufzustehen.
Oder:
Es lohnt sich jedes Mal, so früh aufzustehen.


Zumindest rede ich mir das ein, wenn ich aufhören will, weiter zu schreiben.

Ob ich denn erwarte, dass das die Leser begeistert?
Keine Frage, also Punkt.

„Günter Grass ist tot“, das einzige, was ich sage, erst leise zu mir selbst dann lauter, auffordernd zur Verkäuferin.
das Einzige. Komma nach selbst. Ich hadere auch mit dem ersten Komma.

schlage irgendeine Seite auf, weit weg von dem, was ich zuvor geschrieben habe.

Das Schreiben hat mir schon immer geholfen, meine Gedanken zu ordnen, damals, als es mir noch Spaß gemacht hat, zu schreiben und zu denken.

Einfach Schreibübungen, gut geeignet, um mein Denken zu sortieren,

treffe die Helden meiner Geschichten, die mir von ihrem Leben erzählen, oder die Helden fremder Geschichten,

- Ob ich das ernst meine? - Nein, das letzte vermutlich nicht.
Etwas kniffelig. Wenn „Ob ich das ernst meine“ die fiktive Frage Grass’ zitieren soll, im Sinne von: „Er fragt, ob ich das ernst meine“, dann muss ein Punkt statt des Fragezeichens ans Ende.
Wenn der Prot damit die fiktive Frage selbst wiederholt, im Sinne von:
„Meinst du das ernst?“
„Ob ich das ernst meine? Klar meine ich das ernst.“
dann ist das Fragezeichen richtig. Durch die eingeschobenen Bindestriche wirkt es, als ob ersteres zutrifft, auch da die Bindestriche später so eingesetzt werden.


Nun rauchen wir Pfeife in Valhalla und er zwingt mich, über mein Leben nachzudenken,

wenn ich schon lange Tod bin.
tot

Da beginnt Grass, mich auszulachen. Du in Valhalla. Nach Valhalla kommen nur die heldenhaften Krieger. - Wir sind doch Krieger. Krieger, die mit Worten kämpfen. - Nicht wir, nicht du, ich. Du wirst nie ein Krieger sein und schon gar kein Held, du bist ein erfolgloser Träumer und wirst es immer bleiben.

Während oben die gedachten Einschübe von Grass in Bindestriche gesetzt werden, ist es hier die Erwiderung des Prot. Das finde ich etwas unglücklich. Insgesamt finde ich den Absatz etwas verwirrend, weil nicht immer völlig klar ist, welcher Gedanke nun zu wem gehört. Vielleicht wäre es eine Idee, das, was Grass „sagt“, kursiv zu setzen.

Glaubst du wirklich, dass du jemals...
Leerzeichen vor den Auslassungspunkten.


Ich will ihr den Stift aus der Hand reißen, sie anschreien, wie sie es wagen könnte, meine Privatsphäre so zu verletzen.
Kann oder könne

Das bist nicht du.“, flüstert Tirza mir ins Ohr
Das Pünktchen muss weg.

Und zum ersten Mal seit Jahren beginne ich zu weinen...
Die Auslassungspunkte würde ich am Ende weglassen. Der Satz ist abgeschlossen, die Geschichte ist abgeschlossen, sie ergeben für mich hier keinen Sinn und bringen keinen Vorteil.

Ich bin schon gespannt darauf, mehr von dir zu lesen.

Liebe Grüße
raven

 

Hallo raven,

vielen Dank für das Lob. Es freut mich wirklich sehr, dass die Geschichte so gut ankommt. :)

Ich mag gar nicht glauben, dass das deine erste Kurzgeschichte ist. Jetzt hab ich noch einen Blick in dein Profil geworfen und bin verblüfft über dein Alter. Du liest viel, nicht? Hör bloß nicht auf mit Schreiben!
-> Es ist ja nicht das erste, was ich überhaupt schreibe, sondern die erste Idee die meinen Perfektionismus bis zum Ende überlebt hat. ;) Ich hab hier so viele verworfene Anfänge und Textschnipsel rumliegen ...
Ja, stimmt, ich lese viel. Und außerdem hatte ich das Glück, sehr motivierte Deutschlehrer zu haben, die wirklich gut rüberbringen konnten, wie Texte funktionieren. Was ich so von anderen höre, eine echte Seltenheit. Ich werde auf jeden Fall weiter schreiben. Hab jetzt erstmal viel Zeit. :D

Den Schluss fand ich überraschend, man ist ja gar nicht mehr gewöhnt, dass mal was gut ausgeht. Vielleicht etwas kitschig, aber dennoch schön.
-> Ich war selbst über den Schluss überrascht. Ich hatte so viele Ideen, wie es danach weitergehen kann (und die meisten davon wären schlecht ausgegangen), dass ich ich mich nicht auf eine festlegen wollte. Das Ende das ich dann gewählt habe, hat beim Schreiben einfach gepasst, kann ich gar nicht genau erklären, wieso. :)

Du neigst etwas zum Schwafeln. (Ich auch.) Du könntest einiges einkürzen, Füllwörter, unnötige Sätze, Nebensätze und sinngemäße Wiederholungen streichen, ohne inhaltlich etwas zu verlieren.
-> Ich kann den Text bestimmt halbieren, ohne Inhalt zu verlieren. Aber bleibt dann auch die Stimmung, der Charakter des Protagonisten erhalten? Ich habe versucht, mich an den Gedanken des Protagonisten zu orientieren. Der denkt ja auch nicht unbedingt geradlinig. Ich werd mir nochmal Gedanken machen, was ich gefahrlos kürzen kann.
Ich habe dann bewusst Füllwörter eingesetzt, wenn der Protagonist unsicher ist, während ich klare Gedanken möglichst geradlinig und knapp beschreiben wollte. Das soll keine Ausrede sein. Einige sind sicher überflüssig. :D

Den ersten Satz finde ich recht verschachtelt und ungemütlich zu lesen.
-> Stimmt, muss ich ändern.

Danke, dass du mir die Fehler rausgesucht hast! :) Bei der Zeichensetzung der wörtlichen Rede war ich wohl etwas schluderig. Die Fragezeichen bei indirekter Rede sind natürlich falsch. Das im Geisterdialog würde ich aber behalten. Gefällt mir irgendwie besser.
Zu den Infintivkonstruktionen: Das sind keine Fehler. Ich habe es so gelernt (und vorhin nochmal nachgeguckt), dass man das Komma nur setzen muss, wenn man die Infinitivkonstruktion mit einer Konjunktion einleitet. In allen anderen Fällen ist es freiwillig. Auch ne blöde Regel... Ich versuche mal mir anzugewöhnen, die Kommata immer zu setzen.

Liebe Grüße
blackfyre

 

Und immer dann, wenn ohne Komma Missverständnisse entstehen können.
Ja, du hast Recht, man hat es mir auch schon wiederholt mitgeteilt, und ich habe mich auch wirklich sehr bemüht, mich an die "neue" Rechtschreibung anzupassen, mir leuchten auch viele der Regelungen inzwischen ein, aber DAS ... Naja gut, ich darf da natürlich nicht meckern und werde mir in Zukunft Mühe geben, nicht mehr zu meckern. Immerhin habe ich es schon geschafft, mir das Meckern bei fehlendem Komma zwischen mit „und“ verbundenen Hauptsätzen abzugewöhnen und knirsche stattdessen nur noch vernehmlich mit den Zähnen. :D
Aber einige der von mir angemahnten Kommata sind Pflicht. ;)

Was Schludrigkeit betrifft: Man wird bei eigenen Texten betriebsblind. Ich übersehe teilweise doppelte Wörter, vertauschte Buchstaben und ähnliche Klöpse trotz dreißig Mal durchlesen.

 

Und immer dann, wenn ohne Komma Missverständnisse entstehen können.
-> Das ist eh die beste Regel. Für mich als Autor des Textes sind alle Sätze eindeutig, aber ich kann mich ja nicht in jeden Leser hineinverstzen. >< Ich finde es mit Kommata auch besser und gelobe sie von nun an zu setzen. Wollte nur mal erwähnen, dass es nicht falsch ist, weil ich diese Korrektur schon unter vielen Texten gesehen habe. :D

Aber einige der von mir angemahnten Kommata sind Pflicht.
-> Ich habe, glaube ich, alle Pflichtkommata und die meisten Kann-Kommata korrigiert. Oder war dir eins aufgefallen, das ich übersehen habe? :o

Aber bleibt dann auch die Stimmung, der Charakter des Protagonisten erhalten?
-> Diese Frage war tatsächlich ernst gemeint und nicht nur rhetorisch. Hatte auf einen Ratschlag aus Erfahrung gehofft. Kann man vielleicht auch nicht pauschal beantworten ... naja ...

 

Aber bleibt dann auch die Stimmung, der Charakter des Protagonisten erhalten?

Ich probiere das meist einfach aus. Ich denke schon, dass du einiges kürzen könntest, ohne dass es sich negativ auswirkt. Aber letzten Endes musst du das selbst entscheiden. Du kannst es ja mal ausprobieren, eine gekürzte Version schreiben und beide Texte ausdrucken und miteinander vergleichen. Konkreter kann ich das jetzt gar nicht erklären, ich lese dann beide Versionen sowohl absatzweise als auch komplett und schaue, was sich besser anfühlt. Dafür warte ich auch immer wieder ein paar Tage, um wieder Abstand zur Geschichte zu bekommen.
Ich nehm mir meistens viel Zeit für die Entwicklung meiner Texte.

 

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