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Wir Helden vom Karo 7
Wir Helden vom "Karo 7"
Sind sie irgend jemandem noch nicht aufgefallen, diese hübschen Kneipen, die Aushängeschilder des deutschen Gaststättenverbandes?
Ich meine die kleinen gemütlichen Wirtshäuser der Marke „Bei Uschi und Klaus“ oder „Bierstation“, in denen auch die letzen Sauerstoffmoleküle mit Alkohol geschwängert sind.
Kaum 18 Jahre alt, war ich anerkannter Stammgast und stand ganz oben auf der Liste der gern gesehenen Gäste
Ich lernte recht schnell von den Helden des „Karo 7“.
Sie brachten mir bei ein Mann zu werden und vieles andere mehr.
Meine Komplexe nahm der Gerstensaft, Hemmungen wurden ertränkt und Befürchtungen dem Leben nicht mehr gewachsen zu sein verflüchtigten sich in den Veränderungen meiner Bewusstseinszustände.
Eine nette kleine Familie.
Vorhang auf! Für meine lieb gewonnenen Hauptdarsteller des "Karo 7": Verkrachte Existenzen, Spinner, Träumer, Maulhelden, alkoholkrank allesamt.
Ein Wirt, dessen bulliger Körper jedem Besucher Furcht einflössen konnte. Seine Launen bestimmten, wem er wohl gesonnen war, von seiner Gnade hing es ab, wer noch einen trinken durfte und wann er jemanden vor die Tür setzte. Er war Wortführer und Stimmungsmacher. Jeder achtete ihn.
"Rote-Socken-Bernd"(niemand hatte je erfahren, ob er ein oder zwanzig Paar rote Socken besaß) von der Werkstatt zur Tränke. Betrat er die Bühne, stellte ihm der Wirt eine Flasche Rum und ein Glas auf die Theke,... fertig. Bernd sprach nicht, lächelte in sein Glas und trank. Zwei Stunden später bezahlte er und ging. Irgendwann dann für immer.
„Weinbrand-Heike“ eine Frau deren Körper gar nicht mehr aufhörte, (allerdings auch mit einem Hirn, das gar nicht erst anfing) gab mir von Zeit zu Zeit das Gefühl von Geborgenheit und noch ein wenig mehr.
„Mineralwasser-Jürgen“ (trank nie Korn ohne Wasser) bestärkte mich in meinem Trinkverhalten, indem er mir vor Augen hielt, welch langweiliger Geselle ich doch sei, so nüchtern und fad.
“Rembrandt“, ehemaliger Kunstlehrer, der von irgendeiner Künstlerkolonie auf Bali träumte und immer wieder erwähnte uns jetzt endlich bald in einem Ölgemälde zu verewigen.
„Kuddel“, der am Tage darüber jammerte, daß er nur saufe, weil seine Frau ihm abgehauen wäre, dabei wusste jeder, daß es sich genau umgekehrt verhielt.
Inge und Heinz, unsere kleine Rotwein-Fraktion, schafften es von der Strasse wegzukommen, um in einer Ein-Zimmer-Wohnung (Bereitstellung vom Sozialamt) vor sich hin zu vegetieren. Was für ein grandioser Aufstieg!
Tja,… unter den Blinden ist der Einäugige der König.
Hier warb ich für meine Person, holte mir Anerkennung, kasperte mich durch den Tag und soff!
Ab und zu stolperte der „Philosoph“ besoffen über die Schwelle der Eingangstür und offenbarte seine Gedankengänge über die alltäglichen Dinge des Lebens. Irgendwann kam er nicht mehr.
Als er starb, waren alle recht froh, denn der Philosoph hatte die schlechte Angewohnheit seine eigene Trinkerei als Thema nicht zu tabuisieren und so kratzte er natürlich auch am positiven Selbstbild eines jeden anderen.
Ein schlechtes Gewissen wollte hier niemand haben.
Positive Selbstbilder halten sich recht lange, es galt nur jemanden zu finden, dem es noch schlechter ging, der noch verrissener aussah und noch tiefer gesunken war. Schon konnte man sich beruhigt nach unten hin vergleichen.
Für diese Vergleiche hielt Harry her.
Er lebte auf der Strasse. Wenn er nicht schlief, trank er. Ein entsetzlicher Gestank begleitete ihn, ein Gemisch aus Fäkalien und Alkohol.
Ich erinnere mich an Dreck und Schweiß, vergilbten Zähnen schuppigem Haar…..zum kotzen! Ekelig!
Manchmal traute er sich in die Kneipe.
Wenn „die Familie“ gut drauf war, der Pegel stimmte, dann wurde Harry verarscht.
Er hatte nie Geld und das wussten wir.
„Hey Harry! Trinkst einen mit?“
Harry kam angetippelt guckte einen mit seinen traurigen glasigen Augen unterwürfig an, immer in der Hoffnung einen Schnaps zu ergattern. Wir hielten ihm das Glas unter die Nase, grinsten frech und tranken es selbst. Gnade kannten wir selten. Jeder machte sein Spiel mit ihm, denn er war Abschaum, kein Mitglied der Gesellschaft, ein Alki eben.
Hatten ihn alle kräftig verarscht, schmiss der Wirt ihn raus!
Alle lachten. Ich lachte.
„Nein, so wollte ich nie werden“
Irgendwann tauschte ich Ausbildungsplatz gegen Barhocker ganz, verließ das gesunde soziale Umfeld, um sämtliche „Halbe-Liter-Rekorde“, zu brechen. Das Aufstellen neuer Bestmarken brachte mir so manches Schulterklopfen ein. Nun saß ich mittendrin, immer noch ein Kind, unter all den Erwachsenen, amüsierte mich darüber wie Männer sich küssten, über die Verbrüderungsszenen der schaukelnden Gäste, die sich am nächsten Tage nicht mehr aneinander erinnern könnten und biederte mich an, indem ich über die dämlichsten Witze als erster lachte.
Ich lachte viele Jahre.
In einem 32er-Skat-Blatt, gilt die Karo 7 als niedrigste Spielkarte, hatte den geringsten Wert. Mir fiel es nie auf, sogesehen trug meine Zufluchtsstätte diesen Namen zurecht.
Im Laufe der Zeit wechselte das Publikum. „Mineralwasser-Jürgen“ hatte seinen Verstand versoffen, "Rote-Socken-Bernd" raffte die Leberzirrhose dahin und Rembrandt´s Vernisagen fanden ihr Publikum in der Psychiatrischen Abteilung des Landeskrankenhaus Niedersachsen.
Kein Problem! Eine neue Generation reifte heran und so mancher Heranwachsende erkor „Karo 7“ als seine zukünftige Ausbildungsstätte.
15 Jahre später.
Der dreiunddreißigjährige junge Greis hielt sich am Tresen fest, sein Atem war schwer, seine Stimme zittrig. Vorbei die Zeiten, als der kleine Junge von nebenan jedermann mit seiner Anwesenheit erheiterte. Er warf dem Wirt einen ängstlichen, schuldbeladenen Blick zu. Derselbe Wirt, den Harry jahrelang hatte ertragen müssen, um das ein oder andere Glas zu erbetteln, schien beim Anblick dieses Exemplars der Gattung Mensch, selber einer zu werden.
„Tut mir leid, aber ich gebe Dir nichts“
„Eines bitte, ich gebe Dir morgen Geld, bitte, bitte!“
„Ich rufe einen Krankenwagen!“
„Hol einen Notarzt“ rief einer der Trinkenden.
Keiner der Gäste lachte, niemand grinste. Einige schauten verschämt beiseite.
Die traurige Gestalt hatte damals Recht behalten.
Harry wurde immer wieder verarscht, er schon lange nicht mehr!