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Wir haben dich lieb
Ich drehe leise den Schlüssel im Schloss um. Auf Zehenspitzen schleiche ich über den Gang und die Treppe hinauf. Gerade als ich die Tür aufmachen will und die Türklinke schon in der Hand habe, geht das Licht im Gang an.
„Hast du schon einmal auf die Uhr geschaut!“, spricht sie mich mit ernster Stimme an. „Wir haben um 23 Uhr ausgemacht! Kannst du dir vorstellen wie viel Sorgen ich mir gemacht habe!“, sagt sie mit einer lauteren und ernsteren Stimme. „Aber meine Freunde sind auch länger geblieben und außerdem bin ich doch jetzt da.“, versuche ich dagegen zu argumentieren. „Du hättest vor drei Stunden da sein sollen! Weißt du was ich mir für Sorgen gemacht habe. Dir hätte sonst was passiert sein können!“, schreit sie mich an. „Ich bin doch jetzt da und mir ist auch nichts passiert!“, motze ich sie an. „Jetzt nicht frech werden mein Fräulein! Ich habe die Verantwortung für dich, ich muss auf dich aufpassen, ich muss schauen, dass dir nichts passiert...“. „Du, du, du! Du musst nicht auf mich aufpassen! Ich bin groß genug selber auf mich aufzupassen, ich bin kein kleines Mädchen mehr!“, schreie ich zurück.
„Das ist ja jetzt der Höhepunkt! Du hast...“, die Tür vom Schlafzimmer geht auf und Dad steht an der Tür. „Was soll den das Geschrei so spät in der Nacht!“, spricht er genervt und schaut uns beiden mit verschlafenen Augen an. „Deine Tochter ist erst jetzt gerade nach Hause gekommen und meint jetzt noch frech zu werden.“, erklärt meine Mum und schaut abwartend auf die Reaktion von meinem Dad. „Na gut, dann gibt halt eine Woche Hausarrest!“, sagt mein Vater. „Das ist total gemein! Meine Freunde dürfen auch immer länger bleiben, nur ich nicht! Und nur weil ich ein paar Stunden später komme, bekomme ich jetzt eine Woche Hausarrest!“. „Jetzt sind es schon zwei!“, sagt meine Dad zu mir.
Ich laufe an meinen Eltern vorbei und schreie noch zu ihnen: „Ihr seid für mich gestorben!“. „Wenn du jetzt gehst...“, warnt mich meine Mutter und rennt mir hinterher. Ich reiße die Haustüre auf und laufe raus. Als ich gerade über die Straße wollte, ruft meine Mum: „Pass auf!“. Aber da war es schon passiert! Ein Schmerz an der Seite, ich fliege durch die Luft und pralle auf die Straße. Alles tut mir weh. Fremde Personen stehen über mir. Sind es zwei oder drei? Die Stimmen werden leiser, das Bild vor meinen Augen wird immer schwärzer bis alles verschwindet.
„Können sie mich hören! Können sie mich hören!“ Es wird immer lauter, meine Augen öffnen sich und sehe einen jungen Mann über mir. Meine Mum kniet neben mir. „Tun sie doch was! Meine Tochter darf nicht sterben!“, betet meine Mum ihn schluchzend an. Auch mein Vater kommt angerannt und nimmt meine Hand. Das erste Mal sehe ich ihn weinen. Erst jetzt fällt mir auf wie viel ich ihnen bedeute. Ich spüre wie die warmen Bluttropfen über mein Gesicht laufen. „Gehen sie bitte ein Stück zur Seite.“ Zwei Männer heben mich auf eine Trage. Ich schaue zur Seite und sehe meine Mum im Arm von meinem Dad. Diese Schmerzen! Überall auf meinem Körper brennt es! Mein Bild wird schon wieder schwärzer. Ich flüstere mit meiner letzten Kraft leise zu ihnen: „Ich hab euch lieb.“. Bevor mein Bild ganz verschwindet höre ich sie sagen: „Wir haben dich auch lieb.“.