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Wir erledigen alle Formalitäten
Wenige Tage nach dem achten Hochzeitstag fand Friedlich neben dem bereiteten Frühstücksbrot die Morgenzeitung aufgeschlagen vor. Ganz unten auf der Seite war eine Anzeige abgedruckt, die sofort ins Auge sprang. Hatte Friedlichs ehrenwerte Ehefrau Lissabet die Zeitung absichtlich so hingelegt, bevor sie zum Einkaufsmarkt geeilt war?
»Wir erledigen alle Formalitäten«, versprach die Anzeige mit seriösen Buchstaben. Friedlich fand, das konnte kein Zufall sein – entweder war es göttliche Vorsehung, oder Lissabet hatte die Zeitung absichtlich genau so zurückgelassen. In beiden Fällen bedeutete es dasselbe, nämlich die bevorstehende geschlechtliche Vereinigung, und Friedlich wurde ganz flau im Magen. Seit dreiundreißig Jahren hatte er diesen Moment vor sich her geschoben, seinem starken Glauben sei Dank. Aber nun war es wohl unausweichlicher Wille Gottes.
Friedlich wickelte die Brote in die Zeitung und nahm sie mit in die Behörde, wo er eine ganze Straßenbahn früher ankam als sonst, und einen ganzen Aktenordner weniger Formulare bewältigte als an normalen Tagen.
Als Friedlich nach getaner Arbeit durch die nasskalten Straßen der Großstadt eilte, legte er den Weg zur Kirche am Heiligkreuzplatz schneller zurück als je zuvor. Während des Feierabend-Gottesdienstes suchte er mehr als sonst noch Zwiesprache mit Gott, unterrichtete ihn von seinen Plänen, und da er keinerlei Widerspruch vernahm, sollte es wohl so sein.
Daheim wartete Lissabet mit dem Abendbrot. Auf dem Tisch stand Omas alte Vase mit den lustigen Bienchen, und darin steckte eine einzelne Orchidee. Als Friedlich den Blick seiner Ehefrau suchte, sah die beschämt nach unten. Ihre offenen Haare fielen ihr vors hübsche Gesicht, und ihre schlanken Finger spielten mit den Eheringen.
Friedlich näherte sich ihr, soweit es der Anstand zuließ. »Ist gut, Lisschen«, flüsterte er, und fürchtete, seine Stimme würde brechen. »Lass es uns machen. Es ist Gottes Wunsch.«
Im Schaufenster des Begattungsinstituts standen zwei schlanke Vasen mit bunten Orchideen, der Blick ins Innere endete vor beigen Gardinen. Lissabet und Friedlich wechselten wortlos kurze Blicke, bis sich der Mann entschied, den Klingelknopf zu drücken. Minutenlang hoffte Friedlich, niemand würde öffnen, dann wurden sie aber doch hinein gebeten.
»In Gottes Namen«, sagte der Angestellte, der sie empfing. Eine ausdruckslose Kunststoffmaske verlieh dem Mann die nötige Anonymität. Er trug einen ordentlichen grauen Anzug, und an einem Haken neben der Tür entdeckte Friedlich den zugehörigen Hut. »Treten Sie doch näher, wir möchten Ihnen den Aufenthalt in unserem Institut so wenig unangenehm wie möglich machen. Darf ich, bitte?«
»Vielen herzlichen Dank«, brachte Friedlich hervor, während er dem Angestellten seinen Mantel reichte.
»Bitte nehmen Sie doch Platz«, sagte der Angestellte und wies auf zwei Stühle. Friedlich fiel auf, dass die angebotenen Sitzgelegenheiten einen anständigen Abstand aufwiesen, aber es schienen etwas weniger als die üblicherweise bei Ehepartnern als angemessen betrachteten 140 Zentimeter zu sein.
Lissabet setzte sich und schlug die Beine übereinander, Friedlich tat es ihr gleich.
»Ich nehme an, Sie haben die nötigen Formulare mitgebracht?«, fragte der Angestellte.
»Die ... ja, die habe ich. Warten Sie ...« Friedlich schob seine zitternden Finger in die mitgebrachte Aktentasche und holte die Papiere hervor. »Hier«, sagte er, während er die Unterlagen der Reihe nach auf dem Tisch ausbreitete. »Die kirchliche Frömmigkeitsbescheinigung, die gesundheitliche Unbedenklichkeitserklärung, der, äh ... Men ... Menstruationskalender der Dame und natürlich die Anmeldebestätigung für den Kloster-Kindergarten.«
»Ich sehe«, sagte der Angestellte, »dass Sie ein sehr gewissenhafter Mann sind. Wir werden keinerlei Schwierigkeiten haben.« Er holte aus einer Schublade in seinem Schreibtisch ein mehrseitiges Formular hervor und fing an, Eintragungen vorzunehmen, unterbrochen von sorgfältiger Lektüre der vorgelegten Papiere. Jeden Moment, so schien es Friedlich, würde er auf eine unrichtige Eintragung stoßen, und sie wieder nach Hause schicken. Zuhause, wo das gemütliche Sofa wartete, die Gesangsstunde im Fernsehen, und die stille Einsamkeit zu zweit. Friedlich hatte noch nie ein solches Heimweh empfunden wie jetzt.
»Alles in Ordnung«, holte der Angestellte Friedlich in die Wirklichkeit zurück. »Unterschreiben Sie hier, und die Dame bitte auf diesem Blatt.«
Mit feuchten Händen griff Friedlich nach dem dargebotenen Kugelschreiber, überflog das Formular, ohne es zu lesen. Unten prangte der Stempel des Begattungsinstituts »Intim und rein - seit '42AD«, daneben kritzelte Friedlich seinen Namen.
Er wagte nicht, aufzusehen, als der Angestellte Lissabet bat, durch die rechte Tür das Damen-Vorbereitungszimmer zu betreten. Erst, als sie hinaus war, hob Friedlich den Blick. »Der Herr, bitte die linke Tür. Mein Kollege erwartet sie dort zu Ihrer Vorbereitung. Ich wünsche Ihnen einen frommen und fruchtbaren Akt.«
Friedlich nickte, dann erhob er sich. Kurz fragte er sich, wie er vor lauter Nervosität ... aber schon stand er im Vorbereitungszimmer. Dort gab es einen einfachen Holzstuhl, eine weitere Tür gegenüber sowie einen hellbraunen Vorhang. Nachdem Friedlich die Eingangstür hinter sich geschlossen hatte und unschlüssig den leeren Stuhl anstarrte, sprach ihn eine männliche Stimme an, deren Besitzer sich hinter dem Vorhang befand.
»Mein Herr, bitte nehmen Sie Platz«, schnarrte die Stimme. »Öffnen Sie bitte Ihre Hose, so dass ich Sie vorbereiten kann. Ich muss Sie darauf hinweisen, dass es Ihnen untersagt ist, sich während des Vorgangs zu mir umzudrehen. Um Ihnen den Vorgang zu erleichtern, werde ich das Licht verdunkeln.«
»Gott vergelt's«, sagte Friedlich, aber das erschien ihm seltsam deplatziert, so dass er sich vornahm, alles weitere schweigend zu ertragen. Er setzte sich auf den Stuhl, öffnete Knopf und Reißverschluss und wartete. Ein fremdartiger, elektrischer Klang ertönte da unten, das Licht wurde gedämpft, und Friedlich hörte, wie sich Schritte von hinten näherten. Er hörte Atem hinter sich, dann war da ein weißer Handschuh und begann, ihn zu streicheln und zu massieren.
Friedlich schloss die Augen, um nicht sehen zu müssen, wie sein Unaussprechliches wuchs.
Als sein Unterleib wärmer wurde und gar furchtbar zu kribbeln anfing, entfuhr ihm ein Keuchen, und sofort presste er sich die Hand auf den Mund.
Der Handschuh ließ von ihm ab. »Ihre Vorbereitung ist beendet. Wenn Sie sich bitte erheben möchten und durch die Tür den eigentlichen Begattungsraum betreten wollen«, sagte der Mann hinter ihm. »Ich weise Sie darauf hin, dass Ihnen gemäß der gültigen Keuschheitsverordnung erstens das Sprechen nicht erlaubt ist, und zweitens das Ablassen des Samens spätestens nach zehn Stößen bei größtmöglicher Eindringtiefe zu erfolgen hat, andernfalls ist eine erneute Vorbereitungsphase notwendig, die wir Ihnen gesondert in Rechnung stellen. Außerdem halten Sie bitte Ihre Hose fest, da wir für Unfälle keine Haftung übernehmen.«
Die Tür neben Friedlich öffnete sich geräuschlos. Mit beiden Händen umklammerte er seinen Hosenbund und schlich über die Schwelle. Auf einem mit Samt gepolsterten Altar lag im Dämmerlicht, größtenteils verdeckt durch einen Vorhang mit aufgestickten kleinen Engelchen, Lissabeth, mit nach oben gespreizten Beinen, die in speziellen Strümpfen steckten, damit niemand ihre nackte Haut sehen oder gar versehentlich berühren konnte. Beiderseits brannten Duftkerzen, aus einem Lautsprecher ertönten Chöre und heilige Worte: »Und der Herr spricht: Seid fruchtbar und mehret euch.«
Der Begattungshelfer steuerte Friedlich mit sanftem Druck seiner Hand im Rücken Richtung Altar. Ein kleiner Seilzug hob den Engelchen-Vorhang ein Stück an, und Friedlich kniff sofort die Augen zu. Die bekannte Handschuhhand griff nach seinem Unaussprechlichen, und führte es mit einer einzigen Bewegung an die richtige Stelle. Friedlich vermutete, dass die Altarhöhe aufgrund der Angaben in den Formularen zuvor auf den Zentimeter genau justiert worden war.
»Fangen Sie an«, sagte plötzlich die Stimme, und zählte die Stöße mit.
Friedlichs Unaussprechliches zuckte bei Sieben, und wieder entfuhr ihm ein Keuchen. Bei Gott, wie peinlich das war!
»Herzlichen Glückwunsch«, sagte der Angestellte. »Sie haben es beide überstanden. Wenn der Herr jetzt bitte seine Kleidung richten und den Empfang aufsuchen würde. Beim Verlassen dieses Zimmers wird Ihr Keuschheitsimplantat automatisch reaktiviert, was Ihnen akustisch signalisiert wird. Sie können Ihre Ehefrau in wenigen Minuten draußen in Empfang nehmen, außerdem möchten wir Sie zu einer kostenlosen Tasse Kaffee einladen.«
Friedlich nickte schwer atmend, schloss fahrig seine Hose und beeilte sich, den Altar nicht mehr ansehen zu müssen. Der elektronische Doppelpiepser von da unten ließ ihn erleichtert durchatmen.
Draußen wartete der maskierte Angestellte mit dem Kaffee und der kirchenbehördlichen Begattungsurkunde. Der Kaffee half gegen die heraufdämmernde Müdigkeit, die Urkunde gegen das sündige Gewissen, schließlich hatte Gott es nicht anders gewollt, das hatte Friedlich nun schwarz auf weiß.
Als die Tasse leer war, kam Lissabet durch die rechte Tür, die Wangen rot, den Blick gesenkt. Der Angestellte half ihr wortlos in den Mantel, und auch Friedlich machte sich bereit zum Aufbruch, ohne genau zu wissen, ob er jetzt wieder sprechen durfte.
»Auf Wiedersehen«, sagte der Mann im grauen Anzug, während er die Ausgangstür aufhielt. »Sie erhalten die Rechnung in wenigen Tagen in einem neutralen Umschlag. Vielen Dank für Ihren Besuch, und beehren Sie uns gerne einmal wieder, so Gott will.«