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Wintersturm
Es machte keinen Sinn, doch trotzdem musste er den Weg wieder gehen. Er stapfte beinahe wie ferngesteuert durch den frühen November-Schnee und dachte an den Sommer. Der Himmel war grau, die Bäume waren kahl und trostlos. Menschen, die ihm entgegen kamen, grüßten nicht, sie waren gefangen in Gedanken. Ihnen erging es genauso wie ihm selbst. Er versuchte sich einzureden, er würde nur spazieren gehen, doch sein Unterbewusstsein sprach eine andere Sprache. Er kannte diesen Weg nur allzu gut. Er war ihn schon oft gegangen – meistens im Sommer. Die Cafes und Bars, in und vor denen im Sommer selbst bis spät abends Menschen gesessen und sich gefreut hatten, wirkten nun wie ausgestorben. Das Eiscafe hatte geschlossen – Urlaub. Die Besitzer brauchten halt Sonne, dachte er. Und wer brauchte in diesen toten Tagen keine Sonne? Eine zerfledderte Zeitung segelte über den brüchigen Asphalt. Blieb hier und dort liegen, um vom eisigen Wind schließlich weiter getrieben zu werden. Sinnlose Existenz – genauso sinnlos wie mein Weg, dachte er. Er näherte sich seinem Ziel, es begann zu regnen. Nur noch wenige hundert Meter. Seine Schritte wurden schneller, er bekam Angst. Er wollte umdrehen, doch er ging weiter. Er konnte sein Ziel schon sehen; es donnerte. Ich habe verloren, dachte er. Ein Blick zum Himmel, dieser wirkte bedrohlich grau, ja wenn nicht sogar schwarz. Er erreichte sein Ziel. Angst. Er blieb stehen. Er guckte sich um. Niemand war ihm gefolgt. Die Straße war leer. Vorsichtig beobachtete er sein Ziel. Eine Gardine bewegte sich. Ein altes Gesicht erschien im Fenster. Blickkontakt, für eine Sekunde. Er drehte sich um und ging. Seine Schritte wurden schneller. Er hörte eine Tür ins Schloss fallen. Ein Ruf hallte über die Eiswüste. Der Regen wurde stärker. Jemand näherte sich. Er flüchtete, er lief, er rannte. Die Schritte kamen näher. Autos zerrissen Sätze in Wortfetzen. Er hörte nicht hin. Er wollte weg. Konturen verschwammen. Weg, einfach nur weg. Er lief und lief. Jemand folgte ihm. Plötzlich Hupen, Reifenquietschen, Schreie. Ein dumpfer Aufprall – Schmerzen. Er lag auf der Straße. Menschen liefen zu ihm. Standen um ihn herum. Kümmerten sich um ihn. Sprachen mit ihm. Er lächelte.