- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 12
Winternachtleben
Ihre Stiefel knirschten überlaut in der erfrorenen Landschaft, jungfräulicher Neuschnee, soweit ihr Auge reichte. Auf dem Hügel vor ihr sah sie schon das Gerippe der Kastanie und daneben kündete ein Buckel im Einerlei des Schnees von einer Bank. Wer den Sommer in Mariähilf nicht kannte, hätte sie übersehen. Sie allerdings wusste von ihr, dorthin zog es sie. Sie wollte ihre Heimat von oben betrachten, vielleicht um Mut zu fassen, vielleicht wollte sie das Bild auch nur ein letztes Mal sehen.
Am Baum angelangt durchdrang sie mit der behandschuhten Rechten den Schnee, bis sie auf die Härte der Sitzfläche stieß, und schob sich einen schmalen Platz frei. Sie spürte die Anwesenheit des Dorfs hinter sich, wusste, dass sie sich umdrehen wollte. Aber es war so schwer. Es fühlte sich an, als hätte die Ortschaft Augen, die sich in ihren Rücken bohrten. Seit sie aus dem Bus gestiegen war, hatte sie einen riesigen Umweg genommen, um sie immer im Rücken zu haben.
Um Zeit zu gewinnen, wischte sie akribisch den letzten Rest Schnee vom Holz und setzte sich. Links und rechts türmte er sich hoch und gab ihr mit seiner kalten Präsenz Sicherheit.
Ihre Augen waren wie zugeklebt. Sie versuchte, sich mit einem kleinen Kindertrick selber zu überlisten, legte die Hände über die Augen und sagte leise kuckuck da. Es funktionierte, das Dorf breitete sich unter ihr aus. Der Himmel spannte sich kaltblau, mit einem Stich ins Türkis darüber, zerrissen wirkende Wolken in zartem Lachsrosa durchzogen ihn. Ein typischer Winterabendhimmel, der eine eiskalte Nacht ankündigte. Die Häuser waren dick verschneit, Rauch stieg aus den Schornsteinen und viele Tannenbäume in den Vorgärten waren mit Lichterketten geschmückt, alles sah sehr gemütlich aus. Ein Postkartenidyll, ihr fuhr der Anblick aber giftig in den leeren Magen und sorgte für Übelkeit. Schnell streifte sie die Handschuhe von den Händen und grub die Nägel tief in die Haut des Unterarms und kratzte sich blutig. Leider war das Ergebnis sehr unbefriedigend für sie. Deshalb durchsuchte sie ihr Gepäck nach etwas Scharfkantigem. Rasierklingen hatte sie keine, wie auch, sie kam direkt vom Ort ohne Schneiden. Resigniert legte sie ihr verkratztes Handgelenk auf den Schnee. Das brannte. Wenigstens etwas.
Erneut ließ sie die Augen über das kleine Allgäuer Dorf schweifen. Überall klafften Wunden, sprangen sie Erinnerungen an. Ihre Augen glitten an den Rand des Ortes.
Der Festplatz. Alfons.
Festplatz
Der Sommerwind, der sich wegen des heißen Asphalts wie Föhnluft auf höchster Stufe anfühlte, umstrich ihre frisch rasierten Beine. Sie hatte damit erst dieses Jahr begonnen, das Fehlen der Haare machte die Haut empfindlicher, als lägen die Nerven offen. Sie genoss das Gefühl der Anwesenheit ihres sonst tauben Körpers. Die Finger ihrer Hand umschlossen die von Alfons. Zwischen ihnen hatte sich eine klebrige Schicht Schweiß gebildet. Es roch staubig, nach trockenem Heu und ein bisschen nach Aas, ein zu heißer Sommer, der selbst das grüne Allgäu zur mumifizierten Steppe machte.
„Ich glaub, ich lieb dich schon.“ Mit diesen Worten blieb sie stehen und zog ihn her, damit er ihr gegenüber stand. „Ich glaub, wir könnten heute Hand in Hand zum Festzelt gehn. Jetzt dürfens alle wissen. Weil … weil ich dich glaub schon lieb hab.“
Er schaute sie an wie von Donner gerührt, aber auch ein bisschen Weihnachten und Ostern an einem Tag mischte sich in die Mimik seines Gesichtes, das gerade erst die entstellende Phase der Pubertät hinter sich hatte.
„Bist du dir sicher?“
„Was meinst du? Ob ich mir sicher bin, mit dir drüben Händchen zu halten, oder dass ich dich liebe?“, fragte sie verschmitzt.
„Alles.“
„Ja und ja.“
Nervös flackerte sein Blick unter ihrem und er zog sie etwas tollpatschig in eine atemberaubende Umarmung, er hatte den rechten Umgang mit einem Mädchen noch nicht gelernt.
„Nicht so fest, du erdrückst mich, ich bin kein Heuballen …“, keuchte sie erstickt an seiner Brust.
„Tut mir leid, Schatz“, sagte er zerknirscht und ließ sie so schnell los, dass sie beinahe rückwärts umgefallen wäre.
„Ich könnte verrückt werden vor Glück. Ich lieb dich auch so arg.“
Die Hitze im Zelt war unerträglich. Alle hatten sich Bänke nach draußen geschafft, nur zum Bierholen ging man in die Hölle aus Bläsertusch und Schweißgeruch. Die offensichtliche Verbindung der beiden führte zu viel Gekicher an der Mädchenfront und einer nicht enden wollenden Salve von anerkennenden Ellenbogenstößen der Jungs. Er kaufte ihr ein Lebkuchenherz mit dem sinnigen Spruch „Du bist mein Schatz“.
Brigitte musste sich daraufhin erstmal ein Bier holen, seine stolz geschwellte Brust und die Liebesbezeugungen wurden ihr schlagartig lästig. Sie musste sich seine Klebrigkeit wegsaufen, da sie wie so oft nicht verstehen konnte, warum sie einen Jungen in einem Moment lieben und im nächsten derartig von ihm abgestoßen sein konnte. Kotzen hätte sie können, auf seine Arglosigkeit. Warum zum Teufel gab es immer einen Knick in ihrer Wahrnehmung?
Die Sonne färbte sich langsam rot, die Alten verabschiedeten sich nach und nach, die Kapelle des JMS packte ihre Instrumente ein und es kam Musik vom DJ Andy. Brigitte war besoffen und versuchte unauffällig Alfons zu entkommen. Erwischte er sie, bekam sie klebrige Bierküsse.
„Hör auf zu saufen, du bist peinlich.“
„Jeder, jeder darf es wissen, die Biggi und der Alfi sind ein Paar“, lallte er im Freudentaumel.
„Jetzt hör einfach auf damit, das ist mir echt lästig“, sagte sie und verschwand wieder in der schützenden Menge junger Erwachsener. Was hatte sie nur getrieben, ihm das zu erlauben?
Ärgerlich stellte sie sich erneut in die Schlange um sich weitere Pfandmarken zu besorgen.
Plötzlich hörte man ein ohrenbetäubendes Brummen von der Horde herannahender Mopeds. Die bösen Jungs aus Ratzenhofen trafen ein. Das bedeutete immer Ärger. Die Mariähilfer und die Ratzenhofener waren historisch verfeindet.
„Die Ratzen kommen“, raunte es durch die Menge. Sofort machte sich Anspannung breit, man spürte die Bereitschaft, alles, egal um was es sich handelte, mit den Fäusten zu lösen.
Biggi fand die Jungs ziemlich anziehend, nestelte sich in ihrem Haar und knetete sich die Dauerwelle wieder schön auf Volumen.
Die Kerle zogen in Reih und Glied breitschultrig Richtung Zelt. Die Jugendlichen stoben auseinander, jeder machte Platz, keiner wollte der Anlass für die erste blutige Nase sein. Sie stellten sich an den Ausschank, Bier wurde ihnen auch ohne Pfandmarken verkauft.
Sie witterte den großen Auftritt und schritt lasziv, sich eine Haarsträhne zwirbelnd, auf die Mitte der Tanzfläche. Dort stand sie erst still und spürte, wie sich die Aufmerksamkeit auf sie richtete, dann begann sie langsam nur die Hüfte zu bewegen, hob bedächtig einen Arm nach oben, ließ den Unterarm sachte in den Nacken fallen, schmiegte das Gesicht an den aufgerichteten Oberarm, beugte den Kopf im Zeitlupentempo nach hinten und präsentierte mit geschlossenen Augen ihre Kehle. Wartete eine effektvolle Stelle ab und wirbelte das Haar nach vorne, tanzte ein paar Takte wild, mähnewirbelnd und schnell, um dann wieder quälend langsam die Hüfte kreisen zu lassen.
Alle männlichen Fische hatten angebissen und verfolgten ihren Balztanz wie erstarrt.
Genau das war ihr Ding. Sie hatte den Kerlen die Show gestohlen und nun zappelten sie an ihrer unsichtbaren Angelschnur. Gelangweilt vom nächsten Lied schritt sie wie zufällig zu den Bad Boys und ließ sich zu Bier und Kippen einladen. Lächelte etwas abwesend und setzte ihren heißesten Schlafzimmerblick auf.
„Du bist ja ein scharfes Gerät, sag, dass du nicht aus Mariähilf kommst“, quatschte sie einer der Typen an. Noch bevor sie antworten konnte, wurde er von dem ältesten der Kerle weggestoßen.
„Verschwinde Heiner, das hier wird meine Braut.“
„Da hab ich aber auch noch ein Wörtchen mitzureden“, erwiderte sie aufbrausend.
„Ach komm, was willstn mit dem Heiner, er ist ein Vollhonk. Ei, was bist du für ein süßes Ding …“ Er führ ihr mit einem Finger über die Nase, dann Lippen und machte eine Andeutung Richtung ihrer Brüste.
In dem Moment bahnte sich Alfons einen Weg durch das Zelt.
„Biggi, komm raus, was willst du von den Typen!“
„Was ist denn das für ein lächerlicher Pappkamerad, willst du ein paar aufs Maul?“
„Das ist meine Freundin!“
„Sag, Tausendschönchen, ist der Bauerntrampel dein Freund?“
„Nein, ist er nicht. Der geht mir schon den ganzen Abend auf den Geist.“
„Was?“, stöhnte er eine Spur zu weinerlich, die Galle kam ihr schon wieder hoch, „warum sagst du das, Biggi?“
Sie wollte und musste ihm weh tun. „Nimm Dein lächerliches Herz und benimm dich einmal nicht wie ein Kleinkind.“ Sie riss sich den Süßkram von der Brust ließ es an der Schnur vor seinem Gesicht hin und her baumeln und letztlich vom Finger rutschen. „Verschwinde.“
Der Rocker nickte zwei seiner Kumpels zu und die schleppten den erschütterten Alfons aus dem Zelt.
„So, das Problem gelöst, Schönchen, wie wärs, du kommst mit uns, wir fahren ein Stück in die Pampa, knallen uns auf die Wiese, saufen und kiffen was? Hier ist es doch eh stinklangweilig.“ Er schaute ihr tief in die Augen und sah dabei so aufregend aus, wild, mit seiner wuscheligen Mähne, seiner löchrigen Jeansweste, die offen stand, sie sah seine dunklen Brusthaare, die sehnig definierten Muskeln und konnte nur nicken.
„Okay, Freunde, wir machen einen geplanten Rückzug, keine Schlägerei, wenn es sich vermeiden lässt, wir haben eine Lady dabei.“
Draußen gingen sie direkt auf Alfons zu.
„Biggi, bitte mach das nicht. Nicht mit denen.“
„Lass mich in Ruhe du Depp und heul nicht ins Hemd“, keifte sie aufbrausend, „ich bin nicht dein Eigentum, geh deine Kühe melken.“ Sie versuchte sein erschrockenes Gesicht und die hängenden Schultern zu ignorieren und ging entschlossen mit den Rockern vom Festplatz.
Sie fuhren Richtung Siggen, zum Buchweiher. Dort legten sie sich ans Ufer. Gleich machte eine Flasche Tequila die Runde, etwas später folgte eine Tüte. Sie hatte noch nie gekifft, dementsprechend wurde ihr schnell schwindelig.
„Komm her, Schönchen, wie heißt Du eigentlich?“
„Biggi.“
„Ich bin der Wolf. Der böse“, sprachs und biss ihr dabei leicht in den Hals. Sie wand sich ein bisschen und kicherte. Er leckte ihr den Hals entlang und fuhr mit der Zunge in ihr Ohr. Das fühlte sich knistrig an, warm und feucht, sie bekam eine Gänsehaut und ihre Nippel stachen durch den zarten Stoff ihres Sommerkleids. Dann küsste er ihren Mund. Erst sachte, dann schnell fordernd und raumgreifend, ihr Mund war ganz ausgefüllt von seiner Zunge, er biss ihr in die Lippen, was weitere Schauer durch ihren Körper schickte, seine grobe Hand tastete sich wissend über ihren Bauch, öffnete zwei Knöpfe und fuhr Richtung Brust.
„Nein, hör auf, die können uns doch zuschauen.“
„Stört es hier jemand, dass wir fummeln?“
Gelächter und Verneinungen schlugen herüber.
„Siehst du, es stört nicht.“
„Aber …“
„Pscht, halt deinen hübschen Schnabel und genieße einfach die wunderbare Nacht und den Rausch, sei nicht so spießig.“
Sie schloss ihre Augen und gab sich ihm hin. Er knöpfte ihr Kleid ganz auf und widmete sich ihren Brüsten. Sie spürte innerlich das Blut hinabrauschen zwischen ihre Beine. Dort wurde es immer heißer und die Hitze verwandelte sich in Feuchte. Er fuhr ihr mit immer härter werdenden Berührungen die Flanken hinunter, seine Hände quetschten sich unter ihren Po und hoben sie ein Stück hoch, um ihr Hinterteil zu kneten.
„Was für ein geiler Arsch“, raunte er ihr ins Ohr, „was für geile Nippel, sag, dass ich dich jetzt ficken soll. Nein, jetzt tu nicht so, das ist eh nur Theater, du bis klitschnass. Du willst nichts sagen? Okay, dann bin ich jetzt der böse Wolf und übernehme die Verantwortung für die Schandtat am Rotkäppchen.“ Bei den Worten, die sie immer mehr erregten, spielte er mit der Hand zwischen ihren Beinen. Nun war ihr alles egal, sie gab sich ihrer Wollust hin. Das spürte er, öffnete seine Hose und drang in sie ein. Er war geübt in solchen Dingen. Sie hatte es bisher nur mit nervösen Anfängern zu tun und war sehr bald außer sich vor Lust. Die meiste Zeit hatte sie die Augen geschlossen, wenn sie sie mal kurz öffnete, sah sie die Gruppe junger Männer um sie herum zusehen. Das war einerseits peinlich, aber irgendwie erregte es sie noch mehr. Er war sehr ausdauernd, bald hallte ihr Stöhnen so laut über den See, dass er ihr den Mund zuhielt.
„Du bist ein kleines, verdorbenes Stück, ich habs es ja gewusst.“ Dann stieß er noch ein paarmal tief in sie hinein, presste brutal ihren Mund zu und ergoss sich zuckend in ihren Leib, brach auf ihr zusammen und hielt sie einen Moment umschlungen.
„Du bist noch nicht gekommen, hab ich recht?“
„Nein, aber das ist nicht schlimm…“
„Nein, ist es nicht, wir sind ja nicht alleine hier. Jörg, komm mal her, die Lady braucht noch einen Mann, Sie ist schon vorbereitet, schau dir die geilen Titten an!“
„Ich stehe eher auf einen geilen Arsch, dreh dich um und zeig ihn mir.“
Sie war hin und her gerissen zwischen Lust und Moral, aber die Jungs nahmen ihr die Entscheidung über gut und böse ab und vögelten sie einer nach dem anderen. Die Lust verebbte irgendwann, dann rutschte sie in einen paralysierten Zustand und ließ ohne Widerworte mit sich anstellen, was sie wollten.
Nachdem sich alle an ihr befriedigt hatten, lag sie auf der Wiese. Ihr Körper schmerzte, zwischen ihren Beinen liefen die Hinterlassenschaften hinaus. Sie fühlte sich schmutzig wie noch nie.
Dies war die Nacht, als sie sich das erste Mal schnitt. Später, als sie alleine war in der Badewanne, alleine mit der Aufgabe zwischen Böse und Gut zu unterscheiden. Sie versuchte sich einzureden, dass dies alles eine Vergewaltigung gewesen war. Aber tief in ihr drin spürte sie die Selbstlüge. Sie hatte das alles gewollt. Sie hatte sich schuldig gemacht. Versündigt.
Sie war kein gutes Mädchen mehr. Jesus würde ihr das nie verzeihen.
Gegrüßet seist du Maria, voll der Gnade. Der Herr ist mit dir.
Du bist gebenedeit unter den Weibern, und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes, Jesus.
Abfällig leierte sie die alte Litanei. Es hatte begonnen zu schneien. Verächtlich schaute sie zur Dorfmitte. Dort erhob er sich, der Kirchturm.
„Fick dich selbst, Arschloch.“