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Winter

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29.12.2018
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Winter

Die Arbeit war eine gewöhnliche Forderung des Alltags. Er setzte erneut an und stach mit der Kante seiner Schaufel in des Schnees Tiefe. Was war ein Mensch schon, der nicht arbeitete?
Er nahm einen Atemzug, so tief und frostig und hob Schaufel samt Ladung, um die Fuhr auf die weiße Festung hinter seiner Schulter zu katapultieren. Und für einen Moment schneite es über diesem winzigen Fleck der Stadt. Er sah nicht, wie Flocken, pulverfein und zart, hinter ihm auf die weiße Festung, die sich mit jeder Fuhr ein Stück höher aus dem Schnee emporhob, nieder schwebten. Was kümmerte es ihn? Es war nicht die Schönheit dieser Welt, dieses Winters, die ihm an jenen Tagen Anlass gab, nach Draußen zu gehen. Die Nächte brachten Schnee und mit ihm die Arbeit.

Wieder stach er zu und die Festung wuchs heran. Er fluchte bei der Anstrengung, die ihm die Kraft aus den Armen zog. Verfluchte den Schnee, der ihm eine Plage war, wie nichts in seinem Leben.
Dieser Teil der Welt stand unter der weißen Flut. Gärten und Dächer, Wege und Zufahrten der Stadt. Jeden Morgen dasselbe Spiel.
„Würde es denn nie enden?“ fragte er im Stillen und ließ die Schaufel niedersinken.
Der Schnee war tief und immer noch stand er am Anfang seiner Arbeit. In diesem Jahr hatte der Winter kein Erbarmen: Er kam früh und würde lange bleiben, mit jeder Nacht tiefer werden. Trotz der Kälte legte sich der Schweiß in einem dünnen Film auf seine Stirn. Er schnaufte. Es war ein Schnaufen, das von einem inneren, plötzlich züngelnden Wutfeuer, erzwungen wurde. Seine Stirn glänzte und das Frieren schwand ganz und gar. Mit einem heißen Tritt verbannte er die Schaufel tiefer in den Schnee. Er keuchte, trat ein zweites, ein drittes Mal zu. „Nun gehört sie dem Winter“, dachte er bei sich und als er den Satz gedanklich wiederholte, zwang er sich zur Erkenntnis: Auch er gehörte dem Winter. Beim nächsten Atemzug war ihm nun wieder, als wäre ihm die Luft in der Lunge zu Eis gefroren - der stechende Reiz ließ ihn husten.

Er gehörte dem Winter.

Auch diesen Satz wiederholte er in Gedanken, bewegte dabei stumm die Lippen. Er war zu einem stummen Sklaven geworden, arbeitete fügsam, während ihn die Kälte mit ihren winddünnen Peitschen zum Schweigen zwang. Jeden Morgen dieselben Regeln. Der Ärger fachte seine Flammen erneut an. Er würde dem Winter trotzen. Er würde nun endlich dem Winter trotzen.
Da packte er seine Mütze und schleuderte sie in den Schnee. Danach den Schal. Er würde ihn nicht länger brauchen. Wozu? Er fragte sich an dieser Stelle, wie sich Kälte anfühlt, für einen der nicht weiß, was sie anrichtet. Wie fühlt sich der Winter an, für den, der sich selbst ein Bild davon zu machen hat, was andere den Schmerz nennen?
Er legte nun auch den Mantel ab, das letzte das ihm Schutz bot, vor dem Weißen und dem Nagenden, dessen Namen er vergessen hatte - vergessen wollte. Das schwere Stück fiel zu Boden wie abgeworfene Haut. „Die Hülle eines alten Lebens“, dachte er und stellte sich triumphierend auf das Stück Erde, auf das der Mantel gefallen war.
Das Hemd behielt er am Leib. Es war ein einfaches Kleidungsstück, kein Versteck, wie der Mantel es gewesen war. Es durfte bleiben. Nun war er bereit, zu berühren, wovon ein anderer sich versteckt und dabei zu vergessen, was man ihm gesagt und was er in seinem Leben gelernt hatte.
Wieder saugte er die Luft ein, die er zum Atmen brauchte. Frisch fühlte sie sich an und fremd. Ein Fremdkörper auf seiner Lunge, in Nase und Mund. Er atmete tiefer, spürte dabei wie die Luft seinen Körper durchzog, wartete auf den Reiz der ihn würde husten lassen, und als er ihm den Hals empor kroch, spuckte er ihn aus, ohne sich der brennenden Kraft hinzugeben. Der Reiz kam zurück, setzte sich von außen auf seine Haut, drängte durch das Hemd hindurch. Er war der Strom, unter dem sein Körper bebte, der sich in seine Adern setzte und ihn mit dem Blut durchströmte. Er hielt den Atem an: Ein scharfer Windzug schlich von hinten heran und wirbelte vereiste Flocken auf. Ein Geräusch, als würde er ihm mit heiserer Stimme eine Drohung ins Ohr hauchen.
Es war der Winter, der ihn an seinen Namen erinnern wollte.

 

Hallo,

zunächst einmal: Die Idee des Textes ist toll. Ich mag, das der alte Mann sich die Frage stellt, ob er dem Winter gehört und ob das alles noch für ihn Sinn macht. Du hast auch einige schöne sprachliche Momente in deinem Text, zum Beispiel:

Das schwere Stück fiel zu Boden wie abgeworfene Haut. „Die Hülle eines alten Lebens“, dachte er

Das finde ich gut, ich mag das Bild der abgeworfenen Haut.

Allerdings ist mir der Text selbst ein kleines Rätsel. Ich verstehe nicht so ganz, was sich hinter der Geschichte verbirgt. Ich interpretiere deine Story so: Ein alter Mann plagt sich seit Tagen im Schnee ab, er muss jeden Morgen den Schnee beiseite räumen. Eine Arbeit, die ihm sehr schwer fällt. Da er sich so darüber aufregt, folgere ich, das er auch sonst ein eher mühsames Leben führt, indem es wenig Freude gibt. Dann verfällt er in eine Art leidenschaftlichen Zorn, reißt sich die Klamotten vom Leib und lässt die Kälte auch sich einwirken, damit er sich wieder lebendig fühlt. Aber an dieser Stelle bin ich mir eben nicht mehr sicher.

Es war ein einfaches Kleidungsstück, kein Versteck, wie der Mantel es gewesen war.

Wofür ist der Mantel zuvor ein Versteck gewesen? Wovor wollte der Mann sich verstecken? Vor der Welt? Vor den anderen Menschen oder der Kälte an sich? Aber in letzterem Fall wäre es ja eher ein Schutz gegen die Macht der Kälte und kein direktes Versteck, oder?

Wie fühlt sich der Winter an, für den, der sich selbst ein Bild davon zu machen hat, was andere den Schmerz nennen?

Heißt das, der alte Mann hat noch nie in seinem Leben Schmerz erfahren? Das glaube ich nicht. Oder diese Art von Schmerz? Oder spricht er von anderen Personen? Und warum "Was andere den Schmerz nennen"? Schmerz ist ein universelles Empfinden, alle Menschen kennen es.

Es war der Winter, der ihn an seinen Namen erinnern wollte.

Heißt das, der Mann wollte gegen die Jahreszeit aufbegehren und wurde dann vom Winter selbst wieder dazu ermahnt, ein Sklave zu sein, wie zuvor? Das Ende mag ich, es ist düster und geheimnisvoll.

Insgesamt mag ich den Stil und die Stimmung deiner Geschichte, leider ist sie mir etwas zu abstrakt, daher konnte sie mich nicht direkt abholen. Ich hoffe aber, mein Kommentar konnte dir helfen. :)

Viele liebe Grüße,

PP

 

Hallo PP,
Vielen Dank für Deine Rückmeldung! Lass mich Dir die Geschichte erklären:
Der Mann geht der Arbeit nach, nimmt die Aufgabe hin, ohne sie zu hinterfragen. Dabei bringt der Winter jeden Morgen neuen Schnee, neue Arbeit und macht zu Nichte, wofür er sich am Vortag so sehr angestrengt hat... Der Winter symbolisiert in dieser Geschichte das Leben, das neue Aufgaben bringt, wie der Winter den Schnee... Der Mann, ein Teil von ihm zumindest, mag in jedem von uns sein: Er geht seinem Alltag nach und als er meint, die Kraft dafür nicht weiter aufbringen zu können, erinnert ihn das Leben daran, dass es über allem steht und er sich nicht dagegen auflehnen kann. Der Mann in der Geschichte kann sich ebensowenig gegen die Kälte und den Schnee auflehnen.
Hmm...womöglich hast Du recht und der Sinn lässt sich durch die Geschichte allein nicht erfassen? Ich dachte nur, man könnte sich ein Stück weit in dem Mann wiedererkennen (als Arbeiter, Schüler...Wie auch immer)
Jedenfalls danke ich Dir für deinen Kommentar;)
Lg Butterblume

 

@butterblume

Huhu,

oh, mit deiner Erklärung wird es natürlich jetzt viel klarer. :) Die Idee gefällt mir, aber ich glaube, dann müsste man meiner Meinung nach den Text anders aufbauen.

Die Arbeit war eine gewöhnliche Forderung des Alltags. Er setzte erneut an und stach mit der Kante seiner Schaufel in des Schnees Tiefe. Was war ein Mensch schon, der nicht arbeitete?

Gleich der erste Absatz nimmt ja schon alles vorweg, was du eigentlich zwischen den Zeilen erzählen willst. Man beschäftigt sich als Leser direkt mit diesen beiden bedeutungsschweren Fragen (Fordert der Alltag von uns allen tägliche Arbeit? Sind wir als Menschen ohne Arbeit etwas wert?), statt sich in die Geschichte saugen zu lassen.

Ich würde näher bei dem Mann bleiben und die Geschichte auch in einer einfacheren Sprache erzählen. Mehr beschreiben, was er tut und die kleinen Feinheiten herausarbeiten. Wie verhält er sich? Ist er trotzig? Ist er mürrisch oder resigniert. Was tut er? Vielleicht kann er ja auch einen Nachbarn treffen oder auf einen Passanten. Anhand eines kurzen Gesprächs könnte man viel über seinen Charakter und seine Einstellung erfahren.

Ich finde die Idee echt toll und ich mag solche Texte! :) Ich glaube aber, das sie einen klaren roten Faden und eine sehr einfache, nachvollziehbare Sprache braucht, um richtig wirken zu können. Die Rückschlüsse auf das Leben und die Arbeit, die sollte der Leser selbst ziehen. Denn dann entfaltet die Geschichte auch ihre ganze Kraft.

Ich hoffe, ich konnte dir helfen und du verstehst, was ich meine. Ist ja auch nur meine Sicht der Dinge, manchmal haben unterschiedliche Menschen auch einen unterschiedlichen Zugang zu Texten.

Wünsche dir jedenfalls ein tolles Silvester, falls du das hier heute noch liest. :)

Grüße, PP

 

@butterblume

Huhu,

oh, mit deiner Erklärung wird es natürlich jetzt viel klarer. :) Die Idee gefällt mir, aber ich glaube, dann müsste man meiner Meinung nach den Text anders aufbauen.

Gleich der erste Absatz nimmt ja schon alles vorweg, was du eigentlich zwischen den Zeilen erzählen willst. Man beschäftigt sich als Leser direkt mit diesen beiden bedeutungsschweren Fragen (Fordert der Alltag von uns allen tägliche Arbeit? Sind wir als Menschen ohne Arbeit etwas wert?), statt sich in die Geschichte saugen zu lassen.

Ich würde näher bei dem Mann bleiben und die Geschichte auch in einer einfacheren Sprache erzählen. Mehr beschreiben, was er tut und die kleinen Feinheiten herausarbeiten. Wie verhält er sich? Ist er trotzig? Ist er mürrisch oder resigniert. Was tut er? Vielleicht kann er ja auch einen Nachbarn treffen oder auf einen Passanten. Anhand eines kurzen Gesprächs könnte man viel über seinen Charakter und seine Einstellung erfahren.

Ich finde die Idee echt toll und ich mag solche Texte! :) Ich glaube aber, das sie einen klaren roten Faden und eine sehr einfache, nachvollziehbare Sprache braucht, um richtig wirken zu können. Die Rückschlüsse auf das Leben und die Arbeit, die sollte der Leser selbst ziehen. Denn dann entfaltet die Geschichte auch ihre ganze Kraft.

Ich hoffe, ich konnte dir helfen und du verstehst, was ich meine. Ist ja auch nur meine Sicht der Dinge, manchmal haben unterschiedliche Menschen auch einen unterschiedlichen Zugang zu Texten.

Wünsche dir jedenfalls ein tolles Silvester, falls du das hier heute noch liest. :)

Grüße, PP

Das wünsche ich dir natürlich auch! Vielen Dank:)

 

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