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Winter in Andalusien …
Winter in Andalusien …
oder warum Gerhard Schröder nicht mehr „Schnitzel“ heißt
„Wie wird man denn in Spanien um diese Zeit so unverschämt braun,“ fragte ich
die gute Freundin, die mit mir zusammen die Tagesschau mit den
nachweihnachtlich Costa-del Sol-gebräunten Gerhard Schröders gesehen hatte.
„So knackig wirste doch um diese Zeit, wenn überhaupt, höchstens auf den
Kanaren“, wandte ich ein. Die Freundin pries dann lang und breit die Vorzüge
der sonnenverwöhnten andalusischen Südküste im Winter, und ihr Wort in meinem
Ohr buchte ich flugs einen Flug nach Malaga, einmal wegen der von der
Freundin genannten Vorzüge, aber auch, was ich gerne zugebe, wegen dem
Malaga-Eselchen von der berühmten Malaga-Puddingtüte.
„Malaga selbst kannste haken, höchstens ein Eis verzehren und gleich weiter
nach Granada, Ronda oder gleich ab dafür in die Sonne nach Marbella, wie der
Kanzler“, tönte die Freundin am Telefon, als ich ihr Malaga als mein
Lufthansa-Miles & More-Fly-Smart-Reiseziel genannt hatte, das, Eile war
geboten, noch vor dem Jahreswechsel gebucht sein mußte, um meine jahrelang
erflogenen Meilen aus einem gut dotierten früheren Bürojob vor dem sicheren
Verfall zu retten. Wenige Tage später sahen die gute Freundin und ich
gemeinsam erschreckende TV-Bilder von einer neuerlichen Umweltkatastrophe in
einem andalusischen Nationalpark, der auf der Südeuropakarte meines rasch
herbeigeholten Weltatlas’ höchstens vier Millimeter von meinem anvisierten
Reiseziel entfernt liegt. „Andalusien, gut und schön“, meinte die Freundin
nun plötzlich, sie, die mir Andalusien nur Tage zuvor noch wärmstens ans Herz
gelegt und eine gewisse Vorfreude bereits in mir geweckt hatte. Wo ich denn
noch hätte hinfliegen können mit meinen 20.000 Malaga-Meilen, wollte sie von
mir wissen. „Hilfe, Polizei, Paris und Venedig läßt du sausen, wegen
…Malaga!“ Meine Frage, ob sie denn wenigstens das Malaga-Eselchen noch kenne,
verneinte die Freundin. Ich wandte ein, jedes gut sortierte
Lebensmittelgeschäft habe früher Malaga-Pudding geführt, was für eine
Kindheit sie denn verbracht habe. „Versuch dich zu erinnern, Malaga-Pudding,
der mit dem Eselchen drauf und den vielen bunten Schleifen, die an den
Holzspeichen des einachsigen Eselchenanghängers flatterten.“ Nein, das
Eselchen kenne sie nicht, und so ein Eselchen sei doch nun wirklich kein
Grund nach Malaga zu fliegen.
„Wenn ich am Anfang des Jahres sechs Tage Zeit hätte, meine Meilen zu
verfliegen, die ich aber nicht habe”, wetterte sie, „dann würde ich
jedenfalls nicht nach Malaga fliegen.“ Auf meine Frage, was so besonders
daran sei, am Jahresanfang sechs Tage nach Malaga zu fahren, gerade ihr als
versierter Resturlaubsexpertin müsse das doch durchaus geläufig sein,
konterte sie mit, „du als Künstler kannst dir sowas eben leisten, wegen einem
Pudding mit Eselchen drauf sechs Tage mitten im Januar in Ferien zu fahren“,
wobei sie offenließ, ob sie eigentlich keine Zeit oder keine Meilen hat,
sechs Tage wegzufliegen. Ich gestand ihr dann ein, daß mir der Malaga-Pudding
eigentlich nie besonders geschmeckt hatte, aber so ein Eselchen auf der Tüte
merkt man sich eben. Ich flog dann trotzdem los, weil umbuchen ist nicht bei
den Fly-Smart-Angeboten der deutschen Lufthansa.
Ich bin natürlich nicht nur wegen dem Eselchen nach Malaga geflogen,
ebensowenig wie Gerhard Schröder, nehme ich wenigstens an, der mit Frau und
Bodyguards seine Weihnachtsferien kurz vor meinem Aufenthalt an der Costa del
Sol, also um Malaga rum, verbracht hat. „Doris Schröder oder Köpf, Doris
Schröder-Köpf oder Köpf-Schröder, Schröders Neueste jedenfalls nach Hillu,
müßte das Eselchen rein von ihrem Alter her kennen“, sagte ich der Freundin,
die mir lapidar mitteilte, daß Doris seit ihrer Heirat definitiv
Schröder-Köpf heiße. „Aber bestimmt reckte die kleine Doris, wie ich, ihr
Köpfchen empor zur Mama und zum Malaga-Pudding-Eselchen im Regal und
bettelte, Mama, bitte kauf doch Malaga-Pudding,“ mutmaßte ich, „aber Kind, du
ißt ihn ja doch nicht, sagte damals bestimmt auch ihre Mama. Aber, aber, das
hübsche Eselchen, jammerte Doris dann, und weil Mama Köpf, genau wie meine
Mutter, ein großes Herz hatte und ihre Doris gut kannte, bekam das Kind seine
Puddingtüte mit Eselchen drauf, und natürlich blieb der Pudding dann auf dem
Teller, aber was macht Mama nicht alles, wenn man seinen Kleinen eine Freude
bereiten kann. Und vielleicht hat Doris Schröder-Köpf aus ihrer Focus-Zeit,
wo sie ja bestimmt auch einiges rumgeflogen ist, noch verfallsbedrohte Meilen
zu verbraten gehabt und hat dem Kanzler abends bei Rotwein und Schnitzel vom
Malaga-Eselchen vorgeschwärmt; Gerhard kannte es zwar nicht, mußte aber vor
Rührung weinen und ist mit Doris gleich nach Malaga geflogen, und dann
weitergefahren bis Marbella – auf den Spuren des Eselchens.“
So hab’ ich’s wenigstens gemacht, geflogen bis Malaga und dann mit dem Bus
für 570 Peseten dorthin, wo die Schröder-Köpfs gepflegt abgehangen haben.
Marbella steht auch am Ortsschild, wenn man von Malaga aus nach Marbella
reinkommt – und drunter steht fett G.I.L . „Wie, G.I.L.?“ fragte die
Freundin. „G.I.L. ist die politische Gruppierung um Marbellas Bürgermeister
selbigen Namens nur ohne Punkte“, erklärte ich, „und außerdem ist Gil ohne
Punkte, der mit Vornamen Jesus heißt, Vereinspräsident von Atletico Madrid
und direkt nach dem Besuch der Schröders verhaftet worden und in Malaga in
den Kahn eingefahren.“ „Wegen der Schröders im Knast, was hat der gemacht mit
unserem Kanzler?“ sorgte sich die Freundin. „Jesus Gil hat Gerhard Schröder
in Marbella das letzte Schnitzel weggegessen und wird seitdem als der neue
Messias verehrt. So weit ich das im spanischen Fernsehen nachvollziehen
konnte, hat er außerdem als Bürgermeister von Marbella 450 Millionen Peseten
veruntreut, die was mit seinen Fußballspielern in Madrid und deren Leibchen
zu tun haben, auf denen steht nämlich „Marbella“, und nicht Opel oder Nike,
wie bei anderen Fußballvereinen. Jedenfalls wurde Jesus Gil, die Schröders
waren da gerade wieder zu Hause, dann mit Bluthochdruck vom Gefängnis in
Malaga ins Krankenhaus verlegt, just, als ich auch dort eintraf.“ „Du warst
im Krankenhaus?“ ging die Freundin darauf ein. „Nein, in Malaga“, stellte ich
klar. „Nein“, staunte da wiederum die Freundin und klopfte sich ostentativ
auf die Schenkel.
Gerade wollte ich ihr über den Fortgang der skandalösen Ereignisse berichten,
etwa davon, daß die letzte deutsche Kaiserin, Gunilla von Bismarck, in
Marbella sogar eine „Free Jesus Gil Demo“ angeführt hat, als die Freundin
mich fast empört fragte, ob ich tatsächlich allen Ernstes annehmen würde, daß
unser Bundeskanzler wegen eines, wenn vielleicht auch ansehnlichen Eselchens
auf einer Puddingtüte, die es nicht mehr zu kaufen gibt, an die Costa del Sol
fliegt, statt wie er es sonst zu tun pflegt, auf Mallorca zu urlauben. Ich
sagte ihr, „zu gern würde ich ihm das glauben, aber er wird mir wohl kaum den
Gefallen tun, das mit dem Eselchen öffentlich zuzugeben.“ Sie klärte mich
auch gleich über naheliegendere Gründe für des Kanzlers Andalusien-Trip auf.
„Der ist geflogen, weil Doris und die EU-Ratspräsidentschaft es erforderten.
Zumal“, gab sie zu bedenken, „Schröders sind gerade mal ein Jahr oder so
verheiratet, und da flittert man gerne mal Weihnachten in die Sonne, nachdem
die zwei ihre Sommerferien schon auf dieser naßkalten Nordseeinsel verdödelt
haben. Außerdem ist Doris Löwe, und die haben’s gerne warm“, behauptete die
Freundin.
Weil ich selbst Stier bin, berichtete ich ihr von Ronda, der Geburtsstadt des
spanischen Stierkampfes, das mein Merian-Reiseführer als Top-5-Ziel empfohlen
hatte. „Orson Welles und Walter Scheel waren übrigens auch da.“ „Und, habt
ihr euch schön unterhalten?“ ging sie prompt darauf ein, aber mich plagten in
Ronda ganz andere Sorgen. Außer mir hatte nur ein Pärchen den „Red Andalucía
Exprés“ verlassen, der weiter Richtung Algeciras ratterte und dabei an jeder
Apfelsinenkiste hält. Und als ich da am Bahnsteig stand, fiel mir wieder ein,
daß ich sowohl die endlos öde Bahnstrecke als auch diese Station vor 20
Jahren in höchst beklagenswertem Zustand in der Gegenrichtung aus Marokko
kommend, wo mein Hintern von marokkanischen Grenzbeamten auf der Suche nach
berauschenden Substanzen eingehend untersucht worden war, passiert hatte,
ohne was zu beißen im Rucksi und mit einer halbvollen Flasche Wasser für
mich, meinen höllischen Kater und meine damalige Begleiterin. So stand ich
déjà-vu-mäßig angeschlagen am Bahnhofsvorplatz, wo sich kein Taxifahrer hin
verirrt hatte, der mich zu einer Herberge und auf andere Gedanken hätte
bringen können.
Leider habe ich, wenn kein Taxi da ist, die kräftezehrende Angewohnheit, mit
vollem Gepäck wie blöd in wildfremden Straßen herumzulatschen, unfähig, mich
für die erstbeste, zumeist akzeptable Unterkunft zu entscheiden. Meistens
checke ich zumindest noch drei Etablissements an, um dann doch in der zuerst
besichtigten zu landen. In Ronda bin ich viel gelatscht. Zwei mittelalte
Engländerinnen, die entspannt und ohne Gepäck am anderen Ende der Stadt die
Sicht auf die 200 Meter tiefe Schlucht, durch die der Río Tajo fließt,
genossen, empfahlen mir auf meine Frage nach einer geeigneten Unterkunft
„ihr“ Hostal, das ich auf dem Hinweg natürlich auch schon gesehen hatte. Ich
latschte also brav wieder zurück, checkte ein und vergaß prompt nach einer
Heizung zu fragen. Das Hostal der Engländerinnen hatte dann auch keine. Ich
beschloß, sofort viel trinken zu gehen, legte mich danach jedoch nicht
sogleich ins arschkalte Hostal-Bett, sondern verwandelte das etwa drei Grad
kalte Gemeinschaftsbadezimmer durch eine zusammengeknüllte Plastiktüte im
Wannenabfluß und die laufende Heißwasserdusche in ein andalusisches Dampfbad.
Trotzdem bleibt es mir rätselhaft, warum die Engländerinnen und ich dort
eingecheckt hatten und Rainer Maria Rilke sogar gleich mehrere Wochen im
Winter 1911/12 dort zubrachte. An Dichten war bei der Affenkälte nicht im
Traum zu denken, und 1911/12 gab’s bestimmt noch keine Plastiktüten, die man
als Stöpsel in den Wannenabfluß stopfen konnte, zumal in Hostals die Stöpsel
für die Badewanne bekanntlich immer fehlen. „Tja, was sagt denn da der
Brockhaus?“ fragte die Freundin im Lexikon blätternd. „Hier, Wannenstöpsel
gibt’s seit 1200 vor Christus“, flachste sie. „Nein, hier steht’s: Rilke,
Schaffenskrise und Reisen, 1911.“ Ein Rilke-Museum suchte ich dann in Ronda
auch vergebens. An den deutschen Dichter, der Ronda als die „unvergleichliche
Erscheinung, der auf zwei steilen Felsmassen hingehäuften Stadt“ pries,
erinnert heute nur noch eine Fahrschule mit drei Autos auf denen Rilke in
blauer Schrift steht. Weil ich nachvollziehen konnte, wie der Dichter
wochenlang durch Ronda und die schwerste Schaffenskrise seines Lebens
taumelte, und dabei gerade mal ebengenannten Satz gebar, begab ich mich tags
drauf lieber auf die Spuren des deutschen Bundeskanzlers an die Sonnenküste.
„Was fällt dir ein zu Marbella?“ drängelte ich, der Freundin zuprostend. Die
informierte GALA-Leserin ratterte auch gleich los: „Sean Connery, Naomi
Campbell und Oasis, die Gallagher-Brüder jedenfalls.“ „Nein, nein, nein“,
schüttelte ich den gebräunten Kopf. „Marbella ist der einzige Ort der Welt,
an dem die Sonne direkt links vor dir aufgeht, wenn du am Beach deinen ersten
Cafe con leche trinkst, wo sie bis mittags vor dir am Himmel raufmarschiert
und bei den letzten Sangrias am Abend korrektermaßen rechts runtertaumelt,
ohne daß du dich nur einmal von deinem Platz erheben mußt. Und genau das muß
der Kanzler gewußt haben. Nie wäre der in so kurzer Zeit auf den Balearen
braun wie ein Schnitzel geworden.“ „Ist dir eigentlich aufgefallen“, fragte
mich die Freundin, „daß niemand mehr ,Schnitzel’ zu Gerhard Schröder sagt?“
„Dabei müßte dieser Spitzen-Spitzname eigentlich geschützt werden“, forderte
ich, „genau wie ,Gerda’, so wie ihn die fleischverachtenden Töchter von Hillu
immer gerufen haben.“ Die Freundin bekannte, sie sei froh, daß Schröder so
nicht mehr genannt würde, denn ein Staatenlenker, der ,Schnitzel’ oder
,Gerda’ gerufen werde, dem traue sie alles zu. „Wart’s ab“, prophezeite ich,
„Birne wurde auch unterschätzt, und im „Spiegel“, Nr. 2 ’99 stand Schröders
Menü beschrieben, das ihm sein spanischer Amtskollege in Marbella spendiert
hat: Tja, und was meinste, hat der Kanzler genommen? Steak. Ein schnödes
Steak.“ „Schnitzel war doch aus, haste gesagt, das hat doch dieser Jesus ihm
weggegessen, mit dem du im Krankenhaus warst“, erinnerte sie sich unscharf
und öffnete einen neuen Wein. Sie für ihre Seite hätte auf jeden Fall was
Andalusisches genommen, zumindest ein paar leckere Tapas vorneweg. Ich
prostete ihr zu: „Versteh’ mich nicht falsch. Ich gönn’ dem Kanzler sein
Steak, aber schade ist´s um den schönen Spitznamen. Oder kennst du vielleicht
einen Staatsmann, der so treffend banalisiert wird?” Die Freundin zählte auf,
was man so gemeinhin kennt, „Der Irre aus Bagdad“, „Birne“, „Gorbi“ und
„Eiserner Kanzler“. Ich wußte noch „le feldwébel“, wie Harry Rowohlt
bärenstark Schröders Vorvorgänger charakterisiert hatte.
Es war spät geworden, der Rioja war alle, und die Freundin mußte morgens früh
raus. In der Tür verriet sie mir noch, warum ich ihrer Meinung nach so sehr
auf die Beibehaltung der Schröderschen Spitznamensgebung bestünde. „Ich
finde, der Mann hat’s jetzt schwer genug. Und nur, wer wegen einem Eselchen
auf einer Puddingtüte im Januar ohne Not nach Malaga fliegt, kann sich über
Schnitzel und Gerda so bepissen, typisch du und deine berufsjugendlichen
Künstlerfreunde. Und tschüs.“
Ich rief dann sicherheitshalber meine Mutter an und fragte sie, wie es sich
damals eigentlich genau verhielt – mit mir und dem Malaga-Eselchen. Die
Mutter war erst mal froh wie Mütter eben so sind, wenn der Sohn von einer
Auslandsreise zurückgekeht ist. Dann teilte sie mir knapp mit, daß es schon
spät sei und daß das Malaga-Eselchen gar kein Malaga-Eselchen gewesen war,
das seinen kleinen Karren auf einer spanischen Puddingtüte hinter sich
hergezogen hat. Vielmehr sei das Eselchen Werbeträger einer nicht mehr
erhältlichen Zitronensüßspeise namens „Aranca“ gewesen, die überdies aus
Sizilien stammte, und die ich als Kind nie essen wollte – ganz im Gegensatz
zum leckeren Malaga-Pudding. „Wenn das der Kanzler wüßte,“ stammelte ich und
schwor nicht mehr so viel zu trinken und bei ähnlich gelagerten Reiseplänen,
künftig den Rat der Mutter einzuholen.
P.S. Am 6. Februar vermeldete die „Hamburger Morgenpost“ unter der
Überschrift „Kanzler Schröder: Sorry, Mallorca!“: Bundeskanzler Gerhard
Schröder ist zerknirscht. Offiziell entschuldigte er sich bei seinem
Lieblings-Urlaubsziel Mallorca für einen touristischen Seitensprung nach
Marbella. „Ich bin und bleibe Mallorca-Fan“, schrieb Schröder einem
Insel-Magazin.“ Dem Mann ist einfach alles zuzutrauen.