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Winfred (oder die Rebellion der Senioren)

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18.03.2014
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Winfred (oder die Rebellion der Senioren)

Das Altersheim in Dubenhausen ist ein beschauliches kleines Gebäude mit wenig Personal und einem netten kleinen Haufen aufgeweckter Senioren, die sich täglich bei einer Runde Skat oder beim Nähkurs über die wenigen banalen Neuigkeiten austauschen. Sei es nun der neue Rollstuhl vom alten Theo oder das Mittagessen, dass nur noch nach Pappe schmeckt. Winfred, einer der Senioren, die sich noch nicht an die Situation eines Altersheimaufenthalts gewöhnt hat, schaut eines Tages bei der Nachmittagsrunde Skat aus dem Fenster. Es ist Sommer, der Wind weht mit einer leichten Brise und nirgendwo ist ein Wölkchen am Himmel zu sehen. Wie gerne würde er jetzt doch die Nordsee sehen, das Meer, den Damm, Ebbe und Flut. Vertieft in seine Gedanken fällt ihm plötzlich etwas ein: Ich will an die Nordsee, ich komme an die Nordsee. Also steht er auf, schreit durch den Raum „Ich fahre an die Nordsee!“ und ist auch schon auf dem Weg in sein Zimmer, um sich für die Reise zu wappnen.
Unten im Aufenthaltsraum herrscht inzwischen große Aufregung.
„Habt ihr das gehört? Der will ans Meer!“, schnaubt Edgar verächtlich.
Heidrun fragt mit lauter Stimme: „Der will an’s Wehr?“.
Monika, die gerade wieder zu sich kommt nach ihrem Nickerchen, hört nur, dass alle ans Meer fahren, freut sich riesig, springt auf und rennt durch die Zimmer, um allen Bescheid zu sagen. Helle Aufregung! Endlich ein Ausflug! Alle freuen sich, manche stürmen in ihre Zimmer, packen ganze Reisekoffer, andere rufen ihre Verwandten an und fragen nach der Adresse, um ihnen eine Karte zu schicken. Oskar fühlt sich nur wie auf einem Bahnhof. So viele fremde Menschen! Er schaut auf sein Armband, da steht "Zimmer 67 gehört mir" und beschließt, es zu suchen. Pflegerin Agatha kommt hinein, um zu schauen, ob alles in Ordnung ist. So laut, war es hier noch nie.
Monika kommt ihr entgegen: „Was soll ich anziehen, was für Wetter ist am Meer? Kommen Sie auch mit? Karl sagt, es sind nur zwanzig Minuten zu Fuß.“
Agatha weiß gar nicht, was sie sagen soll. Wer hat den Alten denn das eingeredet? Sie beschließt, die Chefin aufzusuchen, um nachzufragen, ob das wirklich stimmt und warum sie nichts davon wusste.
Heidrun, immer noch in der Ecke sitzend, ruft laut: „Schauen wir uns jetzt Bären an oder gehen wir uns Speere angucken?“
Noch größere Aufregung. Erst fahren sie zum Meer, dann in den Zoo und wenn sie es schaffen, schauen sie noch im Historischen Museum vorbei. Große Freude macht sich breit. Monika steht schon mit Kamera und warmem Mantel vor der Tür und erzählt den Passanten von dem großen Ausflug, den das Heim geplant hat. Da kommen auch schon fünf weitere Senioren aus dem Altersheim gestürmt und machen sich auf den Weg zur Bushaltestelle.
Edgar schaut: Emden, Hamburg, Norden. Nirgendwo steht „Meer“. Inzwischen hat Pflegerin Agtha von dem Vorfall berichtet und nun ist auch die Chefin in großer Aufregung. Die hauen einfach ab! Schnell stürmt sie nach draußen, um die Senioren aufzuhalten, doch es ist zu spät. Monika in ihrer überzeugenden Art hat dem Busfahrer alles erzählt und der erklärt sich freundlicherweise bereit und bringt die Sippe nun zur Nordsee. In bester Laune sitzen die Alten auf ihren Plätzen und erzählen ganz aufgeregt miteinander. Was für ein toller Ausflug! Ihr Alter haben die meisten Senioren in ihrer Aufregung vergessen, erzählen von Strandspaziergängen vom Baden und Volleyball.
Dreißig Minuten später stehen sie an einem Ort, von dem der Busfahrer ihnen versichert hat, dass das die Nordsee sei, aber da ist überhaupt nichts! Nur nasser Sand soweit das Auge reicht. Enttäuscht macht Monika trotzdem Fotos. Das ist zwar nicht das Meer aber die größte Sandfläche, die sie jemals gesehen hat. Vielleicht sind sie ja und der Wüste gelandet? Wasser ist hier jedenfalls keines. Im Restaurant auf einem Hügel vor dem Meer schüttelt ein Gast nur den Kopf. Eine Gruppe alter Urlaubertouristen steht da und fotografiert die Ebbelandschaft.

Auch Winfred ist nun endlich fertig. Mit kleiner Tasche und Fotoapparat geht er die Treppe zur Eingangstür hinunter, doch Agatha ist schneller und versperrt ihm den Weg. „Oh nein Herr Mührle, alle anderen sind weg und meine Kolleginnen und ich müssen sie nun suchen. Bleiben Sie bitte solange auf Ihrem Zimmer“, fordert sie ihn mit einem gespielten Lächeln auf. Verärgert stapft Winfred die Treppe hinauf zurück in sein Zimmer. So ein Ärger! Wie gern hätte Winfred die Nordsee gesehen mit ihren Gezeiten.

 

Hallo Roxas!

Ich bin neu auf diesem Portal und Deine Geschichte ist die erste, auf welche ich mit einem Kommentar antworte.

Zunächst eine kleine grammatikalische Sache:
"Winfred, einer der Senioren, die sich noch nicht an die Situation eines Altersheimaufenthalts gewöhnt hat"
Senioren, die sich nicht gewöhnt [haben] :) Keine wilde Sache.

Zur Geschichte an sich. Ich finde die Pointe, dass Winfred als einziger der Truppe nicht an die Nordsee gelangt, obwohl er der Auslöser für die ungeplante Reise war, recht unterhaltsam.
Allerdings fände ich es besser, wenn es eine bedeutendere Ursache gäbe, welche Winfred dazu bewegt an die Nordsee zu wollen. Schlichtweg das schöne Wetter finde ich etwas zu lapidar.
Wie wäre es mit einem Holzboot, das auf einem Hänger an seinem Fenster vorbei transportiert wird und ihn an seine alten Fischermannstage erinnert? Ich weiß klischeebeladen, aber etwas in der Art.

Das Erzähltempo finde ich recht schnell gewählt für eine Gruppe Rentner, was aber gewisser Weise auch den Reiz der Situation ausmacht. Jeder hört etwas anderes als der andere und ehe die Betreuer sich versehen sind die Herrschaften auf und davon. Dieses Durcheinander hat mir gefallen :)
Trotzdem hätte ich ein Vokabular gewählt, welcher die Eigenschaften von älteren Personen stärker hervorhebt.
"Monika [...] freut sich riesig, springt auf und rennt durch die Zimmer, um allen Bescheid zu sagen"
Ich assoziere mit einem Seniorenheim keine rennenden Rentner ;) Eine flitzende Oma dagegen hat auf mich zum Beispiel eine niedliche Wirkung: "Monika flitzt durch die Zimmer, um allen Bescheid zu sagen".
Gelungen dagegen finde ich die klassische Einbindung von Hörproblemen im Alter:
" 'Habt ihr das gehört? Der will ans Meer!', schnaubt Edgar verächtlich.
Heidrun fragt mit lauter Stimme: 'Der will an’s Wehr?' "

Der Weg der Senioren an die Nordsee ist meiner Meinung nach auch ein wenig zu gekürzt und einfach. Da es jedoch sicherlich das Ziel war möglichst schnell die Endsituation auszuarbeiten, finde ich das für eine kompakte Kurzgeschichte wie diese nicht allzu dramatisch.

Im Endeffekt sicherlich eine Geschichte, welche eher zu der leichteren Kost zählt, aber meiner Meinung nach dennoch angenehm kurzweilig ist. Ich denke es würde der Erzählung dennoch guttun, wenn sie etwas weiter ausgearbeitet wird. Ein Viertel mehr Text würde niemanden hindern sie zu lesen.

Ich hoffe meine Worte sind eine Orientierung für Dich und nicht allzu wertfrei ;)
Auch ich bin hier, um sowohl meine Schreibkünste, als auch die Qualität meiner Antworten innerhalb des Forums zu verbessern.

Viele Grüße
Gwen Dolyn

 

Hallo Roxas,

herzlich willkommen!

Eine schöne und lustige Geschichte. Auch ganz ohne die schon fast übliche Häme, mit der oft solche Protagonisten bedacht werden, in der irrigen Meinung, das sei witzig.
Nein, dies ist mal eine ganz liebe und heitere Story aus dem Altersheim. Außer für Winfred, selbstverständlich. :D
Hat mir sehr gefallen!

Ein paar Details:

Das Altersheim in Dubenhausen ist ein beschauliches kleines Gebäude mit wenig Personal und einem netten kleinen Haufen aufgeweckter Senioren, die sich täglich bei einer Runde Skat oder beim Nähkurs über die wenigen banalen Neuigkeiten austauschen.
Ist sehr lang für einen Einstiegssatz, zweimal „wenig“ drin und mit zuviel Info gespickt, wobei die langweiligste am Anfang steht: „Das Altersheim in Dubenhausen ist ein beschauliches kleines Gebäude“
Da es Dubenhausen nicht gibt, also nix zur Orientierung beiträgt, würd ich den Ortsnamen weglassen.
Auch Altersheim könnte gestrichen werden, es ergibt sich aus der Zusammensetzung „wenig Personal + ein Haufen Senioren.
Ich würde auf jeden Fall diesen langen Satz zerteilen und versuchen, mit dieser Info zu beginnen:
„wenig Personal und einem netten kleinen Haufen aufgeweckter Senioren,“


oder das Mittagessen, dass nur noch nach Pappe schmeckt.
oder das Mittagessen, das nur noch nach Pappe schmeckt.

Winfred, einer der Senioren, die sich noch nicht an die Situation eines Altersheimaufenthalts gewöhnt hat,
Find ich nicht gut. „Situation“ ist überflüssig. „Altersheimaufenthalt“ ein furchtbar stolpriges Wort.

schaut eines Tages bei der Nachmittagsrunde Skat aus dem Fenster.
Oder vielleicht so: schaut eines Nachmittags beim Skat aus dem Fenster.

Wie gerne würde er jetzt doch die Nordsee sehen, das Meer, den Damm, Ebbe und Flut.
Das Meer muss da nicht rein, auch das „doch“ nicht.

Ich will an die Nordsee, ich komme an die Nordsee.
Entweder einen Punkt setzen oder ein „und“ dazwischen, das verstärkt jeweils die beabsichtigte Wirkung.


andere rufen ihre Verwandten an und fragen nach der Adresse,
Fein beobachtet!

Karl sagt, es sind nur zwanzig Minuten zu Fuß.
Stünde das Altersheim in Bielefeld, wäre das total witzig!
Aber das geht ja nicht, wegen dem Bus. Schade, eigentlich.
Aßerdem: Karl sagt, es seien nur zwanzig Minuten zu Fuß.

Wer hat den Alten denn das eingeredet?
Klingt ziemlich verdreht, den, und das denn an der falschen Stelle.

Sie beschließt, die Chefin aufzusuchen, um nachzufragen, ob das wirklich stimmt und warum sie nichts davon wusste.
ob das wirklich stimme und warum sie nichts davon wisse. Aber ich wollte was ganz anderes: Ich habe diesen Satz mal als herausragendes Beispiel ergriffen.
In Humortexten finde ich dieses Phänomen sehr oft. Da werden Sätze hingedrechselt, die fernab jeder Vernunft und flüssiger Vermittelbarkeit sich zerstückelnder Weise aufplustern.
Du musst selbst entscheiden (wie auch über alle anderen Hinweise), ob das so bleiben soll.
Wenn man nicht drauf verzichten will, würd ich für solche Konstruktionen nicht die Erzählerstimme missbrauchen, sonder eine Figur so seltsam reden lassen. Das könnte, geschickt angewandt und eingearbeitet, witzig sein, meine ich.

„Schauen wir uns jetzt Bären an oder gehen wir uns Speere angucken?“
Lustig, ja, aber dieses „angucken“ verhagelt es irgendwie, das klingt nicht.
Vielleicht noch einen draufsetzen?
„Gehen wir jetzt Bären schauen oder Speere klauen?“

von dem großen Ausflug, den das Heim geplant hat. Da kommen auch schon fünf weitere Senioren aus dem Altersheim gestürmt und machen sich auf den Weg zur Bushaltestelle.
Edgar schaut: Emden, Hamburg, Norden. Nirgendwo steht „Meer“. Inzwischen hat Pflegerin Agtha von dem Vorfall berichtet und nun ist auch die Chefin in großer Aufregung. Die hauen
Wenn der Schauplatz wechselt, ist mindestens eine neu Zeile (oder Absatz) angebracht.
„von dem großen Ausflug, den das Heim geplant hat. Da kommen auch schon fünf weitere Senioren aus dem Altersheim gestürmt und machen sich auf den Weg zur Bushaltestelle.
Edgar schaut: Emden, Hamburg, Norden. Nirgendwo steht „Meer“. [neue Zeile]
Inzwischen hat Pflegerin Agtha von dem Vorfall berichtet und nun ist auch die Chefin in großer Aufregung. Die hauen“

Verärgert stapft Winfred die Treppe hinauf zurück in sein Zimmer. So ein Ärger!
Verärgert und Ärger

Ich habe nur einen Flüchtigkeitsfehler entdeckt, es war bei Agatha. Ein paar Zeichenfehler sind noch locker verteilt im Text, meist Kommafehler.

Lieben Gruß

Asterix

 

Hallo Roxas,

auch mir hat deine Geschichte gefallen. Der Humor hat so viel Leichtigkeit und Empathie. Die Pointe finde ich gelungen.

Gleichzeitig finde ich, dass sie noch sehr ausbaufähig ist:
Zum Einen, da bin ich ganz auf Gwen Dolyns Seite, könnte das Thema "Senioren" sich mehr in der sprachlichen Ausdrucksweise wiederfinden.
Zum Zweiten hätte ich mir gewünscht, dass es im Verlauf der Geschichte immer haarsträubender und chaotischer wird. Wie eine Windböe, die langsam Fahrt aufnimmt und sich zu einem Orkan auswächst. Da geht noch was! :D
Ich stelle mir gerade vor, wie Eine(r) anfängt, Anekdoten auszupacken, hierdurch mehr Missverständnisse und dadurch vielleicht spielerische Streitgespräche entstehen, Jemand das Kommando an sich reißt, dann aber nicht mehr weiß, was er wollte, vielleicht von einem anderen Senioren wieder daran erinnert wird, z.B. aber in verdrehter Form und so weiter und so fort.
Das sich hochschraubende Szenario könnte sich auch z.B. dann im Satzbau wiederfinden und mit dem Blick auf das nicht vorhandene Meer ganz plötzlich zur Ruhe kommen. Bis schließlich Einer vorschlägt, essen zu gehen. Und ein Anderer fragt, wo denn Winfred sei.

In jedem Fall hast Du mit deiner Geschichte mein Kopfkino angeknipst!
Danke dafür, das hat Spaß gemacht.

Viele Grüße,
Saugnapf

 

Vielen vielen Dank für die schönen und anregenden Anmerkungen zu meiner Kurzgeschichte :) Ich freue mich sehr über die positive Bewertung des Textes an sich. Ich habe mir vorgenommen, viele eurer Ideen in die Tat umzusetzen und werde mein Werk in den nächsten Tagen überarbeiten.

Viele liebe Grüße! :)

 

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