Was ist neu

Windhauch

Mitglied
Beitritt
11.01.2004
Beiträge
1

Windhauch

Windhauch

Die Berge. Die frische Luft aus meiner Heimat. Leiser Schneefall. Knirschende Schritte. Ich vermisse sie. Und doch weiss ich, dass mir noch viel mehr fehlt. Gefühle, Herzklopfen und Purzelbäume, alles wild durcheinander. Leben und spüren. Wo ist das alles verloren gegangen?
Ich möchte vom Wind fortgetragen werden. Irgendwo dorthin, wo ich all diese Gefühle wieder finden kann. Dort, wo sie auf mich warten. Dort, an jenem Ort, wo ich sie irgendwann einfach liegen gelassen habe. Vergessen habe wie schön das Leben doch sein kann. Auf und ab, mittendurch, fliegen und fallen. Aufstehen, Tränen wegwischen und dem Leben entgegen.
Immer wieder und immer wieder...
Ich laufe, der Regen peitscht mir ins Gesicht. Es ist herrlich zu laufen. Endlos rauscht der Wind über die Felder. Streichelt und umkost jeden Büschel Gras. Es ist eine wunderschöne Melodie. Die nackten Äste der Bäume scheinen gierig nach jedem Windstoss zu greifen. Wild und scheinbar ziellos schwingen sie mit. Braune Arme mit endlosen Fingern. Schliesse ich die Augen, könnte meinen ich sei am Meer und höre die Brandung rauschen. Sehe den Vögeln nach und beneide sie aus tiefstem Herzen. Sie spielen mit dem Wind. Weit oben jagen sie auf Wellen aus Wind dahin. Still und mit so viel Anmut. Ich bleibe stehen. Regentropfen und Tränen vermischen sich. Mein Herz weint leise. Still breitet sich ein Schmerz in mir aus. Es tut weh. Weh zu spüren, dass ich mein wichtiges in mir selbst verloren habe. Die Liebe und Geborgenheit, die ich so tief vermisse. Einst so tief empfunden, einst so tief vertraut und verbunden, ohne Worte. Heute – mit noch weniger Worten – davon geschwebt. Im Alltag untergegangen. Eine weitere Schlagzeile im Irrsinn dieser Welt. Einer Welt, der ich doch immer wieder entfliehen kann. Ich muss es einfach tun. Manchmal. Weggetragen von einem Windhauch, empor heben in eine Welt, die ich immer noch nicht gefunden habe. Meine Welt.
Irgendwann werde ich sie entdecken.
Der Weg vor mir biegt in den Wald hinein. Das Rauschen hoch in den Wipfeln ist beruhigend und macht gleichzeitig Angst. Allein zu sein. Stille und Rauschen. Der kleine Waldvogel schlägt Alarm. Ich dringe in sein Zuhause ein. Ein Störenfried möchte ich nicht sein. Nur kurz in seiner Welt meine Welt finden. Nur für einen kurzen Augenblick, an einem Nachmittag im Januar. Der nahe Fluss ruft mich. Egal was nebenan geschieht, egal wie und wo. Sein Weg ist vorbestimmt. Flüsternd zieht er dahin. Immer stetig und gleichmässig wie tausend und abertausend aneinander gewobene Fäden glitzert und murmelt er in seinem Bett. Grün und endlos. Für einen Moment wünsche ich mir ein klitzekleines Tröpfchen von diesem Grossen zu sein. Dahinzugleiten, mitgetragen zu werden. Irgendwohin.
Am anderen Ufer zwei Schwäne. Schneeweiss in diesem trüben Meer aus braun, grün und grau. Einen Augenblick wie aus einem Traum. Ich beobachte sie still, wärme mein Herz bei ihrem Anblick einwenig auf. Muss Liebe schön sein. Sie haben sich ein schönes Plätzchen ausgewählt und ich möchte sie auf gar keinen Fall stören. Obwohl ich sie anstrahlen möchte, sie so schön anmutig anzuschauen sind. Der Regen hat sich verzogen. Ich schaue nach oben. Bin erstaunt wie schnell die Wolken über mir dahin fliegen. Fast kann ich nach ihnen greifen. Ich stelle mir wilde Pferde vor. Die Wolkenfetzen sind fliegende Mähnen. Das endlose Rauschen des Windes die Triumphschreie ihrer Freiheit. Ich lehne schon längst an einem alten Baum an. Wilde und ungezähmte Windböen wirbeln mir Haare ins Gesicht. Trocknen die Tränen. Ein Wintersturm aus Wolken und wilden Pferden zieht über mich weg. Endlos, unbekümmert, einem unbekannten Weg folgend. Und da - wie eine Oase in der Wüste öffnet sich über mir am Himmel plötzlich ein blaues Fenster. Ich staune, nein, ich blinzle. Ist das ein grandioses Schauspiel. Staunend stehe ich da, ein kleiner Statist in diesem Universum aus Farben, Licht und Klang. Wie gerne würde ich jetzt meine Arme zu Flügeln verwandeln und in diese Endlosigkeit hineintauchen! Mit weit ausholenden Schwingen emporziehen, immer weiter, immer höher. In die Welt des Windes. Einen Windhauch lang...

 

hallo,
ich habe deinen text gelesen, und finde in ihm sehr viele schöne bilder, und eine person, die von einer so tiefen sehnsucht durchdrungen ist, das mich das sehr berührt. so viel weltschmerz steckt da drinne, und auch hilflosigkeit, die ich selbst kenne. wie der erzähler den vogel beneidet, weil er fliegen kann..., sehr schön!
liebe grüße von der ostsee
sebastian

P.S: les doch mal meinen text "die Raben können fliegen", da beneidet auch jemand die vögel, jedoch mit einem schlimmen ende...

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom