Wille der Vergangenheit
London, 1834
Das große Gespann kam langsam zum stehen und der warme Atem der Pferde quoll schnaubend aus ihren Nüstern, hinein in die regnerische und kühle Nacht. Sie schüttelten ihre langen Köpfe und der Schweif des linken Brauen verjagte die wenigen Fliegen, die sich noch in den Straßen Londons tummelten. Sie waren aufgeweicht, ein Fluss aus Dreck und Matsch, der den säuerlichen Geruch von Unrat verbreitete.
Der am Firmament stehende Sichelmond spendete nur wenig Licht und so kämpften die wenigen Laternen in diesem Viertel mit ganzer Macht gegen die Dunkelheit an. Ihre Flammen zitterten und schlugen, aber die Nacht hielt ihnen stand und würde den Sieg bis zum Morgen davongetragen haben.
Die Tür des Wagens öffnete sich und ein Mann mittleren Alters stieg aus dem Wagen aus. Seine schweren Stiefel gruben sich tief in das nasse Erdreich, denn seit Wochen regnete es unaufhörlich. Auf seinem Kopf saß ein grauer Hut, den er sich tief ins Gesicht gezogen hatte, um dem Regen Widerstand zu leisten. Aus dem selben Grund trug er einen weiten Umhang, dessen fransendes Ende über den Boden schleifte.
Das Gespann fuhr davon, als sich der Mann in einer merkwürdigen Gelassenheit der Tür zum Gasthaus näherte. Sein linker Arm kam unter dem langen Mantel hervorgekrochen und drückte die Klinke der hölzernen Eingangstür herunter. Ein warmer Schwall abgestandener Luft schlug ihm entgegen, doch im Vergleich zu den draußen herrschenden Gerüchen war dies rein gar nichts.
Er trat ein und schlich auf die Theke zu, wobei sein Mantel eine nasse und dreckige Spur über den Boden zog. Neugierige und misstrauische Blicke folgten dem Fremden auf seinem Weg, den er sich mitten durch die anderen Besucher bahnen musste. Einige Öllampen spendeten trübes Licht und halfen dabei die Temperatur des Raumes auf ein erträgliches Maß zu bringen.
Geschwätz und Gelächter verstummten, als der Fremde mitten in seiner Bewegung innehielt und sein Gesicht anhob, so dass seine Augen unter dem Hut hervorschauten. In ihnen lag ein rötlicher Schimmer, so als brenne hinter seinen Augen ein Feuer. Die anderen Gäste wendeten sich ab und versuchten nicht einmal mehr an den Neuankömmling zu denken, denn in letzter Zeit gingen Gerüchte in den Gassen Londons um. Gerüchte über einen Dämon, der die Seelen seiner Opfer verschlingt.
Der Mann schaute sich ruhig um, betrachtete die schweren Eichenbalken, welche die Decke stützten, sah sich die Menschen an; ihre dreckigen Gesichter – Bilder ihrer Armut.
Hinter der Theke stand ein alter Mann, der einen gewaltigen Bauch vor sich hertrug und dessen fettige Haare bis zu den Ohren reichten. Der Unbekannte trat heran, nahm seinen Hut ab und streifte sich durch sein langes, schwarzes Haar, dass sich wie Wasser über seine Schultern ergoss. Regen tropfe von seiner Kleidung und um ihn herum entstand eine kleine Pfütze, in der sich die Umrisse des Raumes spiegelten. Er selbst war nur als grotesker Schatten irgendwo am Grund zu erkennen, so als spiegele ihn nicht die Wasseroberfläche, sonder dass Nass selbst.
Er beugte sich nach vorn über und nur ein leises Flüstern kam über seine Lippen, die sich unterdessen kaum bewegten.
„Eine Nacht.“ Seine Stimme war tonlos, ohne Charakter.
Wie gebannt starrte der Wirt in die brennenden Augen, nicht dazu fähig dem Mann zu antworten. Noch bevor er sich diesem Blick entziehen konnte drehte sich die Gestalt von ihm weg. In einer einzigen Bewegung nahm er den Schlüssel von der Theke, der nun dort lag, setzte sich seinen Hut wieder auf und verbeugte sich vor der verstört dreinblickenden Gästeschar, die ihre Scheu bereits wieder verloren hatte. Desorientiert und verwundert stand der Wirt hinter der Theke; dachte darüber nach, ob er den Schlüssel selbst rausgegeben hatte und ob der Ankömmling vielleicht der Dämon sei, von dem alle redeten. Er nahm all seinen Mut zusammen und rief: „Wer seid ihr.“
Die Antwort war erneut dieses Flüstern, vom Wind getragen. „Mein Name ist Dougherty. Mir gehört die Metzgerei am anderen Ende der Els-street.“
Überrascht wandte sich der Wirt mit einem vielsagendem Blick an die Gäste, deren besorgte Mienen sich langsam beruhigten, auch wenn niemand diesen Namen und diese Metzgerei kannte. London war schließlich groß.
Dougherty stieg die Treppe hinauf in den ersten Stock, während jede einzelne Stufe unter seinen Schritten knarrte. Als er die erste Biegung hinter sich brachte sah er eine junge Frau. Eine Bedienstete, die auf den Knien hockte und das Holz der Treppe mit einem großen Schwamm abschrubbte. Einige blonde Haarlocken schauten unter ihrem schweißdurchtränkten Kopftuch hervor und ihr wohlgerundeter Körper bewegte sich rhythmisch auf und ab.
Erneut entfernte der Fremde seine Kopfbedeckung und ließ sich neben ihr nieder. Seine Haltung war abwartend und lauernd und als sich schließlich ihre Blicke trafen, war die Reaktion der Bediensteten, nicht die, welche ihrem Gesellschaftsstand angemessen war. Ohne jede Schüchternheit, ohne jedes Zeichen von Respekt schaute sie direkt in die Augen des Mannes, doch nicht wie der Wirt es getan hatte, sondern in ihrem Blick lag Faszination und eine merkwürdige Vertrautheit, so als würde sie den Besucher kennen. Dieser ging nun weiter, lies die Frau hinter sich und betrat sein Zimmer, dass am Ende des Flures lag. In ihm wartete schon die Person, wessen er gekommen war.
London, 1999
„Morgen? Selber Ort? Selbe Zeit?“ Migo hatte Probleme, die Wörter einigermaßen flüssig herauszubringen, da seine Lunge immer noch nach Sauerstoff flehte. Seine Kehle brannte und kleine Lichter tanzten vor seinen Augen.
„Aber natürlich!“ Mit einem Lächeln auf den Lippen joggte Katarina weiter und lies ihren neuen Laufpartner erschöpft auf dem Treppensims zurück, dem der Schweiß aus allen Poren rann. Sein rasierter Kopf glänzte in der Sonne, während sein kleiner Ziegenbart als eine Art Trichter fungierte, der den Schweiß erst sammelte und dann in einem Rinnsal nach unten beförderte.
Völlig ausgelaugt kramte Migo in seiner Sporthose nach dem Haustürschlüssel, fand ihn jedoch erst nach einigen Sekunden, da er während es Laufens seinen angestammten Platz verlassen hatte und sich durch ein kleines Loch im Stoff auf und davon gemacht hatte. Im Haus war es kühl und jedes Mal, wenn er es betrat überkam ihn ein Gefühl der Zufriedenheit. Vor einem Jahr fand er bei einer Internetauktion dieses Gebäude und gegen seine Art bot er mit. Warum er schließlich den Zuschlag erhielt, verstand Migo bis heute noch nicht, da er nicht gerade den höchsten Betrag geboten hatte und das Haus in seiner Pracht und vor allem in seinem historischen Wert über alles erhaben war. Irgendwann erbaut zwischen 1794 und 1800 beherbergte es bis zu dem Vorfall von 1834 ein Gasthaus. Danach zerfiel das Gebäude und wurde schließlich 1966 unter großem Aufwand renoviert. Die Geschichte erzählt von einem Wahnsinnigen, der damals durch London zog und Menschen regelrecht abschlachtete, um ihre Seelen zu erbeuten. An einem Oktoberabend soll dann dieser Dämon hier abgestiegen sein und sich selbst hingerichtet haben. Ein Schauermärchen in bester englischer Tradition.
Migo streifte sich das nasse t-shirt vom Leib, zog seine weißen Sportschuhe aus und stieg über die metallene Wendeltreppe nach oben, wo sich mehrere Schlafzimmer, und noch wichtiger, das Bad befand. Doch die dringend benötigte Dusche musste noch eine Weile warten, da die Schelle des Telefons einen Anruf ankündigte. Migo hatte keine Lust die Treppe wieder nach unten zu steigen, also nahm er das Gespräch in seinem Schlafzimmer an. Mit verbissener Miene, da all seine Glieder schmerzten, rannte er durch den Flur und öffnete die Tür.
In jenem Augenblick, als er den Raum betrat, verklang das Schellen und alles lag in einer unheimlichen Stille vor ihm. Der Anblick seines Zimmers glich einem Bild, denn alles wirkte leblos, der Zeit entrissen. Kein Vogel zwitscherte, kein Staubkorn schwebte durch die Luft. Nicht einmal ein kühler Luftzug war zu spüren, obwohl das Fenster weit geöffnet war.
Er verfiel in eine Art Trance, glich sich der Situation an und war fortan nicht mehr Teil der Realität. Es war, als bewegte er sich in einem leeren Raum, in der nur eine Stimme gegenwärtig war. Ein Flüstern aus der Vergangenheit. Die Stimme schien von überall zu kommen, doch er verstand sie nicht und mit einem Mal tauchten zwei brennende Augen aus der nicht existierenden Dunkelheit auf.
London, 1834
Dougherty streifte den vor Nässe strotzenden Mantel ab und hing seinen Hut an einen Hacken in der Wand. Seine Augen leuchteten in der Düsternis des Zimmers noch heller und seine herbes Gesicht war gezeichnet. Es waren jedoch keine Narben oder Falten, sondern die Sehnsucht selbst, die ihre Spuren in seine Miene gezogen hatte. Dieser Mann brannte vor Verlangen, von einem Willen durchtrieben, einem Wunsch nachjagend, der kurz vor seiner Erfüllung stand.
„Du hast dich verändert. Als hätte dich dein eigener Wille, dein eigen Begehr in den Abgrund getrieben.“ Die Stimme kam aus dem Nirgendwo, doch Dougherty wusste, wer sich mit ihm zusammen im Raum befand. Und als hätte der Unsichtbare seine Gedanken gelesen, tauchte aus dem Nichts ein Körper auf. Eine Projektion eines Körpers, ein Schemen, ohne Konsistenz, so das der Blick durch ihn hindurch drang. Der Geist besaß keine menschlichen Züge, lediglich seine Form erinnerte noch entfernt an das, was er einmal gewesen war.
„Nun ist es endlich so weit, was? Spürst du, wie die Gier nach der Unendlichkeit dein Herz zerreist. Die kalten Finger, die deine Seele umfassen und sie für sich beanspruchen. Sie fühlen es. Sie fühlen, dass du ihnen entrinnen wirst. Ich weiß, wie es sich anfühlt, denn einst mussten diese Finger auch mich laufen lassen.“
Der Fremde bleib regungslos, betrachtete abschätzig den Geist, der vor ihm auf dem Bett saß und anscheinend nach draußen blickte. Hinaus in den Regen und in die Nacht, die beide immer mehr an Macht gewannen, so dass sämtliches Licht vor ihnen weichen musste.
„Ich erinnere mich noch, als du das erste Mal hierher kamst. Ein eingebildeter, kleiner Wichtigtuer, dem die Vergänglichkeit den Verstand raubte. Angst vor dem Tod. Angst vor dem was da kommen mag. Du warst wie ich früher und durch diese Sympathie erzählte ich dir von einem Weg. Von einem Weg die ewige Jugend zu erlangen. Sofort hatte ich deine ganze Aufmerksamkeit und dein Interesse war geweckt, doch erst solltest du mir helfen. Du solltest mich töten, da nur der Tod einem die Ewigkeit schenkt.
Wie du dich ziertest. Wie ein kleines Kind. Doch dein eigener Wille war schwach und die Enttäuschung des Lebens war zu groß und so griff deine Hand das Messer und nahm mir das Leben.
Und nun sieh, was daraus geworden ist. Ich bin ein Geist, gebunden an den Ort, wo einst der Mensch, der ich einmal war, starb. Ist dies, was ich mir wünschte? Nein.
Doch der Tod bricht die Grenzen des menschlichen Seins und ich entdeckte Wege die göttlichen Regeln ein weiteres Mal zu durchbrechen. Und diesen Weg zeigte ich dir auf, denn ich hatte dir das ewige Leben versprochen.
Was musstest du also tun? Du brauchtest viele Leben, viele Seelen, die dir die Kraft geben sollten, dir die Zeit untertan zu machen. Um sie zu bezwingen, um dich aus ihr zu lösen brauchst du drei Opfer. Eins in der Vergangenheit. Eins in der Gegenwart und eins in der Zukunft. Zwei davon erhältst du von mir. Ich bin die Vergangenheit. Du nahmst mich bereits aus dem Leben. Die Zukunft reiche ich dir auch, denn dieses Zimmer ist der Ort für meine Ewigkeit. Ob heute oder morgen spielt keine Rolle.
Doch die Gegenwart braucht ein spezielles Opfer. Es ist dein Blut, was fließen muss und erst an dem Tag, an dem das Opfer der Zukunft stirbt wirst du wieder erwachen und die Zeit dir Untertan gemacht haben.“
„Ich kenne die Prozedur. Lass uns beginnen!“
Dougherty kniete sich auf den harten Dielenboden und ließ seinen Körper nach hinten sinken. Seine Augen entflammten unter den fremdartigen Sprüchen des Geistes. Flammen reiner Energie schlugen heraus und züngelten sich bis zur Zimmerdecke empor. Der Regen wurde stärker und die Dunkelheit nahm eine Form der absoluten Schwärze an, so dass ein Blick durch das Fenster einem Blick in das ausschließliche Nichts glich. Das Zimmer wurde aus der Zeit gerissen und die Seelen der Toten schrieen um Hilfe, flehten nach Erlösung, als sie im Strudel des vergangenen, des zukünftigen und des gegenwärtigen untergingen. Das Zimmer wurde hell, es war Tag und ein Mann mit Glatze und Kinnbart erschien aus der zeitlosen Zukunft. Dougherty konzentrierte sich und starrte die Person aus roten Augen an, während er die Wörter flüsterte, die weder Zeit noch Raum kannten.
London, 1999
Angst griff wie eine große Hand nach ihm und die Erkenntnis des teuflischen erschlug ihn mit ungeahnter Macht. Migo war gläubig und sein ganzes Leben führte er nach den Grundsätzen der göttlichen Lehre, doch was hier geschah, verlief nicht länger in diesem Rahmen. Es war etwas anderes und nur das Böse selbst konnte die Macht aufbringen die ureigenen religiösen Gesetzte außer Kraft zu setzten. Vielleicht war es sein Schicksal, denn mit diesem Ereignis fand er die Antwort auf eine Frage, die er sich schon seit langem stellte. Gibt es mehr? Er sollte dankbar sein, doch das Gefühl der Erfüllung wollte sich nicht einstellen, denn der Wille der fremden Macht, sein Leben auszulöschen, war deutlich spürbar und trotz der vorherrschenden Leere allgegenwärtig. Das Flüstern drang nicht länger aus dem Nichts, nicht länger aus der Richtung dieser Augen, sondern direkt aus seinem Kopf. Es wurde ein Teil von ihm und gewann langsam auch die Kontrolle über seinen Körper. Er spürte die Gedanken und Gefühle von vielen. Sie riefen nach Hilfe, doch ihre Seelen waren gefangen und dazu verdammt durch den Willen eines anderen, nie den Himmel zu sehen. Und genau so würde auch seine Seele verschlungen. Nicht einmal die Hölle würde sie bekommen, sondern ihre Existenz würde einfach beendet.
Migo versuchte sich zu wehren. Sein ganzes Sein und seine ganze Kraft gegen das Fremde aufzuwerfen, doch es gelang ihm nicht, die Fesseln, welche ihn mittlerweile wie unzählige Arme umschlangen, zu lösen, zu durchtrennen.
Ihr Geist wurde zu einem und Migo erkannte die Absicht des Dämons, sein Ziel und das, was getan werden musste um es zu erreichen. Es war keine Bestimmung, dass er das Opfer werden sollte, sondern nur Zufall und es widerstrebte ihm zutiefst, dass lediglich der Umstand seines Daseins, seiner Anwesenheit zu dieser Zeit an diesem Ort, sein Schicksal bestimmen sollte. Es war keine Bestimmung, also konnte er sich dagegen wehren...
London, 1834
Etwas stimmte nicht, denn die erbeuteten Seelen trieben immer schneller aus Doughertys Körper hinaus. Sie wurden verzehrt, weil die Zukunft sich wehrte. Im Körper dieses Mannes bäumte sie sich auf, kämpfte gegen den Willen der Vergangenheit und beanspruchte seine gesamte Konzentration und seine gesamte Macht. Langsam fand sich sein Körper wieder in der Zeit zurück und die ersten Spuren der Alterung wurden sichtbar. Seine Haut trocknete in Zeitraffer, verlor an Spannkraft und Farbe. Die langen Haare gingen zu Boden und wandelten sich noch in der Luft, bevor sie auf den Boden niedergingen, zu grauen und dünnen Strähnen.
Dougherty schrie. Die Anstrengung forderte ihn, wie nie etwas zuvor und das Feuer in seinen Augen begann zu erlöschen. Der Geist an seiner Seite begann zu flackern und die Zeit begann wieder zu laufen. Das Leben kehrte zurück und der Kontakt in die Zukunft schwand dahin, wie die Jugend des Fremden.
London, 1999
Sein Glaube und sein freier Geist waren die Waffen, die er in dieser Schlacht einsetzen konnte und dieses Waffen waren es, die den Dämon in seine Schranken wiesen. Staub wirbelte im frischen Wind durch die Luft und der Schweiß auf seiner Haut begann wieder zu fließen. Die Tropfen, die eben noch wie festgefroren an ihm hingen, fielen nun platschend zu Boden.
Noch einmal. Nur noch einmal schrie er und fokussierte seinen ganzen Verstand, seine eigene Seele auf die trüben, roten Augen die jetzt um ihr Leben kämpften, wie Migo es eben getan hatte. Sie verschwanden, die Erde drehte sich weiter und der Traum war vorüber...
Migo wischte sich den Schweiß von der Stirn und versuchte einen klaren Kopf zu bekommen. Hatte er geträumt? Es musste ein Traum gewesen sein!
London, 1834
Erschöpft brach der alte Mann im Zimmer zusammen, nicht mehr genug Kraft sich auf den dünnen Beinen zu halten, während der Schemen sich über den geschundenen Körper neigte.
„Du hast es nicht geschafft. Soviel habe ich dir gezeigt und soviel habe ich dir gegeben.“
Dougherty stemmte sich nach oben. „Es ist noch nicht vorbei!“
„Doch das ist es. Sieh dich nur an. Was trennt dich nun noch länger vom Tod?“
„Deine Seele! Ich werde dich befreien.“
Der Geist stieb zurück und genau in diesem Augenblick riss eine unsichtbare Macht an der Manifestation der Vergangenheit, an dieser Seele, die schon so lange überdauerte.
Rote Augen glühten wieder auf, Falten verschwanden und der Geist war fort. Befreit aus seinem Gefängnis und eingeschlossen im Leben des Dämons.
Er verlies den Raum, ging die Treppe hinab und baute seinen alten Körper in der Mitte des Saales auf. Frauen kreischten und Männer warfen sich nervöse Blicke zu. Es war der Dämon vor dem sie sich so fürchteten. Die Augen eines Teufels und die verfallene Gestalt eines Toten.
Unter ihnen war auch das junge Dienstmädchen, das in jenem Augeblick in den Armen des Wirtes lag. Dougherty schlurfte auf sie zu und zückte ein Messer aus seinem Gürtel, dessen Klinge nur wenige Augenblicke später in der Brust des Schmerbäuchigen verschwand. Man sah das Leben, wie es aus seinem Körper entwich, wie es einer Flamme gleich erlosch. Doch seine Seele fuhr nicht gen Himmel und auch nicht gen Hölle, sondern in die Augen des Dämons, der die blutende Klinge mittlerweile seinen eigenen Arm hinaufführte.
„Ich bringe dies zuende. Es ist mein Schicksal.“ Nur ein Hauchen, nicht einmal mehr ein Flüstern.
Der kalte Stahl blitzte noch einmal auf und das Blut des Dämons wurde vergossen.
London, 1999
Was für ein Traum. Wie konnte man bloß so etwas träumen.
Und in diesem Augenblick, als Migo begann sich damit abzufinden, dass die ganze Geschichte nur eine Ausgeburt seiner Fantasie sein konnte, wurde die Tür von Außen aufgestoßen. Holz splitterte und die Scharniere sprangen aus ihren Halterungen, so dass die massive Tür krachend zu Boden ging. Hindurch trat ein Mann mittleren Alters, dessen lange, schwarzen Haare sich wie Schlangen um seine Schultern wanden. Glühend rote Augen starrten Migo an und er erkannte den Dämon, der bis eben nur in seinem Traum existierte.
„Wie kann das sein? Der Zyklus wurde unterbrochen.“ Migo erinnerte sich an die Geschichte des Hauses. „Du hast dich selbst hingerichtet. Dein Wahn hat dich in den Tot getrieben, ohne das du die Bedingungen der Ewigkeit erfüllt hattest.“
Ein Windstoß trug die Stimme des Dämons heran.
„Du irrst. Der Zyklus läuft; nur länger als gewollt. Und ich lebe wie du siehst, denn es war zwar mein Blut, dass vergossen wurde, aber nicht das meine.“
Ratlos blickte Migo die Gestalt vor ihm an.
„Es war meine Tochter. Mein eigen Fleisch und Blut; die starb. Sie war ein Dienstmädchen hier, vor vielen Jahren und ihr Tod, schenkte mir die Möglichkeit den Zyklus zu vollenden.“
Migo begriff. Er hatte seine eigene Tochter getötet. Damit waren die Bedingungen erfüllt und die Regeln nicht gebrochen. Er konnte sein Werk beenden.
Ein altes Messer trieb in ihn hinein. Wie Papier wurde Haut und Muskeln durchtrennt, um schließlich im Herzen eine klaffende Wunde zu hinterlassen, aus der das Leben selbst trieb. Migo spürte, wie er Schwand, wie seine Seele im Dämon verging und wie die Zeit an Bedeutung verlor.
Vor Dougherty ging der Körper nieder und schnell breitete sich eine große Blutlache um seine Füße aus. Er spürte die Energie, die Macht, die ihm nun geschenkt wurde. Sein Körper war nicht länger an die Zeit gebunden. Sein Verlangen wurde gestillt und die Ewigkeit erwartete ihn. Doch etwas war anders als in seinen Vorstellungen, denn die Welt um ihn hielt an. Alles war ohne Bewegung, ohne Leben. Es war still und Dougherty erkannte das Ausmaß seiner Handlung. Er hatte die Ewigkeit, aber er war in ihr gefangen, denn ohne die Zeit konnte kein Leben existieren.