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Will B. Funny (2) - Der Schutzengel
Ein Traum. Ich war sicher, dass es sich um einen Traum handeln musste, dennoch schaffte ich es nicht aufzuwachen. Wohin ich auch sah, ich war von Maiskolben umgeben, in einem Maisfeld, das nicht enden wollte. Ich lief in eine Richtung, nur um kurz darauf herumzuwirbeln und in die andere Richtung zu laufen. Es nahm einfach kein Ende. Ich konnte meine Verfolger hören. In unmittelbarer Nähe hinter mir knackste und knirschte es, sie riefen nach mir, streckten ihre ekligen Klauen nach mir aus und kicherten wie verrückt. Ich lief und lief und lief. Da! Ein Trampelpfad! Führte er aus diesem elenden Dickicht heraus? Ich bog schnell ein und rannte um mein Leben. Mein Herz schien in meiner Brust zu zerreißen. Wieso lief ich eigentlich davon? Wer waren meine Verfolger? Es lag mir auf der Zunge, aber ich hatte keine Zeit zum Denken. Vor mir wurde eine Lichtung sichtbar. Jemand hatte den ganzen Mais umgemäht. Ich erreichte das gerodete Feld und blieb keuchend stehen um mich umzusehen. Es war eine Sackgasse! Ich hörte meine Verfolger durch den Mais stapfen, hörte wie sie meinen Namen kreischten, immer und immer wieder.
„WILL! WILL! WILL! WILL!“
Schweißgebadet schreckte ich hoch. Desorientiert blickte ich mich um. Wo zum Teufel war das Maisfeld? Wo waren die Typen, die ich nicht abschütteln konnte? Langsam dämmerte es mir. Ich war auf der Couch in meinem Büro eingeschlafen und hatte schon wieder diesen elenden Albtraum gehabt.
Schnaufend setzte ich mich auf und fuhr durch mein schweißnasses Haar. Auf dem Tisch neben mir befand sich mein Tabak und die Streichhölzer. Mit zittrigen Händen drehte ich mir eine Kippe, steckte sie mir in den Mund und hielt ein angeriebenes Streichholz darunter. Es knisterte, als die Spitze der Zigarette mit dem Feuer in Berührung kam. Gierig sog ich den Rauch ein und lehnte mich zurück.
Seit Susan Belfort’s Fall waren mehrere Monate vergangen. Dennoch verfolgten mich die Ereignisse von damals. Ein paar Schläger von Victor Belfort, Susan’s Mann, hatten mich in ein Maisfeld verschleppt und mir eine Kugel in den Oberschenkel verpasst. Durch den Schmerz hatte ich das Bewusstsein verloren, nur um in einem Krankenhaus aufzuwachen. Ich hatte bis heute nicht herausgefunden, warum sie mich nicht fertig gemacht hatten. An die Zeit im Krankenhaus konnte ich mich nur vage erinnern. Offensichtlich hatten mir die Ärzte ein starkes Schmerzmittel verabreicht um mich ruhig zu stellen. Als es mir besser ging, habe ich in einem günstigen Moment einfach die Biege gemacht und bin in einem Nachthemd zurück in mein Büro. Scheinbar war es niemandem aufgefallen, dass ich gegangen war. Oder vielleicht war es ihnen auch egal scheissegal gewesen.
Der Fall hatte sich dann im Prinzip von selber gelöst. Susan hatte Recht gehabt. Victor, ihr Ehemann, hatte von ihrem Verhältnis zu Helga, der deutschen Haushälterin Wind bekommen und einen seiner Schläger, einen gewissen Guy Whistler, damit beauftragt, sie aus der Stadt zu schaffen und ihr an einem einsamen Plätzchen die Birne wegzupusten. Offensichtlich hatte Victor keine Ahnung gehabt, dass Guy bis über beide Ohren in die Haushälterin verknallt war. Er hatte es nicht übers Herz gebracht, seine Angebetete abzuknallen. Stattdessen hatte er sich mit ihr in einen Bus gesetzt und war einfach aus der Stadt verschwunden. An dem Tag, an dem ich in dem Maisfeld fertig gemacht worden war, hatte ich einen Anruf von Helga erhalten, sie wollte sich mit mir treffen. Ich hatte es nicht zu dem Treffen geschafft und stattdessen mit ein paar Killern Ringelpiez mit Anfassen in besagtem Maisfeld gespielt. Wie ich später herausfand, hatte Helga Guy in einem Motel außerhalb der Stadt mit einem Schlafpulver in seinem Drink außer Gefecht gesetzt. Guy hatte ihr alles über seinen Auftrag erzählt. Da sie den Rest ihres Lebens auf keinen Fall mit so einer Pfeife wie Guy Whistler verbringen wollte, hatte sie sich entschieden ihn loszuwerden und mich zu treffen um mir alles zu erzählen, was sie wusste.
Victor Belfort war ein Schwein, soviel war sicher! Nicht nur, dass er Helga gezwungen hatte, mit ihm zu schlafen, er hatte, als er von Susan’s Verhältnis zu ihr erfuhr, auch beschlossen sich für immer von Susan zu trennen. Ein Scheidungsanwalt sollte dabei jedoch keine Rolle spielen. Ich kann einfach nicht fassen, was manche Männer ihren Frauen anzutun bereit sind. Wie auch immer.
Nach meiner Flucht aus dem Krankenhaus hatte ich es geschafft, mich mit Helga zu treffen. Sie hatte Susan kontaktiert, die ebenfalls erschienen war. Sie war überglücklich Helga wieder zu sehen, die beiden fielen sich in die Arme und küssten sich. Ich kann nicht behaupten, dass mich dieser Anblick besonders abgestoßen hätte. Danach hatten wir zu dritt alles besprochen. Helga hatte eingewilligt, gegen Victor Belfort auszusagen. Ich war sicher, dass Guy Whistler nach seiner Verhaftung nur allzu bereit sein würde, ihre Aussage zu bestätigen. Damit war der Fall gelöst. Ich hatte in weiser Voraussicht eine Flasche Scotch mitgebracht, die wir in diesem kleinen Hotelzimmer zu dritt leerten. Was soll ich sagen? Ich hatte doch versprochen, die zwei Schnallen gleichzeitig flachzulegen, oder? Noch tagelang konnte ich nicht fassen, wozu Helga mit einer Shampooflasche und ihrem Mund fähig war. Kaum zu glauben, dass ich sie auch noch mit Zunge geküsst hatte. Aber, na ja, im Eifer des Gefechts..
Ich saß noch immer in Gedanken versunken auf meiner Couch, als das Telefon klingelte. Ich wuchtete meinen Körper von der Couch, setzte mich auf den Schreibtisch und hob ab.
„Will Funny Detektei. Will Funny am Apparat.“
„Guten Tag Mister Funny. Mein Name ist Smith.“ Eine Männerstimme.
„Was kann ich für Sie tun Mister Smith?“
Ich wusste sofort, dass der Typ einen falschen Namen nannte. Es gab zehn Milliarden Menschen auf der Welt mit dem Namen Smith. Der hier konnte unmöglich auch Smith heißen.
„Ich habe mich gefragt, ob wir uns treffen könnten. Ich hätte einen Auftrag für sie.“
„Tut mir leid, Mister…“
„Smith.“
„..ja, Smith. Aber ich nehme Aufträge prinzipiell nur in meinem Büro entgegen. Wenn es ihnen also nichts ausmacht, würde ich ein Treffen hier bevorzugen.“
„Selbstverständlich Mister Funny. Wäre es Ihnen in einer Stunde recht?“
„Eine Stunde passt wie die Faust auf’s Auge, Mister Smith.“
„Also, bis dann.“
„Okay.“ Ich legte auf.
Was da wohl wieder auf mich zukam? Der Typ hatte sehr vornehm geklungen. Irgendwie schleppte ich in letzter Zeit nur Aufträge von solchen Typen an Land. Sie waren zwar oft wohlhabend, hatten aber zum Teil die kuriosesten Stücke Dreck am Stecken, die man sich nur vorstellen konnte.
Ich rauchte meine Zigarette fertig und ging anschließend in mein Badezimmer um mich ein wenig frisch zu machen. Nachdem ich mein Gesicht in das mit kaltem Wasser gefüllten Waschbecken gehalten hatte, ging es mir besser. Ich kämmte mein Haar zurück und betrachtete mich im Spiegel. Scheiße, ich wurde älter! Man konnte deutlich erkennen, dass mein Haar an den Geheimratsecken den Rückzug antrat. Ganz zu schweigen von einigen weißen Haaren, die vereinzelt auf meinen Schläfen aufblitzten. “Jugend, du Schlampe“, flüsterte ich mir im Spiegel zu „wo bist du hin?“. Schließlich akzeptierte ich die Tatsache, dass selbst ich die Zeit nicht verlangsamen, geschweige denn anhalten konnte und verzog mich wieder in mein Büro.
Kurz nachdem ich meine dritte Selbstgedrehte geraucht hatte, klopfte es an der Tür. Ich öffnete die Tür. Vor mir stand ein Mann, gut gekleidet, um die 60 Jahre, silbergraues Haar. Erschrocken stellte ich fest, dass ich in eine paar Jahren möglicherweise die gleiche Haarfarbe haben könnte.
„Mister Funny?“ Die Augen des Mannes blickten mich fragend an. Sein Kopf schnellte kurz nach vor, als hätte er Schwierigkeiten zu schlucken.
„Äh, ja. Mister Smith, nehme ich an.“
„Ganz recht“
„Bitte, Kommen Sie rein.“ Ich glitt zur Seite und machte eine einladende Geste. Smith’s Kopf zuckte erneut nach vorne, ehe er, leicht gebückt eintrat. Ich musste unwillkürlich an eine Echse denken.
„Danke.“ Er trat schnell ein und ging ins Rauminnere weiter. Ich schloss die Tür, ging zu meinem Schreibtisch und ließ mich in meinen Drehsessel fallen.
„Bitte, setzen Sie sich.“ Ich deutete auf den Sessel vor dem Tisch.
Smith sah sich kurz im Büro um, ehe er zaghaft auf dem Sessel Platz nahm.
„Äh, Danke.“
Ich lehnte mich zurück und verschränkte die Arme. Irgendetwas an diesem Typen gefiel mir nicht. Ich konnte noch nicht sagen, was es war, aber mir schien, als würde er irgendetwas verheimlichen, obwohl er noch gar nichts gesagt hatte. Und wieder schnellte sein Kopf hervor wie bei einer Kröte, die versuchte, mit ihrer Zunge eine Fliege zu fangen! Ich konnte Menschen mit Ticks nicht leiden. Mein Vater hatte an die hundert verschiedene gehabt. Ein wahres Wunder, dass ich keinen einzigen übernommen hatte. Naja, wenn man mal davon absah, dass ich jede Frau, die nur halbwegs etwas gleichsah, sofort in die Kiste bekommen wollte. Aber das galt ja nicht unbedingt als Tick, höchstens als Charakterschwäche.
„Was kann ich für Sie tun?“ fragte ich schließlich, als ich merkte, dass Smith nicht von selbst anfangen würde zu reden.
„Ja, also.. ehm“ begann er zögernd. Er hielt seinen Hut in der Hand, den er vor der Tür bereits abgenommen zu haben schien. Er hielt ihn mit beiden Händen an der Krempe fest, als wäre es ein Lottoschein mit sechs Richtigen.
„Naja, ich hätte einen Auftrag für Sie.“ sagte er schließlich.
„Davon bin ich ausgegangen, Mister Smith.“, sagte ich lächelnd.
„Ja, äh, natürlich.“ Es schien ihm aufzufallen, dass sein letzter Satz überflüssig gewesen war. „Gut. Ich möchte, dass Sie einen Mann beschatten:“
Ich beugte mich vor und holte mein Notizbuch aus der Schreibtischlade. Ich schlug eine freie Seite auf, schnappte mir einen Bleistift und machte mir Notizen. „Um wen handelt es sich?“
„Sein Name ist Elias Springfield. Er wohnt am Stadtrand in einem Haus. Seine Eltern haben es ihm vermacht, als sie gestorben sind.“ Er reichte mir einen Zettel, auf dem die Adresse stand.
„Gut, Mister Smith. Ich soll ihn also beschatten?“
„Genau.“ Er machte einen entschlossenen Gesichtsausdruck. Ich merkte, wie er sich innerlich zu verkrampfen schien. Was auch immer er mit diesem Springfield zu tun haben mochte, er schien auf ihn nicht gut zu sprechen sein.
„Mister Smith“ begann ich, als ich merkte, dass er mir den Grund dafür nicht nennen wollte „darf ich fragen, weshalb ich diesen Mann beschatten soll?“
Die Antwort kam wie aus der Pistole geschossen. „Ich glaube, er wird versuchen, sich das Leben zu nehmen.“
Ich lehnte mich überrascht in meinen Sessel und faltete die Hände.
„Warum glauben Sie, dass er das tun wird?“
Er überlegte kurz. „Sagen wir, ich habe Informationen, die darauf hinweisen.“
„Wer ist der Mann?“ fragte ich schließlich, als er nicht weiter sprach.
Smith antwortete nicht sofort. Er runzelte kaum merkbar die Stirn und schien jedes Wort auf die Waagschale zu legen, ehe er den Mund aufmachte.
“Dieser Mann“ sagte er schließlich „hat großes Leid über meine Familie gebracht. Er saß die letzten zwei Jahre im Gefängnis und wurde gestern entlassen.“
Mein Gefühl von vorhin schien sich immer mehr zu bestätigen. Smith erzählte mir nicht alles, das merkte ich. Als Privatdetektiv musste man jede Gefühlsregung seines Gegenübers registrieren. Ich merkte, dass er diesem Mann gegenüber nichts als Hass empfand, stellte jedoch auch fest, dass er mich nicht komplett in die Vorgeschichte einweihen wollte. Scheisse, ich brauchte einen Drink!
„Mister Smith“ sagte ich schließlich „wenn dieser Elias Springfield zwei Jahre im Gefängnis gesessen hat, wäre es ihm doch ein leichtes gewesen, sich dort das Leben zu nehmen, glauben Sie nicht? Was sollte ihn dazu bewegen, sich zwei Jahre lang durch den Gefängnisalltag zu schleppen, nur um sich dann umzubringen, sobald er wieder in Freiheit ist?“.
Smith überlegte wieder kurz, ehe er antwortete. Sein Kopf zuckte erneut, eher er antwortete. „Er hatte gewisse Informationen erst gestern erhalten. Hätte er diese vorher gehabt, hätte er sich vermutlich im Gefängnis umgebracht.“
„Um welche Art von Informationen handelt es sich dabei?“ fragte ich ärgerlich. Wenn ich diesen Fall übernehmen sollte, musste ich genau Bescheid wissen. Langsam wurde ich ein wenig sauer. Dieser Typ ließ sich alles aus der Nase ziehen. Eine mühsame Art, sich Informationen zu beschaffen.
„Das tut nichts zur Sache“ sagte Smith lahm.
Ich lehnte mich erneut zurück und ließ den Bleistift auf den Tisch fallen. „Mister Smith.“ Ich legte eine kurze Pause ein. „Ich pflege mich vor einer Auftragsannahme immer genauestens über den Auftrag zu informieren. Alles, was damit zu tun hat, kann mir bei meinen Ermittlungen behilflich sein. Wenn Sie mir also gewisse Informationen vorenthalten, kann mich das möglicherweise in eine heikle Situation bringen. Ich muss Ihnen gestehen, dass ich geneigt bin, Ihren Auftrag abzulehnen.“
Er wurde etwas nervös und begann erneut, seine Hutkrempe zu bearbeiten. Er fing ganze Fliegenschwärme mit seiner imaginären Zunge!
„Mister Funny.“ sagte er schließlich, „Ich habe mich umgehört und mir sagen lassen, dass Sie auf Ihrem Gebiet der Beste sind.“
Au weia! Er hatte meinen wunden Punkt erwischt! Solche Komplimente gingen runter wie Öl und ich schaffte es in den allerseltensten Fällen, nicht darauf anzuspringen. Aber verdammt, wo er Recht hatte, hatte er Recht! Ich war der Beste!
„Vielen Dank. Dennoch würde ich mir vermutlich wesentlich leichter tun, wenn Sie die Karten auf den Tisch legen und mir alles erzählen, was Sie wissen.“
Seine Hände an der Hutkrempe verkrampften sich erneut. Das Teil musste mittlerweile aussehen wie die Haut am Hintern meiner Großante Emma. Sie war 84, hatte violettes Haar und stank aus dem Mund. Ich sollte sie eigentlich mal wieder besuchen, schließlich hatte sie einiges an Geld auf der hohen Kante. Und eine kleine Erbschaft hie und da kann doch wirklich nicht schaden, oder?
„Mister Funny“ sagte er schließlich. „Bitte glauben Sie mir, dass von diesem Mann keinerlei Gefahr ausgeht. Sie werden in keine heikle Situation kommen. Vor zwei Jahren war Elias Springfield in Geschehnisse verwickelt, die meine Tochter in den Rollstuhl gebracht haben. Dafür kam er dann auch ins Gefängnis. Ich möchte einfach nur, dass Sie ein Auge auf ihn haben und darauf Acht geben, dass er sich nicht das Leben nimmt, sollte er dies versuchen.“
Ich hatte mich zurückgelehnt und ihm zugehört. Irgendwie wurde ich aus der Sache nicht schlau. Wenn Elias Springfield Smith’s Tochter in den Rollstuhl gebracht hatte, dann sollte er als Vater doch eigentlich Springfield’s Todeswunsch unterstützen. Ich meine, ich würde das tun. Kaum auszudenken, was ich machen würde, wenn jemand meine Tochter derartig verletzen würde. Aber ich hatte keine Tochter. Ich überlegte kurz, dass es eigentlich eher kaum auszudenken war, dass ich überhaupt Kinder in die Welt setzte. Was für ein absurder Gedanke!
Ich wusste nicht genau, was ich von der Sache halten sollte. Springfield hatte Smith’s Tochter etwas angetan. Nur was? Smith wollte es mir offensichtlich nicht erzählen und versicherte mir, dass es für mich auch nicht von Belang sei. Ich sollte also einfach nur Springfield beschatten und darauf Acht geben, dass er nichts Dummes tat. Okay, das war kein Problem. Ich konnte mich praktisch unsichtbar machen, das Beschatten an sich war also keine große Sache. Aber mir fiel etwas anderes ein.
„Was denken Sie, wie ich verhindern soll, dass er sich in seiner Wohnung die Pulsadern aufschlitzt?“ fragte ich Smith nach meiner Gedankenpause.
Er schüttelte den Kopf. „Dazu hat er nicht genug Mumm. Ich vermute, er wird sich von einer Brücke stürzen. Glauben Sie mir, er würde sich nie zuhause umbringen.“
„Sie scheinen ihn sehr gut zu kennen, oder?“ fragte ich, als mir auffiel, dass er einiges über diesen Springfield wusste.
„Kann man sagen. Aber auch das ist nicht von Belang. Er soll einfach nur leben. Zumindest die nächste Zeit.“
„Wie meinen Sie das?“ fragte ich.
„Vergessen Sie’s.“ Er holt hörbar Luft. Sein Kinn zuckte kurz vorwärts. „Übernehmen Sie den Auftrag , Mister Funny?“
Ich überlegte kurz und stand schließlich auf. „Okay, Mister Smith, ich sag’ Ihnen was. Ich werde mal einen Blick auf diesen Springfield werfen und versuchen herauszufinden, was da läuft.“ Ein weiterer wichtiger Punkt fiel mir ein. Gut, ich konnte eine Zeitlang ein Auge auf den Typen werfen, nur wie lange genau? “Wie lange soll ich ihn denn beschatten?“.
Smith stand auf, knöpfte seinen Mantel auf, zog ein Kuvert aus seiner Manteltasche, reichte es mir über den Tisch und knöpfte sich seinen Mantel wieder zu. „Eine Woche sollte reichen, denke ich. In dem Umschlag befindet sich ihr Honorar.“
Ich öffnete das Kuvert. Lauter 50’er Scheine blitzten auf, mindestens zwanzig!
„Hören Sie mal, Mister Smith, das ist zuviel!“ Ich reichte ihm das Kuvert zurück. Diese Geste wurde vermutlich von mir erwartet. Ich hoffte, dass er es sich nicht noch anders überlegte.
„Das geht schon in Ordnung, Mister Funny. Sehen Sie nur zu, dass Springfield die nächste Woche überlebt, das ist alles.“
Ich legte das Kuvert auf den Schreibtisch und begleitete Smith zur Tür.
„Wie kann ich Sie erreichen? Sie wissen schon, falls es Neuigkeiten gibt?“
Er griff in einer seiner Manteltaschen und holte eine weiße Visitenkarte hervor, als hätte er die ganze Zeit auf diese Frage gewartet. Außer einer Telefonnummer, stand nichts auf der Karte.
„Kontaktieren Sie mich unter dieser Telefonnummer, wenn Sie Neuigkeiten haben. Halten Sie mich auf dem Laufenden. Auf Wiedersehen, Mister Funny!“ Er machte zwei Schritte, ehe er sich noch einmal kurz umdrehte. „Achja.. ich habe mich vorhin gefragt, wofür das B. in ihrem Namen steht.“ Er deutete mit einem Kopfzucken auf die weißen Lettern auf dem Glas meiner Bürotür. „Verraten Sie es mir?“
„Der steht für Bertram, mein zweiter Vorname.“
„Verstehe.“ Er drehte sich um und ging den Flur entlang zum Treppenhaus.
Ich schloss die Tür und warf noch einmal einen Blick auf die Visitenkarte. Ich war mir nun ganz sicher, dass an der ganzen Sache etwas faul war. Ebenso war ich mir sicher, dass Smith nicht der wirkliche Name dieses Typen war. Ich legte die Visitenkarte auf den Tisch und zählte das Geld im Kuvert. Es waren genau dreißig Fünfzigerscheine. Ganze 1500 Mücken! Ich drehte mir eine Zigarette und goss mir einen Drink ein. Ich überlegte, ob ich schon jemals so leicht Geld verdient hatte, mir fiel jedoch kein Auftrag ein. „Springfield. Springfield.“ murmelte ich, während ich blauen Rauch durch mein Büro pustete. Der Name kam mir irgendwie bekannt vor. Damit meine ich, dass ich ihn mit irgendeinem Ereignis in Verbindung brachte, das mir nicht einfallen wollte. Ich beschloss meinen Drink zu kippen und die gute alte Sophie darauf anzusetzen.
Sophie war eine alte Freundin von mir. Ich hatte nicht viel davon. Jedes mal, wenn ich mit einer Frau zu tun hatte, landete ich unweigerlich mit ihr im Bett. Gut, nicht jedes Mal ging dies von mir aus, aber ich könnte nicht behaupten, mich besonders dagegen zu wehren, wenn Sie verstehen, was ich meine. Sie arbeitete als Sekretärin bei einem Zeitungsverlag namens Dojo Press und war somit eine unbezahlbare Informationsquelle. Nachdem sie Zugang zu den Archiven hatte, zog ich sie zu Rate, wenn ich Informationen zu Ereignissen brauchte, die schon etwas Staub angelegt hatten.
Kennen gelernt habe ich sie vor einigen Jahren. Sie war mit einem kleinen Problem zu mir gekommen, bei dem ich ihr geholfen hatte. Irgendein Spinner stellte ihr nach und sie wollte, dass das ganze aufhört. Es stellte sich heraus, dass der Spinner in der Postabteilung des Zeitungsverlages arbeitete und sich unsterblich in sie verliebt hatte. Nachdem er davon ausging, niemals bei ihr landen zu können, hatte er beschlossen, ihr perverse Briefe zu schicken und ihr am Telefon dreckige Sachen zuzustöhnen. Ich hatte für die Sache nur ganze zwei Tage benötigt. Als ich mit dem Typen fertig war, schwor er mir bei allen Heiligen, dass er damit aufhören würde. Nachdem ich ihn etwas mehr in die Mangel genommen hatte, willigte er ein, den Job aufzugeben und in eine andere Stadt umzuziehen. Natürlich hatte ich auch mit Sophie meine obligate Privatabschlussfeier, aber irgendwie war der Kontakt danach nie abgebrochen. Sie war hübsch, hatte einen Prachtkörper und unglaublicherweise auch etwas in der Birne.
Ich drückte meine Kippe in den Aschenbecher und wählte Sophie’s Nummer. Wie üblich war sie nach dem zweiten Klingeln dran.
„Dojo Press, Sophie Miller hier.“
Ich senkte meine Stimme um ein paar Oktaven „Hallo, schöne Frau. Verrätst du mir die Farbe deines Slips?“
Sie lachte. „Will, du altes Scheusal! Wird auch Zeit, das du dich mal wieder meldest!“
„Ach, Schönheit, du kennst mich. Ich hatte Einiges um die Ohren.“
„Natürlich, immer unterwegs, um der Menschheit zu helfen, richtig?“
„Genau wie du sagst, Zimtstange. Hör mal, ich muss dich um einen Gefallen bitten.“
„Natürlich. Worum geht’s?“
Das war eine Eigenschaft, die ich so an Sophie schätzte. Man konnte direkt auf den Punkt kommen, ohne lange Smalltalk führen zu müssen. Was für eine Frau!
Ich erzählte ihr von meinem Fall und bat sie, sich mal in den Archiven schlau zu machen, was sich Elias Springfield sich vor zwei Jahren zu Schulden kommen ließ und was es mit Smith’s Tochter auf sich hatte. Ich vergaß nicht zu erwähnen, dass Smith vermutlich nicht der richtige Name war. Aber wenn Sophie etwas über Springfield herausfand, würde sie schon auf den richtigen Namen stoßen.
Nachdem ich Sophie versprochen hatte, sie nächste Woche zum Essen auszuführen, versprach sie mir, sich gleich an die Arbeit zumachen. Ich schnurrte ihr noch ein paar dreckige Sachen über den Hörer zu, hörte mir ihr unglaublich fröhliches Lachen an und legte schließlich auf. Auf dem Zettel, den mir Smith ausgehändigt hatte, stand eine Adresse. Was lag also näher, mich dort mal umzusehen? Ich schnappte mir mein Sakko verließ das Büro, sperrte hinter mir ab und verließ das Gebäude.
Ich setzte mich in meinem Wagen und fuhr zu Springfield’s Adresse. Es handelte sich in der Tat um ein großes Haus mit einem schönen Garten drum herum. Es sah schön ruhig und idyllisch aus, mich wunderte, dass sich in der näheren Umgebung keine Pfaue oder Rehe herumtrieben. Ich parkte meine Karre etwas abseits und sah mir die Gegend etwas genauer an.
Okay, was hatte ich: Springfield, der sich nicht umbringen durfte. Smith’s Tochter, die im Rollstuhl saß. Springfield hatte sie da rein gebracht. Und Smith wollte nicht, dass er Selbstmord beging. Verdammt, das machte alles keinen Sinn!
Ich streunte ein wenig herum, als ich plötzlich hörte, wie ein Haustor ins Schloss fiel. Hinter einer Hecke hervorspähend entdeckte ich einen Mann, der das Haus verließ. Er ging leicht gebückt und hatte graues Haar. Wenn das Springfield sein sollte, hätte ich ihn mir etwas jünger vorgestellt, aber möglicherweise lag das auch nur an seiner Haarfarbe. Ich lief zu meinem Wagen und setzte mich hinters Steuer. Ein kurzer Blick in den Rückspiegel beruhigte mich auf’s Neue. Es würde noch lange dauern, ehe ich ein graumeliertes Dasein fristen würde.
Springfield ging zu Fuß. Nachdem ich ihm nicht mit dem Wagen folgen wollte, stieg ich wieder aus und nahm die Verfolgung auf. Er schien ein spezielles Ziel zu haben. Neugierig darauf, wohin er seine Schritte lenkte, folgte ich ihm. Ich ließ soviel Abstand zwischen uns, dass er nicht misstrauisch wurde, aber auch nicht so viel, als dass ich einen Selbstmordversuch nicht mehr hätte verhindern können. Er ging einfach die Strasse entlang und bog schließlich in eine breite Hauptstrasse ein, die ich beim Herfahren passiert hatte. Scheiße! Mir fiel ein, dass da eine Brücke war, unter der die Eisenbahn fuhr! Ich sprintete los und blieb an der Ecke kurz stehen um um die Ecke zu lugen. Keine Frage, er lenkte seine Schritte auf die Brücke zu. Ich versuchte ruhig zu bleiben. Die Chancen, dass er sich da runter stürzen würde, standen 1 zu 100. Ich beobachtete weiter, was passiert. Mist, er blieb tatsächlich am Brückengeländer stehen, stützte sich mit beiden Armen ab und beugte sich leicht darüber um nach unten sehen zu können. Er hatte einen Gesichtsausdruck, als würde er versuchen abzuschätzen, ob ihn der Sturz umbringen würde. Na ja, zumindest sah es danach aus. Ich preschte hinter meiner Ecke hervor und lief auf ihn zu. Er bemerkte mich nicht, irgendwie schien er ganz in seine Gedanken versunken zu sein. Auf dem halben Weg zu ihm bemerkte ich plötzlich, dass er sich hochstemmte und das rechte Bein über das Geländer wuchtete. Heilige Maria, der Typ wollte sich vor meinen Augen von der Brücke stürzen! Ich legte einen Zahn zu und streckte beide Arme aus um ihn an seinem Mantelkragen zu packen. Im letzten Moment drehte er sich erschrocken um und wuchtete auch sein zweites Bein über das Brückengeländer. Während er nach unten sackte, drehte er sich um die eigene Achse und bekam zwei Stangen zu fassen, an denen er sich festkrallte. Seine Bein baumelten frei. Ich war mir sicher, dass er sein Gewicht nicht lange würde tragen können.
„Wer sind Sie?!“ kreischte er.
„Elias! Mister Springfield! Mein Name ist Will Funny!“ Ich knallte im vollen Lauf gegen das Geländer, beugte mich nach unten und packte ihn an seinem Kragen.
„Lassen Sie los!“ kreischte er und begann wie wild seinen Kopf zu schütteln. Ihm war nicht aufgefallen, dass ich ihn mit seinem Namen angesprochen hatte.
„Kommen Sie schon! Das wollen Sie doch nicht wirklich! Helfen Sie mir, ich ziehe Sie nach oben! NUN KOMMEN SIE SCHON!“
Er begann zu schluchzen und ließ los. Ich hatte mich zu dem Zeitpunkt schon fest in seinen Mantel verkrallt und zog ihn stöhnend und keuchend über das Brückengeländer. Zum Glück schien ihm das Gefängnisessen nicht allzu sehr bekommen zu haben, er war eigentlich eine halbe Portion. Endlich hievte ich seine Beine über das Geländer und ließ mich fallen. Er fiel auf mich drauf und schluchzte weiter, sein Körper zuckte während seines Weinkrampfes.
„Ich wollte das nicht.. ich.. es..es war auch mein Kind.. ich wollte das nicht.. es war ein Unfall!“
Ich legte ihm meinen Arm um die Schulter und versuchte ihn zu beruhigen.
„Kommen Sie schon, Elias! Alles okay. Ist ja nichts passiert!“
Irgendwie fühlte ich mich seltsam. Ich hatte ihm das Leben gerettet, aber eigentlich nur deswegen, weil mich jemand dafür bezahlt hatte. Hätte ich den Auftrag heute nicht angenommen, wäre er in diesem Moment von der Brücke gesprungen.
Endlich schien er sich zu beruhigen. Ich schaffte es, ihn dazu zu überreden, eine Tasse Kaffee mit mir zu trinken. Er musste ja nicht wissen, dass ich für Smith arbeitete. Wir gingen in ein nahe gelegenes Cafe. Springfield verschwand kurz auf der Toilette um sich frisch zu machen.
Ich drehte mir eine Zigarette, die ich verdammt nötig hatte und bestellte uns eine Kanne Kaffee. Schließlich beschloss ich Sophie anzurufen, möglicherweise konnte sie mir etwas mitteilen, das mir hier helfen konnte. Es läutete zweimal, ehe sie abhob.
„Dojo Press, Sophie Miller hier.“
„Hi Schönheit, hast du was für mich?“ Sie erkannte mich sofort und merkte an meiner Stimme, dass sie die Info gleich weitergeben sollte.
„Hi Will. Ja, ich hab’ mich mal umgesehen. Vor zwei Jahren wurde Robert Smith’s Tochter, Emily, angeschossen.“
„Warte mal“ unterbrach ich sie, „Robert Smith? Der Typ heißt tatsächlich Smith?“
„Ja, Robert Smith. Bankier, 59 Jahre alt, wohnt oben in den Hills.“
Ich konnte es kaum fassen, er hieß tatsächlich Smith.
„Stimmt was nicht?“ fragte Sophie schließlich.
„Nein, nein. Schon okay.“ antwortete ich.
„Naja“ fuhr sie fort, „dem Bericht zufolge hat sich während einer Rangelei mit ihrem Mann ein Schuss aus der Pistole gelöst. Wie es dazu gekommen ist, ist unklar. Bei ihrem damaligen Mann handelt es sich um Elias Springfield. Emily war zu diesem Zeitpunkt schwanger. Die Kugel hat den Fötus zerfetzt und beim Austritt ihre Wirbelsäule pulverisiert. Sie war mehrere Wochen in Intensivbehandlung, hat aber überlebt. Offensichtlich lebt sie seitdem mit ihrem Vater zusammen. Sie ist querschnittsgelähmt und sitzt in einem Rollstuhl. Elias Springfield wurde daraufhin verhaftet und wegen fahrlässiger Körperverletzung zu einer zweijährigen Haftstrafe verurteilt. Diese zwei Jahre hat er Robert Smith zu verdanken, der so zirka jeden Anwalt auffuhr, den er nur kriegen konnte. Emily und Elias haben sich während seiner Zeit im Gefängnis scheiden lassen.“ Ich hörte Papierrascheln „Ja,… und gestern wurde Springfield entlassen. Das war’s.“
Ich sah vom Telefon aus, wie Springfield vom Klo zurückkehrte. Ich bedankte mich bei Sophie und versprach ihr sie königlich zum Essen auszuführen und ihr anschließend eine Massage zu verpassen, die sie ihr Leben lang nicht vergessen würde. Sie lachte, was das Innere des Cafe’s für den Bruchteil einer Sekunde aufleuchten ließ und legte schließlich auf.
Ich ging zum Tisch zurück und setzte mich. Elias hatte sein Haar zurückgekämmt und hatte sich mehr oder weniger wieder im Griff. Er nahm einen Schluck Kaffee aus einer Tasse, die ich vorher für ihn gefüllt hatte.
„Wie, sagten Sie noch mal, war Ihr Name?“ fragte er schließlich.
„Will Funny.“ antwortete ich. Er nickte.
„Ich müsste ihnen danken, Mister Funny. Aber ich kann es nicht.“
„Sie müssen gar nichts.“ gab ich zurück.
„Wären Sie nicht gewesen, wäre es längst vorbei. Ich weiß zu schätzen, dass sie mir helfen wollten, aber es führt für mich kein Weg daran vorbei. Ich muss mein Leben beenden.“
„Warum wollen sie das tun?“ fragte ich.
Er nahm einen weiteren Schluck, ehe er mir erzählte, was sich ereignet hatte. Seine Augen füllten sich mit Tränen, während er wiedergab, was sich an dem Tag, an dem er Emily angeschossen und sein ungeborenes Kind ermordet, ereignet hatte.
Etwas regte sich in mir, als er mir erzählte, dass er seine Frau geliebt hatte. Auch wenn sie sich am Ende wegen diverser Angelegenheiten oft in den Haaren gelegen hatten, hatte es nie etwas daran geändert, dass er sie liebte. Eines Abends hatte er sich nach dem Büro vollaufen lassen und war nach Hause gegangen. Er hatte seine Frau mit einem Mann vorgetroffen. Nicht, dass sie etwas Verfängliches getan hatten. Sie saßen auf der Wohnzimmercouch, als er ins Wohnzimmer wankte. Springfield hatte nicht nachgefragt, wer der Typ ist, sondern war direkt ins Schlafzimmer marschiert um seinen Revolver zu holen. Emily war ihm nachgelaufen um ihm zu versichern, dass es nicht so sei, wie es aussähe. Zum einen Ohr rein zum anderen raus. Springfield wollte Blut sehen. Er fuchtelte mit dem Revolver vor der Nase des Mannes herum, der zum wiederholten Male beteuerte, dass er ein alter Schulfreund von Emily und nur auf Besuch sei, aber es half nichts. Irgendwann löste sich ein Schuss, der sie in der Bauchgegend traf. Panisch ließ er den Revolver fallen, sank neben seiner Frau auf die Knie und wimmerte um Vergebung, bis die Polizei eintraf. Unglücklicherweise stellte sich heraus, dass der Mann, den Elias zuhause angetroffen hatte, tatsächlich ein Freund aus Emily’s Schulzeit gewesen war, der zufällig in der Stadt war und sich nach langer Zeit mal wieder bei ihr gemeldet hatte.
„Ich habe mein Leben zerstört.“ sagte Elias nachdem er einen Schluck Kaffee genommen hatte. „Und gestern bei meiner Entlassung erfuhr ich auch noch, dass Emily schwanger gewesen ist, als sie die Kugel traf. Ich hatte ja keine Ahnung! Keiner hatte mir davon berichtet, nichtmal bei der Gerichtsverhandlung wurde es erwähnt! Wie konnten sie das nur vor mir geheim halten?“ Er sah mich todunglücklich an.
„Ich habe mein Leben zerstört.“ wiederholte er. „Und dass meiner Frau und meines ungeborenen Kindes. Ich habe mich auf furchtbare Art und Weise versündigt und verdiene es nicht zu leben.“
Ich sah ihn bewegt an und fragte mich zum wiederholten Male, ob es einen Gott gab. Wie konnte er, wenn es ihn gab, Derartiges zulassen? Aus irgendeinem Grund fühlte ich mich mit dem Schicksal von Elias Springfield verbunden. Nicht, dass ich meine Frau angeschossen, mein Kind getötet oder im Gefängnis gesessen hatte, aber ich fühlte, dass etwas aus meiner Vergangenheit ähnliche Züge aufwies, auch wenn ich es nicht genau lokalisieren konnte. Ich hatte unendliches Mitleid mit diesem Mann, der in den letzten zwei Jahren offensichtlich um ein Vielfaches gealtert war.
„Kann ich sie etwas fragen?“ nahm ich die Unterhaltung schließlich wieder auf.
Er nahm einen Schluck Kaffe und nickte, während er die Tasse abstellte.
„Warum haben sie nicht im Gefängnis Selbstmord begangen?“
Er sah lange Zeit aus dem Fenster, ohne zu antworten. Schließlich zeigt er in die Richtung. „Ich dachte, ich könnte Emily um Vergebung bitten. Versuchen, es irgendwie wieder gutzumachen. Ich hatte ja keine Ahnung von dem Kind.“ Er sah verzweifelt aus dem Fenster. „Sehen sie die Brücke dort? Den Platz, an dem ich runterspringen wollte?“
Ich folgte seinem Zeigefinger. Die Stelle, an der ich ihn über das Geländer gezogen hatte war eindeutig sichtbar.
„Ja.“
Er wandte sich wieder mir zu. „Dort habe ich Emily gefragt, ob sie mich heiraten will und sie hat ja gesagt.“ Er lächelte traurig und sah auf seine Hände, die die Kaffeetasse vor ihm fest umschlungen hielten.
„Ich habe mir im Gefängnis oft genug überlegt, Schluss zu machen, aber der Gedanke daran, dass ich mich mit ihr versöhnen könnte, hielt mich am Leben. Wie kann ich ihr jedoch nun, als Mörder unseres Kindes, jemals wieder unter die Augen treten?“
Ich wunderte mich darüber, dass Springfield mir, einem Wildfremden, so bereitwillig Auskunft gab. Ich schätze, er wollte einfach nur mit irgendjemandem reden. Wieso nicht mit dem Typen, der sein Leben gerettet hatte?
„Was ist mit Emily? Haben sie mit ihr gesprochen?“ fragte ich.
„Sie verabscheut mich. Und ich kann es ihr auch nicht verdenken. Sie ließ mich wissen, dass sie mich nie wieder sehen will. Verständlich irgendwie. Ich habe oft versucht sie davon zu überzeugen, dass ich ihr nie wehtun wollte. Aber…“
Er verstummte und ließ den Kopf sinken.
Ich hatte genug gehört. Egal, was ich ihm erzählen würde, Elias Springfield würde sich das Leben nehmen. Auch wenn mir Smith Geld dafür bezahlt hatte, hatte ich nicht das Recht, ihn dabei aufzuhalten. Wer war ich schon? Einzig Smith’s Beweggründe Springfield am Leben zu erhalten waren mir noch nicht ganz klar. Was hatte der alte Knilch vor? Ich beschloss, ihn aufzusuchen und es herauszufinden.
Ich trank meinen Kaffee aus und erhob mich von meinem Platz. Springfield sah mich immer noch traurig an. Ich streckte meine Hand aus und hielt sie ihm hin. Er ergriff sie. Ohne etwas zu sagen schüttelten wir uns die Hände und ich verließ das Cafe um Robert Smith aufzusuchen. Elias Springfield Selbstmord erschein am folgenden Tag als kleiner Bericht in der Tageszeitung. Er war zirka 20 Minuten nachdem ich gegangen war, von der Brücke gesprungen, hatte sich beide Beine gebrochen, wobei ein Bruch ein offener war. Dummerweise hatte ihn der Sturz nicht getötet, er war verblutet. So hatte er noch jede Menge Zeit gehabt, Reue zu verspüren über eine Tat, die zu begehen und er einen Mord, den auszuüben er nicht vorgehabt hatte.
Nachdem ich Smith von einer Telefonhütte aus angerufen und ihm weltbewegende Neuigkeiten versprochen hatte, willigte Smith ein, sich mit mir zu treffen. Ich bat ihn, in einer Stunde in mein Büro zu kommen. Dort angekommen, goss ich mir einen Drink ein und leerte das Glas in einem Zug. Ich rauchte ein paar Zigaretten und dachte über alles nach. Schon seltsam, wie einem das Leben manchmal mitspielte. Eigentlich konnte jederzeit Schluss sein. Jeden Moment konnte eine Wende eintreten, die einem die Freude am Leben vergällte. Wieso wurde ich das Gefühl nicht los, in meiner Vergangenheit etwas Ähnliches erlebt zu haben? Gesichter blitzten vor meinen Augen auf, als ich sie kurz schloss. Kannte ich sie? Nein. Was war mit dieser Frau? Sie war blond und hatte blaue Augen. Wer war sie? Ich sah sie in einem Auto wegfahren. Halt! Waren da auf dem Rücksitz Kinder? Ja, da saßen zwei Kinder und winkten mir aus dem offenen Fenster! Der Wagen fuhr eine Strasse entlang und bog in eine Seitengasse ab. Ich sah mich selber am Straßenrand stehen und immer noch winken. Wer war diese Frau? Wer waren diese Kinder? Ich sah auf meine winkende Hand. Sie rauchte. Überrascht hielt ich sie mir vor’s Gesicht. Die Haut begann zu verschrumpeln, aus den Poren stiegen winzig kleine Rauchschwaden auf und waberten vor meinem Kopf herum. Mit einem „Woff!“ flammte meine Hand plötzlich auf und begann zu brennen. Ungläubig starrte ich auf das Feuer, unfähig es zu löschen. Langsam, wie ein Raubtier, das sich an seine Beute anschleicht, spürte ich den Schmerz. Er ergriff Besitz von meiner Hand und bahnte sich seinen Weg durch meinen Arm, bis er meine Schulter erreichte. Mit einem lauten Schrei schreckte ich aus meinem Drehsessel auf. Ich sprang im Büro herum und fuchtelte mit meiner Hand herum. Schließlich lief ich zum Waschbecken und goss kaltes Wasser darüber. Was zum Teufel war da eben passiert? Ehe ich einen weiteren Gedanken daran verschwenden konnte, klopfte es. Ich trocknete meine Hände ab und ging zur Tür. Als ich öffnete, stand Robert Smith vor mir.
„Hallo, Mister Funny.“ sagte er mit einem widerlichen Gesichtsausdruck. Er schien sich sehr auf die Informationen zu freuen, die zu geben ich ihm versprochen hatte. Ohne ihn hereinzubitten stellte ich ihm die Frage. „Warum wollen sie, dass Elias Springfield sich nicht umbringt?“
Das grässliche Grinsen in seinem Froschgesicht erstarb von einem Moment auf den anderen. Sein Kopf zuckte zweimal hintereinander.
„Ich sagte doch, dass braucht sie nicht zu interessieren!“
„Mag sein. Ich will es aber verdammt noch mal wissen!“ Ich machte einen Schritt auf ihn zu, erschrocken wich er zurück.
„Was soll das? Ich habe sie bezahlt um auf ihn aufzupassen, nicht um mich zu bedrohen!“ sagte er kleinlaut. Ich ging ins Büro und fischte das Kuvert mit dem Geld aus der Schreibtischlade. Zurück bei der Tür warf ich es ihm vor die Füße.
„Behalten sie ihr Scheißgeld!“ knurrte ich.
Er sah mich wütend an, bückte sich nach dem Kuvert und steckte es in seine Manteltasche.
„Sie haben keine Kinder, Mister Funny, oder?“ sagte er schließlich. Ich überlegte kurz, ob ich ihm darauf antworten sollte. Die Wahrheit ist, ich wusste es einfach nicht.
„Sie wissen nicht, wie es ist, wenn ihr eigenes Kind Schmerzen erleiden muss. Sie haben noch nie über Wochen die Hand ihres Kindes halten müssen, das in der Intensivstation einer Krankenhauses um sein Leben kämpft, oder?“
Ich änderte meine Meinung. Ich wollte nichts mehr mit dem Fall zu tun haben. Was auch immer mir Smith über seine Beweggründe sagen wollte, ich war überzeugt davon, dass es nichts Schönes war und das er etwas Schlimmes im Schilde führte. Nun war ich derjenige, der zurückwich. Smith folgte mir ins Büro. Sein Gesicht nahm einen irren Ausdruck an und er starrte mich aus hasserfüllten Augen an.
„Dieses Schwein hat mein Enkelkind getötet! Meine Tochter in ein Wrack verwandelt. Wie könnte ich ihn am Leben lassen? Sie denken doch nicht wirklich, dass ich sein Leben verschonen wollte, oder?“
Ich drehte mich um. „Mister Smith, verlassen sie bitte mein Büro. Gehen sie einfach!“
Er hob die Hände „Nein, nein! Sie wollten es doch wissen, oder? Ich sage es Ihnen! Ich lasse im Keller meines Hauses ein Zimmer einrichten. Es wird in 7 Tagen fertig gestellt sein. Wissen sie, was ich mit diesem Zimmer vorhabe?“ Er tapste mir nach, die Hände immer noch ausgestreckt.
„Ich werde ihn in diesem Raum anketten für den Rest seines Lebens! Ich werde seine Nägel ziehen und ihm Zigaretten auf seiner Haut ausdrücken. Ich werde ihm Schmerzen zufügen, die er sich in seinen schlimmsten Albträumen nicht vorstellen kann. Und jedesmal, wenn die Gefahr besteht, dass er stirbt, werde ich ihm ärztliche Hilfe zukommen lassen!“
Ich war bis zu meinem Schreibtisch zurückgewichen. Smith stand dicht vor mir und hatte begonnen zu sabbern. Sein Gesicht war einer verzerrten Fratze gewichen mit zwei Augen, aus denen der Wahnsinn sprach. Robert Smith hatte den Verstand verloren!
Ich fuhr mit meiner Hand an meine Schläfe und zeigte mit der anderen zur Tür. „Gehen Sie!“ befahl ich, doch Smith schien mich nicht zu hören.
„Ich werde ihm seine Scheisse zu essen und seine Pisse zu trinken geben! Ich werde ihm seine Haut von seinem Körper schneiden und in seinen Mund stopfen! Jedes einzelne Fingerglied der Hand, die meiner Tochter Schaden zugefügt hat, werde ich einzeln mit einem Bolzenschneider abtrennen und an die Schweine verfüttern! Verstehen sie das? VERSTEEHEEEEN SIEE DAAAS?“ Beim letzten Satz hatte er begonnen schwach mit seinen kleinen Fäusten auf mich einzuschlagen. Ich schloss die Augen und liess ihn gewähren. Eine Frau. Eine Tochter. Ein Kind. Eine Mutter. Die Gesichter tauchten erneut auf. Ich spürte, wie meine Hand heiss wurde. Smith schlug immer noch auf mich ein. Meine Hand begnn erneut zu brennen. Als ich die Augen öffnete, hatte sich Smith’s Gesicht verändert. Er war jünger und hatte schwarzes Haar, trug aber immer noch Smith’s Kleidung und krächzte mit seiner alten Stimme. Meine Hand brannte. Ich drehte meinen Kopf zur Seite und hob sie langsam vor mein Gesicht. Ja, sie brannte lichterloh! Schließlich packte ich Smith am Kragen seines Mantels und schlug mit meiner brennenden Faust auf sein Gesicht ein, bis er zu Boden ging. Ich setzte mich auf seine Brust und rammte ihm meine Faust in seine hässliche Visage, immer und immer wieder. Ich spürte, wie meine Haut sich an zersplitterten Zähnen aufschnitt, wie meine Knöchel Gesichtsknochen und Knorpel zu Brei verarbeiteten. Das Feuer aus meiner Faust verkohlte zudem die Haut auf seiner entstellten Visage. Ich bearbeitete sein Gesicht solange, bis ich den Arm nicht mehr heben konnte, rollte zur Seite und verlor das Bewußtsein.
Als ich zu mir kam, war es bereits früher Morgen. Ich stand auf, setzte mich in meinen Drehsessel und drehte mir eine Zigarette. Smith’s Körper lag immer noch auf dem Boden, um seinen Kopf herum hatte sich eine dunkle Blutlache gebildet. Aber ich hatte nicht Smith ermordet, das wußte ich.
Ich blies Rauch durch mein Büro und lehnte mich zurück. Wie hatte ich das vergessen können? Wie hatte ich all diese Jahre leben können, mit diesem Wissen, begraben im tiefsten Inneren meiner Seele?
In einem meiner früheren Leben hatte der Mann, dessen Leiche auf dem Boden meines Büros lag, meine Familie ermordet. Er hatte sie gefesselt, mit Benzin übergossen und einfach angezündet. Aber ich hatte ihn erwischt! Früher oder später kommt alles zurück, pflegte meine Mutter zu sagen. In dieser Nacht war die Rache mein gewesen, auch wenn es diesmal eher später als früh gewesen war.