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Wig Wam Bam

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07.04.2012
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Wig Wam Bam

Unsere Clique traf sich immer bei den Jordanovs. Wir konnten kommen, wann und mit wem wir wollten. Irgendeiner war immer zuhause und öffnete, oder wir gingen gleich hinten rein, da war sowieso immer auf. Im Vorübergehen warfen wir nur ein kurzes 'Hallo' ins Wohnzimmer und gingen direkt nach oben in Rolfs Zimmer. Meist lag er total verschlafen im Bett. Aber nie war er sauer, wenn wir einfach hineingingen und uns irgendwo in dem Chaos von alter Wäsche, vollen Aschenbechern und nicht abgeräumten Essenstellern einen Platz suchten. Dann holte jemand ein Päckchen Zigaretten heraus und wir begannen zu rauchen.
Jetzt kam auch Toby, ein braunweißer Border Collie unter der Decke hervor, streckte sich gähnend, ging schwanzwedelnd von einem zum andern und ließ sich streicheln. Während wir über Autos und Mädchen redeten, kam Dirk dazu, Rolfs kleiner Bruder. Obwohl er ein paar Jahre jünger war und aussah wie ein Siebenjähriger, ließ er sich die Butter nicht vom Brot nehmen. Er rauchte und redete wie wir. Er hatte gelernt sich durchzusetzen. Schließlich war er der Jüngste von sechs Geschwistern. Die beiden Mädchen waren zwar schon aus dem Haus, aber es gab ja immer noch drei ältere Brüder. Mit einem 'pfft' und einer ruckartigen Bewegung des Kopfes, blies er sich die Haare aus dem Gesicht und inhalierte.

Mehr brauchten wir nicht, damals, nur uns selbst und ein paar Zichten.

Zu den beiden älteren Brüdern gingen wir nur, wenn sonst keiner da war. Die waren irgendwie lahm. Da begaben wir uns doch lieber ins Wohnzimmer zu den beiden Alten. Die saßen meist vor der Glotze. Liesette, eine herzensgute, korpulente Seele, war vollkommen mit dem Haushalt überfordert. Aber niemand störte sich daran. Und dann war da noch der alte Jupp. Er wirkte neben seiner stattlichen Frau total verloren, denn er war klein und schmächtig. Wir kannten ihn nur besoffen und mit Kippe auf dem Sofa. Er war Spieß bei der Bundeswehr und ernährte die Familie so recht und schlecht. Da es finanziell an jeder Ecke am kneifen war, ging Lisette jeden abend bei Erb kochen. Das war eine Gaststätte ein paar Straßen weiter. Obwohl heruntergekommen, war es dort immer voll. Lisette gab ihr Bestes, aber wenn sie spät nachts heimkam, lief gar nichts mehr. Morgens kam sie dann einfach nicht hoch, Rolf und Dirk verpassten regelmäßig die Schule.

Wenn wir uns dann also im Wohnzimmer breitgemacht hatten, dauerte es keine zehn Minuten, da flog uns der Autoschlüssel vor die Füße.
„Holt mir mal 'n Bier!“, meinte Jupp dann und gab uns ein paar Münzen. Darauf hatten wir nur gewartet und liefen wie eine Trampelherde den Hofeingang hinaus zu der alten Familienschlorre. Keiner hatte einen Lappen, aber alle wollten fahren, wir waren vierzehn oder fünfzehn.
Jupp interessierte nur sein Bier und Lisette hielt sich raus, sonst wäre er in seinem Dunas noch selbst gefahren. Die beiden älteren Brüder bekamen das alles nicht so mit. Die saßen meist allein in ihren Zimmern. Sie hätten auch nichts gesagt, höchstens einen halben Liter abgestaubt.

Der alte Taunus hatte vorn eine durchgehende Sitzbank für drei Personen, dank Lenkradschaltung. Hinten nochmal drei und wenn das nicht reichte, dann krochen die Kleineren in den durchgehenden Kofferraum des Kombis. So waren wir meist zu acht unterwegs und der Wagen knarzte in den Federn.

Wir stritten uns nie, wer ans Lenkrad durfte. Das entschied Rolf und es wurde akzeptiert. Wenn es losging, hatte sofort jeder eine Kippe im Hals. Der Motor brummte und wir fühlten uns frei und unbesiegbar, schließlich hatten wir den Segen der Erwachsenen.
In jeder Kurve flog alles durcheinander, vor allem vor der Werkzeugkiste musste man sich in Acht nehmen.
Der Nachbarshop war nur ein paar Häuser entfernt, aber vor Ablauf einer Dreiviertelstunde kamen wir sowieso nicht zurück. Der Qualm biss in den Augen, das Radio überschlug sich und hinten polterte es in jeder Kurve. Muss ich erwähnen, dass es damals weder Gurte noch Kopfstützen gab? Wir waren anerkannt wie Erwachsene, aber ohne Verpflichtungen.

Am Samstag abend ging es regelmäßig nach Tespe in den Schnuckenstall, einer kleinen Diskothek am Elbdeich, kurz vor Hamburg. Das war eine längere Tour. Wir hingen kreuz und quer in den Sitzen, vor allem, wenn Mädchen mit an Bord waren. Die Straßenlaternen ließen Schatten durch das Wageninnere tanzen. Das hat die Mädchen wohl irgendwie hypnotisiert. Und wir Jungs suchten Körperkontakt, ...so ganz zufällig, versteht sich. Rolf übernahm dann meistens die undankbare Rolle des Chauffeurs, er hatte das Lenkrad, wir die Mädchen.
Vor dem Schnuckenstall war ein kleiner Wiesenparkplatz, auf dem ein paar Käfer herumstanden. Der lange Kombi hing schwer in den Ferdern als Rolf majestätisch einbog. Damit ernteten wir schon neugierige Blicke der Draußenstehenden. Als wir uns dann noch zu acht aus dem Wagen pellten und unsere schlacksigen Körper reckten und streckten, waren wir schlechthin die Angeber aus Bardowick. Aber den Mädchen gefiels.
Manchmal drehte sich die ramponierte Spiegelkugel an der Decke. Tierfelle an Holzbänke getackert, ein paar bunte Glühbirnen hier und da, das war die Einrichtung. Geld hatten wir nur wenig, Eintritt, zwei Cola-Rum, das wars für den ganzen abend. Von draußen hörten wir dann schon Lady Bump, ach ja , der Bump: Zwei Mädels hüpften im Takt und stießen dann mit einem sexy Hüftschwung mit ihren Pos aneinander. Penny McLean wurde hoch- und runtergespielt. Zwanzigmal am abend. Und jedesmal aufs Neue rannten die Mädchen auf die Tanzfläche, um zu Bumpen. Die Jungs machten Platz und schauten ihnen zu.

Kaum hatten wir den Rückweg angetreten, rümpfte jemand die Nase:
„Sag' mal, hat sich ein toter Iltis in deine Heizung verirrt, oder was stinkt hier so?“
„Booaah! Das ist ja voll eklig, wo kommt das denn her?“
„Da hat sich doch wohl einer von den Jungs die Schuhe ausgezogen. Wer hat denn hier solche Schweißmauken?“
„Ach, du Scheiße, das bin ich ja! Igitt, ich bin voll in die Scheiße getreten! Oörcks! Halt mal an, Rolf! Oh nein, meine schönen Stoffturnschuhe, die hab' ich heute zum erstenmal an.“
Alle Blicke richteten sich auf die Füße des Mädchens. Soweit das im Dunklen zu erkennen war, hatte sich die Scheiße um den Turnschuh des Mädchens gewunden und kam über dem Vorderfuß schon fast wieder zusammen.
Rolf war einfach weitergefahren und sagte:
„Schmeiß' die Dinger aus dem Fenster, ich hab' hier gerade so schön Strecke vor mir.“
„Ja toll, und ich lauf' denn in Socken hier rum?“
„ … fährst ...“
„Sehr witzig, du Arsch!“
„Ach, nun reg' dich nicht auf, bei uns im Keller stehen bestimmt noch irgendwo welche rum.“
„Von Lisette – hahahahaha!“
„Ihr seid gemein!“
Sie öffnete mit spitzen Fingern das Schuhbändchen und zog den Turnschuh vorsichtig vom Fuß.
„Und jetzt?“
„Wickel das Ding in die Fußmatte ein.“ Rolf dachte immer praktisch, denn die war ja auch beschmiert. Das Mädchen hielt jetzt das ganze Paket mit beiden Händen hoch. Ich beugte mich drunterdurch, um das Fenster herunterzukurbeln. Dabei rieb meine Schulter an ihrer Brust, … so ganz zufällig, versteht sich.
„Oohhh, Holger“, flötete sie gereizt, „das ist ja soooo romantisch. Das müssen wir unbedingt nochmal wiederholen.“
„Ja, was glotzt ihr so, das wollte ich eben schon immer mal machen!“
„Raus mit dem Ding!“, rief Rolf.
Kaum war das geschehen, quietschten hinter uns Reifen.
„Was fährt der auch so dicht auf“ schimpfte Rolf. Die Köpfe flogen herum und sahen einen grünen Käfer mit weißen Kotflügeln, der schlingernd dem auseinandergeplatzten Paket auswich.
„Fahr mal lieber rechts ran, so richtig mit Blinken und so. Und wenns geht auch schön majestätisch, das sind nämlich die Bullen.“
Da kam auch schon die Blechkelle am kurzem Holzstiel. Der Polizeikäfer stellte sich quer vor uns.

„Den Führerschein, bitte.“

Der Mann verdunkelte mit seinem Kreuz das Licht der Straßenlaterne und sein Bauch wollte ins Wageninnere fallen. Unsere Herzen klopften bis unter die Schädeldecke. Jeder von uns hatte jetzt nur einen Gedanken. 'Rolf hat keinen Lappen.'

So gern wie wir ihn alle mochten, aber jetzt war jeder froh, nicht an seiner Stelle zu sein. Ausgerechnet - so selten wie er fuhr, er hatte uns sonst immer vorgelassen. Er saß nur am Steuer, weil er als einziger nichts getrunken hatte. Tragisch.
Während Rolf im Handschuhfach kramte, schritt der Kollege des Dicken gemächlich an uns vorbei und untersuchte den Turnschuh.
„Wird's bald!“, bellte der Dicke und Rolf zuckte zusammen.
„Ah!“, rief er mit zittriger Stimme, „Hier ist der Fahrzeugschein.“
„Das ist doch schon mal was!“ rief ich von hinten. Alle sahen mich an, auch der Polizist lugte kurz durchs Fenster ins Heck. Er stutzte, als er sah, dass wir zu sechst waren. Er hielt den Schein in das Licht der Straßenlaterne.
„Ja, brat' mir doch einer 'n' Storch, der Wagen ist ja tatsächlich für sechs Personen zugelassen. Hmm.“
„Komm mal schnell her!“, rief der Kollege von hinten, „Das musst du dir ansehen.“
Bevor sich der Dicke umwendete, hielt er seine Pranke in den Wagen.
„Schlüssel!“
Dann sahen sich die beiden das Objekt des Anstoßes genau an.
Entschlossen ergriff Pechmarie die Initiative, sprang aus dem Wagen und lief in Socken zu den Polizisten. Wir schauten uns verwundert an. Das Mädchen redete auf die beiden ein. Wir konnten nicht alles verstehen, nur so Fetzen, wie ...das ist alles meine Schuld ... Reingetreten … dicht hinter uns rumgedrängelt … konnten nicht halten … überholt … hochgehalten … fing an zu rutschen … tut leid ... kommt bestimmt nicht wieder vor. Dann schluchzte sie zum Herzerbarmen.
Die beiden standen da und nickten mit den Köpfen. Alle drei kamen zum Auto.
„Wenn jetzt noch eine Klitzekleinigkeit dazukommt, dann gibt’s richtig Ärger. Da vorne ist ein Abfalleimer, dort entsorgen Sie ihren Müll vorschriftsmäßig, ich will das sehen!“ Der Dicke gab Rolf die Fahrzeugpapiere und Schlüssel zurück.

Rolf sprang selbst aus dem Wagen, tat alles vorsichtig in eine Plastiktüte und ließ sie in einen blechernen Abfallkorb vor einem kleinen Lebensmittelgeschäft fallen, ich glaube es war 'Thams und Garfs'.
„Jetzt hat Thammel und Gammel das Problem!“, sagte Rolf beim Einsteigen.
Der zweite Polizist machte den Weg frei und Rolf fuhr langsam an. Sein Kollege mit dem breiten Kreuz, war am Fenster stehengeblieben und sah von außen in den Innenraum, der sich Fenster für Fenster langsam an ihm vorbeischob. Im Kofferraum hob sich vorsichtig eine graue Bundeswehrdecke und zwei Gesichter sahen darunter hervor. Dirk und seine Freundin. Sie nickten freundlich in ein rundes Gesicht mit Polizeimütze.
Während Rolf majestätisch weiterfuhr, stand der Bulle wie versteinert. Dann stemmte er die Fäuste in die Hüften.
„Ja, brat' mir einer 'nen Storch.“
Rolf brauste jetzt doch eher sportlich davon, wir waren ja offiziell entlassen. Im Rüchspiegel sah er, wie der Polizist kopfschüttelnd, aber ohne Eile zum Peterwagen ging.
Sofort brach ein ohrenbetäubendes Gejohle los. Das war knapp gewesen.

Nach so einer Tour waren wir hungrig. Wieder zuhause, machten wir uns in der Küche der Jordanovs, Pfannkuchen. Das erste Mal hatte Lisette uns noch Anweisung gegeben, aber das war lange her. Als kleines Dankeschön soffen wir ihnen auch noch den letzten Kaffee weg. Es wurde aber nie wirklich geschimpft, über Lisettes Lippen kam höchstens ein resolutes:
„Ihr hättet ja wenigstens bescheidsagen können!“
Abends saßen wir dann mit belegten Broten und Gurken aus dem Glas im Partykeller und legten Platten auf. „Wig Wam Ba - Wig Wam Ba - Wig Wam Ba ...“ Die Nadel sprang zurück, als wollte sie die Zeit anhalten. The Sweet und Renate Kern, alles völlig zerkratzt. Warum, zum Teufel, hat das niemanden gestört? Ich weiß es nicht. Wir haben viel gelacht, damals.

So ging es eine lange Zeit und bald waren die ersten von uns mit der Schule fertig, gingen in die Lehre oder mussten für zwei Jahre zum Wehrdienst. Einige hatten auch schon eine feste Freundin. Da saßen wir alle noch einmal im Dunst der Zigaretten zusammen bei Rolf oben, redeten über den Bund und Autos, als es unten ein Geschrei gab.

Wir rannten zur Treppe und sahen hinunter. Da stand Jupp im Flur. Offensichtlich völlig abgetreten, hielt er die Hundeleine am gestreckten Arm so hoch, dass der arme Toby in der Luft zappelte und jämmerlich schrie und jappste. Mit der anderen Hand hielt er Lisette auf Abstand.

Wir trauten unseren Augen nicht und waren völlig entsetzt, aber auch gelähmt. Es nahm kein Ende. Der Hund wurde immer stärker stranguliert und erlahmte in seiner Gegenwehr. Er gab nur noch ein ersticktes Quietschen von sich. Lisette schrie ihren Mann an, aber der stand wie ein Fels. Der kleine schmächtige Mann hatte uns alle in der Gewalt. Wir erlebten wie in Zeitlupe unser aller Demütigung und er kostete das aus.
Nach ein oder zwei endlosen Minuten ließ er die Leine unvermittelt los, woraufhin sich der Hund benommen und völlig verstört unter dem Sofa verkroch. Jetzt drehte Jupp sich zu Lisette um und trat ihr mit aller Kraft, die er aufbringen konnte in den Unterleib. Dabei verlor er einen Pantoffel und fiel der Länge nach hinten über. Liesette schrie auf und krümmte sich. Eine Hand im Schritt und mit der anderen Halt suchend, flüchtete sie mit einem durchdringenden Klagelaut in die Küche.
Während wir wie erstarrt heruntergafften stand Jupp auf und schleuderte den zweiten Puschen auch noch fort. Bedächtig, wie es Betrunkenen so zu eigen ist, begab er sich zum Sofa, setzte sich und trank weiter. Er würdigte uns keines Blickes. Wir gingen hoch und hörten Lisette unten in der Küche wimmern.

Wir waren jetzt alle Feiglinge, das hatte Jupp uns klargemacht. Beschämt saßen wir noch eine Weile oben bei Rolf, bevor wir nach Hause gingen, jeder für sich. Als ich ein paar Schritte vom Haus entfernt war, hörte ich von drinnen Türen knallen.

Die Pforten des Paradieses hatten sich für immer geschlossen.

 
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hi elfenweg,

ich gebe dir einfach mal meine eindrücke von der geschichte.
also im grunde genommen fand ich die idee für die geschichte gar nicht schlecht, eine clique jugendlicher trifft sich (in den 70ern?) bei den nachbarn und hängt da herum. da ich sowieso total auf solche 'zeitreisen' beim lesen stehe, hat mich das schon angezogen. aber ich hätte mir auch irgendwie mehr von diesem 'zeitreisegefühl' gewünscht, mehr details, mehr bilder aus dieser zeit, die mir als jugem menschen das zeitgefühl von damals vor augen halten. es gibt schon gute ansätze wie z.b. diese autofahrt, das ganze ambiente in dem haus, aber ich habe beim lesen irgendwie gemerkt, dass ich davon einfach mehr wissen wollte.

und da komme ich auch schon zum nächsten punkt: was, glaube ich, ein großes manko an der geschichte ist, ist die erzählerstimme, die sich durch den ganzen text zieht. da gibt es kaum wörtliche rede, ich stellte mir beim lesen die ganze zeit irgendwie einen älteren mann im sessel vor, der mir aus den guten alten zeiten erzählt. aber mehr halt auch nicht, das war schade, ich fühlte mich nicht total in das geschehen hineingezogen. ich glaube, wenn du mehr szenen lebendig lassen würdest (nach dem motto show dont tell) und nicht nur die erzählerstimme erzählen lässt, dann würde man als leser bestimmt noch mehr hineingesogen werden. erzähle z.b. nicht, dass sie sich immer in dem zimmer treffen, sondern zeichne einfach eine situation, wo sie hineingehen und sich ein wenig im zimmer unterhalten, oder so, das würde den text anschaulicher machen als das nur herunterzuerzählen. ich hoffe du weißt, was ich meine.

ich glaube durchaus, dass du da eine gute idee für eine geschichte im kopf hattest, aber irgendwie fühle ich halt nicht so, wie sich deine geschichte auf einen höhepunkt 'zubewegt': am anfang zeichnest du das bild der clique, wie sie so ihre tage verbringt, der trinkende vater kommt nur ganz am rande mal vor, es wird gesagt dass er auf der couch liegt. dafür, dass er dann praktisch den 'bruch' oder den 'höhepunkt' der geschichte liefern soll, indem er den hund malträtiert, ist das zu wenig, finde ich. du müsstest dich entscheiden: entweder eine geschichte über die clique, das zusammenleben, oder eine geschichte über einen alten trinkenden soldaten, der irgendwann die beherrschung verliert. wenn du die beiden dinger wirklich miteinander verbinden möchtest, dann musst du dem vater im ersten teil klar viel mehr gewichtung im text zuteil werden lassen.
und den letzten satz, den würde ich wegstreichen! das mit den pforten zum paradies, das ist zu übertrieben dargestellt, finde ich. und es ist klar, was du damit meinst. der satz davor, das ist ein guter schlusssatz.
nun gut, so viel mal zu meinen gedanken, die ich beim lesen hatte. ich denke, du kannst aus der geschichte noch viel rausholen! bitte nehms nicht persönlich oder so, ich hoffe bloß, ich kann dich mit meiner kritik bei deiner schreiberei weiterhelfen!

ich wünsche dir auf jeden fall was,
grüße
vom zigga

 
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Lieber Elfenweg,
da bin ich wieder in alter Treue.
Also ich mochte Idee und Umsetzung vom Prinzip her gerne. Einen Kritikpunkt habe ich allerdings.
Zeitreise hat es zigga genannt, das stimmt. Und das les ich auch sehr gern, wenn da diese Uraltschlager loskratzen und der alte Plattenspieler, der Hund unter der Decke, ja, man erinnert sich oder interessiert sich. Für mich hat das besser funktioniert als für zigga, gut funktioniert sogar, liegt vielleicht am Alter. Aber ich würde mich nicht ärgern, wenn du noch ein paar Details einbauen würdest, ich les es halt gern. Wie gesagt, hätte zigga es nicht erwähnt, hätte ich dazu nichts geschrieben.
Außerdem ist es noch eine Geschichte über eine Ent-Täuschung. Das Haus, das Leben der Jordanovs erscheint den Jungen als Freiheit, Unabhängigkeit. Keine Schule, keine Regeln, man kann leben wie man will. Die Jungen bemerken nicht, dass das lockere Umgehen mit dem Autoschlüssel, das Nichtdraufschauen des Vaters Folge des Alkoholismus ist und bei der Mutter Überforderung. Für die Jungen ist es das Paradies. Und irgendwann ent-tarnt, ent-täuscht sich diese Illusion.
Im Unterschied zu zigga fand ich es nicht schlimm, dass der Vater (Jupp) sich erst im letzten Drittel enttarnt. Im Gegenteil, das fand ich gut. Da macht man als Leser ein bisschen die Illusion der Jungen mit, nimmt Jupp zwar als bierselig wahr, als überlocker, weil gleichgültig, als unverantwortlich aus der Sicht des heutigen Erwachsenen, die Hinweise gibst du ja alle, auch als nicht ernst zu nehmen. Und Jupps Gewalt kommt überraschend.
Ich will sagen, ich hatte den Eindruck, dass du das absichtlich so gemacht hast. Und ich fand es von der Geschichte her logisch. Für mich hat die Darstellung des Hauses und des Lebens dort gereicht, um zu wissen, dass mit der Familie was absolut nicht koscher ist.
Was mir allerdings gefehlt hat, das war eine stärkere Betonung des Paradieses, des Freiheitsgefühls für die Jungen. Dass das Jordanov-Leben in seiner Härte und Erbärmlichkeit, das für die Jungen dieses Lebensgefühl war, das habe ich mir so ganz richtig erst im Nachhinein erschlossen.
Also wenn du zum Beispiel schreibst, das sie sich auf einmal alle als Feiglinge gefühlt haben, da hätte ich dann vorher schon mal gerne gelesen, dass sie sich mutig erlebt haben, als Welterschütterer, sich nie wieder so stark gefühlt haben wie damals, als sie zu den Jordanovs gingen, Und so mutig, irgendwie dieses Gefühl, das man hat, wenn die Welt ganz frisch und ganz neu für einen ist. Beim Autofahren könntest du das Gefühl verstärken oder halt ein anderer Einfall. Und das gilt nicht nur für die Sache mit der Feigheit, sondern auch für das Freiheitsgefühl. Und ich mein das natürlich nicht so hingeschrieben, wie ich das hier gemacht habe, sondern an Beispielen, aber weißt du ja.

Ein paar Sätze kamen mir noch holprig vor. Kannst ja noch mal gucken.

Und zu dem show don't tell oder in Szenen schreiben. Eine richtige Szene machst du erst ganz zum Schluss. Klar, das ist mir auch aufgefallen. Also, du schreibst ja auch nicht erst seit gestern, ich hab mir halt gedacht, du machst das extra.
Also war für mich die Frage, ob es passt, und das hat es halt für mich. Diese Erzählung am Anfang machst du länger, quasi eine Rückschau auf das Jugendgefühl der Ungebundenheit und dann im Kontrast dazu knallt die Szene, in der die Illusionen
entlarvt werden.
Aber klar, man kann es auch anders machen. Ist wahrscheinlich moderner, jedenfalls steht das in Schreibratgebern, weil man an das Sehen im Film gewöhnt sei.
Aber ich finde immer, man sollte vom Ideal her halt beides können und auch benutzen. Je nachdem, was man erreichen will. Also mir jedenfalls gefiel die Erzählstimme am Anfang.
Wie gesagt mit der Einschränkung, die ich oben geschrieben habe.
Habs gern gelesen.
Viele Grüße
Novak

 
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Hallo Zigga,
vielen Dank für deine Kritik, da hast du mir einige ganz konkrete Ansatzpunkte aufgeführt. 1. mehr 'Zeitreise' Details, 2.weniger erzählen, mehr sprechen lassen 3.den Bruch aus der heilen Welt stärker wachsen lassen (dunkle Vorahnung herausarbeiten) und dann 4. letzter Satz weg, unnötig und vllt.zu theatralisch
Mit Punkt 4 werde ich es schwer haben, aber ansonsten lässt es sich darüber reden.

Beim Überarbeiten werd ich bestimmt darauf zurückkommen und nein, persönlich nehm ich das nicht. Im Gegenteil, Meinung von außen ist Gold wert, besonders wenn sie so gut strukturiert ist wie deine Kritik.

Mir ist dazu grundsätzlich aufgefallen, dass eine Kritik, jetzt mal ganz unabhängig von deiner Arbeit, einen fühlbaren Tenor hat. Also von boshaft, abfällig bis liebevoll, konstruktiv. Aber das liegt ja eigentlich mehr am Kritiker. Denn der Schreiberling kann ja höchstens eine schlechte oder gute Geschichte schreiben.

Also, kein schlechtes Gewissen ok? Haus mir um die Ohren.

vielen, lieben Dank

elfenweg


an Novak:

Gelesen:ja, Antwort:ganz bald - nicht böse sein, willmir auch Zeit dafür nehmen und nicht nur so nebenbei.

bis so bald alsmöglich

elfi(?)

 
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Hallo liebe Novak, meine Lieblingskritikerin,

diesmal hast du ja nur einen richtigen Verbessserungswunsch.

Was mir allerdings gefehlt hat, das war eine stärkere Betonung des Paradieses, des Freiheitsgefühls für die Jungen.
... da lässt sich bestimmt noch was machen,aber es soll gut reinpassen, da warte ich auf den richtigen Einfall.
Außerdem ist es noch eine Geschichte über eine Ent-Täuschung. Das Haus, das Leben der Jordanovs erscheint den Jungen als Freiheit, Unabhängigkeit. Keine Schule, keine Regeln, man kann leben wie man will. Die Jungen bemerken nicht, dass das lockere Umgehen mit dem Autoschlüssel, das Nichtdraufschauen des Vaters Folge des Alkoholismus ist und bei der Mutter Überforderung. Für die Jungen ist es das Paradies. Und irgendwann ent-tarnt, ent-täuscht sich diese Illusion.

... da hast du den Kern getroffen, im Grunde ist das genau der Gedanke, der mich zum Schreiben trieb, bei dieser Geschichte. Das andere so drumrum, also Details der 70er hat sich dann quasi zwangsläufig ergeben.
Damals herrschte ja dieser liberale Geist, also Lehrer mit langen Haaren usw, Rauchen auf dem Schulhof
(Raucherecke). Und das hat natürlich auch Blüten getrieben. 'Haschen' hat seinerzeit schon fast zum guten Ton gehört. In vielen Großbetrieben hat man auch Alkoholiker mit durchgezogen, wie es heute undenkbar wäre. Irgendwann kam dann die große Ernüchterung.

Die Holpersätze schleif ich noch rund.

Danke und Gruß

elfenweg

Hallo appo,

Lieber Elfenweg, für mich hat deine Geschichte viel Flair und wirkt sehr "echt", nicht nur weil ich ähnliche Kindheitserinnerungen habe.

vielen Dank für das Lob, kann ich immer gut gebrauchen.
Der erste Satz, der den Leser einfangen, locken soll, hat mich gleich ernüchtert

Da hast du recht, ich hab mir das daraufhin nochmal angesehen und mir vorgenommen, den Einstieg interessanter zu gestalten.
Die KG ist in einfachen umgangssprachlichen Sätzen geschrieben

richtig, zum einen hab ich versucht, so zu erzählen, wie wir damals gesprochen haben, und zum anderen hab ich das mal bei Wickipedia als Merkmal einer KG aufgeschnappt (Umgangssprache). Wobei zu bedenken ist, dass KG-Regeln nur bedingt zu beachten sind. Es sind keine zwangsläufigen Merkmale, nur lockere Richtlinien.
Hieß das wirklich "Nachbarshop"? Shop ist ein Begriff, der m.M. erst in den achtziger Jahren in Deutschland gebräuchlich wurde. Da bin ich mir aber nicht sicher. Vielleicht Kiosk?

ja,doch.ich hab grad eben nochmal in der Familie gefragt und ich kenn das auch so.
Wir haben aber eher gesagt: "Ich fahr zu Heindorf, Bier holen." Das waren ja wirklich Nachbarn, die einen winzigen Laden, also mehr so ein Regal im Eingang hatten. Es gab am Anfang nur Getränke und Süßigkeiten. Man konnte aber kommen wann man wollte (außer nachts).

Den letzten Satz lass ich stehen, der muss einfach da hin.

Freut mich, dass sie dir gefallen hat

vieleGrüße

elfenweg

 

Hallo Elfenweg,

vorab schnell der Hinweis, wenn du an einem Tag auf mehrere Kommentare eingehst, bitte mach das in einem Beitragsfeld ;). Ich habe die letzten beiden Antworten zusammengefügt, ist sicher nicht in deinem Interesse, die Moderatoren zu beschäftigen ;).

So, und nun zum Text. Ich störe mich an zwei Dingen. Zum einen an dem berichtenden Erzähler. Novak hat ja gemeint

Novak schrieb:
Also war für mich die Frage, ob es passt, und das hat es halt für mich. Diese Erzählung am Anfang machst du länger, quasi eine Rückschau auf das Jugendgefühl der Ungebundenheit und dann im Kontrast dazu knallt die Szene, in der die Illusionen entlarvt werden.

Da gehe ich auch mit, insofern, dass sich der Wechsel durchaus mit einem Stilwechsel verträgt und das durchaus ein Mittel der Wahl sein kann. Aber, ich habe dem berichtenden Erzähler im Vorfeld, nicht wirklich gern zugehört. Es gibt Erzähler, die so aus der Distanz erzählen, und natürlich tun sie das, wenn das Geschehene schon länger zurückliegt und es dann bereits reflektiert präsentiert wird. Aber diesen Effekt, der sich ganz automatisch auflegt noch durch den reinen Berichterstatter zu verschärfen, halte ich für ungünstig. Da wird im ganzen Vorfeld eine solche Distanz geschaffen, die der Bruch am Ende nicht mehr aufholen kann. Ich steh da, sehe den Vater, sehe die Jugend da oben und denke, aha. Aber das Gefühl, die Enttäuschung, die Wut der Kids, das alles kann mich nicht erreichen, weil ich keine Beziehung zu ihnen aufbauen konnte und dann verliert der Text enorm. Gerade, wenn es alles auf dieses Empfinden am Ende angelegt ist, dann sollte der Leser auch empfinden können. Und das tat ich nicht. Ich hatte mich so an die Rolle des Zuhörers gewöhnt, mich da jetzt rauszuholen, ist schon ne schwere Aufgabe für den Autor. Aber okay, bei einigen scheint Dir das ja geglückt zu sein.

Aber Punkt 1 führt zu Punkt 2, der mir sehr viel kritischer aufstößt und das betrifft den Aufbau der Geschichte.

Wir haben hier 3/4 Text Einleitung, dann stoppt die Polizei den Wagen und ich merke das erste mal sowas wie Konflikt, aber geht ja gut und dann kommt der Paukenschlag am Ende und zack fertig die Geschichte. Bis dahin, bis zum Ende habe ich mich gefragt, was die Geschichte mir den gesellschaftliches mitteilen will, ist doch Jugend, dachte ich, vielleicht auch Alltag, aber Gesellschaft habe ich nicht gesehen. Das ist insofern nicht schlimm, da sich am Ende ja auch Gesellschaftliches einschiebt. Aber bitte, 3/4 des Textes ohne Höhepunkte, ohne Spannung aus dem Mund eines berichtenden Erzählers und erst ganz am Ende, fängt es an - das ist nicht wirklich geschickt.
Ich kann gut verstehen, dass Du den Leser mit diesem Bild entlassen willst, was will man dann auch noch groß erzählen. Das Ende einer Ära ist da und dann ist eben auch Ende. Vielleicht sollte ich dann aber auch Teil dieser ära werden, sie miterleben können, kleine Spannungsmomente mich kitzeln und da ist man natürlich mit einem berichtenden Erzähler nicht gut beraten. So meine Meinung. Muss nicht richtig sein, muss auch nicht deine sein, aber so als Feedback, wie es auf mich gewirkt hat.

Noch was Gutes, das Thema an sich, finde ich super. Auch das Ende. Nur eben bis dahin ;).

Beste Grüße Fliege

 

Hi Fliege,

dir hat der Wechsel zwischen Erzählstimme und Wörtlicher Rede nicht so gut gefallen, klar, das kann ich auch verstehen. Aber mir kam grad' dieser Kontrast besonders reizvoll vor. Das kann man natürlich, jetzt, wo deine Kritik steht, immer behaupten. Frei nach dem Motto: " Wie, die Geschichte ist scheiße, wegen a und b? Aber das hab' ich doch extra gemacht."
Aber hier stimmt das wirklich. Die 70er sind ja schon ziemlich lange her und da bot es sich für mich an, von der 'guten alten Zeit' zu erzählen. Gut, zu ausführlich für deinen Geschmack. Aber ich hab's auch so ein bisschen filmisch gesehen, Szenenwechsel von der eher nüchternen Rückschau und dann Überblende in das tatsächliche Erleben.

Ich hab's schon in der Antwort an Novak angedeutet, dass ich den Bruch von der Idylle zur Ernüchterung darstellen wollte. Dafür empfinde ich es als notwendig, das auch mit einer gewissen Ausführlichkeit zu tun, um die Wirkung des Bruches zu verstärken. Die Darstellung der Idylle insgesamt ist aber doch nicht nur Einleitung. Das sehe ich anders.

Am Ende passiert ja nicht wirklich etwas dermaßen spektakuläres in der Geschichte, da spritzt weder Blut, noch gibt es Tote. Aber es weckt doch auf, von träumerisch verklärt zu realistisch. Es ist doch bei vielen KG's so, dass der Knalleffekt am Ende ausführlich vorbereitet wird und dann selbst kurz ausfällt. Find ich ganz normal.

Aber bitte, 3/4 des Textes ohne Höhepunkte, ohne Spannung aus dem Mund eines berichtenden Erzählers und erst ganz am Ende, fängt es an - das ist nicht wirklich geschickt.

... ein starker Punkt, da muss ich leider ein Stückchen des Weges mitgehen.

Will mal sehen, Jupp's Gewaltausbruch mehr in Wörtlicher Rede darzustellen, finde ich im Nachhinein unglücklich gewählt, das mit Erzählstimme zu tun.

Vllt kann ich dich ja demnächst etwas mehr begeistern, würde mich freuen. Auf jeden Fall erst mal Danke für deine für die Mühe.

viele Grüße

elfenweg

 

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