Wieso nicht
Wieso nicht?
Jürg Fröhlich verliess die Schule am Mittwoch abend bereits um halb sieben, der letzte Schüler hatte sich abgemeldet, auf der sms stand: kann nicht in die stunde kommen, muss für mathe-test lernen morgen, gruss thomas, statt um viertel nach sieben.
Am nachmittag waren seine Gedanken wieder mal bei Laura gewesen. Seit ihrem letzten Gig passierte ihm das des öfteren. Immer wieder sah und hörte er sie in seinem Kopf, sah, wie sie sich in ihrem sexy-Outfit auf der Bühne zur Musik bewegte, hörte sie singen, ganze Phrasen klangen in seinem Kopf wieder, als stünde sie vor ihm. Er sah, wie sie sich ihm zuwendete, ihn mit ihren strahlenden Augen anschaute, ihm zulächelte, wenn er das time für ein neues Stück anzählte: one – two, one two three four, er setzte mit der Rhythmusgruppe ein, spielte den Intro und nachher kam sie mit ihrer warmen, bluesigen Stimme dazu.
Was hatte sie ausserdem für einen wunderbaren Gang! Von diesem und von der Art, der Anmut aller Bewegungen hängt doch die Attraktivität, die Schönheit einer Frau massgeblich ab, musste Fröhlich denken. Und wenn die Lady zusätzlich noch ein tiefausgeschnittenes Top, das den wohlgeformten Busen zur Geltung bringt, ausserdem eine tiefgeschnittene Jeans, die die Sicht auf ein kleines Stückchen rosaroten Stoffes eines Stringtangas ermöglicht, trägt, so war das mehr als Grund genug, ihm, Fröhlich, den Impuls zu geben, das Handy in die Hand zu nehmen, um sie anzurufen.
Ihre Telefon-Nummer war in seinem Handy gespeichert. Einfach auf Kontakte gehen, dann L drücken, ihr Name kam als Erster.
Er drückte die grüne Taste: das Klingelzeichen ertönte, einmal – zweimal – dreimal – viermal,
„Hallo?“ am andern Ende.
„Bist Du’s Laura? Hier ist Jürg. Stör ich Dich gerade?“
„Nein, überhaupt nicht. Hey, ciao Jürg, was für eine Überraschung! Wie geht es Dir? Alles in Ordnung?“
„Ja, alles okay. Bei Dir auch? – Schön. Ich musste heute nachmittag an Dich denken und drum rufe ich Dir jetzt ganz spontan an, und ausserdem hat sich der letzte Schüler noch abgemeldet, weisst Du.“
„Oje, poverino, jetz du nit weisch was mache, gell (haha)?“
„Genau. Du kluges Mädchen.“
„Nein, ich naives Huhn, io gallina matta, denn ich dachte schon, Du würdest mir einen Job anbieten für einen Gig. Aber macht nichts. Jetzt muss ich halt weiter auf die Zigaretten verzichten. Dieser Monat ist hart. Na ja, es kommen bestimmt wieder bessere Zeiten! Und, wie läuft’s bei Dir, Jürg?“
„Es geht, danke. Die Schüler sind eine Katastrophe. Frage mich immer, wieso die ihr Keyboard nicht auf dem Sperrmüll entsorgen. Was für eine Zeitvergeudung und Geldverschwendung! Aber handkehrum, mit all diesen Kunden bezahle ich schliesslich meine Strom-, Telefon-, Krankenkassenrechnungen etc., ich sollte daher froh sein.
Vermutlich haben wir nächsten Monate zwei drei Jobs, Laura. Aber wenn Du willst, kann ich dir schnell eine Stange Marlboro vorbeibringen. Ich möchte wirklich nicht, dass Du leidest.“
„Sehr lieb von Dir, Jürg. Würdest Du das wirklich für mich tun? Jetzt? – Was, in zehn Minuten bist Du schon hier? -Dann muss ich ja total pressieren mit aufräumen.- Okay, bis nachher, Du bist ein Schatz!“
Fröhlich eilte beschwingt die Treppen der Musikschule hinab, nahm manchmal zwei Stufen aufs mal, die ganze Müdigkeit, unter der er vorher, die letzten zwei Stunden beim Unterrichten zu leiden hatte, bei den drei letzten Schüler musste er sogar des öfteren mit dem Schlaf kämpfen, hatte grösste Mühe, nicht einzuschlafen, schien wie weggeblasen, stieg in sein Auto (ein alter Chrysler Voyager) und fuhr an die Dornacherstrasse, wo Laura wohnte.
Was tun, wenn Esther, seine Frau zufällig anrief? Das kam eigentlich sehr selten vor, aber man wusste ja nie. Er stellte daher sein Handy auf lautlos, nachdem er parkiert hatte und aus dem Auto ausgestiegen war und ging dann zuerst zum Türken, kaufte die Marlboros und ausserdem ein paar Dosen Bier (1664), und darauf klingelte er bei Laura, die sofort den Türöffner betätigte. Fröhlich nahm den Lift, drückte den Knopf, 2. Stock, und wurde an der Wohnungstür von einer strahlenden Laura empfangen. Küsschen, links, Küsschen rechts und wieder Küsschen links. Im Entrée überreichte er ihr die Zigaretten. Sie bedankte sich überschwänglich und führte ihn ins Wohnzimmer. Aus den Lautsprechern ertönte fetzige Musik, die ihm irgendwie bekannt vorkam. George Duke?
„Toller Sound. Wer ist das?“
„Incognito. Kennst Du?“
„Natürlich. Bluey Maunick mit seinen wunderbaren Musikern.“
„Ich liebe ihn und diese schwarzen Stimmen. Und die Arrangements sind so gut gemacht. Wie Bluey all diese guten Musiker zusammenbringt, das ist schon beeindruckend, finde ich. Und die Musik ist so voller Rhythmus, ideal zum Tanzen, aber doch noch viel mehr als reine Tanzmusik!“
„Absolut. Ein kreativer Kopf, ich liebe ihn auch. Etwas vom allerbesten in diesem Genre, denke ich. Hoffentlich wird er noch lange weitermachen mit seinen Projekten.“
Sie nahmen Platz auf der Sitzgruppe, er öffnete zwei Bierdosen, während dem Laura aus der Küche einen Aschenbecher holte, sich neben Fröhlich hinsetzte und sich die lang ersehnte Zigarette aus der Packung fischte. Das Ritual setzte sich fort, Fröhlich reichte ihr Feuer, sie sog an der Zigarette und liess den Rauch genüsslich in ihre Lungen strömen.
„Ah, che meraviglia! Das tut so gut! Grazie mille, Jürg, sei veramente un tesoro!“
„Na na na , das reicht, Du machst mich sonst noch verlegen. Es sind doch lediglich Ziehkarotten! Aber ich kenne Dein Laster aus eigener Erfahrung von früher. Zum Glück bin ich es losgeworden. Hoffentlich auf immer. Aber sicher weiss man das ja nie. Hier Laura, Dein Bier. Zum Wohl!“
„Salute!“ sagte Laura lachend. Sie liebte Fröhlichs Humor. Seine Art, er rechnete im Grunde immer mit dem Schlimmsten, machte sich nie Hoffnungen, hatte folglich keine Illusionen, Erwartungen, er nahm die Welt so wahr, wie sie war, was bedeutete, dass es kaum Grund gab, fröhlich zu sein, und er selbst darum allen Grund hatte, Fröhlich zu sein. Deshalb seine Begeisterung für Witze, über die er so gut lachen, die er sich so gut behalten und die er so gut erzählen konnte. Eine Begabung, die im übrigen sehr selten anzutreffen ist.
Er hatte Laura Morandi zufällig vor einem Jahr bei einem Gig kennengelernt. Sie hatte sich ihm damals vorgestellt, ihm erzählt, dass sie singen würde. Auf sein Verlangen schickte sie ihm dann ein Demo-Band, das ihm so gut gefiel, dass er sie probehalber für einen Auftritt engagierte. Das Publikum reagierte begeistert und ab sofort war sie nun mit von der Partie und wurde, wenn möglich, bei weiteren Gigs eingesetzt. Sie gab der Band einen zusätzlichen Kick, nicht nur durch ihre tolle Stimme, sondern auch durch ihre besondere Ausstrahlung.
„Kennst Du diesen Witz?“ fragte er Laura nach einiger Zeit.
„Keine Ahnung, woher soll ich das wissen? Du hast mir ja schon so viele erzählt.“
„Also: ein 100-jähriges Paar liegt im Bett beim Sex. Plötzlich fängt der Mann an, schwer zu atmen, zu stöhnen und zu keuchen.
Die Frau fragt besorgt: „Was ist denn mit Dir, geht es Dir nicht gut?“
Der Mann daraufhin: „Ich weiß nicht genau, entweder ich komm oder ich geh!!“
„Hahaha, den muss ich mir merken.“
„Nicht schlecht, gell?“ sagte Fröhlich.
„Möchtest Du noch einen? Den hab ich vorgestern gehört, ein Blondinen-Witz:
Eine Blondine geht in ein E-Mail Center, um ihrer Mutter eine Nachricht zu schicken.
Angestellter: „Das kostet 30 Euro.“
Blondine: „So viel Geld habe ich nicht, aber ich würde alles dafür tun, wenn ich meiner Mami nur eine Nachricht schicken könnte ...“
Angestellter (zieht eine Augenbraue hoch): „Alles ... ?“
Blondine: „Ja, ja, alles.“
Angestellter: „Nun, dann folgen Sie mir einfach.“
Er geht in Richtung des nächsten Raumes. Die Blondine tut, wie ihr gesagt wurde, und folgt ihm ...
Angestellter: „Kommen Sie herein und schließen Sie die Tür.“
Sie schließt die Tür.
Angestellter: „Nun knien Sie sich nieder.“
Sie kniet sich nieder.
Angestellter: „Nun öffne meinen Reißverschluss … und nimm ihn raus.“
Sie zögert einen Augenblick, greift dann zu, nimmt ihn in beide Hände … und wartet. Der Mann schließt erregt die Augen, zischt ungeduldig.
Angestellter: „Mach weiter, mach weiter.“
Sie feuchtet noch einmal ihre Lippen an. Dann schiebt sie ihren Kopf langsam nach vorne, bis sich ihre gespitzten Lippen unmittelbar in der richtigen Position befinden. Sie atmet noch einmal tief durch und flüstert leise …
„Hallo Mutti, kannst Du mich hören?“
Laura musste schallend lachen, klatschte sich auf die Schenkel, währenddem sie mit der andern Hand Fröhlichs Unterarm festhielt. Fröhlich war zufrieden.
Dann tranken sie aus ihren Bierdosen, hörten der rhythmischen Musik zu, die ihnen beiden so gut gefiel, und nach ungefähr zwei Nummern fragte Fröhlich, ob sie Lust habe, ein wenig zu tanzen, worauf sie sofort einwilligte.
Laura gab sich mit Leib und Seele der Musik hin, ihr Tanzen, ihr Körper, ihre Bewegungen waren unglaublich schön anzusehn. Fröhlich genoss diesen Anblick und er ertappte sich immer wieder dabei, wie er daran denken musste, wie es wohl im Bett mit ihr wäre. Er stellte sie sich nackt vor, wenn sie ihr Höschen auszog, bestimmt ein String, war sie rasiert, oder teilrasiert, trug sie ein Piercing, ein Tattoo, wie duftete sie unten, in den Achselhöhlen, im Nacken, wie fühlte sich wohl ihre Zunge an, wie stöhnte sie beim Sex, wie bewegte sie sich, was für Stellungen mochte sie, auf was stand sie? Er spürte, wie sein Schwanz sich regte und härter wurde. „Ob sie das wohl bemerkte?“ musste er sich unwillkürlicfh fragen. „Kaum“, sagte er sich, denn sie hielt ihre Augen die meiste Zeit geschlossen, schien ganz in die Musik und das Tanzen versunken. „Was soll ich tun?“, dachte er, „soll ich es probieren oder nicht? Ein kleiner Schritt für die Menschheit, doch ein grosser für meinen heutigen Tag! Ich bin ja blöd, wenn ich jetzt nicht zugreife, die Situation ist ideal. Das Hadern, die Unsicherheit, alles wegen Esther. Scheiss drauf, das eine hat nichts mit dem andern zu tun! Man lebt nur einmal.“
Er ging also auf Laura zu, ihre Augen immer noch geschlossen, ging um sie herum, so dass sie mit dem Rücken zu ihm stand, bewunderte ihren schönen Hintern, der sich rhythmisch zur Musik Incognitos bewegte und legte sanft seine Hände auf ihre Schultern, zog sie sachte zu sich, senkte seinen Kopf gegen ihren Nacken, spürte, roch ihr volles, gepflegtes scharzes Haar, der Geruch allein löste eine weitere Welle der Erregung in ihm aus, fasste sie danach um ihre Taille, die nicht aufhörte, sich im Takt hin und her zu bewegen. Er wartete einen Moment, eine halbe Minute, weniger?, mehr?, wer kann das sagen?, die Zeit schien aufgehört haben, zu existieren und zog dann diesen elastischen, lebendigen Körper zu sich, drückte sein Becken gegen das ihre, liess sie seine Erregung spüren, bewegte dann seine Hand nach oben, ganz langsam, unendlich langsam, mit äusserster Vorsicht, jedoch zärtlich, jeden Zentimeter geniessend, bis er endlich am Ziel ankam. Er umfasste, gleichzeitig scheu und doch auch voller Verlangen ihre Brust, streichelte sie sanft und nahm, gleich einem Erdbeben-Seismographen, voller Angst, die kleinste Regung Lauras wahr, gefasst und gespannt auf jede Reaktion von ihr. Doch sie liess seine geschickten Hände gewähren. Er konnte fortfahren, die ganze Übung nochmals, doch diesmal unter dem Stoff. Er fühlte ihre warme lebendige Haut auf seiner Handfläche, seine Fingerbeeren arbeiteten sich langsam nach oben, bis sie schliesslich, der BH war nur ein kleines, jedoch willkommenes Hindernis, auf dem weichen, vollen Busen zur Ruhe kamen. Laura hatte während alldem aufgehört mit Tanzen, ihre Augen hielt sich jedoch immer noch geschlossen, sie schien die Berührungen Fröhlichs zu geniessen.
Doch plötzlich war es still geworden im Raum, die CD hatte aufgehört, sich zu drehen. Laura umfasste Fröhlichs Hände, zog sie sachte nach unten, weg von ihrem Körper und drehte sich um, schaute ihm tief in die Augen, legte ihre Arme, ihre Hände um seinen Nacken und näherte ihre Lippen den seinen.
Für Fröhlich, der schon viele Frauen geküsst hatte, war dies wohl der süsseste, vollkommenste Kuss gewesen, den er je erlebt hatte. Diese Intensität, jede Faser seines Körpers schien förmlich zu vibrieren, hatte er bis anhin noch nie erfahren dürfen. Ihre Zungen schienen denselben Tanz weiter zu führen, den ihre Körper vorher zur Musik getanzt hatten. Es war ein ausserordentliches Erlebnis, für Beide, und Laura war es, die nach einer gewissen Zeit, wobei der Begriff Zeit in diesem Fall nicht der treffende Ausdruck ist, sagte, stammelte, stöhnte, flüsterte:
„Mamma mia, cos’ è successo?”
Fröhlich darauf, des Italienischen nicht kundig:
„Möchtest Du gerne mit Deiner Mutter telefonieren?“