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Wien und der Krieg

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16.06.2002
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Wien und der Krieg

Wien und der Krieg

Plötzlich herrschte unheimliche Stille in der Stadt. Für eine Sekunde lang bedrückende Stille. In den Kaufhäusern, den Büros, den Wohnungen, selbst in den Bussen und Straßenbahnen. Die Menschen hielten inne bei ihrer Arbeit, bei den Einkäufen und Hausarbeiten. Selbst die sonst geschäftig hektische Mariahilferstraße fiel in einen kurzen Moment des Schreckens. Radios plärrten die Nachricht in die Straßen und Gassen, auch in die ruhigen, grünen Vororte. Der Puppenspieler auf der Kärtnerstraße spielte weiter, so als ob nichts geschehen wäre, doch die rund um ihn stehenden Zuseher, sowie die Vorbeigehenden spürten die Beklemmung, welche die gesamte Stadt in jenem Moment erfasst hatte. Die zierliche Verkäuferin im Wäschegeschäft unterbrach das Zusammenlegen der Strümpfe, die ihr die Kundin auf den Ladentisch gelegt hatte, starrte ins Leere, lauschte den Nachrichten, die aus dem Pausenraum dröhnten. „Jetzt schiassn’s!", flüsterte sie und biss sich auf die Unterlippe. Nachdenklich schüttelte die Dame im elegant geschnittenen, dunkelblauen Kleid den Kopf, hielt die Fingerspitzen gegen ihre Lippen, die andere Hand auf der Glasplatte des Ladentisches ruhen lassend. „Ach Gott", meinte sie schließlich, „wir hoben’s doch eh gewusst, jetzt ist es halt so weit!" Achselzuckend packte die Verkäuferin die Strümpfe in einen grün glänzenden Papiersack, legte behutsam noch eine Werbebroschüre des Hauses hinein.

Ein älterer Mann im grauen Anzug, der soeben die Straßenbahn bei der Oper bestiegen hatte, steckte den Fahrschein in den Entwerter, sagte laut zu den anderen Fahrgästen, „Jetzt schiessn’s!" Bestürztes Kopfschütteln, sorgengefaltete Stirnen. Von einem Moment auf den anderen waren die Schlagzeilen der vor den Türen der Trafiken zur Schau gestellten Zeitungen nicht mehr gültig. „Aufschub möglich", „UNO könnte erfolgreich sein". Hoffnungsschimmernde Leitartikel, zunichte gemacht innerhalb einer Minute. Niemand las mehr Zeitung an jenem Nachmittag.

Die Hausmeisterin des Gemeindebaus, die gerade dabei war, fluchend Papiere, die jemand nachlässig am Boden verloren hatte, aufzuheben, lauschte verdutzt dem Gespräch der beiden Hausparteien im ersten Stock. „S’woa grod in die Nochrichtn. Sie schiassn scho!"
„Jetzt schiassn’s oiso!", flüsterte sie und warf die Papiere in die große Abfalltonne aus schwarzem Plastik.

In den Gängen der alten Hauptuniversität herrschte große Aufregung. Studenten standen bei den breiten, steinernen Treppenaufgängen, diskutierten, schlugen spontane Friedensdemonstrationen vor. „Man hat bereits angegriffen, Herr Professor!" „Ich hab’s gehört, wir werden sehen, wohin das führt!", meinte der vorbeieilende Professor, dessen Brille zur Mitte des Nasenrückens heruntergerutscht war. Studienkollegen, die soeben, zu einer Vorlesung eilend, das Gebäude betreten hatten, wurden aufgeregt angesprochen. „Sie schießen, weißt du’s schon?". „Um Gottes Willen, was nun!", antworteten sie und eilten weiter.

„Na jo", seufzte der Sachbearbeiter im Export-Import-Betrieb seinem Kollegen zu, der ihm gegenüber am Schreibtisch saß. Sie hatten das Radio wieder abgestellt, die Nachrichten waren vorbei. Die Menschen der Stadt gingen ihrem gewohnten Tagwerk nach. Der Verkehr stockte wie üblich, verstopfte die Straßen. In den Märkten und Geschäften wurde gekauft, das Leben floss wie gewohnt durch die Adern der Stadt. Doch die Luft war geladen. Unscheinbar hatte sich eine seltsame Gereiztheit in der Stadt ausgebreitet. Fahriger wurden die Blicke, die Schritte, das Herumfummeln in den Geldbörsen nach Münzen, das Auftürmen der Waren auf die Förderbänder vor den Kassen der Großmärkte, das Kramen in den Einkaufssäcken und Handtaschen nach den Schlüsseln. Oberflächlich betrachtet erlebte die Stadt einen ganz durchschnittlichen Vorabend, der sich nicht im Geringsten von den gewöhnlichen unterschied, doch bei genauerer und tieferer Betrachtung war jene seltsame Gereiztheit, jene kaum spürbare Beklemmung zu beobachten.

Mehr Mißgeschicke und Fehler als üblich passierten in den Büros, Werkstätten, Gastbetrieben. „Mir is heut irgendwie so komisch", war oft zu vernehmen. „I bin heut so nervös", stöhnten viele. Ungeduldiger als sonst waren die Menschen in den Warteschlangen, wiesen noch harscher als üblich sich Vordrängelnde zurecht. Die Abendausgaben wurden von in rote oder schreiend gelbe Jacken gekleideten Straßenverkäufern feilgeboten. Auf jedem Blatt stand die Schlagzeile in dicken, fetten Lettern. „Krieg!" Dicker waren die Zeitungen als gewöhnlich, mit all den Sonderbeilagen und zusätzlichen Sonderberichten.

Die Fahrzeuglenker hupten und schimpften öfter als sie es sonst taten. Selbst die rotgoldenen Strahlen der Abendsonne schienen zittrig. Mit knapperen, noch rascher hingefetzten Worten als üblich, bahnte man sich den Weg durch die Menschenmassen in den öffentlichen Transportmitteln, um rechtzeitig aussteigen zu können. Stoßzeit zu Kriegsbeginn. Es war anders als damals der Krieg im ehemaligen Jugoslawien begonnen hatte, anders als vor dem ersten Golfkrieg. Nun drohte der Krieg gefährlicher, ernster, gewaltiger als jene beiden Male. Unbewusst böseste Vorahnungen verdrängend, hetzten die Menschen durch die Straßen. Das Herz der Stadt pochte schneller.

Sondersendungen wurden im Radio und Fernsehen ausgestrahlt. Analysen wurden erstellt. Vor-Ort-Berichte dem Publikum dargeboten. Die blauen Lichtkreise der Fernsehgeräte schimmerten durch die Fenster. Es gab eine Stellungnahme des Bundeskanzlers. Österreich berief sich auf die immer währende Neutralität, welche die Regierung noch am Vormittag abschaffen wollte. Der Präsident hielt eine Ansprache. Kein Grund zur Beunruhigung! „Könnte Wien Ziel von Terroranschlägen werden?" „Wien doch nicht!", war vielerorts zu hören. „Mir is heut so komisch, ich bin den ganzen Tag schon so nervös!", sagte die Sekretärin zu ihrem Mann. „Ja, ich war heut auch so grantig und angespannt!", antwortete er. „Das is das Wetter, jetzt is so plötzlich warm worden!", ächzte sie. „Mama, die Lisa in der Schule hat gsagt heut hat da Krieg angfangen!" „Ja, Karin, aber das is sehr weit weg, weißt du? Jetzt iss das Gemüse auf!"

Nur vereinzelt saßen ein paar Einsame in den Kneipen, machten sich Gedanken, wie es denn weitergehen würde. „ach", dachten so manche in ihr Glas starrend, „is jo eh weit weg!" Die Kellnerin ließ wieder ein Glas fallen, „was isn heit mit mir los?", dachte sie, als sie das Vergossene aufwischte und die Scherben mit einem kleinen Besen auf die Blechschaufel kehrte. Die ganze Nacht hindurch Berichte, Bilder, ästhetisiert, kühl und keimfrei. Die Menschen sahen zu, hörten sich an, was gerade geschah. Im Dunkel der Nacht schmierte jemand einen weißen Halbmond auf die Auslagenscheibe eines arabischen Geschäftes. Langsam versank die Stadt in unruhigen Schlaf.

 

Hi Echnaton!

Ja, so könnte es wohl sein in 1 oder 2 Wochen, wenn wir Pech haben und alles so endet, wie es zur Zeit aussieht. Du hast das "Iregendwie wird es schon weiter gehen" sehr gut aufbereitet.

beste grüße
buji

 

Hallo Buji,

danke fürs Lesen! Ich stell mit halt die Stimmung in Wien so vor, wenn's passiert. Damals, als der Golfkrieg losging war auch eine leichte Ladung der Atmosphäre spürbar. Als der Krieg in Jugoslawien losging war ich im Ausland, ziemlich weit weg. Da hab ich vom Beginn nicht viel mitgekriegt. An jenem 11.9. war's auch irgendwie seltsam, die Atmosphäre, aber ich hab sie nicht als geladen, nervös empfunden, eher erfüllt von Sprachlosigkeit, Schock und Unverständnis.

Gut, daß die Stimmung bei Dir rübergekommen ist. Irgendwie wundert's mich nicht, daß Du gerade auf diesen Text von mir reagiert hast. Danke!

liebe Grüße

Echnaton

 

Hallo Echnaton!

Der Titel der Geschichte zwang mich geradezu zum Lesen und er hält was er verspricht. Die Idee zur Geschichte finde ich super und auch die Umsetzung ist sprachlich und inhaltlich gelungen. Man fühlt sich beim Lesen unmittelbar betroffen, weil das ganz auf vertraute Orte bezogen wird.

Sehr beklemmend, sehr realistisch erzählt. Weder über- noch untertrieben und gerade deshalb so unangenehm berührend.
Man kann nur hoffen, dass uns der Vergleich zur Wirklichkeit erspart bleibt.

lg
klara

 

So. Jetzt lese ich endlich mal auch einen Text von Dir, und toll, dass es ein so guter ist. Die Stimmung kommt ziemlich gut rueber, ist so aehnlich, wie am 11.9. als ich in D.C. war. Ich glaube die Spannung kommt daher, dass man sich der eigenen Machtlosigkeit bewusst wird. Dass es den Leuten egal ist, ob irgendwo Krieg ist, so wie teilweise in der Geschichte dargestellt, glaube ich nicht. Obwohl es viele gibt, die so tun als ob es ihnen egal ist. Aber gerade daher kommt ja auch diese Anspannung.

 

Servus Klara,

freut mich, daß es rübergekommen ist. Ich hoffe auch, daß wir das nicht erleben müssen. Beim ersten Golfkrieg hat man schon irgendwie so eine seltsame Gereiztheit der Leute spüren können. Sollte es diemal wieder passieren, dann stelle ich mir das so ungefähr vor, wie's beschrieben ist. Die Kärtnerstraße, die Mariahilfer.. Ich hoffe, der Wahrheitsbeweis tritt nie und es bleibt eine erfundene Geschichte...

I3en

Um die Erfahrung beneide ich Dich bei allen mir bekannten Göttern nicht. Eigentlich, ich mein, das ist ja sozusagen "vor der Haustür" passiert. Ich denk mir, das muß wirklich entsetzlich gewesen sein, vor allem, Du warst ja in einer von den Anschlägen betroffenen Stadt. Man hat viele Bilder im Fernsehen hier gesehen, aber, und das ist der Inhalt der Geschichte. Für die Wiener war das alles sehr weit weg und trotzdem war man nervös. Nein, egal ist es einem nicht, kann einem nicht egal sein. Krieg ist furchtbar, vor allem wenn daraus ein Flächenbrand werden könnte und diesmal ist die Gefahr größer als sonst, denke ich. Verdrängt wird die Angst, aber sie läßt sich halt nicht ganz verdrängen, deshalb ist man "komisch drauf", irgendwie "nervös", "könnt ja doch... Gott bewahre!"

danke Euch beiden fürs Lesen

viele Liebe Grüße aus Wien

Echnaton

 

Hallo Echnaton!

Hat mir auch sehr gut gefallen, wie Du die Atmosphäre in der Geschichte einfängst. Aber ich spüre da mehr als nur das "Irgendwie wirds schon weitergehen". Es ist Angst gemischt mit Hilflosigkeit. Und weil wir so hilflos sind, verdrängen wir es – oder versuchen, es zu verdrängen.

Ich hab nun eine Woche überlegt, was ich Dir zu Deiner Geschichte schreibe, und in der Zwischenzeit auch den Marsch der Lichter von Eva gelesen. Und immer wenn ich über eine der beiden Geschichten nachdenke, verschwimmen beide ineinander, ergänzen sich zu einer einzigen Geschichte, bei der die lethargische Laschheit der meisten Wiener auf der einen Seite und der hoffnungsvolle (daher auch leicht übertriebene) Aktionismus einiger weniger auf der anderen gegenübergestellt werden. Ich finde, man muß die beiden Geschichten gemeinsam lesen, dann bekommt Deine einen Hoffungsschimmer (der ihr zwar nicht unbedingt fehlt, aber doch auch nett wäre) und die von Eva wird weniger märchenhaft (was zwar nicht von mir, aber doch kritisiert wurde).
Wäre eine nette Idee, wenn Ihr beide Euch wirklich zusammensetzen und eine gemeinsame Geschichte draus schreiben würdet. Weit habt Ihr ja nicht. ;) Ist aber nur so eine aktionistische Idee von mir...

Ein paar wenige Kleinigkeiten noch:

"In den Kaufhäusern, in den Büros, in den Wohnungen, selbst in den Bussen und Straßenbahnen."
- die "in" vor Büros und Wohnungen würde ich streichen

"Ein älterer Mann im grauen Anzug, der soeben die Straßenbahn bei der Oper bestiegen hatte, steckte den Fahrschein in den Entwerter, sagte laut zu den anderen Fahrgästen, „jetzt schiessn’s!" Bestürztes Kopfschütteln, sorgengefaltete Stirnen."
- Fahrgästen:Jetzt
- Der Satz klingt, als würde er nach "schiessn’s!" noch weitergehen - würde zwischen "Entwerter" und "sagte" ein "und" schreiben.

"Sie schiassn scho!" „Jetzt schiassn’s oiso!"
- neue Zeile oder Bindestrich zwischen die direkten Reden - liest sich leichter, schaut besser aus (auch bei den im Text noch folgenden)

"Oberflächlich betrachtet, erlebte die Stadt"
- ohne Beistrich

Liebe Grüße,
Susi

 

Servus Häferl,

danke fürs Lesen und Deine Anregungen. Die Korrekturen werd ich dann später einbauen, nochmals den Text überarbeiten, wie üblich.

". Es ist Angst gemischt mit Hilflosigkeit. Und weil wir so hilflos sind, verdrängen wir es – oder versuchen, es zu verdrängen.

Das war meine Idde, eine Beschriebung des Tages an dems passiert. Muß wieder zurück zur Hackn (ächz)

liebe Grüße

Echnaton

 

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