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Wiedersehen für immer

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17.04.2004
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Wiedersehen für immer

Den bleischweren Telefonhörer in der Hand stand sie da. Sollte sie ihn anrufen? Würde er kommen? Schon mehrmals in den letzten drei Tagen hatte sie zum Hörer gegriffen, um ihn anzurufen, aber niemals den Mut dazu aufgebracht. Zweifel ließen sie immer wieder zögern, Angst davor, dass er sich nicht erinnerte, Angst davor, dass er nicht kam, Angst davor, dass er kam... aber am meisten Angst vor dem, WARUM sie ihn erreichen wollte, musste.
So oft hatte sie bereits da gesessen und versucht, ihn anzurufen. Der Zettel, auf dem seine mühsam herausgefundene Nummer stand, war bereits zerknittert, die Ziffern kaum noch zu lesen. Nach einem weiteren Moment des Zögerns gab sie sich einen Ruck und begann, die Zahlen zu wählen, schnell, um nicht wieder abzubrechen. „Lass ihn da sein! Lass ihn direkt drangehen! Noch mal schaffe ich das nicht!“ schoss es ihr immer und immer wieder durch den Kopf. Das Freizeichen ertönte, einmal, zweimal... beim dritten mal wollte sie gerade wieder auflegen, als seine Stimme am anderen Ende ertönte. Ihr Mund war plötzlich trocken, zu trocken, um etwas zu sagen.
„Hallo? Wer ist denn da????“ Jetzt oder nie!
„Hi, ich bin’s...“
War das wirklich ihre Stimme, die da so in den Hörer krächzte?
„Wer ist denn ich?“ Ein tiefer Atemzug, dann konnte sie weiterreden.
„Ich bin’s, Marion. Ich wollte nur....ich......erinnerst du dich an das Versprechen, dass du mir mal gegeben hast?“
Das Schweigen am anderen Ende machte ihr wieder Angst. Er erinnerte sich nicht, wusste vielleicht nichteinmal, wer da anrief. Wieder wollte sie gerade auflegen, doch da kam die Antwort.
„Wann soll ich bei dir sein? Und wo wohnst du jetzt?“ Tränen schossen aus ihren Augen, Tränen der Erleichterung.
„Hast du morgen Abend Zeit?“ Sie schämte sich für das Flehen in ihrer Stimme, sie hatte es immer gehasst, um etwas bitten zu müssen. Aber hier ging es nicht anders.
„Ja, hab ich. Und wenn nicht, würde ich sie mir nehmen. Ich bin gegen 8 bei dir.“ „Danke!“ Rasch gab sie ihm die Adresse und beendete das Gespräch, bevor Worte fallen würden, die alles zerstörten. Er erinnerte sich, und er würde kommen!!!!


Am nächsten Morgen erwachte sie mit einem Kater in einem Bett, das nicht das ihre war. So unbeschwert wie den letzten Abend hatte sie schon lange nicht mehr in ihrer Stammkneipe abgefeiert. Mit einem Lächeln betrachtete sie den dunklen Haarschopf neben sich, dann stand sie leise auf, zog sich an, schrieb ein paar Zeilen und verließ die Wohnung. Sie hasste die Zettel-auf-dem-Kopfkissen-Nummer, bei den wenigen one-night-stands in ihrem Leben hatte sie immer noch das Frühstück genossen... eben einen schönen Abschluss zu einem schönen Abend. Aber heute hatte sie dafür keine Zeit. Sie musste noch einiges erledigen, bevor Dennis Abends bei ihr auftauchte.
Als sie einige Stunden später schwer bepackt mit Einkäufen in ihre Wohnung kam, blinkte der AB wild. Ihr Herz setzte einen Moment aus. Sollte das Dennis sein, der absagen wollte? Sie ließ die Taschen fallen und hörte, noch in ihrer Jacke, das Gerät ab.
„Hi, hier ist Maik. Sag mal, kannst du mir die Tage mal meine CD mitbringen? Danke“
Noch ein paar ähnlich belanglose Anrufe. Dennis war nicht dabei, und Erleichterung machte sich in ihr breit. Sie suchte Maiks CD raus, legte sie auf den Tisch mit einem Zettel als Vermerk dabei, dann ging sie duschen. Es dauerte eine Weile, bis sie sich entschieden hatte, was sie anzog, aber schließlich entschied sie sich für eine Beige-farbende Hose mit einem engen schwarzen Oberteil dazu. Kein Make-up, das mochte sie sowieso nicht. Ein prüfender Blick in den Spiegel gab ihr bei ihrer Auswahl recht. Die langen dunklen Haare fielen weich über ihre Schultern bis fast zur Hüfte herab. Ja, sie war zufrieden.
Kurz nach 8 klingelte es, Dennis stand vor der Tür. Er hatte sich fast nicht verändert in den letzten 3 Jahren. Lächelnd nahm sie ihn in den Arm.
„Schön, dass du da bist. Komm rein.“
Er betrat die Wohnung, betrachtete sie ernst.
„Bist du dir ganz sicher?“ Das waren die ersten Worte, die er sprach.
„Ja. Aber lass uns erst mal essen, ich hab Gulasch mit Rotkohl und Klößen gemacht.“
Er ließ seinen Blick durch das Wohnzimmer schweifen, während er langsam seine Jacke auszog. Alles war akkurat aufgeräumt, der Tisch liebevoll gedeckt, Kerzen in der Mitte. Das hatte er so nicht erwartet. Er hatte eher erwartet, dass sie tränenüberströmt inmitten von Chaos sitzen würde. Es war so unwirklich alles.
Auf einem kleinen Schränkchen lagen mehrere Dinge, CDs. Bücher und anderes, alles mit kleinen Zetteln versehen. Vielleicht waren es diese Zettel, die ihm bewusst machten, dass sie es wirklich wollte. Sie überzeugten ihn davon, dass sie alles genau vorbereitet hatte. Keine überstürzte Handlung, sondern exakte Planung. Einerseits beruhigte ihn das, aber andererseits machte es ihm auch etwas Angst.
Das Essen verlief relativ schweigsam. Erst nach dem Nachtisch sah er ihr in die Augen. “Was ist los?“ Ruhig stand sie auf, griff nach einem Umschlag und reichte ihn an Dennis. Er zögerte, ihn aufzumachen, doch dann gab er sich einen Ruck. Schweigend las er die Dokumente. Den Rest darin ignorierte er.
Sie wartete, bis er fertig war, dann sah sie ihn ernst an.
„Du musst das nicht tun, Dennis. Hiermit entbinde ich dich von dem Versprechen! Ich will dich zu nichts zwingen, nur, weil wir es mal vor Jahren als beinahe noch Kinder so abgemacht haben!“
„Wie lange noch?“
Sie zuckte mit den Schultern. „Vielleicht ein paar Wochen, vielleicht auch ein paar Monate... keine Ahnung. Irgendwo dazwischen. Auf jeden Fall kann nichts auf der Welt da noch was dran ändern.“
Er nickte.
„Wenn du gehen willst, kannst du das ohne schlechtes Gewissen tun, Dennis!“
Langsam schüttelte er den Kopf. „Nein, ich bleibe bei dir.“
„Danke!“ Es war mehr geflüstert als gesagt, aber er hörte es dennoch. Schweigend nahm er ihre Hand und drückte sie fest.


Gemeinsam saßen sie auf der Couch, sahen sich einen Film an. Die ganze Zeit schon hielt er sie im Arm. Immer wieder nickte sie leicht weg, wurde dann aber noch mal wach und trank Wein.
„Ich hab eine Wahnsinnsangst! Aber noch mehr Angst hab ich davor, es nicht zu tun, Dennis. Ich hab es miterlebt! Ich könnte das nicht... “ Sie weinte. Er weinte auch, aber leise, so dass sie es nicht hörte. Schließlich stand sie auf, ging ins Bad. Einige Minuten vergingen, Minuten, in denen er sich doch fragte, ob es richtig war, was er hier tat. Er war versucht, einfach zu gehen, sie einfach alleine zu lassen. Doch er ging nicht. Später würde er sich noch oft fragen, ob er blieb, weil er es einmal vor vielen Jahren versprochen hatte, oder ob er ihr zu liebe blieb, und er würde niemals eine Antwort darauf finden. Er blieb einfach.
Sie kam wieder, trank rasch hintereinander drei Gläser Wein und kuschelte sich wieder in seine Arme.
Während der Film unbeachtet weiterlief fing sie an zu erzählen von den schönen Dingen in ihrem Leben. Ihrer ersten Liebe, ihren Urlauben in Dänemark, ihren Erlebnissen mit Freunden. Es war, als wolle sie nur das Positive erzählen, um genau das mitzunehmen. Er hörte ihr aufmerksam zu, sie fest in seinen Armen haltend, während ihre Stimme immer schleppender wurde, immer leiser, ihr Atem immer flacher.
Als sie schließlich schwieg, fing er an, leise zu erzählen. Irgendwelche belanglosen Dinge, es spielte keine Rolle mehr, was er da sagte. Längst hatte er den Fernseher als Störfaktor ausgemacht, er wollte nur, dass sie hörte, dass jemand bei ihr war. Irgendwann wurde ihm bewusst, dass sie sich nicht mehr regte. Einen Moment blieb er unbewegt sitzen. Irgendwann tastete er vorsichtig nach ihrem Puls. Nichts. Sanft küsste er sie auf die Stirn, dann rief er den Notarzt.

 

Hallo Thresenfee,

deine Geschichte hat mir ganz gut gefallen. Auch wenn mir ziemlich schnell klar war, wobei der Freund ihr helfen sollte, fand ich sie trotzdem spannend.
Du beschreibst eine schwierige Situation, die ich niemandem wünsche. Muss man so etwas tun, nur weil man es einmal versprochen hat? Wie geht man damit um, wenn man von jemandem darum gebeten wird? Die Andeutungen, warum sie sich umbringen will, fand ich übrigens ausreichend - man kriegt eine grobe Ahnung von ihrer Krankheit, mehr Details brauchte ich nicht.

Ein paar Anmerkungen:

Schon mehrmals in den letzten drei Tagen hatte sie zum Hörer gegriffen, um ihn anzurufen, aber niemals den Mut dazu aufgebracht.
So oft hatte sie bereits da gesessen und versucht, ihn anzurufen.
Den Satz würde ich streichen, da du das vorher schon ausführlich beschrieben hast.
Die langen dunklen Haare fielen weich über ihre Schultern bis fast zur Hüfte herab.
Immer wieder nickte sie leicht weg, wurde dann aber noch mal wach und trank Wein
Hier hat sich ein Absatzwechsel eingeschlichen
Ich hab eine Wahnsinnsangst!
Er hörte ihr aufmerksam zu, sie fest in seinen Armen haltend, während ihre Stimme immer schleppender wurde, immer leiser, ihr Atem immer flacher.

Liebe Grüße
Juschi

 

Hallo Juschi,
erstmal sorry dafür, dass ich erst jetzt reagiere, aber ich kam aus persönlichen Gründen einfach nicht dazu.

Das dir die Geschichte gefallen hat freut mich, danke für die positive Kritik. Es war das zweite, was ich je geschrieben hab, von daher freut mich das umso mehr.

Es sollte eigentlich spätestens nach dem Essen auch klar sein, worum es eigentlich geht.
Ich finde es aber interessant, dass du dich in erster Linie auf Dennis und seine Entscheidung beziehst. Die meisten in meinem Bekanntenkreis, die das gelesen haben, haben sich in erster Linie über Marion und ihre Situation Gedanken gemacht, und wie sie damit umgeht. Schön, dass jemand auch mal die andere Seite betrachtet.

Liebe Grüße,
Thresenfee

 

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