Wie wir einmal zu Vertriebenen wurden
Wie Wir Einmal Zu Vertriebenen Wurden
WIE WIR EINMAL ZU VERTRIEBENEN WURDEN
UND IN FLUßNOT GERIETEN
1. Die Vertreibung
In den Anfängen unserer erfolgreichen Karriere bei der christlichen Seefahrt, also damals, als wir unsere roten Kanadier (sprich: "Indianerkanus" )noch nicht besaßen, dennoch eine verstärkte Affinität zum Wasser im Allgemeinen und zur Lippe im Besonderen verspürten, blieb uns ja wegen der chronischen Ebbe in unserer WeGe- Kasse nichts anderes übrig.
Das meint, wir mussten uns bei unseren Aktivitäten mit Kaufhaus- Badebooten, die wir stolz "Schlauchboote" nannten, bescheiden.
Also, vom Prinzip her sind es natürlich Schlauchboote, aber zwischen einem solchen Ding aus dem Kaufhaus und einem richtigen von, sagen wir mal, Kletzler oder Mepper besteht schon ein gewisser Unterschied. Aber, ach je, die Finanzen.
Wie dem auch sei, eines Tages, im Sommer `74 mag es gewesen sein, also zu einer Zeit, als die meisten von Euch noch nicht einmal ein Zwinkern im Auge Eures Vaters waren, verspürte der männliche Teil unserer WeGe, so nennt man nebenbei eine durch AküFi (Abkürzungs- Fimmel) verunstaltete Wohngemeinschaft, also Ricky, die beiden Rainers und ich, das dringende Bedürfnis nach Ruhe, Frieden, Bier, Natur und einem richtigen Gespräch unter Männern.
Also schnappten wir uns Zelt, Bier, Grill sowie Badeboot und ließen uns von der augenblicklichen Gattin des Rainer I ein wenig außerhalb der Stadt absetzen. Wir machten brav winke winke, während sie mit mürrischer Miene davonbrauste.
Frauen haben ja nie (oder jedenfalls fast nie) Verständnis für so etwas, wenn sie nicht mitmachen dürfen. Andererseits, platzen sie mal aus Versehen in ein Damen- Kaffeekränzchen, bald schon haben sie Clown das Gefühl, sechs Nummern zu große Schuhe, Flecken auf der Hose, Pickel im Gesicht, übergroße Ohren und einen allgemein wirren Blick zu haben. C´est la vie, wie der gebildete Mitteleuropäer sagt.
Wir tapferen Jungmannen jedenfalls stapften am Rand eines Feldes mit Gepäck dem am Lippeufer gelegenen Galgenknapp entgegen.
Der Galgenknapp heißt deshalb so, weil der Fama gemäß dort der letzte Galgen von Werries gestanden haben soll.
Ob´s wahr ist, weiß ich nicht, wir auf alle Fälle hatten keine Angst vor Gehängten oder Lebenden. Und das ganz ohne Grund, wie sich herausstellen sollte.
Bald hatten wir ein Fleckchen Wiese erspäht, unser Zelt aufgebaut und die ersten Biere niedergemacht, als plötzlich ein rotgesichtiger, mit grüner Lodenjacke und ebensolcher Schirm- Mütze versehener Herr wie aus dem Boden gewachsen vor uns stand. Mir schwante nichts Gutes.
"Wat macht ihr hier?" waren seine ersten Worte.
"Dschä," meinten wir, "n´ bisschen grillen und Bier trinken."
"Über mein Feld seid ihr chelaufen und auf meiner Wiese seid ihr," entgegnete der Rotgesichtige und ließ gleich darauf eine konkrete Anweisung folgen: "Verschwindet jetzt!"
Angesichts fehlender Transportmöglichkeiten versuchte Rainer II sein Bestes, um die Situation zu bereinigen, machte aber einen schwerwiegenden taktischen Fehler. Er sagte: "Aber Herr Bauer, wir haben kein Auto..."
Das war denn wohl zu viel, die Gesichtsfarbe des Grünbefrackten änderte sich komplementär in purpur bis violett, ich dachte bei mir, mein Gott, entweder fliegt ihm jetzt der Schädel weg, oder er erliegt auf der Stelle dem Schlagfluss, und dann brüllte er los: "In fünf Minuten seid ihr runner von mein Land, oder ich lern euch dat ab!!!"
Sprach´s, nein brüllte es, drehte sich auf der Hacke um und verschwand.
Das war Auftritt und Abgang der Bauern Heinrich Hagedorn, gen. Wiemer, den Ricky und ich einige Zeit später als einen zwar cholerischen, aber doch recht umgänglichen Menschen kennen lernen sollten. Man konnte alles von ihm haben, nur fragen musste man halt. Und das hatten wir eben versäumt.
Doch an diesem Abend hatten wir nun Probleme. Wie hier wegkommen mit Gepäck?
Stillvergnügt gluckste die grüne Lippe in unserer Nähe und bemühte sich, uns etwas mitzuteilen. Es dauerte aber einen Augenblick, bis wir draufkamen. Doch dann hatte einer die zündende Idee. "Warum packen wir nicht alles ins Boot und lassen uns die Lippe `runtertreiben bis nach Hause?"
"Oder einen anderen Platz, wo wir bleiben können!"
"Au ja!"
So packten wir denn das Zelt zusammen und ins derweil aufgeblasene Boot, das Bier, das Grillgut und den glücklicherweise noch nicht in Gang gesetzten Grill hinterher und krabbelten als leicht frustriertes Häufchen Vertriebener obenauf. Dann ließen wir uns Lippab in die aufdämmernde Nacht treiben.
2. S ave O ur S ouls
Es wurde dusterer und dusterer, Rainer II nieste leise vor sich hin und machte ein allgemein unzufriedenen Eindruck.
Ich nahm einen Schluck aus der Bierflasche und dachte bei mir: Der Mann ist mürrisch. Man muss ihn aufmuntern. Mal sehen, wie.
Schon bald ergab sich eine herrliche Gelegenheit. An einer Stelle war ein Draht quer über die Lippe gespannt, nicht allzu hoch, durch den Strom zu einem elektrischen Weidezaun auf der anderen Seite der Lippe geführt wurde. Ich sah meine seemännischen Kameraden, außer Rainer II natürlich, der mürrisch zu Boden blickte, an und mehr war nicht nötig. Sechs Hände griffen nach oben und hielten sich fest.
Nun ist das so, wenn drei Händepaare den Strom ableiten, ist der Stromstoß für den Einzelnen nicht allzu stark.
Rainer II schreckte hoch und fragte: "Was macht ihr da?"
"Kucken, wie viel Strom da drauf ist, die Menge ist es nicht." meinte ich freundlich.
Rainer II griff vertrauensvoll zu und sagte: "Tatsächlich, nicht viel drauf!" Ich brauchte Ricky und Rainer I nicht einmal anzusehen, wie ein Mann ließen wir den Draht los schauten begeistert zu, wie Rainer II am Draht zappelte. Das war lustig. Fanden wir. Rainer II wohl weniger, er stieg bald darauf, als wir in der Nähe unseres Hauses vorbeikamen, aus. Wegen der Erkältung, sagte er. Rainer I auch, wegen Heimweh nach seinem Weibe, wie Ricky und mir deuchte, auch wegen Erkältung wie er sagte. Wir zwei Übriggebliebenen trieben weiter Lippabwärts.
"So sin se ebend," sagte Ricky.
Inzwischen war es Nacht geworden.
Nun ist es eine ganz besondere Sache, Nachts auf einem Fluss wie der Lippe unterwegs zu sein. Bei klarem Himmel in einer warmen Sommernacht sieht das über einem aus wie schwarzer Samt, in den kleine Diamantensplitter eingelagert sind. Mit etwas Glück steht ein roter Halbmond am westlichen Himmel und auf dem Fluss kann man nicht erkennen, in welche Richtung die nächste Kurve geht. Es sieht vielmehr aus, als gleite man von einem märchenhaften See in den nächsten.
Kaum ein Geräusch ist zu hören, man selbst ist ganz still, nur der Fluss gluckst leise und ab und zu springt ein Fisch.
Manchmal auch ins Boot. (Tatsächlich, ist mir selbst einige Male passiert, das ist immer ein Heidentheater, bis das Viech wieder draußen ist).
Ricky und ich trieben also andächtig verzaubert dahin, genossen unser Bier (leise) und sagten nix. Nur der Wind in den Weiden rauschte ab und zu.
Als das Rauschen nach einem Stündchen gar nicht mehr aufhören wollte, meinte ich träge zu Ricky: "Sag mal, ist hier nicht irgendwo ein Wehr oder so?"
"Ja," sprach Ricky in aller Ruhe, "das Heessener Wehr am Schloss".
"Oh, oh, ich vermute, da sind wir jetzt!"
Kein Zweifel, das war nicht mehr der Wind in den Weiden, das war eindeutig Wasser, was da rauschte.
"Links, nach links müssen wir halten!" schrie ich gegen den lauter werdenden Lärm an, "Da wird es ruhiger!"
So ein, na ja, Schlauchboot ist ja nicht besonders manövrierfreundlich, wenn man erst einmal in einen Sog geraten ist, aber mit vereinten Kräften gelang es uns, das Boot ans linke Ufer zu pullen. Vor einer Eisenwand und an einer Treppe nach oben wischten wir uns den Schweiß ab und versuchten, die Panik aus dem Blick zu kriegen. Das war wirklich knapp gewesen!
Wir stiegen erst mal aus und inspizierten die Örtlichkeit. Offensichtlich führte ein Lippearm um das Wehr herum, nur durch eine Art Schleuse, vor der wir lagen, versperrt. Kein Problem für uns harte Männer.
Wir schleiften das Gepäck nach oben, das Boot hinterher und transportierten alles über zwei Weidezäune zur anderen Seite der Schleuse. Dort dann wieder zu Wasser und hinein.
In der Mitte des Lippearms bemerkte ich voller Entsetzten, daß das Boot unter mir plötzlich sehr weich wurde. Offensichtlich hatten wir beim Überqueren der Stacheldrahtzäune dort ein Stück Boot zurückgelassen. Äußerst peinlich!
"Los, PULL ," schrie ich, "wir saufen ab!!!"
Im letzten Moment, mit bereits nassen Füßen, krabbelten wir ans (steile) Ufer, packten das inzwischen schon sehr weiche Boot am Kragen und hievten es an Land. Dann schauten wir uns um.
Schreck! Wir befanden uns auf der falschen Seite des Lippearms, auf der Insel nämlich!
An der Schleuse gab es natürlich eine Möglichkeit, rüberzukommen. Aber da war auch ein Häuschen, in dem Licht war und wir hatten die Vorstellung, daß da jemand mit Schrotflinte auf uns lauerte. (Na ja, ganz nüchtern waren wir ja nicht mehr.) Also sahen wir uns anderweitig um.
Aber keine Möglichkeit, anders von der Insel zu entkommen. Mitten auf der Lippe zu stranden und in Flussnot zu geraten, das hätten wir uns auch nicht träumen lassen.
Auf dieser Insel befindet sich ein regelrechter Dschungel, und bald kamen wir uns vor, wie am Amazonas. Doch das Glück lächelte uns wieder zu und wir fanden am westlichen Ende eine sandige Landzunge, nicht einsehbar, wo wir unser Zelt und den Grill aufbauen konnten. Wir futterten (endlich) unsere Steaks, machten den Rest Bier nieder und hauten uns für ein paar Stunden aufs Ohr (Nicht gegenseitig).
Am frühen Morgen besahen wir uns die Bescherung und fanden eine Problemlösung. Ricky und ich packten alles Gepäck in das nun total platte Boot und bald sah man einige sehr verblüffte Angler am Ufer sitzen. Es muss aber auch ein komischer Anblick gewesen sein!
Während Ricky wie ein Wahnsinniger die Riemen schwang, hockte ich auf dem Heck, den Aufblas- Stutzen im Mund und pustete, was die Backen hergaben.
Doch wir haben trocken das sichere Ufer erreicht und unseren Frieden mit der Lippe gemacht.
Trotzdem waren wir an dem Morgen froh, wieder zu Hause zu sein.
Wir hatten viel zu erzählen.