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Wie sollte Schreiben helfen?
Mein Therapeut sagt, Schreiben hilft. Doch Worte machen Dinge nicht ungeschehen, wie sollte Schreiben helfen? Aber ich will ein guter Patient sein, einer, der seinen Therapeuten nicht enttäuscht. Das ist meine Schwäche, also schreibe ich.
„Schreiben Sie auf, was passiert ist und wie sie sich dabei gefühlt haben“, hat er gesagt.
„Wo soll ich denn anfangen?“, habe ich ihn gefragt.
„Wo immer Sie wollen.“
Vielleicht sollte ich bei der Buchsbaumschere beginnen. Die habe ich im letzten Sommer bei Lupinsky im Baumarkt gekauft, für die Buchsbaumhecken in unserem Garten. Buchsbaum wächst langsam und braucht Geduld. Aber die klaren Linien, die schafft nur er. Ich mag klare Linien. Jedes Jahr im Februar schneide ich die Buchsbaumhecken in Form, aber nicht in diesem Jahr. In diesem Jahr habe ich meine Frau getötet. Es war übrigens mit der Buchsbaumschere, fünfmal habe ich zugestochen, mit der Buchsbaumschere auf meine Frau eingestochen, fünf Mal.
Ich bin nicht stolz auf das, was ich getan habe. Was ich empfinde, ist eher ein Gefühl von Freiheit. Was seltsam ist, wenn man bedenkt, dass ich im Gefängnis bin. Natürlich. Man kann nicht einfach seine Frau erstechen. Mein Anwalt sagte, dass ich in die forensische Psychiatrie gehöre, darum hat er meine Schuldfähigkeit prüfen lassen. Aber das Gutachten hat ergeben, dass ich wusste, was ich tat, und dass ich schuldfähig bin.
Ich bin von der Arbeit gekommen und zuerst ins Gartenhäuschen gegangen, dort habe ich die Buchsbaumschere in meine Jackentasche gesteckt. Ich habe an der Haustür geklingelt und Veronica hat aufgemacht. Veronica ist, nein, Veronica war meine Frau. Jetzt ist sie tot. Veronica hat mir die Tür geöffnet und fing gleich an mit ihrer ewigen Nörgelei: „Was soll das? Kannst du nicht deinen Schlüssel mitnehmen? Bin ich dein Dienstmädchen, oder was?“
„Ich habe meinen Schlüssel vergessen“, sagte ich.
Sie hat ihren Kopf geschüttelt und die Augen gerollt: „Keine Ahnung, warum ich dich geheiratet habe.“
Das war verletzend, aber es macht mir nicht viel aus, verletzt zu werden. Darum wollte ich ihr noch eine Chance geben, das schien mir fair zu sein, es war ja nicht alles schlecht.
Ich sagte: „Weil du mich geliebt hast?“
Da hat sie gelacht, laut und fies. Gerne würde ich Janna Schwerter erzählen, dass ich vielleicht wütend war, an diesem Februartag, als Veronica so fies lachte. Sie hat sich immer gewünscht, dass ich mal wütend würde. Ich habe die Buchsbaumschere aus meiner Jackentasche genommen und auf Veronica eingestochen. Fünf Mal. Der erste Stich ging in ihr rechtes Schulterblatt, danach drehte sie sich zu mir um. Ich weiß nicht mehr, wo ich sonst noch die Schere in ihren Körper stieß. Es war eine scharfe Schere, denn es ist wichtig, den Buchs mit einer scharfen Schere zu schneiden, das hat auch Lupinsky gesagt. Es war anstrengend, die Schere in ihren Körper zu rammen. Ich musste viel Kraft dafür aufwenden.
Aber ich möchte nicht, dass Sie denken, ich sei ein eiskalter Killer, einer, der einfach so seine Frau ersticht und dann die Tür hinter sich schließt und geht. Kennen Sie das, dass Sie einen Plan haben und dann doch alles anders kommt, weil Ihre Beine sich weigern, Sie auch nur bis zur Tür zu tragen? Ich konnte Veronica nicht einfach zurücklassen, ich wollte, aber ich konnte nicht. Sie röchelte und schien nur schwer Luft zu bekommen. Und ich entschuldigte mich bei ihr dafür, sie so enttäuscht zu haben.
„Es tut mir leid“, sagte ich, während ich ihren Kopf hielt. „Es tut mir so leid. Du hattest einen besseren Mann verdient.“
Ich erinnere mich, dass ich dasaß mit ihrem Kopf in meinem Schoß, dass ich Angst hatte und nicht wollte, dass meine Tränen und mein Rotz sie beschmutzten. Ich glaube, es war das erste Mal, dass ich nicht tat, was von mir erwartet wurde. Ich ging nicht zu Janna Schwerter, obwohl sie auf mich wartete. Ich ging nicht zu ihr. Ich rief die Polizei. Danach ging alles sehr schnell, ich war in Untersuchungshaft, der Prozess begann und jetzt bin ich seit ein paar Wochen hier. Ich habe eine kleine Zelle für mich allein, mit Bett und Regal, Tisch und Stuhl. Sie nennen es Haftraum.
Einmal pro Woche sehe ich den Therapeuten. Es tut mir gut, hier zu sein. Der Therapeut sagt, ich habe eine dependente Persönlichkeitsstörung, das ist etwas, was tief in mir verwurzelt ist, sagt er, etwas, was ein Teil meines Kerns ist. Es fällt mir schwer, unabhängig zu sein, für mich allein zu sorgen, eine eigene Meinung zu haben, andere zu enttäuschen, ‚nein‘ zu sagen. Wir werden darüber sprechen, hat er gesagt, wie es dazu gekommen ist.
Aber das habe ich schon mit Janna Schwerter besprochen, jede Woche, ein Jahr lang. Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie stand auf ihrem Praxisschild und sie hat gesagt, meine Mutter habe mich traumatisiert. Zum Beispiel als sie meine Arme an das Rohr der Heizung band, damit ich mich nicht vor ihren Schlägen und Tritten schützen konnte. Da war ich sechs und hatte Angst, sie schlägt mich tot. Ein anderes Mal hat sie mich an einer Straße außerhalb unserer Stadt ausgesetzt, ich weiß nicht mehr wieso, ich glaube, ich hatte Schwierigkeiten die Mathehausaufgaben zu verstehen. Ich musste einen Koffer packen und dann hat sie mich an die Straße gestellt, es war dunkel und kalt, zusammen mit dem Koffer hat sie mich an die Straße gestellt. Zwei Stunden später hat sie mich wieder abgeholt, ich war acht Jahre alt und hatte mich keinen Meter bewegt.
Meine Mutter hat viele Dinge getan und gesagt, um mich zu quälen. Und durch Janna Schwerter habe ich verstanden, dass das etwas mit einem Kind macht und ich habe auch verstanden, dass nicht ich es bin, der sich falsch fühlen sollte, sondern meine Mutter. Aber das Leben ist nicht immer, wie es sein sollte. Ich bin der Fehler, das fühle ich ganz deutlich.
Zu Janna Schwerter sagte ich in unserer ersten Sitzung: „Meine Frau wünscht sich, dass ich auch mal meine Meinung sage.“
Sie hat genickt und gelächelt: „Haben Sie denn eine Meinung, Herr Tamsen?“
Ich mochte ihr Lächeln, es wärmte mich innen drinnen. Von ihr lernte ich, dass es Menschen gibt, die es mögen zu führen, und dass es Menschen gibt wie mich, die es mögen, geführt zu werden. Und auch, dass es Menschen gibt wie Veronica und meine Mutter, die sich nicht entscheiden können und damit anderen das Leben versauen. Fair ist das nicht. Janna Schwerter sagte mir, was ich fühlte, was ich dachte, was zu tun war. Sie führte, ich folgte.
In der Sitzung, in der ich Janna Schwerter das letzte Mal sah, ging es um einen Streit mit meiner Frau.
„Ich will mich von Veronica trennen“, sagte ich. Janna Schwerter schwieg.
„Wie oft haben wir darüber nun schon gesprochen?“, fragte sie dann.
Mein Herz begann zu rasen: „Schon oft.“
Sie sah mich an, sagte nichts, atmete tief ein und hielt die Luft ein paar Sekunden in ihren Lungen, bevor sie wieder ausatmete.
Schließlich fragte sie gelangweilt: "Und warum werden Sie Veronica nicht verlassen?"
Innerhalb von Sekunden war mein Mund so trocken wie die Atacama-Wüste. Ich hatte sie verärgert, hatte einmal zu viel dieselbe Frage gestellt. Mein Körper fühlte sich an, als wäre ich auf der Flucht. Innerlich rannte ich, ich hörte die Gefahr näherkommen, die mich gleich erreichen und mich dann vernichten würde. Planlos, ziellos, hilflos bin ich bei Gefahr. Ich renne nur im Inneren, im Außen versteinere ich. So saß ich da, verstummt und erstarrt, wartete, dass sie anfangen würde zu schreien.
„Herr Tamsen!“, sagte Janna Schwerter. Ihre Stimme kam von weit her, durchdrang den dichten Nebel, der mich umgab, nur langsam und leise.
„Herr Tamsen!“, wiederholte sie. Es lag Güte in ihrer Stimme, Güte, die es durch den Nebel schaffte. Mein Herz raste noch immer, aber ich konnte sie hören, sie sehen. Sie schaute mich an.
„Es gibt einen Weg!“, sagte ich, doch die Worte zerbröselten in meinem Mund. Ich versuchte es erneut und diesmal kamen Worte, die hörbar waren.
„Es gibt einen Weg, wie ich mich trennen kann.“
„Dann tun Sie es“, sagte Janna Schwerter, „trennen Sie sich! Wenn es einen Weg gibt, dann gehen Sie den. Und wenn Sie diesen Weg gegangen sind, dann reden wir weiter. Nächsten Dienstag um 17 Uhr?“
Sie fragte nicht, was für ein Weg das sei. Vielleicht, weil die Sitzung zu Ende war. Vielleicht wusste sie es auch. Janna Schwerter führte, ich folgte. Am folgenden Dienstag kam ich wie immer um vier Uhr von der Arbeit nach Hause. Ich tat, was zu tun war. Ich trennte mich von Veronica. Ich ging zum Gartenhaus. Die Buchsbaumschere schien mir geeignet zu sein. Ich steckte sie in meine Jackentasche und klingelte an der Tür, damit Veronica sie öffnen würde.
Jetzt bin ich hier, denn ich habe die Polizei gerufen, obwohl Janna Schwerter auf mich gewartet hat. Es gefällt mir hier. Ich habe eine Zelle für mich, mit Bett und Regal, Tisch und Stuhl. Es geht mir gut, viel besser als zuvor. Ich sitze in meiner Zelle mit einem Stift in meiner Hand, auf meinem Tisch ein leeres Heft, denn Schreiben hilft, sagt der Therapeut.