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Wie Mutterherzen schlagen

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15.02.2011
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Wie Mutterherzen schlagen

Immer, wenn Joelle schläft –und sie schläft tief- sehe ich mir die alten Zeitungsausschnitte an. „Vermisst“ heißt die Schlagzeile, darunter das Bild des Babys Anni. Anni, ein alberner, süßlich mädchenhaft klingender Name. Ich blättere weiter und betrachte ein Foto, das ich eigens vergrößern lassen habe, sodass die abgebildete Person nur verschwommen zu sehen war. Es war eine verkörnte Großkopie eines Bildes von Annis Mutter. Inzwischen würde ich sie überall wiedererkennen.
Jessica hieß die Mutter, sie war damals, als dieser schreckliche Fall noch aktuell war, mehrmals in den Medien zu sehen. Eine hysterische, aufbrausende Frau, was man im Angesicht der Situation sehr gut nachvollziehen kann. Man sagt, es ist das schlimmste für eine Mutter ihr eigenes Kind zu verlieren und aus eigener Erfahrung kann ich das bestätigen. Sarah, meine eigene Tochter starb ca. drei Jahre, bevor ich Jessica kennen lernte.
Ich hatte mir nie Gedanken über ein Kind gemacht, bis es einfach in mein Leben trat. Am 3. Mai 1998 erfuhr ich dass ich schwanger war. Ich konnte es nicht begreifen, doch so geschockt ich auch war, wusste ich von Anfang an, dass ich dieses Kind um Nichts in der Welt wieder hergeben würde. Ich liebte meine Tochter von der ersten Sekunde an, die ich um sie wusste. Dieses Gefühl, dass dort ein Mensch war, der auf mich angewiesen war, der mich liebte, machte mich so glücklich, wie seit langem nicht mehr. Ich war nicht mehr allein. Doch ein schrecklicher Zwischenfall riss mich mit brutaler Gewalt in die Wirklichkeit zurück. Ich verlor meine geliebte Tochter bei der Geburt. Ich erinnere mich noch daran, wie ich im Kreissaal lag und wie allein und verlassen ich mich gefühlt habe. Durch einige Komplikationen kam Sarah viel zu früh auf die Welt und ich musste machtlos zusehen, wie meine Tochter, der ich all meine Liebe schenken wollte, die ich beschützen wollte, als wäre sie mein eigenes Leben, starb. So unerwartet das Glück in mein Leben trat, ebenso brutal wurde es mir wieder genommen. Von diesem Tage an konnte ich keine Kinder mehr bekommen.
Ich brauchte ganze drei Monate, um von dem Schock los zu kommen und den Schmerz halbwegs zu verdrängen. Erlöschen wird er wohl nie, selbst jetzt, nach so langer Zeit, tut es immer noch weh daran zurück zu denken.
Nach den drei Monaten wurde mir eines bewusst: Ich wünschte mir so sehr eine Tochter. Ein kleines Mädchen, das ich beschützen kann und trösten, wenn es weint.
Ich berwarb mich bei sämtlichen Jugendämtern der Gegend, doch es stellte sich heraus, dass ich nicht die Voraussetzungen erfüllte, die man braucht um ein Kind zu adoptieren. Ich war allein, hatte keinen Job, und war mit meine einundzwanzig Jahren nicht alt genug.
Schließlich fing ich an, die Kinder mit ihren Müttern auf dem Spielplatz zu beobachten. Anfangs versteckte ich mich nur gelegentlich hinter einem Baum und sah zu, wie kleine, pausbäckige Jungen im Sandkasten Bauarbeiter spielten, oder wie süße, elfenhafte Mädchen Abzählverse sangen und Sandtörtchen backten.
Ich suchte mir immer ein Kind –meistens ein braunhaariges Mädchen- aus und stellte mir vor, selbst seine Mutter zu sein, zu der es rennt, wenn es sich wehgetan hat, oder wenn ein anderes Kind es geärgert hat. Mit der Zeit kam ich fast jeden Mittag. Meistens waren es immer die gleichen Kinder, ich kannte ihre Namen schon auswendig.
Da gab es Billie, einen stupsnasigen, rotblonden Jungen, der immer weinte. Es gab die Zwillingsschwestern Claire und Marie, die sich zum verwechseln ähnlich sahen, doch manchmal kamen auch ein paar neue dazu, wie auch an diesem Tag.
Ich sah Anni sofort und mir stockte der Atem. Sie war kaum sechs Monate alt und sah in dem riesigen Kinderwagen aus, wie eine Porzellanpuppe. Mit dem feinen Flaum hellbrauner Locken und der rosigen Haut sah sie fast aus wie ein Engel, doch was mich am meisten faszinierte, waren ihre Augen. Sie waren so blau wie das Meer und wirkten sehr klug und fast schon weise. Von diesem Augenblick an wusste ich, dass ich dieses Mädchen nicht mehr vergessen konnte. Sie war MEINE Tochter, ich sah es in ihren Augen. Ich WOLLTE sie. Zum ersten Mal, seit ich diesen Spielplatz besuchte, trat ich aus meinem sicheren Versteck, von dem aus ich den Kinderwagen gut erkennen konnte, und kam auf das Baby zu.
Ich wusste nicht was ich tat, geschweige denn, was ich zu ihrer Mutter sagen sollte, die gerade heftig mit einem Jungen schimpfte, der wohl ihr Sohn war. Ich war hypnotisiert von diesen wachsamen, blauen Babyaugen, die mich unentwegt ansahen.
Noch bemerkte mich niemand, ich hob einen Schnuller auf, den der rotblonde Billie am vorherigen Tag dort fallen gelassen hatte. „Verzeihen Sie“, sagte ich, als ich etwa drei Meter vor IHRER Mutter stand. Die blonde Frau drehte sich zu mir um. Sie ähnelte ihrer Tochter nicht im Geringsten. Ihr Gesicht war leer und ausdruckslos und ihre Augen klein und trüb. Sie war der Typ von Frau, den andere wahrscheinlich als sehr nett und gutmütig bezeichneten und ich war mir sicher, dass sie einigen Wohltätigkeitsorganisationen angehörte, doch ich fühlte nur Hass und Neid gegenüber der Frau, die sich so selbstverständlich um MEINE Tochter kümmerte.
„Ist das ihrer? Es sah so aus, als wäre er ihrer Kleinen gerade aus dem Wagen gefallen“ Ich lächelte nicht. Sie sah nach, ob ihrer Tochter der Schnuller fehlte. „Nein, das ist nicht Annis, aber danke, dass sie so aufmerksam sind. Fragen sie doch einmal die Anderen“, antwortete die Mutter. Sie war drauf und dran sich wieder umzudrehen und weiter auf ihren Sohn einzuschimpfen, doch ich durfte sie nicht gehen lassen. Ich KONNTE es nicht.
„Wer sind sie eigentlich?“, fragte ich, „Ich habe sie hier noch nie gesehen“, etwas Unhöflicheres hätte mir wohl auch nicht einfallen können. „Oh tut mir leid, ich wusste nicht, dass man sich hier vorstellen muss, war das unhöflich von mir? Ich bin Jessica Weber, wir sind hier vor kurzem hergezogen“ ,antwortete Jessica. Ich lächelte. „Nein, kein Problem. Verzeihen Sie, dass ich so aufdringlich bin, doch ich habe hier gerne den Überblick, nach allem was vorgefallen ist.“ Jessica runzelte fragend die Stirn. „Ich meine die Vermisstenanzeigen von Eltern, deren Kinder hier verschwunden sind, aber das können Sie ja noch nicht wissen. Ich bin staatlich anerkannte Erzieherin und bin von der Stadt zur Überwachung der Spielplatze und zur Entlastung gestresster Mütter, die nicht immer auf alle Kinder ein Auge haben können, eingestellt worden.“ Ich sagte all diese Lügen, ohne auch nur groß darüber nachzudenken. Es war, als stände ich unter Strom. Jessica schien etwas beunruhigt. „Vermisstenanzeigen? Das hört man ja gar nicht gerne. Aber es ist toll, dass sie jemanden zur Überwachung hier haben. Haben Sie denn selbst Kinder?“ Wollte diese Person tatsächlich Smalltalk mit mir führen? Ich wusste nicht, auf was diese Unterhaltung noch führen würde, doch ich fühlte mich, als würde ich meine eigenen Handlungen nicht mehr kontrollieren können. Ich versuchte mich unbemerkt durch meine Jacke hindurch zu kneifen, um mich zu vergewissern, dass ich nicht träumte. „Maaaaaaaaaaaaamaaaaaa, ich will jetzt ein EIS“, schrie der Junge, mit dem Jessica zuvor noch geschimpft hatte. Sie blickte entschuldigend. „Tommy, mein Großer. Seit der Geburt von Anni ist er etwas zu kurz gekommen. Sie haben ein Auge auf die kleinen, sagten Sie…“
Ich wusste, worauf sie hinaus wollte. Eine Entlastung auf Spielplätzen, die ihr unter die Arme greift hat sie sich dem Anschein nach schon lange herbei gesehnt. „Ich könnte kurz auf die Kleine aufpassen, wenn sie mit ihrem Sohn zum Kiosk wollen. Dort ist an so schönen Tagen wie heute bestimmt viel los und mit dem Kinderwagen so gut wie unmöglich durchzukommen.“ Sagte ich und versuchte besonders staatlich anerkannt zu wirken. Es schien zu klappen. Jessica lächelte und die junge Mutter nahm ihren Sohn an die Hand und ging Richtung Kiosk.
Ich checkte meine Situation. Rund um mich herum waren Mütter mit ihren nörgelnden, nervenden und brüllenden Kindern beschäftigt, die im Gegensatz zu IHR wie klobige, stinkende Trolle wirkten. Es war unwahrscheinlich, dass eine von den Müttern mich bemerkt und auch tatsächlich realisiert, dass ich gerade am helllichten Tage versuche, ein Kind zu entführen. Anni schrie nicht, als ich sie aus dem Kinderwagen nahm. Sie sah mich nur erstaunt an. Ich bin einundzwanzig Jahre unbemerkt durchs Leben gegangen, also werde ich es auch jetzt schaffen. Selbst wenn Jessica in der Lage sein wird, mein Aussehen zu beschreiben, wird mich niemand in der ganzen Stadt kennen. Mit dem Kind im Arm ging ich zügig zu meiner Wohnung zurück, nur nicht zu hastig, um keine Aufmerksamkeit zu erregen. Jessica würde frühestens in zehn Minuten zurück sein und realisieren, was geschehen war. Zu Hause angekommen brauchte ich kaum eine Stunde um mein weniges Hab und Gut in eine große Reisetasche zu schmeißen und zu verschwinden. Wohin ich jetzt gehen sollte, wusste ich selbst nicht, doch das war unwichtig. Alles, was wichtig war, hielt ich nun in den Händen und wollte es um keinen Preis der Welt wieder hergeben.
Ein Ruf aus dem Schlafzimmer riss mich aus den Erinnerungen. Ich verstaute die Mappe mit den Zeitungsausschnitten über eine Kindesentführung wieder an dem gewohnten Platz. „Maaaaaaaaaaaaaamaaaaaaaaaaaaaaaaa“, ertönte es noch einmal und dieses eine, wenn auch noch sehr undeutlich ausgesprochene Wort machte mich so glücklich, wie man es sich nicht vorstellen kann. Ich wusste, dass es falsch war, was ich getan hatte, so viel Gewissen besaß ich. Ich wusste jedoch auch, dass ich ohne Anni, die ich auf den wesentlich schöneren Namen Joel umbenannt hatte, nicht leben konnte. „Ich komme ja schon meine kleine Prinzessin!“ rief ich. Ich machte das Licht im Schlafzimmer an und da saß sie. Ein wunderschönes, viereinhalb jähriges Mädchen. „Ich kann nicht schlafen“, sagte sie und machte auf unserem gemeinsamen Bett einen Purzelbaum, was ihre strubbeligen Locken noch mehr zerzauste.
Ich las ihr ihre Lieblingsgeschichte wieder und wieder vor, bis sie glücklich an meinen Arm gekuschelt endlich einschlief. Ich kann nicht oft genug sagen, dass ich der glücklichste Mensch der Welt bin.
Dieses Leben hätten wir zwei noch jahrelang so weiterführen können, doch mit der Zeit bekam ich Angst, dass mir dieses Glück im Leben wieder nicht gegönnt sein könnte. Ich bekam ein ungutes Gefühl und wurde unruhig. Ich verbrachte jede freie Minute damit, mich über den Fall zu informieren, doch es schien, als hätte die Polizei die Fahndung nach der kleinen Anni Weber aufgegeben.
Eines Tages, es war ein Samstag im April, war meine Joel zum ersten Mal zum Übernachten bei einer Freundin eingeladen. Ich hatte ein ungutes Gefühl, willigte jedoch ein. Sie war schon öfters zu Besuch bei Freunden, jedoch nie über Nacht.
An diesem Abend hatte ich wieder einmal Zeit für mich selbst und ging in eine abgelegene Bar in einem etwas ärmeren Teil der Stadt. Ich hatte mit Absicht das Leben in einer Großstadt gewählt, da man hier nicht so oft über die Vergangenheit nachfragt. Man lässt sich gegenseitig einfach in Ruhe. Ich genehmigte mir ein Bier und starrte eine Weile einfach nur vor mich hin und hing meinen Gedanken nach. Das Lokal füllte und leerte sich und ich betrachtete jeden Gast aufmerksam. Vielleicht wäre es ja an der Zeit, dass ich mich mal wieder verliebe, dachte ich, als ein gutaussehender, dunkelhaariger Mann eintrat.
Ich war kurz vor meinem dritten Bier, als etwas passierte, was mich jäh aus meinem so wunderbaren und glücklichen Leben riss und meine mühsam aufgebaute Welt in Schutt und Asche zu zerlegen drohte.
Eine Frau betrat die Bar, die ich immer und überall erkennen würde. Eine müde und ausgelaugt aber trotzdem gefährlich aussehende Frau. Jessica. Wie sie mich gefunden hatte, oder ob sie nur aus Zufall hier war, wusste ich nicht. Sie WAR einfach da und ich hatte wahnsinnige Panik. Ich hatte meinen Namen, meine Haarfarbe, ja selbst meine Augenfarbe durch farbige Kontaktlinsen geändert, und dachte, man würde mich nicht mehr wiedererkennen.
Doch mit einem mal beschlich mich eine schreckliche Angst, dass ich mich geirrt haben könnte. Die Wahrheit traf mich so heftig und unerwartet, dass mir schwindelig wurde.
Dann sah sie mich, bohrte ihre kalten grauen Augen in meine. Ich war nicht in der Lage klar zu denken. Ich stand an einem Abgrund und war drauf und dran, alles, was mir noch wichtig war, zu verlieren. Doch mit einem Mal war es wie an jenem Tag auf dem Spielplatz. Mein Gehirn schaltete sich um auf „Automatik“ und mir wurde klar, wie weit ich für das Wichtigste in meinem Leben bereit sein musste zu gehen. Ich sah mich um und bemerkte, dass Jessica mich zwar immer noch beobachtete, jedoch von ihrem Blickwinkel aus nicht sehen konnte, was ich mit meinem Händen tat.
Ganz langsam nahm ich den Kerzenständer, der auf dem Tisch vor mir stand, und steckte ihn in meine Handtasche. Er war schwer. Schwer genug. Dann stand ich ganz ruhig auf, zahlte an der Theke und verlies die Bar. Ich wusste, dass sie mir folgen würde und in meinem Nacken kribbelte es. Was würde sie tun? Ich lief schneller und versuchte nicht in Richtung unserer Wohnung oder dem Haus zu gehen, in dem meine Tochter die Nacht verbrachte. Ich hörte Schritte hinter mir und hoffte, dass sie ihr Tempo nicht erhöhen würde, sobald ich mein Ziel erreicht hatte.
Die Straßen waren so gut wie leer und die wenigen Menschen, die hier unterwegs waren, würden nicht im Traum daran denken etwas zu sagen, falls die Situation aus dem Ruder laufen sollte. In einer Großstadt kümmert sich jeder nur um sich selbst. Ich hatte mein Ziel erreicht: Die Brücke. „Es reicht mir jetzt“ hörte ich eine Stimme hinter mir, die so voller Hass war, dass ich Gänsehaut bekam. „Bleib stehen!“. Ich schluckte und drehte mich langsam um, wagte jedoch nicht der Frau direkt in die Augen zu sehen.
„Es ist vorbei, Christina, oder auch Rebecca, wie du dich heute nennst. Die Polizei wird bald hier sein, ich wollte das nur noch selbst vorher mit dir klären.“ Ich sagte nichts sondern starrte zu Boden. „Hast du auch nur eine winzige Ahnung, was du damit angerichtet hast? Ich werde dafür sorgen, dass du nie wieder auch nur einen Fuß aus dem Gefängnis setzt. Du sollst verrotten, und in den Jahren, die dir jetzt noch bleiben über deine Taten nachdenken. Bis du dich selbst so hasst, dass du nicht mehr in den Spiegel sehen kannst.“ Mit jedem Wort, das sie sprach kam Jessica näher und die gebrechlich wirkende Frau besaß auf einmal so viel Macht, wie ich sie ihr nie zugetraut hätte. Sie fing meinen Blick auf und schrie: „Wo ist sie? wo ist meine Tochter? Was hast du mit ihr gemacht?“
Die Worte ‚Meine Tochter‘ verletzten mich mehr, als wenn sie mir ins Gesicht geschlagen hätte. Tränen liefen mir über die Wangen und mein Gesicht brannte. „Du kannst mir meine Kleine nicht nehmen“ sagte ich und schaffte es endlich zu ihr aufzusehen. Mit schweißnasser Hand hatte ich den spitzen Kerzenständer umklammert. Es durfte noch nicht vorbei sein, ich würde es nicht ertragen können, wieder einfach nur tatenlos zu zusehen, wie mir das Wichtigste im Leben einfach so genommen wird. Ich konnte Joel nicht verlieren, auch wenn ich wusste, dass sie nicht meine wahre Tochter war. Ich liebte sie wie eine und diese Mutterliebe ist stärker wie alles andere. Jessica, die gebrechliche, auf einmal uralt wirkende Frau, sie hat Anni nie so geliebt, wie ich meine Joel liebe, und das wurde mir just in dem Moment bewusst, als mein Arm wie fremdgesteuert den Kerzenständer in Jessicas Brust stieß.
Einen Moment war es, als explodierte etwas in meinem Gehirn. Weiße Flecken blinkten vor meinem Auge und ich hatte Schwierigkeiten mich auf den Beinen zu halten. Was hatte ich nur getan?
Fassungslos und erstaunt sahen wir uns an, weil wir beide nicht begreifen konnten, was ich getan hatte. Jessica taumelte und holte röchelnd Luft, während kleine rote Luftblasen und eine Menge Blut aus der Wunde in ihrer Brust quollen. Ich hatte ihre Lunge getroffen. „Bitte, bitte nicht! Anni braucht ihre WAHRE Mutter! Das weißt du! Bitte lass mich nicht sterben!“, flehte sie und versuchte meine Hand zu greifen. Ich zog sie weg, es ekelte mich, die sterbende Frau zu berühren. „ICH bin ihre Mutter!“, sagte ich und hon noch einmal den Kerzenständer um zuzuschlagen. Mein Arm zitterte und ich lies ihn sinken.
Erbittert sah ich zu, wie sich aus dieser Frau, die mir Jahrelang Angst und Panik verursachte, ein am Boden liebender, lebloser, blutverschmierter Körper. Eine Porzellanpuppe. Ich atmete schwer.
„Das hätte ich schon viel früher tun sollen“, sagte ich halblaut und wickelte den Kerzenständer in meine eigene blutverschmierte Jacke ein. Dann hob ich Jessicas leblosen Körper hoch und wuchtete ihn über das Brückengeländer. Es schien mir ewig zu dauern, bis sie auf dem schwarzen Wasser aufschlug. Dann warf ich den Kerzenständer hinterher. So schnell es meine zitternden Beine zuließen rannte ich nach Hause, um mir eine frische Jacke anzuziehen. Ich hatte nicht viel Zeit zu verlieren. Im Flur sah ich noch einmal in den Spiegel. Ich war etwas zerzaust, jedoch ließ nichts darauf deuten, was ich gerade getan hatte.
Meine Füße trugen mich wie von selbst zum Haus der Friedrichs, in dem Joel übernachten sollte. Wir mussten noch heute Nacht weg, wenn wir nur rechtzeitig verschwinden, würden wir es auch schaffen zu entkommen. Ich sah auf mein Handy. Halb elf, es war noch nicht zu spät. Ich klingelte. Herr Friedrich öffnete die Tür. Er sah überrasch aus. „Hallo Herr Friedrich“, es war ein glücklicher Zufall, das meine Stimme in genau diesem Moment wegbrach. Er sah bestürzt aus. „Alles in Ordnung mit ihnen? Was ist los?“ „Es tut mir leid sie um diese Uhrzeit noch zu stören, aber ich muss Joel leider abholen. Vor wenigen Stunden ist ihre Oma gestorben und ich weiß nicht mehr weiter. Ich muss sie bitten, meine Tochter wieder mit nach Hause nehmen zu dürfen“ Ich schniefte. Das war gut, ein wenig Melodramatik in die Stimme gemischt, dann fällt niemandem etwas auf. „Aber natürlich, das kann ich verstehen. Ich werde sie wecken“ Ich kam mit in den Flur und wurde allmählich etwas ungeduldig. Was, wenn die Polizei mir schon auf den Fersen ist. „Hier ist sie“, antwortete Herr Friedrich nett und lächelte, womit er wohl sein Beileid bekunden wollte. „Mama?“ fragte Joel leise und noch sehr verschlafen. „Ja meine Süße, es tut mir leid, aber du musst nach Hause“ sagte ich und hob sie hoch. „Danke“ sagte ich zu Herr Friedrich, der mir die Tür aufhielt.
Während ich so schnell, wie ich es unter der Last konnte nach Hause lief dachte ich nach. Über mich, Joel und Jessica. Ich wusste, dass ich das Richtige getan hatte, denn meine kleine gehörte zu mir, dass wurde mir jedes Mal stolz bewusst, wenn ich in ihre wunderschönen Augen blickte. Joel schlief schon wieder in meinem Arm und ihre Gliedmaßen hingen schlaff herunter.
Irgendwann werde ich ihr die Wahrheit erzählen, beschloss ich für mich, als ich auf das schlafende Kind in meinem Arm herabblickte. Sie ist ein starkes Mädchen und verdient es, die Wahrheit zu erfahren. Ich werde ihr von dem gewalttätigen Freund ihrer richtigen Mutter erzählen. Von dem gewalttätigen Freund, der Jessica jahrelang schlug, und gegen den sie sich nie zur Wehr setzen konnte. Ich werde ihr erzählen, dass Jessica geflohen ist, um sie, Joel, zu beschützen. Das sie mich, ihre einzige und wahre Freundin bat ihre Tochter in Sicherheit zu bringen, ehe sie sich von einer Brücke stürzte. Ich werde Joel erzählen, dass ihre leibliche Mutter den Tod wählte um sie zu beschützen. Eines Tages wird sie verstehen.
Aber vielleicht, überlegte ich, als ich die Haustür unserer Wohnung aufschloss, vielleicht ist es so, wie es jetzt ist, die beste Möglichkeit meine Tochter zu schützen. Ich liebe sie mehr als alles andere und das ist tausendmal wichtiger, als die Wahrheit.

 

Hallo selli

Der Einstieg sprach mich an, wenngleich ich mich fragte, wie wichtig die Information hier ist, dass Joelle tief schläft.

Inzwischen würde ich sie überall wiedererkennen.

Diese Aussage stimmt nicht, da die Protagonistin sie ja bereits kannte, wie sich später zeigt.

Eine hysterische, aufbrausende Frau,

Eine hysterisch aufbrausende Frau, erschiene mir stärker in der Betonung.

Ich suchte mir immer ein Kind –meistens ein braunhaariges Mädchen- …

Immer einen Leerschlag vor und nach einem Bindestrich.

Sie war MEINE Tochter, ich sah es in ihren Augen. Ich WOLLTE sie.

Diese Hervorhebungen in Grossbuchstaben scheinen mir überbetont, besser dünkte mir kursiv.

… als ich etwa drei Meter vor IHRER Mutter stand.

Hier erscheint mir die Hervorhebung gänzlich überflüssig. Auch an weiteren Stellen bringst du solche Grossinszenierungen, die eher übertrieben wirken. Besser ist es, solches sachte einzusetzen.

„Wer sind sie eigentlich?“, fragte ich, „Ich habe sie hier noch nie gesehen“, etwas Unhöflicheres hätte mir wohl auch nicht einfallen können. „Oh tut mir leid, ich wusste nicht, dass man sich hier vorstellen muss, war das unhöflich von mir? …

Jeweils ein Zeilenumbruch, wenn in einem Dialog die Sprecher wechseln, ist Leserfreundlicher. Bei Themen-/Zeitwechsel zeigt eine Leerzeile im Text dies zudem besser an.

Ich bin staatlich anerkannte Erzieherin und bin von der Stadt zur Überwachung der Spielplatze und zur Entlastung gestresster Mütter, die nicht immer auf alle Kinder ein Auge haben können, eingestellt worden.“

Diese Aussage wirkt wenig plausibel. Natürlich ist es möglich, dass deine Prot. es sagt, aber dass sie damit durchkommt, setzt doch eine Portion Naivität beim Gegenüber voraus. Tippfehler: der Spielplätze oder des Spielplatzes

„Vermisstenanzeigen? Das hört man ja gar nicht gerne. Aber es ist toll, dass sie jemanden zur Überwachung hier haben.

Auch die Antwort darauf wirkt nicht echt, viel zu wenig beunruhigt. Hier müsste mehr ein Erschrecken sein. Zudem, eine Massierung von vermissten Kindern dürfte es ja kaum geben, oder?

… die ich auf den wesentlich schöneren Namen Joel umbenannt hatte,

Ist es nun Joelle oder Joel?

Ich muss sie bitten, meine Tochter wieder mit nach Hause nehmen zu dürfen“

Sie wäre hier grossgeschrieben. Doch das bitte erscheint mir hier fehl am Platz, eine andere Redewendung wäre besser.

Bitte, bitte, bitte mich nicht fertig machen ;D. Ich weiß es ist nicht perfekt (mit 15 muss man auch noch keine perfekten Geschichten schreiben), ich wollte einfach nur mal wissen, wie die Geschichte ankommt, da ich sie gegebenenfalls bei eínem Wettbewerb einsenden möchte.

Für Kritik und Verbesserungsvorschläge, wäre ich sehr dankbar


Solche Mitteilungen gehören nicht direkt der der Geschichte angeschlossen, sondern müssen mit dem Antwort-Button nachfolgend gesetzt werden. Am besten nun einfach löschen. Die Kommentare kommen ohnehin so, wie sie die Leser empfinden.

Insgesamt habe ich die Geschichte gern gelesen, obwohl logische Mängel vorhanden sind. Diese schrieb ich der Protagonistin zu. Etwa, was macht sie, wenn das Kind ins Schulalter kommt? Einen Geburtsschein und eine nachweisliche Identität braucht sie später für diverse Dinge etc.

Dass die Geschichte für einen Wettbewerb gedacht ist, scheint mir ein etwas überhöhter Gedanke. Aber teilnehmen kann man natürlich immer. Besser ist jedoch, dass man sich seiner Sache auch sicher ist, konkurrenzfähig zu sein. Die bedingt, dass man sich bereits ein gewisses Mass an literarischer Gewandtheit zulegte. Aber auf jeden Fall viel Glück. :)

Gruss

Anakreon

 

selli schrieb unter ihrer Geschichte:

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Bitte, bitte, bitte mich nicht fertig machen ;D. Ich weiß es ist nicht perfekt (mit 15 muss man auch noch keine perfekten Geschichten schreiben), ich wollte einfach nur mal wissen, wie die Geschichte ankommt, da ich sie gegebenenfalls bei eínem Wettbewerb einsenden möchte.

Für Kritik und Verbesserungsvorschläge, wäre ich sehr dankbar :)


Anmerkungen bitte separat posten! Das erste Fenster ist ausschließlich für den Geschichtentext.

LG
Asterix

 

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