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Wie mit 13

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09.02.2003
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Wie mit 13

Eigentlich hatte ich nur einen Strandspaziergang machen wollen, aber jetzt sass ich schon wieder in diesem verflixten Cafe und trank einen Capuccino, den ich eigentlich nicht wollte. Ich fragte mich sogar, ob ich ihn überhaupt bezahlen konnte.
„Noch ein Stück Kuchen dazu? Oder lieber etwas anderes?“ fragte der unheimliche gutaussehende Kellner und Grund meines Besuches und lächelte mich an.
„Ja gerne ein Stück Kuchen.“ Ich lächelte ihn dümmlich an. Ich hatte das Gefühl dieses Lächeln nicht mehr von meinen Gesicht bringen zu können. Ausser ich würde es herausbrechen, am besten mit einem Brecheisen. Ich verhielt mich wie ein pubertierender Teenager, genau so fühlte ich mich nämlich.
„Hier bitte sehr.“ Er reichte mir das Stück Kuchen, dass ich vermutlich nicht bezahlen konnte und ich dankte ihm. Dabei versuchte ich gleichzeitig ihn nicht anzusehen und heimlich zu linsen. Das klappte nicht, natürlich merkte er, dass ich ihn anstarrte. War ja auch zu offensichtlich. Er grinste und entfernte sich ohne eine Bemerkung darüber fallenzulassen. Ich atmete erleichtert auf. In der Gegenwart dieses Kellners- dessen Namen ich nicht kannte- fühlte ich mich immer wie ein Kind, so hilflos und ungeschickt.
Ich ass das Kuchenstück auf, versuchte kein schlechtes Gewissen zu haben (ich hatte mir nämlich versprochen etwas abzunehmen) und trank auch den Capuccino. Ich vollzog eine richtige Prozedur, ich brauchte sogar 62 Minuten dafür. Ob das jetzt wegen dem möglicherweise fehlenden Geld war oder wegen dem süssen Kellner weiss ich selbst nicht so genau. Aber einmal ist jedes Kuchenstück gegessen und jeder Capuccino ausgetrunken und als ich es nicht mehr herauszögern konnte, bat ich um die Rechnung. Während ich darauf wartete, durchsuchte ich all meine Taschen und stellte erleichtert fest, dass ich doch genug Geld dabei hatte. Dabei fragte ich mich, wieso ich die Taschen nicht schon viel früher durchsucht hatte und mein Gewissen gleich zu Beginn beruhigt hatte. Wahrscheinlich war ich zu beschäftigt damit, mir Sorgen darum zu machen, ob ich genug Geld hatte und wie ich auf den Kellner wirkte.
Der Kellner kam und mir stockte der Atem, mein Mund wurde trocken und ich dachte ich würde rot werden, sobald er mich ansprach. Tat ich dann doch nicht.
Er nannte mir den Preis und gerade als ich ihm all mein Kleingeld in die Hand drücken wollte, sagte er etwas Unglaubliches. Nein, er sagte nicht: „Die Rechnung geht aufs Haus.“ Viel besser.
Er fragte mich, ob ich gerne einmal mit ihm ausgehen würde. Es wäre eigentlich verboten, Gäste auszuführen, aber ich würde ihm sehr gefallen und er würde schon lange auf eine Gelegenheit warten, mich besser kennen zu lernen. Da wurde ich rot und wie. Und anstatt sofort zuzugeben, dass ich schon so lange auf diesen Tag warte, sagte ich gar nichts. Ich versuchte etwas zu sagen, aber es kam nichts heraus. Bevor es noch peinlicher hätte werden können, wurde er an einen anderen Tisch gerufen. Ich atmete auf.
Er hatte mich gefragt! Tatsächlich! Ich kniff mich selbst, es war kein Traum. Wenigstens das nicht.
Alles in mir jauchzte vor Glück, dachte ich, bis die ersten Zweifel sich einschlichen. Sollte ich wirklich? Ja immerhin kam ich schon seit Jahren nur deshalb hierher. Ich dachte an das erste Mal, als ich ihn sah.

Ich war 13 und mit meinen Eltern zum Mittagessen in diesem Strandcafé. Wir verbrachten jeden Sommer im kroatischen Porec, weil mein Vater von da stammte. Ich liebte diese Stadt und vor allem das Gefühl, das sie mir gab. Diese Urlaubsatmosphäre, die schwer zu beschreiben ist, schwebt hier immer unterschwellig in der Luft. Man spürt sie, sobald man den Fuss in die Stadt setzt. Und erst die Strände… Aber ich möchte ja keinen Urlaubsprospekt für Porec erstellen.
Der Kellner kam an unseren Tisch und ich war hin und weg ehe er überhaupt gesprochen hatte. Sein Aussehen, sein Gang, sein Parfum, seine Gestik… all das haute mich um. Und als er mit seiner tiefen melodischen Stimme die ersten Worte sprach… Gar nicht daran denken.
Er war gross, ungefähr 1.90, sein Körperbau eher muskulös aber nicht wie bei einem Muskelprotz. Er hatte eine Glatze, hatte er auch jetzt noch, seine Gesichtzüge schienen einfach perfekt zu sein. Nicht so maskulin, dass sie grob wirkten, aber auch nicht so feminin, dass sie zu weich wirkten. Aber das Beste waren seine Augen. Sie waren grünblau(je nach Lichteinfall) mit leicht orangen Flecken um die Iris gesprenkelt. Das machte seinen Blick so intensiv, dass ich immer Gänsehaut bekam, sobald er mich etwas genauer ansah.
Dann richtete er sein erstes Wort an mich, er sagte junge Dame zu mir, und das war der Moment, wo ich ihm völlig verfiel. Ich war noch nie vorher verliebt gewesen oder hatte mich für Jungs interessiert. Er änderte das. Er war einige Jahre älter als ich und ich wusste, dass er unerreichbar war. Aber meiner Faszination und Verliebtheit schadete das gar nicht. Ich glaube, es förderte sie sogar. Er war der erste und einzige Mann, in den ich je auf diese stille, verehrungswürdige Weise verliebt war. Ich musste nicht mit ihm reden, es reichte mir völlig ihn nur anzusehen und still zu bewundern. Ich liebte ihn auf diese unschuldige Weise, wie man es nur das erste Mal kann. Und genau das blieb immer so. Ich kam jedes Jahr nach Porec, wurde älter und an meiner Verliebtheit änderte sich nichts. Natürlich gab es andere Jungs und später Männer. Aber das war nie dasselbe, was nicht heissen soll schlechter. Die Liebe zu ihm war irgendwie so rein und unantastbar. Schon fast wie eine Naturgewalt. Und als Gesetz dazu war, dass ich beobachtete und genoss und er ab und zu mit mir redete, aber mir nicht wirklich näher kam. Und jetzt über 10 Jahre später hatte er dieses Abkommen gebrochen. Er hatte die Grenze überschritten und mir den grössten Wunsch im Bezug auf sich erfüllt. Nur, wollte ich das?
Wollte ich wirklich wissen, wie er war? Für mich war er immer der perfekte Mann, das Ideal wie ein Mann sein sollte. Aber er war auch nur ein Mensch- das wusste ich natürlich schon, irgendwie. Wollte ich das Traumbild, das ich von ihm hatte, durch sein reales, menschliches Ich ersetzen? Konnte ich das ertragen? Wollte ich meine reine, kostbare Verliebtheit, die ich so sehr genoss, in etwas anderes verwandeln? Wollte ich wirklich wissen, dass er vielleicht mit den Knöcheln knackte- eine nervende Angewohnheit- oder mit vollem Mund redete? Musste ich denn merken, dass er auch nur ein Mensch mit Macken war?
Er kam zurück, um das Geld und seine Antwort zu kassieren. Ich gab ihm das Geld und lächelte ihn an. Ich hatte mich entschieden.
„Ich kann ihre Einladung nicht annehmen, tut mir leid.“ Er nickte nur, als hätte er das ohnehin erwartet und schenkte mir ein Lächeln. Ich stand auf und machte mich auf den Weg nach Hause.
Die meisten werden denken, dass ich verrückt sein muss, den Traumtypen schlechthin so abzuweisen. Vielleicht bin ich auch etwas verrückt und vielleicht- was heisst vielleicht, sicherlich- werde ich mich in einigen Jahren dafür hassen. Aber jetzt war es die richtige Entscheidung und ich bereue es nicht. Denn ich kann immer noch in ihn verliebt sein wie ein 13jähriges Mädchen ohne Angst, dass ich dieses wunderbare Gefühl verliere. Denn dann würde ich auch einen Teil von mir verlieren. Und seien wir doch mal ehrlich- ich möchte wirklich nicht wissen, ob er mit vollem Mund redet.

 

:cool:
Coole Geschichte.
Hab mich ganz doll aufgehoben gefühlt!
Hast du wunderbar erzählt, ich habe richtig mitgelitten.
barkai

 

Danke vielmal für das Lob!
Freut mich wirklich, wenn es so gut rüberkommt.
:D :D :D

 

Hallo
Auch ich fand diese Geschichte wunderbar und aus Erfahrung kann ich dir sagen, dass die Entscheidung deiner Heldin keineswegs verrückt, wie du es nennst, war, sondern eher logisch. Dein Schreibstil ist sehr flüssig und ermuntert einen zum weiterlesen und auch die Verbindung zwischen der Vergangenheit, welche du als Einschub bringst, fand ich sehr ansprechend.
Mein abschliessendes Fazit: eine leichte sommergeschichte, herrvorragend erzählt, mach weiter so
admer

 

Hallo jeled,

deine Geschichte gefällt mir ebenfalls gut und auch wenn ich es etwas schade finde, dass sich deine Protagonistin nicht auf die Einladung eingelassen hat, kann ich ihr Verhalten und ihre Gedankengänge doch irgendwie nachvollziehen.

Stilistisch ist die Geschichte gut und locker zu lesen, die Personenbeschreibung des Kellners anschaulich.

Kann mich meinen Vorrednern also anschließen.

Er reichte mir das Stück Kuchen, dass ich vermutlich nicht bezahlen konnte und ich dankte ihm
das

Viele Grüße,

Michael :)

 

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