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Wie Michelangelo die Medien erfand
Gutenberg war gar nicht schuld. Michelangelo gehörte angeklagt. Denn das war nicht nur der Himmel, den er da auf dem Rücken liegend an die Decke der Sixtinischen Kapelle malte. Er pries auch nicht die Kirche, wie’s eigentlich sein Auftrag war. Er mahnte die Frommen und die Gleichgültigen, den kriegerischen Papst und seine geistlosen Kardinäle: Geist regiert die Welt! Nicht eure Politik und eure Eitelkeit. Aus der Spitze seines Zeigefingers schuf Gott das Tiefste, was die Welt zu präsentieren hat: Uns!
1.
Dabei stand er unter doppeltem Druck. Zum einen peitschte der Papst den Unwilligen zur Arbeit:
„Mach, was du willst – aber mach’s!“ rief Giulio II. zur Decke empor. (Leonardo hatte ihm Michelangelo empfohlen, um ihn vom heißumkämpften Markt zu kehren.)
Zum anderen hatte er sich den Spirituali angeschlossen – ein Geheimbund zur Unterminierung des Papstes. Er wurde verfolgt. Kardinal Carafa, der Großinquisitor, war ihm hart auf den Fersen.
„Wenn du so weiter malst“ schrie Carafa durch einen Trichter hoch, „dann wirst du daran sterben!“ – und zwar, wie er’s am meisten liebte, den süßen Tod der Ketzer und Propheten.
Denn was da an der Decke der Sixtinischen Kapelle entstand, war in seinen Augen nicht nur obszön, er hätte es am liebsten wieder abgekratzt. Er hasste Michelangelo. Er hasste alles, was vulgär war. Und was sich da droben Stück für Stück entfaltete, war von einer Kraft, als zählte das Auge mehr als unser Glaube.
Das musste Carafa nur beweisen. Er ließ ihn ausspionieren. Was steckt hinter der asketischen Lebensweise dieses grimmigen Greises? Tarnt er sich hinter Genügsamkeit? Denn er forderte vom Papst so horrende Preise für sein falsches Spiel, dass man den Untergang des Vatikans befürchtete. Aber was macht er mit dem vielen Geld? Keine Weibergeschichten! Keine Verführung der Jugend mit Gold oder prunkvollen Klamotten. Also muss er ganz durchtrieben sein.
Man sah es am Fresko: Eine Sinnlichkeit, die zum Himmel schreit. Jüdische Propheten! Heidnische Sibyllen! Gewaltige Gestalten mit rollenden Augen und ausladenden Gesten und von einer Kraft, als würden sie gleich vom Boden abheben und durch den Himmel hindurch ins Eigentliche jagen. Dabei wie Gladiatoren so fleischlich, als könnte man sie anfassen. Keiner stand regungslos herum. Alle waren an der atemberaubenden Entstehung der Welt beteiligt. Kein Mensch ist überflüssig hier auf Erden. Und das sah das Volk und staunte.
Wer weiß das Staunen so zu schildern wie der Mei¬ster? Wir staunen selber übers Staunen – ja, begreifen erst jetzt, wie staunenswert die Schöpfung ist. Das war nicht mehr von Menschenhand gemalt. Das stammte … vom Leibhaftigen. Das sah Carafa auf dem ersten Blick. Hinter jedem Pinselstrich steckte die allerschlimmste Lästerung: Die Ironie. Gott mit einem Rauschebart wie aus einer Kinderphantasie zu malen … Auf einem Teil des Gemäldes gar von hinten mit herabgezogener Hose vom Flug: War das der Arsch des Allmächtigen?
Wurde hier die Genesis verarscht? Dann: Halleluja! Kreuzigt das Genie! Der erste Comic – wo der rasche Ablauf von Bildern (durch unsere Augen) eine Bewegung simuliert – enttarnte auch den ersten Schöpfer: Nicht Gott, der Herr, schuf unsre Welt. Michelangelo malte Züge seines Gesichts ins Antlitz des Allmächtigen. Ich erschaff mir meine Welt. Ich bin der Schöpfer des Kosmos – denn ohne mich säh ich den Himmel nicht. Ich weiß, was unsere Schöpfung ausmacht: die Bewegung! Adam war von Gott gar nicht erschaffen worden. Adam lebt bereits und streckt ziemlich lasziv seinen Zeigefinger dem Herrn entgegen. Aber er berührt ihn nicht. Und das schuf eine Elektrizität zwischen Gott und dem Menschen – Inspiration genannt oder auch die heilige Wachsamkeit im Alltag. Michelangelo holte den Himmel auf die Erde herab. Das war seine Schuld. Und das wird auch sein Scheiterhaufen sein.
2.
„Du sollst dir kein Bildnis machen von dem Herrn!“ soll Carafa in der Sixtinischen Kapelle gebrüllt haben. Aber er konnte ihn nicht mehr hindern. Selbst seine blutrünstigsten Kollegen starrten an die Decke und staunten. Das mag ja plakativ da oben sein. Aber es ist: die Bibel, so drastisch mit dem Pinsel hingekleckst, wie man die Bibel niemals sah – wobei „Pinsel“ nach damaligem Sprachgebrauch auch penibel den Teufel aus dem Unterleib beschrieb. Genau das war die unheimliche Kraft des Freskos: aus einer Sinnlichkeit gemalt, als hätte Michelangelo seine gesamte Manneskraft dahinein verschleudert.
Das spürte sogar der verknöchertste Kardinal im Vatikan. Und schwieg. Vielleicht betreten. Vielleicht sogar verärgert. Aber von der bangen Ahnung erfüllt: Das Bild geht tiefer ins Gemüt als alle Worte. Das Bild hat ein Geheimnis.
Manche Propheten sehen aus wie geile Frauen. Weiber wiederum so muskulös, als kämen sie aus dem Krieg. War Michelangelo selber … keine biologische Kreuzung der Geschlechter, die man schamvoll verschwieg – dazu sah er viel zu männlich aus – aber eine mentale Vermischung, die Gott nie wollte. Gott schuf Mann und Frau – nicht irgendwas dazwischen mit Bart und großen Brüsten.
Das könnte ihn entlarven. Der Maler schwitzte und keuchte, während er auf dem Rücken liegend unermüdlich weitermalte. Ihm kleckste Farbe ins Gesicht, er verwischte sie in die Augen. Vorübergehend war er blind – und malte doch mit einer Besessenheit weiter, als will er Gott entthronen.
„Entlarvt ihn!“ feuerte Carafa seine Spione an. Und sie wurden endlich, endlich fündig:
3.
Vittoria Colonna! Hübsch. Jung. Frech und adelig. Schrieb Spottgedichte gegen Gott. Lachte über den Papst – und verfügte über ein so ausgelassenes Liebesleben, dass den Spionen die Spucke wegblieb. Sie tanzte auf der Nase des verwirrten Giulio die niedlichsten Pirouetten. In Michelangelos Atelier ging sie ein und aus. Aber er berührte sie nicht. Keusch ging’s zu in der Werkstatt des Verräters.
Oder gibt es eine geistige Nähe zwischen Mann und Frau, die obszöner als die fleischliche ist? Der Mann versteht das Weib. Und wird zum Weib. Er malt, wie sie denkt. Kein Mann war je so tief in die hormonelle Struktur des Lebens vorgedrungen. Alles da droben hat Sex-Appeal. Das ist die Obszönität des Deckengemäldes. Das war die eigentliche Sünde der Renaissance.
„Verflucht sei alle Geilheit!“ schrie Carafa in den dunklen Dom hinein.
4.
Und Gott erhörte seinen Fluch. Carafa wurde Papst. Jetzt wird nicht mehr gekämpft, wie Giulio II. mit Schwert und Schild um Gottes Ruf. Jetzt wird gefoltert. Ich reiße euch die Wahrheit aus den Rippen.
Papst Paul IV. – wie er nun hieß – konnte die bunte Decke nicht einfach übertünchen lassen. Er hätte den halben Vatikan gegen sich aufgebracht. Aber er konnte die Spirituali ausrotten – das Denken gegen Gott. Das Denken als Gott. Er warf alle unbekannteren Vertreter des Geheimbundes in die Verliese des Vatikans. Er folterte Vittoria Colonna und überführte sie der Häresie. Er ließ sie öffentlich verbrennen.
In Michelangelos Atelier traten Truppen ein. Er war verschwunden. Er schuf im Auftrag kluger Gönner, die ihn schützten und versteckten, eine Kunst, die erst recht nicht mehr zu fassen war – die Hand umschließt den runden Marmor, als wär der Stein aus Fleisch. Er hat seinen Schmerz um Vittoria Colonna in den Basalt gemeißelt. (Er verdrängte Leonardo, für den die ganze Welt eine Rechenaufgabe war, vom heißumkämpften Marktplatz.) Er war von einer Kraft, die man mehr greifen als begreifen kann. Er schuf: die unmittelbare Botschaft, die sich um Recht und Richtigkeit nicht kümmert. Das Bild war jetzt so stark geworden, dass man die Wirk¬lichkeit dahinter kaum noch sah. Die Wirklichkeit war blass geworden. Wer Wirklichkeit vermittelte, obsiegte. Die gottverfluchten Medien.
Das musste in einem Desaster enden.
5.
Es wurde eine Katastrophe. Fünf Jahre nach Enthüllung dieser Decke kam ein ausgemergelter Augustinermönch namens Martin Luther nach Rom. Er sah Michelangelos Schöpfungs¬geschichte und verwandelte, was er so drastisch sah, in genauso drastische Worte. (… und schuf dabei ganz nebenbei die hochdeutsche Sprache.) Im selben Zeitraum entstand durch Bild und Wort die gewaltigste Revolution der Glaubensgeschichte – das Mittelalter wurde weggespült. Ein neuer Gott kam auf: Die Medien.