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wie konnte ich

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08.06.2002
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wie konnte ich

Zu stark ... immer noch.
Meine Konzentration schwindet, und dennoch ziehe ich den Tag durch.
Keine Motivation, weniger denn je.

Nur dasitzen und schreiben. Musik hören, ihrem Fluß folgen, die Worte aufsaugen, vorsichtig, wie Glasscherben aufklauben, ja, manchmal schneidet man sich, aber das ist schon okay so. Ein Mosaik legen, in Prisma-Form, die Wellen werden schön gebrochen, ein Bild entsteht meist. Ein Bild, und ich kann mich nicht darin entdecken. Nichts Bekanntes liegt da vor mir, nichts, das mich weiterzieht, mir einen Weg weist ... keine Antworten, aber das hätte ich mir auch denken können.
Ich höre zu und schreibe, ich lausche und bringe einige Zeilen zuwege, doch es ist nicht meine Stimmung, nur meine Worte, niemals meine Gefühle. Wenn die Musik anklopft, öffne ich ihr, bitte sie auf einen Tee herein, sie setzt sich und wir reden ein bisschen. Sie erzählt aus der Welt, getragen, etwas aufgewühlt vielleicht, und doch so interessant, so weise! Der milchige Klang ihrer Stimme rührt meinen Atem an, mein Blut beginnt zu träufeln, die gerade noch beruhigte, erstarrte Oberfläche meines Lebensozeans kräuselt sich beim Auftreffen der Tropfen, rote Schleier legen sich auf die leichten Wellen und werden in Fetzen zerpflückt. Mich fröstelt, als die Musik spricht, sie gebraucht weder Gestik noch ausschweifender Blicke, allein ihre Zunge windet sich sacht, meine Augen hängen begehrend an ihren Lippen, um kein Wort entkommen zu lassen, um nichts Unausgesprochenes zu verkennen, ja, ich verstehe jeden der Begriffe, jeden einzelnen Hinweis, ich spüre das Leiden und neige meinen Kopf ehrfurchtsvoll einer tiefen Wahrheit.
Wir reden ein bisschen, und die Musik erhebt sich dann, es wird Zeit, sie spricht mir ein letztes Mal zu und verlässt das Haus. Ich bleibe allein, vor meiner Tasse kalten Tees, ich beginne zu denken, und auf einmal hänge ich zwischen zusammengeklaubten Fäden, die gerade erst eine wundervolle Stickerei ergeben haben, und versuche, einen Anfang, oder zumindest das Ende zu finden. Mit einem Stift zupfe ich an den Fäden, lege die Wege nach auf hellem Papier, doch komme nicht zurecht, begreife nicht mehr, ich habe den Klang der klackenden Stricknadeln verloren, was bleibt mir denn?
Den Stift steche ich durch meine Brust, um zu sehen, ob es noch da ist, ob es noch für mich schlägt, und es tut ein bisschen weh, das Herz ist wohl an seinem Platz, es liegt ruhig im warmen Nest meines Brustkorbes.
Es ist wieder so leer ... keine Gefühle und keine Tränen, die Musik ist fort und ich habe nichts in mir. Es ist traurig, davon zu wissen, wenn man am Fenster sitzt und den Regen betrachtet, ein wenig teilnahmslos und nicht einmal bitter, und wenn sich das Platschen gegen die Scheibe so monoton und lächerlich anstellt, dass man peinlich berührt das Fenster öffnet, um den Tropfen diesen zwecklosen Kampf zu ersparen. Traurig, aber man zuckt mit den Schultern, es ist immerhin bekannt, dass die Wolken sich bald verziehen und den Sonnenschein freigeben werden.
Ich komme mir vor wie in einem kitschigen Märchen, meine Verbesserungsideen sind längst schon verschleudert. Mein Geist ist nicht präsent, mit meinem Körper unterhalte ich mich nicht mehr, es führt auf nichts hinaus. Ich drehe den Stift in meiner Brust, und mein Herz schlägt einmal stumpf, das ist unser Erkennungszeichen.
Ja, die Sonne wird wieder lodern, die Musik wird mir von Liebe schreien, und ich werde glücklich übers Wasser tanzen, das Gesicht dem Himmel zugewandt, die Arme ausgebreitet, so als hätte ich Flügel. Sollte ich straucheln, wird meine Musik von Kälte und Angst sprechen, so dass ich verzweifelt den Kopf schütteln und den Tau auf meinen Lippen spüren kann. Ich werde fühlen, wenn auch nicht meine Welt, ich werde hören, wenn auch nicht meine Ängste, und ich werde leben - ein fremdes Leben.
Stille flutet meinen Kopf. Nichts kann ich entdecken, kein einziges Schlückchen Schmerz, kein bisschen Glück - worüber sollte man auch glücklich sein? Wer sollte glücklich sein? Was kann mir weh tun, wenn mir nichts gehört? Vor was muss ich mich fürchten?

Wie konnte ich lieben?

Ich lache. Ein letztes, endgültiges Lachen. Mein Lachen. Nur kurz, bevor das Spiel erneut beginnt. Ich suche mir meine Maske aus.
Gott, wer bin ich jetzt?

[ 04.07.2002, 14:18: Beitrag editiert von: anti_materia ]

 

Eine beeindruckende Geschichte die noch lange nachwirkt, was vor allem auch an den tollen Formulierungen liegt. Doch was heißt "zusammenklauben"? Gibt es das wirklich? Aus dem Inhalt kann mich mir die Bedeutung dieses Wortes schon denken, doch hab ich es noch nie gehört.

 

hallo Unbekannter!

Danke für das Lob.
zusammengeklaubt bedeutet soviel wie aufgesammelt, aufgelesen, zusammengesucht ... hm, vielleicht passt es hier wirklich nicht so gut, denn die Fäden sind ja nicht nur einfach zusammengetragen, sondern auch untereinander verworren ... vielleicht fällt mir noch ein besseres Wort ein.

schönen gruß, anti_materia

 

Hallo anti_materia,

ich will das Lob des Unbekannten nicht neutralisieren, doch für meinen Geschmack (also ganz subjektiv) finde ich, daß Du zu viele übertriebene Wortkombinationen in der flüssig geschriebenen Geschichte gebrauchst. Denkt ein Leidender wirklich in Begriffen wie „Lebensozean“, „milchige Klang der Stimme“, „wundervolle Stickerei“, „Nest meines Brustkorbes“ u.s.w. ?

Tschüß ... Woltochinon

PS. Ich kann schon verstehen, daß es Spaß macht, sich diese Begriffe auszudenken

 

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