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Wie ich in die Hölle kam
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Letzten Donnerstag bin ich gestorben. Das ist jetzt fünf Tage her.
Mir ist zwar am Abend zuvor schwindlig gewesen, aber ist das ein Grund für so was? Dass man gleich unbedingt am nächsten Morgen erleben muss, wie man als Astralleib seine – wie sagt man? – die sterblichen Überreste verlässt; da fühlte ich mich, ja, wie soll man das beschreiben? Überrascht? Schwer vorhanden? Unsymmetrisch? Bildhaft gesprochen, wie ein Ei, das gerade aufgeschlagen wird?
Um ehrlich zu sein, wahrscheinlich traf es mich besonders hart. Leben nach dem Tod–, wer will das denn? Zu Lebzeiten bereits war das meine Einstellung und sie hat sich nicht geändert, nur weil ich jetzt dazu gezwungen werde.
Sofort der erste Enttäuschungbestand darin, dass nicht wie versprochen das gesamte bisher gelebte Leben noch einmal wie ein Film geistig in meinem Kopf vorüberzog. Ich wartete, aber absolut gar nichts zog an meinen inneren Augen vorüber oder flog wenigstens irgendwo in der Gegend vorbei. Stattdessen wurde ich von irgendwas am Kragen gepackt und selbst weggezogen.
Als ich gestorben bin, besaß ich auf der Stelle einen astralen Körper und musste als Erstes ich aufs Klo. Der Schock quälte meine Eingeweide, obwohl ich gar nicht mehr wusste, wo sie sich befanden.
Es geht also weiter – dieser Satz war alles, was ich denken konnte, und Panik stellte sich ein. In meinem Kopf kreiste der Satz am eigenen geistigen inneren Himmel und er sah aus wie eines große wütende Hornisse, die auf Beute aus war.
Immer hatte ich gesagt, ewig leben, was soll das bringen? Da muss es doch im Himmel riesige psychiatrische Auffanglager geben, oder etwa nicht? Spätestens nach fünfzig Millionen Jahren wird doch selbst dem König der Blinden die Birne weich und sein Astralleib beginnt zu schäumen. Euer Ernst? Unendlich währende Glückseligkeit, wo mir schon langweilig wird, wenn ich länger als drei Tage keine ernsthaften Probleme habe. Warum klettern denn die Leute auf die Berge, tauchen in die Tiefen, fliegen in den Weltraum? Sie brauchen Probleme, sie haben nicht genug davon.
Ich hatte erwartet, dass es Gelegenheit gäbe, noch ein wenig mit meinem Astralleib – wie sagt man? – auf der Erde herumzuwandeln und noch einmal ein paar Bekannte aufzusuchen, zum Beispiel die schöne Iris in ihrer Bude, wo ich ihr ausführlich und unbeachtet zusehen konnte, wie sie sich duschte, aber es gab Gelegenheit für gar nichts.
Ich wurde von einer Astralfaust in einen himmlischen Wagen geschleudert, in dem bereits drei andere Astralleiber kauerten und vor Angst zitterten.
Ich versuchte, mich zu beruhigen. Richtig schlimm konnte es nicht werden. Im Grunde hatte ich überhaupt nichts zu befürchten. An den übelsten Todsünden war ich mehr als einmal vorbeigekommen, ich habe zum Beispiel niemanden umgelegt (jedenfalls nicht absichtlich)und die kleineren Betrügereien da werden schon nicht so schwerwiegend sein, da gibt’s schon noch ganz andere Geschichten; ich habe meine Frau nicht betrogen, zum Glück hatte ich auch nie eine, ich habe äußerst selten begehrt des Nächsten Weib und auch keine anderen schlimmeren Gräueltaten begangen, noch nicht mal ein Kind habe ich verprügelt, selbst dann nicht, wenn es unvermeidlich schien. Die Wahrheit über meine kriminelle Energie lautet: Ich habe mich nicht mal getraut, dem Kellner zu wenig Trinkgeld zu geben oder die Tauben zu verscheuchen, die auf mir herumsaßen und mich vollkackten. Sie mochten mich nämlich, weil ich sie täglich fütterte.
Als ich in Petrus Büro stand beim vermutlichen Einführungsgespräch für die Unterwelt, christlicher Hauseingang, äußerte ich ihm gegenüber den letzten Wunsch auf etwas, was ich mir schon zu Lebzeiten immer gern vorgestellt hatte, vor allem als Jugendlicher, – nämlich Bösen der Welt, die Geiselnehmer und Kerkermeister der Erde, von der Vergangenheit bis heute, einen nach dem anderen in der Hölle leiden zu sehen für alles, was sie getan hatten; darum griff ich mir den Erstbesten raus und fragte ihn: „Darf ich Adolf Hitler sehen, wie er in der Hölle schmort?“
Petrus hatte nichts dagegen und schaltete einen Bildschirm an. Hitler lag in einem Schaumbad und Kleopatra brachte ihm eine Karaffe Wein. „Soll ich dir den Rücken einseifen, Liebster?“, fragte sie. Liebliche Musik erfüllte den Raum mit heiteren Klängen.
„Das da ist das Höllenfeuer?“, fragte ich.
„Nein, mein Sohn“, sagte Petrus. „Das da ist das Paradies. Und nun zu dir: War wohl nix.“
„War wohl nix? Was soll das heißen? Dass ich in die Hölle muss, während Hitler sich den Rücken einseifen lässt? Wo bleibt da die Relation? Wie viele hat er auf dem Gewissen und wie viele ich? Zusammengerechnet?“ Mein Astralleib bebte.
„Aber die Intention, mein Sohn, die Absicht? Waren deine Absichten wirklich rein? Es geht um die Qualität der Vorstellungskraft und die Größe des Entwurfs. Er dachte darüber nach, eine neue Weltordnung zu schaffen, und du dachtest darüber nach, wie du die Frau deines Chefs rumkriegen könntest, mit dem du sogar befreundet warst, oder wann du endlich Walter Neuenreuther in die Finger kriegst, um dem Vollidioten ein für alle mal die Gurgel umzudrehen.“
Kurzerhand, sie haben mich in die Hölle gesteckt. Den Widerspruch hätte ich auf dreißig Seiten begründen müssen. Seit fünf Tagen bin ich mit meinem Astralkörper so auf einen rostigen Astralstuhl geschnallt, dass ich meinen Kopf nicht bewegen kann und unentwegt auf den Bildschirm starren muss. Und auf diesem Bildschirm laufen ununterbrochen die Fernsehaufzeichnungen aller je stattgefundenen und ausgestrahlten Krönungs-, Hochzeits- und Beerdigungsfeierlichkeiten aller Königshäuser Europas, Aufzeichnung um Aufzeichnung um Aufzeichnung, und sobald die letzte Folge durch ist, geht’s mit der ersten von vorn los; das ist der Plan, wie ich effizient büßen kann.
Aber es wird nicht ewig dauern. Mir wurde erläutert, dass mein Aufenthalt im Fegefeuer der Abbüßung meiner Sünden dient und nach schon neunhundertzweiundachtzigtausendfünfhundert Jahren zu Ende ist, ich also dann damit fertig bin – im Gegensatz zu Mahatma Gandhi, der in der Ewigen Hölle gelandet ist und da nie wieder rauskommt.
Wie auch immer, ich hatte es mir anders vorgestellt. Ich hoffe, mein Bericht nützt euch was; ihr solltet jetzt wissen, was zu tun ist; anders als ich damals… Mein Gehirn fühlt sich jetzt schon wie etwas an, das man als Brotaufstrich verkaufen könnte, und gestern passierte das und dabei sind es doch nur wenige Tage: Ich begann damit, Elisabeth die Zweite – sexy zu finden, erotisch und sogar weiblich. Ich schätze, ich halte es keine neunhundertzweiundachtzigtausendfünfhundert Jahre durch.
Es sind doch erst fünf Tage!