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Wie ich drei Bestseller an einem Donnerstag veröffentlichte
Wie ich meine ersten drei Bestseller innerhalb von zehn Tagen schrieb und an einem einzigen Donnerstag veröffentlichte
Sie meinen, ich staple hoch? Mitnichten! Sie meinen, ich habe eine gestörte Wahrnehmung? Das könnte schon sein. Trotzdem fühlte ich mich an besagtem Donnerstag wie eine Mischung aus Goethe, Konsalik und dem Erfinder des Telefonbuches.
Wieder werden Sie mir nicht glauben, aber weder auf meiner noch auf den mir bekannten Stationen des Großstadtklinikums, in dem ich als Krankenschwester arbeite, gab es ein internes Telefonverzeichnis, was diesen Namen verdient hätte. Bei uns auf der Onko 15e existierten zehn, je nach Priorität des Erstellers verschiedene, kleinschriftige Listen, viele der aufgeführten Nummern stimmten nicht mehr oder waren unübersichtlich korrigiert worden. Außerdem gab es noch bekritzelte Post-its und ein paar Visitenkarten. Gut, wenn man die Nummer der Klinikinformation wusste, und diese gerade erreichbar war!
Da in der Arbeit eine Flaute herrschte, nahm ich mir vor, dem zeitraubenden Nummernbingo endlich ein Ende zu machen. Also gehe ich zum Informationsschalter des Klinikums und bitte darum, ihr Telefonverzeichnis kopieren zu dürfen. Der Mitarbeiter an der Info schaut erschrocken, fragt seine Kollegin, diese reicht ihm ein A4 Blatt mit den Worten:
„Die Hälfte davon stimmt nicht.“
Ich frage, ob ich das neueste Exemplar bekommen kann, nur zur Kopie.
„Haben wir nicht, es gibt einfach zu viele Nummern in dem großen Krankenhaus.“
Ich betrachte das Wirrwarr von Namen, Bezeichnungen und Zahlen, in verschiedenen, sich gegenseitig aufhebenden Tabellen geordnet, teilweise mit Sternchen versehen und ohne Lupe kaum lesbar.
„Die ist doch nicht vollständig!“
„Stimmt, aber fragen Sie mich einfach, ich weiß alle Nummern!“
„CT abends, feiertags und am Wochenende?“, ist das einzige, was mir in diesem Moment einfällt.
Stolz spuckt der Kollege vier Zahlen aus, welche ich mir notiere.
„Ihre Handynummer und kann ich Sie auch nachts anrufen?“
Da lacht er nur.
Wieder auf Station lege ich diese Liste zu den zehn anderen und öffne das Intranet, suche unter den Stichworten: Telefonverzeichnis, Telefonnummern, Telefonummmernsuche, werde wiederholt auf die Telefonnummernsuchfunktion verwiesen. Wer braucht schon ein Verzeichnis, wenn er sich mit einem Klick die aktuelle Nummer von Frau Hinz und Herrn Kunz anzeigen lassen kann. Nur gibt es weder Frau noch Herrn Computertomografie, weder mit f, noch mit ph. Ebenso verhält es sich mit Mikrobiologie und Nuklearmedizin. Einzig unter Röntgen werde ich fündig, jedoch arbeitet Frau Dr. Röntgen nicht im Röntgen, sondern in der Pathologie. Ich notiere mir ihre Nummer auf meiner, der zwölften, Liste, rufe die IT-Abteilung an und frage, wer für das Einpflegen der Telefonnummern ins System verantwortlich ist. Schweigen, dann antwortet mir der Kollege:
„Der Personalservice, Vorsitzende ist die Frau Kummerer.“
Da ich Frau Kummerer telefonisch nicht erreiche, bitte ich sie per Mail um ein aktuelles Telefonverzeichnis und erkläre ihr höflich, warum es widersinnig ist, die Telefonnummernsuche ausschließlich mit Angabe des Nachnamens zu ermöglichen.
Ich forsche weiter im Intranet, schöpfe aus diesem Fundus, sowie aus den elf zusammengetragenen Listen. Intuitiv wähle ich einige Nummern, vor allem die mit Sternchen vom Informationsschalter, um den im Display angezeigten Teilnehmer mit dem notierten zu vergleichen. Bald entdecke ich ein System - die mit Sternchen sind alle falsch.
Um mich herum wirbelt und wuselt es, ich stecke im Nummernflow, werde irgendwann von der Spätschicht heimgeschickt.
Kaum zu Hause setze ich mich wieder an den Schreibtisch, dabei geht es nicht um Zahlen, sondern um eine Kurzgeschichte, die ich vor fünf Jahren schrieb, aus der ich ein Theaterstück bastelte, aus welchem sich nun eine Novelle formen möchte. Mein Kopf schmerzt, ich bin müde und habe gleichzeitig Bewegungsdrang, aber ich muss schreiben. Um Mitternacht komme ich wieder zu mir, fahre den PC runter, trinke das Glas Wasser, das seit Stunden unberührt neben mir auf der Fensterbank steht. Eigentlich will ich weiter, immer weiter schreiben bis zum Schluss, mich krank melden, blau machen, machen andere auch. Ich stelle den Wecker, gehe ins Bett, schlafen wäre jetzt sinnvoll, doch meine Protagonisten Sabine und Frank spielen Telefonnummernraten in meinem Oberstübchen. Wache sterbensmüde auf, eine Stunde vorm Klingeln des Weckers.
In der Arbeit nutze ich jede freie Minute für mein Telefonverzeichnis. Auf meine Mail an den Personalservice habe ich noch keine Antwort bekommen. Ich wähle die vom Informationsschalter genannte CT-Nummer. Das Display zeigt den Teilnehmer nicht an, also bleibe ich am Apparat.
„Entschuldigen Sie bitte, ich lege ein Telefonverzeichnis für meine Station an und wollte fragen, ob das die richtige Nummer ist für CT-Anmeldungen außerhalb der Bürozeiten?“
Am anderen Ende der Leitung lacht eine Männerstimme:
„Nein, hier ist die Notaufnahme. Wie süß, ein Telefonverzeichnis, kommen Sie doch vorbei, ich habe alle Nummern. Schließlich sind wir hier die Notaufnahme.“
Volltreffer, hätte ich auch selbst drauf kommen können, denke ich und sause los.
Der Arzt in der Notaufnahme ist ein anderer, das erkenne ich gleich an der Stimme. Er zeigt mir seine Liste, die in etwa den meinen gleicht, also uninteressant ist. Ich rufe auf Station an:
„Gib mir mal die Nummer, die auf der Liste von der Info hinten drauf ganz rechts oben steht, unter CT am WE!“
Diese gehört zu dem Arzt, der mir die Kopie eines Telefonverzeichnisses versprach. Ich wähle und lande in der chirurgischen Nothilfe. Dort erwartet mich nicht die erhoffte Offenbarung, sondern eine dreizehnte A4 Prioritätenliste. Ich bedanke mich für die Kopie, auf der wenigstens ein paar neue Nummern zu finden sind, zum Beispiel die der nächsten Polizeistation. Auf dem Rückweg schimpfe ich vor mich hin:
„Typisch Chirurg! Hat alle Nummern! Süß, wirklich süß!“
Zu Hause schlage ich mich wieder mit Sabine und Frank herum. Ich kämpfe gegen die Müdigkeit, bis ich ins Bett gehe. Dann kämpft sie gegen mich.
So geht es die ganze Woche, Montag schreibe ich bis nachts halb zwei, dann habe ich meine Helden endlich ins Finale geführt. Schlaf wird überbewertet, ich drehe mich nach rechts und nach links, Knie anziehen, Beine strecken, auf den Rücken und das ganze wieder von vorn. Kurz vor dem Weckerklingeln muss ich dann eingeschlafen sein.
In der Arbeit widme ich mich so oft ich kann meiner Lieblingsbeschäftigung, wie es die Kollegen nennen. Endlich habe ich Antwort vom Personalservice erhalten, dass ich nicht die Einzige bin, die die Telefonsuchfunktion nach Nachnamen bemängelt, und dass sie auch meine Mail an den zuständigen Mitarbeiter weitergeleitet hat. Im Anhang befindet sich die vor einer Woche aktualisierte Telephonliste, wobei die Schreibweise mit ph ein viel früheres Datum vermuten lässt. Tatsächlich finde ich auf Anhieb fünf, schon seit Längerem nicht mehr in diesem Krankenhaus arbeitende, Mitarbeiter aufgeführt. Auch vollständig ist diese Liste absolut nicht. Ich drucke sie aus und lege sie zu den zwölf anderen. Eine halbe Stunde nach Feierabend schmeißt mich die Spätschicht raus. Darum habe ich gebeten, denn ich muss nach Hause, mich um Sabine und Frank kümmern. Überarbeiten ist unerfreulich aber unausweichlich. Beim Umkleiden denke ich an meine Geschichte, ziehe den Pullover auf links herum an, korrigiere, schnappe die schwarzen Stiefel aus dem Schuhregal, schlüpfe hinein und aus der Tür aufs Rad.
Stunden später, zufrieden mit meiner Schreibarbeit, will ich endlich einmal früher ins Bett, schaue aufs Handy, mein Kollege hat mir eines seiner Videos geschickt, in dem er Ski fährt und eine Nachricht:
„Kann es sein, dass du die falschen Stiefel angezogen hast?“
Den Witz verstehe ich nicht, denke ich kopfschüttelnd. Sehe nach den Stiefeln, sie sind auch schwarz, aber… Ich rufe ihn an. Es sind die Stiefel der Mutter eines Patienten. Sie hat nun meine angezogen, um nach Hause zu kommen. Noch nie habe ich ihn so lachen hören, er hört gar nicht mehr auf! In diesem Moment kommt meine Tochter Lilly zu Besuch, sie lacht sich kaputt und ich überlege, ob ich verrückt bin. Dann fragt sie mich, wann ich mal wieder putze, einkaufe, den Müll wegbringe und so weiter.
„Wenn ich mit Schreiben fertig bin, also bald.“, antworte ich ihr
Lilly liest endlich meine Geschichte und verlangt tatsächlich, dass ich etwas ändere:
„Das ist unlogisch!“, behauptet sie.
„Aber, kann Frank nicht, oder Sabine, wenn ich nun den Satz etwas anders formuliere und hier ein paar Wörter hinzufüge?“
Sie lässt nicht mit sich reden. Das Schlimme daran: Ich weiß, dass sie Recht hat. Nur, heute bin ich zu nichts mehr fähig. Ich fühle mich zerkaut wie ein ausgekauter Kaugummi. Schlafe schnell ein, träume von einer stacheligen Riesenraupe, die über mein Neugeborenes rollt, immer wieder. Ich sehe fassungslos zu, in beiden Händen klingelnde Telefone, die ich abwechselnd an meine Ohren presse. Kein Wunder, dass ich mit Kopfschmerzen aufwache.
In der Arbeit gibt es nur ein Thema – die vertauschten Stiefel.
„Das habe ich nur gemacht, damit ihr endlich mal was zum Lachen habt!“, kontere ich. „Selbst Christian hat gelacht!“
Das ist unser jüngster Patient und Sohn von der Mutter, deren Stiefel ich trug.
Mit dem Telefonverzeichnis geht es gut voran. Nachmittags habe ich eine Hygienefortbildung, ich schlafe gnadenlos ein.
Wieder zu Hause fühle ich mich erfrischt und zum Überarbeiten bereit.
Tja, was soll ich sagen, am folgenden Donnerstag druckte ich unser nagelneues Telefonverzeichnis aus, Bestseller Nummer Eins hängt als Schnellhefter im Patiententrakt. Nummer Zwei befindet sich in einem regenbogenfarbenen Standordner neben der Schreibtischleuchte. Wenn das keine Bestseller im übertragenen Sinne sind! Ständig im Gebrauch, wohl die einzigen im ganzen Klinikum. Keiner von unserer Station muss mehr mühevoll Nummern zusammensuchen oder durchprobieren, bis er auf dem Display die richtige findet. Die Angaben sind übersichtlich, in alphabetischer Reihenfolge geordnet, es gibt eine Leerseite für Neuentdeckungen und eine Hitliste, die unter anderem die Nummer der Information enthält. Alles ist im PC gespeichert, so dass das Verzeichnis jederzeit aktualisiert werden kann. Meine Telefonbücher machen glücklich, auch weil ich wichtige Informationen vermerkt habe, zum Beispiel bei Bistro: sehr gute Pizza, 10 Prozent Rabatt!
Wie wird sich erst unser neuer Oberarzt freuen, wenn er die nächste Zeit bei uns Dienst tut. Er ist so neu hier, wahrscheinlich kennt er noch nicht einmal die Nummer der Information!
Bald wird wohl auch diese, die Klinikinformation, bei uns anrufen und uns um Auskunft bitten.
Da klingelt schon wieder das Telefon, nur einmal, die suchen nach einer Nummer.
Nach Feierabend radele ich zum Copyshop, lasse meinen dritten, ganz persönlichen, Bestseller drucken und klammern, 50 Hefte mit 46 Seiten. Das erste Exemplar überreiche ich einer Nachbarin, der ich zufällig begegne, andere werde ich an Kollegen und Freunde verschenken. Vielleicht verkaufe ich sogar ein paar, für zwei Euro fünfzig das Stück. Den Karton will ich auf mein Bücherregal stellen, räume also allerlei Kram herunter und finde eine drei Jahre alte Karte, die anscheinend auf diese Gelegenheit gewartet hat, um erneut Ehre zu erweisen. Sie trägt die Aufschrift: BRAVO! Geschafft!
Denn, ob Sie es mir nun glauben oder nicht - Eigenlob stimmt.