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Wie es manchmal so kommt

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12.09.2012
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Wie es manchmal so kommt

„Sag mal, hörst du mir überhaupt zu?!“ Daniel schreckte aus seinen Gedanken hoch: „Was?“ „Ich sagte gerade, dass du doch knapp bei Kasse bist, oder? Das hast du mir doch erst letzte Woche erzählt.“ Daniel nickte. „Ja, verkannter Künstler. Weißt du doch, Vince.“ Er drehte schon wieder den Kopf Richtung Kanal. Wo blieb sie nur? „Eben. Und deswegen dachte ich, es interessiert dich vielleicht, dass im Gabriels heute Abend dieses große Fest ist. Jedenfalls brauchen die dort noch Kellner. Daniel, Herrgott, wo bist du nur mit deinen Gedanken? Was ist da flussaufwärts? Wartest du auf jemanden?“ Daniel sah seinen Freund an, überlegte einen Moment. Er wollte es Vince ja schon seit Tagen erzählen. „Wehe du lachst!“ Daniel sah Vince streng an. „Siehst du die Frau, die gerade um die Kurve kommt?“ Vince kniff die Augen zusammen, damit er die Joggerin genauer sehen konnte, die am Kanal entlang kam. Pferdeschwanz, Sportgewand. „Ja. Wer ist das?“ Daniel zuckte die Schultern. „Weiß ich nicht. Hab sie nur schon ein paar Mal gesehen.“ Ein paar Mal war eine kleine Untertreibung. Seit vier Wochen versuchte er jeden Tag zur selben Zeit unten am Fluss zu sein, um sie joggen zu sehen. Seit vier Wochen versuchte er den Mut aufzubringen, sie anzusprechen. Fragte sich, wie sie aussah, wenn sie nicht lief, geduscht war, die Haare offen trug, ein Kleid anhatte, gerade erst aufgewacht war, lachte, weinte, stritt. Vince lachte: „Alles klar, alles klar. Wieder mal eine Romanze im Kopf? Du bist aber auch wirklich ein Traumtänzer. Vielleicht wird ja diesmal der Roman draus, der den Durchbruch bringt. Bis dahin, Daniel, nicht vergessen, heute Abend, 18 Uhr. Ich hol dich ab! Robert weiß schon Bescheid, dass ich dich mitbringe. Und bitte putz diesmal deine Schuhe.“ Vince klopfte seinem Freund zum Abschied auf die Schulter. Daniel winkte ihm noch nach, bevor er sich mit seinem Notizbuch auf die Parkbank setzte und darauf wartete, dass seine schöne Unbekannte auf ihrem Rückweg wieder an ihm vorbei lief.

Ellas Telefon läutete schon wieder, als sie das Wasser in der Dusche aufdrehte. Beinahe war sie versucht, nochmal ins Wohnzimmer zu laufen, entschied sich dann aber dagegen und stieg stattdessen unter das warme Wasser. Sie versuchte sich zu entspannen, hoffte, dass das warme Wasser erledigte, was heute die sechs Kilometer Laufen nicht geschafft hatten. Doch ihre Gedanken schweiften fast augenblicklich zurück zu der To-do-Liste für das Fest am Abend. Hatten sie wirklich an alles gedacht? Die Einladungen waren schon vor Wochen hinausgegangen, die neuen Tischdecken waren bestellt und gestern geliefert worden, das Geschirr war auf Hochglanz poliert, Tommy hatte alle Zutaten für das Menü höchstpersönlich ausgesucht und eingekauft, der Sitzplan stand und sie hatte Robert gestern noch Bescheid gegeben, dass sie noch zusätzliche fünf Kellner brauchten. Alles war in trockenen Tüchern. Dem Abend, an dem ihr Vater sein Restaurant an seine Kinder und vor allem seine Küche an seinen Sohn übergab, war so perfekt wie nur möglich geplant.

Ihr Telefon läutete schon wieder, als Ella aus der Dusche stieg. Hatte es jemals aufgehört? Gleichzeitig läutet es Sturm an ihrer Tür. Sie schlüpfte in ihren Bademantel, ging zur Gegensprechanlage und klaubte dabei ihr Telefon auf. Es war Tommy. Schon wieder. „Hallo?“, fragte Ella in die Gegensprechanlage. „Ich bin’s. Tommy. Warum gehst du nicht ans Telefon? Kannst du mir bitte mal aufmachen.“ Ella seufzte. Tommy war nervös. Sie verstand ihn. Doch mehr als Händchenhalten und die Organisation zu übernehmen, konnte sie auch nicht tun. Sie drückte den Türöffner für die Haustür, ließ ihre Wohnungstür offen und ging in die Küche, um sich einen Tee zu machen. „Du machst mich auch noch ganz verrückt mit deiner Nervosität“, rief Ella über ihre Schulter, als sie hörte, dass die Wohnungstür zugemacht wurde und Tommy in die Küche kam. „Ich weiß, ich weiß. Aber wissen alleine hilft mir halt auch nicht“, sagte er. Er wirkte übernächtig und abgespannt. Ella reichte ihrem Bruder eine Tasse grünen Tee. „Hier trink. Macht glücklich.“ Tommy lachte: „Danke, aber so viel kann ich gar nicht trinken, fürchte ich.“ Auch Ella musste lachen. „Pass auf, ich zieh mir schnell was an, packe meine Sachen für heute Abend und dann fahren wir ins Restaurant. Dort gehen wir alles nochmal durch und wenn du willst, kontrolliere ich höchstpersönlich, ob die Tischdecken sitzen und richtig eingedeckt wird und du kannst in der Zwischenzeit ja nochmal die ganze Küche mit der Zahnbürste schrubben.“ „Haha!“

Daniel war spät dran. Nicht weil er plötzlich einen kreativen Durchbruch gehabt hätte; sondern weil er auf der Couch eingeschlafen war. Um wach zu werden, hatte er kalt geduscht und einen viel zu heißen Kaffee viel zu schnell hinunter gestürzt. Vince hupte schon wieder vor der Wohnung und Daniel fiel mehr aus der Tür, als dass er hinausging. Auf halben Weg die Treppe runter fiel ihm ein, dass er nicht abgeschlossen hatte. Weil er aber schon wieder ein Hupen hörte, beschloss er, es dabei zu belassen. Vince würde auch so schon sauer genug sein. Kaum war Daniel ins Auto gestiegen, fuhr sein Freund auch schon los. „Mann, was ist nur los mit dir?!“ Daniel verstand Vince‘ Ärger. Er war die vergangenen Wochen unkonzentriert, unpünktlich und unzuverlässig gewesen. Kurzum, ein fürchterlicher Freund. Trotzdem war Vince nachsichtig genug, um ihm den Job zu verschaffen, den er wirklich gebrauchen konnte. Nachdem sein letztes Manuskript vom Verlag abgelehnt worden war, drängte die Zeit für ein Neues. Nach dem ersten halbwegs guten Roman schien es jedoch unmöglich für ihn, einen zweiten zu Wege zu bringen. Er fühlte sich unwohl und dass dadurch auch das Geld knapp wurde, verbesserte die Situation nicht gerade.

Vince parkte in einer Seitenstraße und sie gingen gemeinsam schnellen Schrittes durch die erstaunlich warme Oktobernacht zum Gabriels. Im Restaurant herrschte bereits Hochbetrieb. Die Tische waren wunderschön eingedeckt, einige Kellner schwirrten schon dazwischen, um nochmal alles genau zu kontrollieren, die Kerzen auf den Tischen zauberten Lichtschimmer auf das Geschirr, alles sah perfekt aus. Robert winkte sie nach hinten. Selbst er, der sonst die Ruhe in Person war, wirkte etwas nervös. „Gut, gut, ihr seid endlich da. Wo bleibt nur der Rest?! Geht euch gleich umziehen. Die Hemden, Hosen und Jacketts hängen hinten auf den Ständern. Und Daniel, bitte putz nochmal über deine Schuhe“, fügte er mit hochgezogenen Augenbrauen hinzu. Vince rempelte Daniel mit dem Ellbogen in die Rippen und sah ihn mit seinem Ich-habs-dir-doch-gesagt-Blick an.

Ellas Vater Gabriel kam mit der ihm eigenen Lautstärke in die Küche. Wenn er einen Raum betrat, passierte das nie dezent. Er war eine Naturgewalt, was auf seine Angestellten oftmals beängstigend wirkte. Auch jetzt verstummten sofort alle Gespräche. Er winkte Ella zu sich. „Liebes, bitte schau nach draußen. Kontrollier nochmal alles. Auch die Kellner, die von Robert kommen und nicht unsere hauseigenen sind, bevor die ersten Gäste eintrudeln. Ich will heute keine Schnitzer.“ Ella ließ sich auf die Wange küssen und ging in den Gastraum. Das Kleid saß perfekt, der dunkellila Seidenstoff hatte genau die richtige Farbe und einen schönen dezenten Schimmer. Die Schuhe würden sie zwar am Ende des Abends umbringen, aber sie passten perfekt zum Kleid. Sie ging auf Robert zu, wechselte ein paar Worte mit ihm, musterte kurz die Kellner, die in einer Reihe bereit standen und wandte sich dann den ersten Gästen zu.

Daniel stockte der Atem. Aus der Küche kam die Joggerin. Nur eben nicht im Pferdeschwanz und Sportgewand sondern im schicken lila Cocktailkleid. Sie ging lächelnd auf Robert zu, unterhielt sich kurz mit ihm, nickte einige Male und drückte freundschaftlich seinen Arm. Dann wandte sie sich den ersten Gästen zu, schüttelte Hände, brachte die Leute zu ihren Tischen, wechselte da und dort ein paar Worte, beantwortet Fragen und schien in ihrem Element zu sein. Doch Daniel blieb nicht lange Zeit, ihr zuzusehen, weil die ersten Getränke gebracht werden mussten. In der Küche war in der Zwischenzeit rege Betriebsamkeit ausgebrochen. Während des ganzen Abends bemühte sich Daniel einen Blick auf die Hübsche zu erhaschen. Als er gerade in der Küche auf Speisen wartete hörte er den Chefkoch rufen: „Ella? Ella! Wie läuft es draußen? Wie ist die Stimmung? Läuft alles glatt?“ Ihre Antwort ging bereits im Getümmel unter.

Als der Abend endlich zu Ende ging, fühlte Daniel sich wie erschlagen. Es war ein Knochenjob gewesen. Tommy und Ella waren Perfektionisten. Kein Teller, den der Küchenchef nicht noch einmal kontrollierte, bevor er ins Restaurant ging. Und wenn sie zu langsam beim Abräumen waren, passierte es, dass Ella eigenhändig leere Teller in die Küche brachte und sie zu mehr Genauigkeit ermahnte. Während die Kellner das letzte Geschirr abräumten, schüttelten Ella, ihr Bruder und ihre Eltern – wie Daniel mittlerweile erfahren hatte – Hände und verabschiedeten sich von den letzten Gästen. Vince, Daniel und die anderen Kellner schälten sich schließelich aus ihren Uniformen. Alle sahen erschöpft aus. „Das nenne ich mal eine wohl überlegte Inszenierung der Geschäftsübergabe. Gabriel hält offensichtlich viel von seinen Kindern“, schwatzte ein Kollege während er seine Jacke aufhängte. „Wie meinst du das?“, fragte Daniel, der schon den ganzen Abend versuchte, mehr über Ella zu erfahren. „Du bist heute Zeuge geworden, wie in einer Restaurantdynastie das Zepter übergeben wird. Gabriels Vater hat dieses Restaurant eröffnet, als sein Sohn geboren wurde. Daher der Name. Erzählt man sich zumindest. Mittlerweile gibt es in der ganzen Stadt größere und kleinere Restaurants und Cafés, die ihnen gehören. Und es heißt, Ella und Tommy managen sie alle.“ Danny war beeindruckt. Er wollte noch mehr wissen aber bevor er weiter fragen konnte, kam Robert herein, um ihnen ihren Lohn zu zahlen. Der Kellner, mit dem sich Daniel unterhalten hatte, war der Erste, der seinen Umschlag entgegen nahm. Er winkte nochmal in die Runde und verschwand dann durch die Tür. „Lass und fahren“, sagte Vince. Daniel nickte, nahm seinen Rucksack und ging hinter seinem Freund in den leeren Gastraum. Die Tische waren abgeräumt und die Sessel für die Putztruppe hochgestellt. Ella saß an der Bar, hatte ihre Schuhe ausgezogen und winkte Vince und Daniel zu, als sie gingen. „Danke Jungs. Gute Arbeit und gute Nacht“, schickte sie ihnen noch hinterher, bevor sie sich wieder dem Barkeeper zuwandte.

„Machst du mir einen Martini, Joe?“ Ella war erledigt aber zufrieden. Der Abend war bestmöglich verlaufen. Ihr Vater war schon gegangen, was ein absolut gutes Zeichen war. Alles, was für sie, Tommy und Joe noch zu tun blieb, war, abzuschließen. Joe stellte ihr den Martini hin und lächelte. „Gut gemacht, Hübsche“, sagte er, während Ella einen Schluck nahm.

Daniel stand auf der gegenüberliegenden Straßenseite und sah durchs Fenster Ella mit dem Barkeeper lachen. Die beiden schienen sehr vertraut. Als der Barkeeper um die Bar herumkam, Ella in den Arm nahm und mit ihr langsam durch das Restaurant tanzte, seufzte Daniel. Vielleicht gab der Abend ja eine brauchbare Geschichte ab, dachte er beinahe wehmütig. Er wollte sich schon umdrehen, um zu Vince aufzuschließen, als er sah, wie die Küchentür aufging und Tommy mit offener Kochjacke herauskam. Der Barkeeper streckte die Hand nach ihm aus, zog ihn zu sich, ohne Ella, die bereits ihren Kopf auf seine Schulter gelegt hatte, loszulassen und küsste ihn. Tommy nahm die Tanzenden in den Arm und lächelte. Als Daniel sich umdrehte, lächelte auch er. „Vielleicht spreche ich sie morgen am Kanal auch endlich einfach an“, murmelte er vor sich hin, als er hinter Vince zum Auto ging.

 

Hallo Julia

In deine erste Geschichte hier gelockt, kam ich in den ersten Zeilen vorab mal ins Stolpern. Bei mündlicher Rede sollte i. d. R. bei jedem Sprecherwechsel eine Zeilenschaltung erfolgen, da man als Leser sonst seine Konzentration dafür verbraucht, wer da was sagt. Dies findest du beispielsweise in jedem Roman, der Dialoge wiedergibt.

Doch, nun habe ich mich gefangen und auf den Inhalt konzentriert.
Deine Sprache finde ich angenehm zu lesen, die Worte und Sätze perlen flüssig.

Alles war in trockenen Tüchern.

Dieser Satz kam mir etwas fremd vor. Doch vielleicht ist es eine andere Form der Redensart: Alles ist im Trockenen. Dann gäbe es mir Sinn.

Er wirkte übernächtig und abgespannt.

übernächtigt

„Haha!“

Hier glaubte ich nun nicht, dass Ella dies so sprach, vielmehr sah ich sie herzhaft auflachen. (Natürlich eine Unverschämtheit von mir, in deine Intention zu reden, aber es scheint mir wirklicher.)

Er fühlte sich unwohl und dass dadurch auch das Geld knapp wurde, verbesserte die Situation nicht gerade.

Nach unwohl fehlt ein Komma. Es hatte sich bei der Befindlichkeit wohl zurückgezogen.

Die Tische waren wunderschön eingedeckt, einige Kellner schwirrten schon dazwischen, um nochmal alles genau zu kontrollieren, die Kerzen auf den Tischen zauberten Lichtschimmer auf das Geschirr, alles sah perfekt aus.

Warum nach dem kontrollieren nicht ein Punkt? In zwei Sätzen wirkte es mir eleganter, und statt dem schon dazwischen würde ein einfaches herum dem eine Leichtigkeit geben. Obwohl es nicht falsch ist, stolpere ich immer wieder über das eingedeckt. Es gibt verschiedene Synonyme dazu, hier wäre mir aber schlicht gedeckt ausreichend.

Während des ganzen Abends bemühte sich Daniel einen Blick auf die Hübsche zu erhaschen.

Nach Daniel würde sich ein Komma vertragen. Statt Hübsche hätte ich mir da Angebetete vorgestellt, aber quatsch, das ist wahrscheinlich Männerfantasie.

Ich habe die Geschichte mit Vergnügen gelesen. Für deinen Erstling hier: :thumbsup:

Schöne Grüsse

Anakreon

 

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