- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 8
Wie entsorge ich meinen Martin
Da lag Martin nun. Da lag er eigentlich ganz gut, fand Anne. Er sah zwar nicht besonders gesund aus, aber das kann man von einer Leiche üblicherweise auch so kurz nach dem Hinscheiden nicht erwarten. In der Ferne heulte ein Martinshorn. Wie passend, allein der Name dieser Sirene, und Martin war auch immer so laut und nervig gewesen, tja nun war er sehr still. Sie genoss diese Stille total.
Schade, dass sie keine Zeit mehr hatte. Wieso musste er auch unbedingt noch von der blöden Hantelbank rutschen? Nun konnte sie ihn da wieder raufhieven, keine leichte Übung für eine kleine, zarte Frau. Immerhin wog er locker seine hundert Kilo. "Lebendgewicht" hatte er es immer genannt, aber leider auch "Todesgewicht" dachte Anne bei sich. Am liebsten hätte sie ihn da liegen gelassen, aber dann wäre Unfalltod wohl etwas unglaubwürdig. Und nur so würde die Todesfallsumme seiner extrem hohen Unfallversicherung zur Auszahlung kommen.
Nie hatte er eine Lebensversicherung gewollt, hatte immer gesagt dann hätte sie ja einen Grund ihn umzubringen. Dabei war seine uncharmante Art auch ohne den finanziellen Anreiz schon Grund genug. Dann hatte er beim Abschließen der Unfallversicherung übersehen, dass es eben auch dort eine Todesfallsumme gab. Anne hatte das nicht übersehen, sie hatte still gebetet, dass er endlich unterschreibt. Nicht das es ein Unfall gewesen wäre, nein keinesfalls.
Er hatte sein übliches Hanteltraining absolviert, als ihr die rettende Idee kam. Sie ging zu ihm in den Fitnessraum, für den ihr Näh- und Bügelzimmer hatte weichen müssen, und unterhielt sich eine Weile mit ihm. Was man in dem Fall so Unterhaltung nennen konnte, er grunzte nur und hörte eh nicht zu. Hatte er nie getan, brauchte er Annes Meinung nach nun auch nicht mehr damit anfangen, so fünf Minuten vor dem Tod.
Wie immer hatte er ziemlich übertrieben beim Auflegen der Gewichte und schaffte es man gerade so die Stange wieder in die Halterung zu stemmen. Sie spornte ihn an doch noch weiter zu machen und bei seiner extremen Eitelkeit war er natürlich auch jetzt noch immer bereit ihr den starken Mann vorzuspielen. Sie trat hinter die Hantelbank, als wollte sie ihm im Notfall helfen – was hätte sie schon ausrichten können, mit ihren grade mal sechzig Kilo?
Dann kletterte sie auf die Stange, er wollte noch protestieren, aber die Stange rutschte beinahe sofort auf seinen Hals und drückte ihm die Luft ab. Soweit so gut. Also setzte sie sich mit ihrem Hintern auf die Stange und somit gleichzeitig auf sein Gesicht. Das hatte er doch immer so gern gehabt. Sie hätte ihn gern gefragt, ob ihm dieser Tod gefällt. Martin war ein so fanatischer Sportler und seine zweite Leidenschaft war Sex, also hatte Anne ihm doch eigentlich einen Gefallen getan mit dieser Todesart. Sie lächelte, als sie keinen Atem mehr am Hintern spürte; warte noch zwei Minuten und krabbelte dann herunter.
Leider rutschte dabei dieser unkooperative Kerl von der Hantelbank. Nun hatte sie schon die Scheiben von der Stange genommen, sonst wäre sein Hals demnächst zwei Meter lang, da er mit dem Kinn hinter der Stange hing und mit dem Hintern auf dem Boden. Aber das erwies sich auch als Fehler, weil er dadurch ganz abrutschte, tja und da lag er nun. Wie gesagt, eigentlich ganz gut, aber... Wie sollte sie den da bloß wieder Raufkriegen? Fremde Hilfe wollte sie auch nicht holen, obwohl sie sich sicher war, dass ihre Freundinnen und wohl auch ihre Eltern ihr sicher gern geholfen hätten. Aber dann hätte sie später nicht trauern können um ihn, und irgendwie wollte sie sich diesen Witwenstatus nicht nehmen lassen. Es ging ihr gar nicht mal um das Mitleid der Anderen. Auch wenn er ein Armleuchter gewesen war, trauern wollte sie.
Vielleicht ging es ja mit der Sackkarre, allerdings musste sie bei dem bloßen Gedanken erst einmal eine Runde ablachen. Heute hatte sie es eindeutig mit den Wortspielen. Also holte sie die Karre aus dem Schuppen, schubste sie unter Martin und drückte sie hoch, nicht schlecht, aber noch lange nicht gut. Er lag zwar nun in ca. 40 cm Höhe, aber noch längst nicht wieder auf der Bank. Ach verflixt, hoffentlich machte die Karre keine Spuren an dem Kerl. Das wär ziemlich blöd für die Unfallgeschichte. Sie brauchte eine Rampe. Also wieder in den Schuppen, einige Bretter, einige Steine von der halb fertigen Terrasse. Nun hatte er endlich eine gute Ausrede das sie nie fertig geworden war. Seit zwei Jahren redete Anne nun schon auf ihn ein, und bat ihn immer wieder doch die letzten zwei Reihen Steine endlich mal zu legen. Jetzt würde sicher irgendein Nachbar ihr anbieten das fertig zu machen. Nicht das die Nachbarn nicht sonst auch schon ihre Hilfe angeboten hätten, aber das wollte Martin nie. Er würde schon allein damit fertig werden, er war ja schließlich ein Bodybuilder. Er brauchte doch keine Hilfe. Leider war er ein fauler Bodybuilder, jedenfalls bei allem außer Hanteltraining und Sex.
Langsam fing sie ziemlich an zu schwitzen, das Mord doch so anstrengend sein konnte. Beim nächsten Mord muss ich das unbedingt besser planen, lachte Anne in sich hinein. Vielleicht hätte sie den Auftrag ja outsourcen können. Geld würde sie demnächst genug haben. Ob es da auch Kauf auf Raten gibt. Na egal, sie hatte weiter keine Opfer in Sicht. Kein Mensch hatte sie so lange so scheußlich behandelt. Der eine der sie malträtiert hatte, lag nun hier auf der Sackkarre.
Mit mehreren Anläufen und Rampenbauten bekam sie die Karre endlich in die Höhe der Hantelbank, nun legte sie noch einen Stein vor das Rad, damit die Karre nicht wieder zurückrollte, wie beim letzten Versuch. Heute wäre er wirklich stolz auf sie gewesen, so viel hatte sie seit Jahren nicht trainiert. Martin hatte es aufgegeben, sie zum Training zu drängeln, er war kein geduldiger Mensch und Geduld hätte man schon gebraucht, Engelszungen wären auch hilfreich gewesen. Sie hielt einfach nicht viel davon, sinnlos vor sich hin zu schwitzen.
Noch einige Ruckeleien und Schubsereien. Nun lag er endlich wieder an Ort und Stelle. Jetzt musste sie noch die Stange wieder auf seinen Hals legen und die Scheiben eine nach der Anderen wieder auf die Stange schieben. So eine Arbeit brauchte sie aber auch nicht jeden Tag. Komisch, dass sie gar nicht aufgeregt war. Ihre Geschichte war so wasserdicht, da konnten gar keine Zweifel aufkommen. Ihre Fingerabdrücke noch schnell von den Scheiben wischen, dass nun seine auch nicht drauf waren wäre schließlich nicht so ungewöhnlich. Achtete er doch ganz offensichtlich in seinem Fitnessraum auf peinlichste Sauberkeit.
Da passten nun die Dreckspuren der Sackkarre gar nicht dazu. Also musste sie auch noch fegen und wischen. Anne hatte nun schon ziemlich viel Zeit mit dem Rampenbau verbracht. Das dauerte alles viel zu lange. Ihre Geschichte musste schließlich erklären warum sie ihn nicht irgendwann vermisst hatte und im Fitnessraum nachgesehen hatte. Aber sie konnte den Anruf bei der Notrufzentrale trotzdem erst machen wenn alles fertig war. Wohlmöglich kämen die sonst wenn der Fußboden noch nicht wieder trocken wäre. Das würde doch auch gut aussehen, eine frisch gebackene Witwe die noch mal eben um die Leiche ihres Mannes herumfeudelt. Anne musste wieder lächeln „Leiche ihres Mannes“ wie schön sich das anhörte. Sogar schöner als damals der Satz vom Standesbeamten „Nun sind sie Mann und Frau“. Als wenn sie das vorher nicht gewesen wären.
Endlich war alles fertig, sie staubte Martin noch einmal ab. Keine Spuren von der Karre, keine Fusseln von ihrer Hose auf seinem Gesicht. Nun konnte sie den Anruf tätigen. Jetzt fing das Schauspiel an. Sie stammelte in die Notrufleitung „mein Mann, er, mein Mann ist, also er, er ist.... ich glaube, mein Mann, ist, tod. Also er ämmm, ja er, er ist, er ist tod.“ Der Notrufmann war sehr verständnisvoll, bat sie die Adresse zu nennen und verlangte weiter nichts von ihr. Die Kollegen würden gleich kommen.
Kurze Zeit später kamen auch Notarzt und Krankenwagen nahezu gleichzeitig vor dem schönen Einfamilienhaus an. Sie stand bereits in der Tür und sah auf hübsche Art verwirrt aus. Erwartungsgemäß stellten sie nur noch seinen Tod fest. Dann riefen sie die Polizei. Damit hatte sie nun nicht gerechnet, aber der Notarzt versicherte ihr ganz fürsorglich, dies wäre nur Routine und würde bei Unfällen mit Todesfolge immer so gemacht.
Diesmal war das Martinshorn also tatsächlich für Martin. Anne dachte noch wie sinnlos und überflüssig es doch ist, dass die Grün-Weissen zu einer Leiche mit eingeschaltetem Martinshorn düsen. Wollten wohl mal ausprobieren ob sie noch ging. Nun hatte denn endlich auch der letzte Nachbar in der kleinen Sackgasse mitbekommen, dass bei Anne und Martin etwas los war. Alle standen in Grüppchen auf der Strasse und tuschelten. „Ob Martin die arme Anne verprügelt hat?“ „Sicher ist sie wieder gegen eine Tür gelaufen, die Arme“ sagte Herbert, der direkte Nachbar der Beiden mit einem Kopfschütteln. Seine Frau warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu „na klar, sowas macht Frau auch regelmäßig einmal im Monat“
Auch die Polizei sah nur einen Unfall in Martins Tod. Die blonde Polizistin hatte zwar ein wenig komisch auf Martins Trainingsshirt geschaut und sicher ein paar der Abschürfungen daran gesehen. Aber der ältere Partner hatte sie zum Sofa im Wohnzimmer geführt und gefragt ob er ihr einen Kaffee machen könnte. Sehr nett war er dann zu seiner Kollegin gegangen und hatte alles zum Abschluss gebracht „ist ja wohl klar wie er gestorben ist, total übertrieben seine Trainiererei. Konnte den Hals nicht vollkriegen. Na man hört ja auch immer wieder das sowas süchtig machen kann. Denn wollen wir mal sehen dass der hier wegkommt“
Wie erwartet kamen nach und nach die Nachbarn um ihre Hilfe anzubieten. Anne saß nur auf dem Sofa und wurde bemuttert. Die Nachbarn nahmen auch alles für die Beerdigung in die Hand. Um alles wurde sich gekümmert, Essen wurde gebracht, Getränke wurden ihr gereicht. Martin war noch gar nicht ganz kalt, da lagen auch schon die Fliesen auf der Terrasse. Die Männer hatten gleich im Garten das Kommando übernommen, während ihre Frauen sich im Haus um Anne kümmerten. Fast konnte man denken es wäre eine nette Nachbarschaftsparty. Anne wünschte, sie würden endlich gehen. Eine Schnapsidee, dass sie trauern wollte, sie freute sich viel zu sehr, konnte ein penetrantes Dauergrinsen kaum noch verbergen.
Gegen Abend gingen dann endlich alle Nachbarn, nicht ohne anzubieten auch gern hier übernachten zu wollen, damit sie nicht allein wäre. Oder sie könnte ja auch bei ihnen schlafen, wenn sie sich hier im Haus nicht wohlfühlte. Sie lehnte alles ab, es konnte auch keiner wissen wie sehr sie das Haus liebte, vor allem jetzt wo es so schön ruhig war und ganz allein ihr gehörte. Endlich könnte sie nun auch wieder ein Näh- und Bügelzimmer einrichten.
Sie warf noch einen Blick ins Fitnesscenter, es würde jeder verstehen wenn sie die Geräte so schnell wie möglich verkaufte und das Zimmer umgestaltete. Rosa würde sicher gut aussehen an den Wänden und einen schönen dunkelrosa Teppich in der Mitte des Raums. Ein richtiges Mädchenzimmer eben.
Sie holte eine Flasche Sekt aus dem Kühlschrank, ging endlich wieder einmal gern in ihr Schlafzimmer und nahm ihr Tagebuch aus der Nachttischschublade. Seit Tagen hatte sie nichts mehr eingetragen, einfach weil sie ein Leben auf dem Abstellgleis geführt hatte, da brauchte es kein Tagebuch, wenn alle Tage gleich furchtbar waren. Gut das diese Zeiten nun endgültig vorbei waren, jetzt konnte sie anfangen zu leben.
Sie schlug es auf und notierte mit ihrem alten Füller:
„Heute Martin entsorgt“