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Wie eine Feder
David schloss vorsichtig, um kein Geräusch zu machen, die große, schwere Türe des Zimmers hinter sich. Lange hatte er gewartet, bis er endlich hinein konnte.
Sie sah kraftlos aus, wie sie in ihrem Bett lag, den Kopf, in ein großes Kissen gebettet, von ihm zum Fenster abgewandt.
Doch trotzdem war sie immer noch unendlich schön.
Zwar hatten ihre sonst so strahlenden, blauen Augen ihren Glanz verloren - sie sahen matt aus, schon fast trüb - und sie konnte sie kaum offen halten, doch trotzdem stachen sie aus ihrem blassen Gesicht hervor, als sie den Kopf zu ihm drehte und ihn ansah.
Die wenigen Sonnenstrahlen, die sich ihren Weg durch die Lücken in der Jalousie bahnten, ließen ihre Wangenknochen glitzern, als wären sie mit tausenden kleinen Diamanten bestückt.
Sie sah aus wie gezeichnet, gezeichnet in eine reales Umfeld, einen realen Raum.
Doch passte dieses optisch Bild nicht dorthin, wo es war.
Die Metallstangen, des Bettes, in dem sie lag, wirkten kalt und mächtig.
Auch die weiße Bettdecke, in die sie gehüllt war, schien viel zu riesig. Als würde sie ihre ohnehin schon so zierliche Statur verschlucken wollen.
Auf dem Tisch gegenüber ihres Bettes stand eine ungeöffnete Flasche Wasser, daneben ein Glas. Plötzlich verspürte David einen unendlichen Durst. Ob es ihr auch so ging?
Doch er hielt es für zu taktlos sie zu fragen, denn er wusste dass ihre Antwort “Nein” lauten würde.
Er zog sich einen Stuhl heran und setzte sich neben ihr Bett. Er wusste nicht, was er sagen sollte, denn auch “Wie geht’s dir?”, hielt er für unpassend.
Sie sah ihn an, und schob ihre Hand unter der Decke hervor. David ergriff sie. Wie zerbrechlich sie doch in seiner wirkte.
Lange sagten sie gar nichts, sie hatte ihre Augen wieder geschlossen. Ihr Atem ging ganz leise, sie schlief.
David dachte an die letzte Nacht zurück. Sofort ging sein Herz schneller.
Sie hatten den Abend schon lange geplant, schließlich gab es was zu feiern, denn sie waren nun schon 1 Jahr zusammen.
Obwohl es, aufgrund ihrer Krankheit, mit der Zeit immer schwieriger geworden war, was zu finden, was sie an ihren Jubiläen unternehmen konnten, freuten sie sich jedes Mal aufs Neue.
David hatte sie überraschen wollen. Er hatte Kinokarten für “Black Swan” gekauft, den Film, den sie schon seit langem sehen wollte. Danach hatte er einen Tisch beim Griechen reserviert, obwohl es eigentlich gegen ihre Regeln war, essen zu gehen.
Und der krönenden Abschluss des Abends sollte bei ihm zu Hause stattfinden. Er hatte einen Weg aus Rosen und Kerzen dekoriert, obwohl er normalerweise nicht der Typ für romantische, schnulzige Aktionen war, der direkt in den Garten zum Pool führte. Wie David liebte auch sie die nächtlichen Badegänge. Es war alles perfekt geplant gewesen.
David hatte noch einmal seine Frisur im Fluspiegel kontrolliert, er hatte sich ein paar Haare aus der Stirn gezupft, dann war er in seine Schuhe geschlüpft und zur Haustür gegangen. Bevor er sie hinter sich geschlossen hatte, hatte er in seiner Hosentasche nach dem Geldbeutel gefühlt, denn was gab nichts peinlicheres als ohne Geld dazustehen, dann war er zu seinem Auto gegangen. Er hatte zu seinem 18. Geburtstag einen nagelneuen BMW bekommen.
Es war noch warm gewesen, doch trotzdem hatte eine leichte Brise geweht.
Bestens für den Abend war das Wetter geeignet gewesen.
David war elegant vor ihrer Hofeinfahrt vorgefahren, hatte sich abgeschnallt und war aus dem Auto gesprungen.
Mit wenigen Schritten hatte er die Haustür erreicht. Wie immer hatte er über die Dekoration des Bäumchens neben der Tür geschmunzelt, es hingen immer noch Ostereier daran.
Durch die Tür hatte er das Läuten der Klingel gehört, als er den Knopf gedrückt hatte.
Er hatte schon eine Hand auf den Türknauf gelegt, doch es hatte sich nichts geregt, normalerweise öffnete sie noch bevor er die Hand von der Klingel genommen hatte.
David hatte die Stirn gerunzelt, dann hatte er erneut geklingelt.
Diesmal hatte er den Knopf länger gedrückt gehalten. Es war immer noch nichts passiert.
Er war die Stufen hinunter und vor zum Fenster gegangen. Er hatte
durch das Glas geschaut, doch auch im Wohnzimmer hatte sich nichts bewegt.
Schließlich hatte er zu seinem Handy gegriffen, um sie anzurufen. Doch dann war ihm er Schlüssel eingefallen, der dem neben Blumentopf auf dem Fensterbrett lag. Er war also die Stufen wieder hoch gegangen und hatte den Schlüssel ins Schüsselloch gesteckt und aufgesperrt. Wie er solche Spielchen hasste. Er war schon früher nie auf die Verstecke der anderen Kinder gekommen. Er war immer die Lachnummer beim Verstecken spielen gewesen.
Die Tür war aufgesprungen. “Schatz?”, hatte David gerufen.
Keine Antwort.
Irgendwas war hier faul. Er war die Treppe hoch in ihr Zimmer gegangen. Die Tür war geschlossen gewesen.
“Das ist jetzt nicht mehr lustig!”, er war hinein gegangen.
Doch auch dort war sie nicht gewesen. Wo steckte sie denn?
Er war weiter ins Bad gegangen. Vor der Tür hatte ihr Pullover gelegen.
Er hatte die Tür aufgestoßen und sich umgesehen.
Wie Blitz hatte etwas durch seinen Körper gezuckt. Sie hatte zusammen gekrümmt neben der Toilette auf dem Boden gelegen, das Gesicht zum Boden gedreht.
Er hatte sich neben ihr auf die Knie fallen gelassen und sie umgedreht. Ihre Augen waren geschlossen gewesen. Sie hatte sich nicht bewegt.
Ihr Top war hoch gerutscht gewesen und hatte ihren Bauch gezeigt. Er hatte sich nicht gehoben, obwohl er gemeint hatte, sie atmen zu hören.
Seine Hände hatten fürchterlich gezittert, als er nach ihrer Hand gegriffen hatte, um ihren Puls zu fühlen.
Verzweifelt, er sie angeschrieen: “Schaaatz! Haalloo? Hörst du mich?” und “Nein! Bitte nicht!”
“Scheiße! Scheiße!”, er hatte mühsam sein Handy aus der Hosentasche gezerrt und 3 Versuche gebraucht, um die richtigen Tasten zu treffen, so sehr hatten seine Hände gezittert.
Er hatte innerlich gebebt, und Tränen waren sein Gesicht herabgelaufen, doch er hatte sich zusammen gerissen, um noch sprechen zu können.
Die 10 Minuten, bis der Krankenwagen da war, waren ihm wie Stunden vorgekommen.
Er war auf die Straße gerannt um ihn in die Einfahrt zu lotsen.
Als die Sanitäter aus dem Wagen sprangen, hatte er ihnen den Weg ins Bad gezeigt. Sprechen hat er nicht mehr gekonnt.
Wieder hatte er sie da liegen sehen, auf den kalten Fliesen, wieder waren ihm Tränen das Gesicht hinab gelaufen.
Einer hatte sie auf die Trage gehoben. Sie hatten ihren dünnen Körper fest geschnallt.
Dann waren sie wieder hinunter gerannt, und hatten die Trage in den Wagen geschoben.
Er war hinterher gelaufen, wie ferngesteuert hatte er sich auf den Sitz für Begleiter gesetzt.
Jemand hatte ihn angeschnallt.
Dann hatte er die Sirene gehört. Die ganze Zeit hatte er sie angestarrt, während die Sanitäter sich um sie gekümmert hatten.
Wörter wie “Blutdruck”, “stabilisieren” “Notaufnahme” waren um ihn herum geschwirrt.
Doch eins hatte ihn mitten ins Herz getroffen. “unterernährt”.
Ja verdammt, sie litt unter Anorexie nervosa, sie war magersüchtig.