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Wie ein Tropfen auf dem heißen Stein

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03.04.2003
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Wie ein Tropfen auf dem heißen Stein

Wie ein Tropfen auf den heißen Stein

(für Annkatrin und Steffi in Gedenken an die Radtour 2003)


Die Tür schlägt hinter ihr zu.

Sie fährt los. Wohin sie fährt weiß sie nicht.

Den Wanderweg entlang. Einfach nur weg.
Jemand hat Narzissenblüten abgerissen. Sie liegen quer über dem Weg verteilt.
Sie fährt langsamer, will nicht über die schönen Blüten fahren. "Bald sind sie völlig vertrocknet", denkt sie und wird dabei ganz traurig.

Sie fährt weiter. Wohin sie fährt weiß sie nicht.

An der Holzbrücke überquert sie den kleinen Fluss.
Kinder spielen am Wasser.
Die drei fangen Fische mit einer Angel. Gerade hat einer angebissen. Die Angel wird hochgezogen, der Fisch zappelt mit ängstlichen Augen am Haken. Ein Kind löst ihn, wirft ihn wieder zurück in den Fluss.

Ihr erscheint es sinnlos.
Sie fährt schneller. Wohin sie fährt weiß sie nicht.

Die Wiesen fliegen fast vorbei. "Alles wird wieder grün", denkt sie als sie einen kleinen Knick sieht. Dort drüben steht ein Pferd auf der Wiese. Es schaut ihr aus tiefbraunen Augen hinterher, traurig, dass sie sich nicht die Zeit nimmt es zu streicheln.
Am Kanal angekommen. Sie fährt am Wasser entlang.

Wohin sie fährt weiß sie nicht.

Ihre Wangen glühen von der Mittagshitze und der Anstrengung.
Auf einer Bank am Kanal sitz ein Mann. Er wirft seinen Zigarettenstummel ins Gebüsch, guckt kurz auf, vertieft sich wieder in seine Zeitung. Auf dem Titelblatt stehen Informationen über den aktuellen Krieg.

Sie fährt schnell weiter. Wohin sie fährt weiß sie nicht.

Ein Schiff überholt sie. Das Wasser im Kanal bricht schäumend, als es vom Schiff durchschnitten wird .
Die Überreste einer Holzpalette schlagen gegen die Betonmauer des Kanals.
Ein Zeitungsjunge läuft kopfnickend von Haus zu Haus. Seinen Beat hört man bis zu ihr hinüber.
Jemand in seinem Kopfhörer schreit einen Text.
Der Junge spuckt aus.

Sie fährt schneller. Wohin sie fährt weiß sie nicht.

Die Sonne scheint ihr nicht mehr ins Gesicht. Von der Seite scheint sie, wenn die angepflanzten Bäume es zulassen.
Sie atmet tief durch. Es duftet nach Frühling.
Eine Frau schlägt ihren Hund mit einer Lederleine.
Er hat nicht "platz" gemacht, als sie mit dem Fahrrad vorbei fuhr.
"Tut mir leid", denkt sie. Sie hätte woanders fahren sollen.
Ihr Magen knurrt, doch sie mag nicht essen.
Der Kanal führt durch die Stadt. Es ist ca. 17 Uhr.
Auf dem Marktplatz steht eine Gruppe Jugendlicher. Sie trinken.
Zwei liegen auf dem Boden und prügeln sich.
Sie fährt langsamer. Die Polizei kommt und nimmt die Beiden mit. Die Gruppe schimpft den Beamten hinterher.

"Zusammen fühlt man sich stark", denkt sie und fährt wieder schneller. Wohin sie fährt weiß sie nicht.

Zwei Jugendliche am Kanal lachen über sie und schreien irgendwelche Sprüche hinter ihr her.
Am Abend fährt sie immer noch. Die Sonne geht bald unter. Leichter Regen fällt auf ihr erwärmtes Gesicht. "Wie ein Tropfen auf den heißen Stein", denkt sie und lächelt.
Auf der Straße liegen zwei Frösche. Einer groß, einer klein. Wie Mutter und Kind. Ein Auto hat sie überfahren.

Sie will nach Hause. Wohin sie fährt weiß sie nicht

 

Hi WibiB

Deine Geschichte liest sich wie eine Art Song, mit einem immer wiederkehrenden Refrain, eigentlich eine gute Idee, aber die Strophen dazwischen passen nicht so recht zusammen.
Insgesamt scheint die Protagonistin ja ziemlich ziellos und verloren zu sein, sie weiß nicht, wo sie hin will, einfach nur weg, sagt sie.

Sie fährt langsamer, will nicht über die schönen Blüten fahren. "Bald sind sie völlig vertrocknet

Die "schönen Blüten" stören das Bild. Wenn sie bald vertrocknet sind, dann passt der erste Satz nicht.
Dass sie dabei traurig wird, muss man nicht unbedingt erwähnen, denke ich, oft wird das aus dem Zusammenhang klar.
Das Bild mit dem Fisch passt hingegen wieder besser in die Stimmung, finde ich. Dass das PFerd nicht gestreichelt wird, ist allerdings nicht besonders tragisch, wenn du mich fragst ;)
Auch, dass der Junge mit den Kopfhörern ausspuck, wirkt nicht besonders erschreckend, heute nicht mehr.

Die Gruppe schimpft den Beamten hinterher.
"Zusammen fühlt man sich stark", denkt sie und fährt wieder schneller. Wohin sie fährt weiß sie nicht

Das klingt ein bisschen moralisch, wieso steht das da. Die Protagonistin ist doch ziellos, sie hat keine festen moralischen Ansichten.

Leichter Regen fällt auf ihr erwärmtes Gesicht. "Wie ein Tropfen auf dem heißen Stein", denkt sie und lächelt

Hm, heißt es nicht "ein Tropfen auf _den_ heißen Stein?"
Leichter Regen fällt auf ihr erwärmtes Gesicht klingt, finde ich nicht so gut. Besser vielleicht, Leicht fällt der Regen...

Naja, hoffe, du nimmst mir das nicht übel, sollte alles konstruktiv sein :)

Liebe Grüße
wolkenkind

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo, freut mich, dass ihr schon eure Meinungen hier herein gestellt habt. Dies ist meine erste Geschichte, die es wert war, veröffentlicht zu werden.
Was die Narzissenblüten angeht, ich habe versucht, einen kleinen Gegensatz zu schaffen, zwischen Mensch und Natur. Der Mensch reißt die Blüten heraus, wirft sie da hin. Kaum jemanden stört es. Aber diese Frau, die dort fährt, steht eher auf der naturellen Seite (versteht Ihr???). Genauso ist es mit dem Pferd. Es steht alleine auf einer Wiese, vom Menschen eingefangen. Erst will der Mensch es haben, dann gibt er ihm nicht genug liebe, es sehnt sich nach Aufmerksamkeit.
Der Junge, der ausspuckt, ist auch interessant. Er grüßt nicht, lächelt nicht, ist abhängig von der Mode der Gesellschaft. Er hört wahrscheinlich HipHop und fühlt sich fürchterlich cool dabei. Auch das ausspucken hat er sich irgendwo abgeguckt.
Aber es gibt eben noch die NICHT menschliche Seite, und ich will zeigen, wie diese langsam zerstört wird.
Ob's mir gelungen ist oder nicht, entscheidet ihr :)

 

Liebe Wiebke!
Eine gelungene erste Geschichte, sie hat mir gefallen.

Du erzählst von einem Tag, doch genausogut könnte man die Radtour der Protagonistin auf ds gesamte Leben übertragen. Sie fährt, weiss nicht wohin, ziellos. Sie sieht alles, aber doch nichts. Während sie fährt streift ihr Blick so viele Dinge, doch sie nimmt sich nicht die Zeit, anzuhalten und genauer hinzuschauen. Das beschreibt meiner Meinung nach die heutige Welt treffend: Man geht vorwärts und schaut dabei nur auf irgendein Ziel, ohne den Weg dazwischen wahrzunehmen. Schade, denn so verpasst man Vieles.

Der letzte Satz wird mir in Erinnerung bleiben, diese Heimatlosigkeit der Protagonistin und das nicht wissen, wohin. Stark!

Liebe Grüsse,
Manuela

 

Hallo WibiB!

Deine Geschichte gefällt mir. Ich lese sie als Gleichnis für das Ende der Kindheit und den Aufbruch ins Leben der Erwachsenen, in dem es ja oft gemein und lieblos zugeht.
Gelungen setzt du die Symbolik der Hitze ein. Die Radfahrerin und die Narzissen sind beide dieser Mittagshitze ausgesetzt. Die Blumen verdorren in dieser Hitze, weil jemand sie einfach gepflückt und lieblos weggeworfen hat, so dass sie von ihren Wurzeln losgerissen sind (wie die Radlerin sich von ihrem Zuhause losreißen will) und kein Wasser mehr saugen können, das ihr Verwelken verhindert (Ich muss da an Goethes Gedicht "Gefunden" denken: "Ich ging im Walde / so für mich hin...") Auch der Radlerin setzt die Hitze so zu, dass ein Regen nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist. Blumen und Mädchen - beide dürsten nach lindernder Unterstützung und Zuwendung, die beiden verweigert wird.
Ja, das Leben in der Erwachsenenwelt ist oft lieblos und verletzend. Vielleicht wird das Mädchen sich in den falschen Kerl verlieben - sie beißt an, wie der Fisch, den sie beobachtet, wird ausgenutzt - das tut weh - und wieder weggeworfen.
Oder sie kommt unter die Räder - wie die beiden Frösche.

Gut erzählt! du hast ein Talent zu treffenden Symbolen.

Grüße gerthans

 

Hallo,
danke für eure beiden Kritiken zu meiner Geschichte.
Es hat mich sehr gefreut, zu lesen, dass sie euch gefallen hat (wer freut sich nicht über positive Kritik???).
Auch ist es sehr schön, dass ihr euch gedanken über den Sinn gemacht habt, man kann sie ja vielseitig deuten...
Liebe Grüße
WibiB

 

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