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Wie ein Tropfen auf dem heißen Stein
Wie ein Tropfen auf den heißen Stein
(für Annkatrin und Steffi in Gedenken an die Radtour 2003)
Die Tür schlägt hinter ihr zu.
Sie fährt los. Wohin sie fährt weiß sie nicht.
Den Wanderweg entlang. Einfach nur weg.
Jemand hat Narzissenblüten abgerissen. Sie liegen quer über dem Weg verteilt.
Sie fährt langsamer, will nicht über die schönen Blüten fahren. "Bald sind sie völlig vertrocknet", denkt sie und wird dabei ganz traurig.
Sie fährt weiter. Wohin sie fährt weiß sie nicht.
An der Holzbrücke überquert sie den kleinen Fluss.
Kinder spielen am Wasser.
Die drei fangen Fische mit einer Angel. Gerade hat einer angebissen. Die Angel wird hochgezogen, der Fisch zappelt mit ängstlichen Augen am Haken. Ein Kind löst ihn, wirft ihn wieder zurück in den Fluss.
Ihr erscheint es sinnlos.
Sie fährt schneller. Wohin sie fährt weiß sie nicht.
Die Wiesen fliegen fast vorbei. "Alles wird wieder grün", denkt sie als sie einen kleinen Knick sieht. Dort drüben steht ein Pferd auf der Wiese. Es schaut ihr aus tiefbraunen Augen hinterher, traurig, dass sie sich nicht die Zeit nimmt es zu streicheln.
Am Kanal angekommen. Sie fährt am Wasser entlang.
Wohin sie fährt weiß sie nicht.
Ihre Wangen glühen von der Mittagshitze und der Anstrengung.
Auf einer Bank am Kanal sitz ein Mann. Er wirft seinen Zigarettenstummel ins Gebüsch, guckt kurz auf, vertieft sich wieder in seine Zeitung. Auf dem Titelblatt stehen Informationen über den aktuellen Krieg.
Sie fährt schnell weiter. Wohin sie fährt weiß sie nicht.
Ein Schiff überholt sie. Das Wasser im Kanal bricht schäumend, als es vom Schiff durchschnitten wird .
Die Überreste einer Holzpalette schlagen gegen die Betonmauer des Kanals.
Ein Zeitungsjunge läuft kopfnickend von Haus zu Haus. Seinen Beat hört man bis zu ihr hinüber.
Jemand in seinem Kopfhörer schreit einen Text.
Der Junge spuckt aus.
Sie fährt schneller. Wohin sie fährt weiß sie nicht.
Die Sonne scheint ihr nicht mehr ins Gesicht. Von der Seite scheint sie, wenn die angepflanzten Bäume es zulassen.
Sie atmet tief durch. Es duftet nach Frühling.
Eine Frau schlägt ihren Hund mit einer Lederleine.
Er hat nicht "platz" gemacht, als sie mit dem Fahrrad vorbei fuhr.
"Tut mir leid", denkt sie. Sie hätte woanders fahren sollen.
Ihr Magen knurrt, doch sie mag nicht essen.
Der Kanal führt durch die Stadt. Es ist ca. 17 Uhr.
Auf dem Marktplatz steht eine Gruppe Jugendlicher. Sie trinken.
Zwei liegen auf dem Boden und prügeln sich.
Sie fährt langsamer. Die Polizei kommt und nimmt die Beiden mit. Die Gruppe schimpft den Beamten hinterher.
"Zusammen fühlt man sich stark", denkt sie und fährt wieder schneller. Wohin sie fährt weiß sie nicht.
Zwei Jugendliche am Kanal lachen über sie und schreien irgendwelche Sprüche hinter ihr her.
Am Abend fährt sie immer noch. Die Sonne geht bald unter. Leichter Regen fällt auf ihr erwärmtes Gesicht. "Wie ein Tropfen auf den heißen Stein", denkt sie und lächelt.
Auf der Straße liegen zwei Frösche. Einer groß, einer klein. Wie Mutter und Kind. Ein Auto hat sie überfahren.
Sie will nach Hause. Wohin sie fährt weiß sie nicht