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wie ein profi

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03.07.2011
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wie ein profi

„Scheiße!“
Kann man eine Geschichte mit „Scheiße“ beginnen?
Fragend blickte ich meinen Bildschirm an. Keine Reaktion.
Ich tippte weiter. Die Tastatur klapperte laut unter meinen Fingern, der Lüfter des PCs sirrte aufdringlich unaufdringlich vor sich hin und mein Gehirn ratterte.
Insgesamt machten wir alle eine recht gute Figur.
Ich lehnte mich kurz zurück, verschränkte die Arme vor meiner Brust und las die letzten Zeilen. Kritisch kniff ich die Augen zusammen.
„Wie ein Profi“, dachte ich stolz.
Die Worte waren aus meinen Fingern gesprudelt, fast wie von selbst. Zufriedenheit machte sich breit.
Wie die eines Arztes nach dem letzten Stich der OP-Naht, der von der Schwester die Stirn betupft bekam und den Patienten in letzter Sekunde vor dem fast sicher geglaubten Tod gerettet hatte. Ich las den Absatz wieder und wieder.
Die letzten Zeilen waren irgendwie gut. Ein wenig beschwingt, fast schon frech, irgendwie…
Ich starrte auf die Zeilen, Buchstaben, Leerräume… Leeräume… leere Worthülsen.
Scheiße… die Selbstzweifel ließen meinen rechten Zeigefinger auf die Pfeiltaste sausen und nach dem Bruchteil einer Sekunde raste der Cursor über die Buchstaben hinweg und hinterließ eine gähnend leere Seite.
Nicht einmal eine einzige Satzleiche blieb über.
Ich seufzte.
Ich ging in die Küche und kochte mir einen Kaffee. Schwarz, zwei gehäufte Löffel Pulver pro Tasse und viel, viel Zucker. Die Maschine gluckerte fröhlich vor sich hin und flirtete mit der Kaffeemühle. Ein paar Teller standen herum, zwei leere Flaschen, der Vorhang der Balkontür wehte leicht im Wind. Der Lack blättert ab und die Tapete neben dem Türgriff war grau.
Der Kühlschrank war beklebt mit Post-its, Magnetschildchen bildeten kleine Gedichte, Zettel erinnerten mich an Termine und vergessene Termine. Drinnen herrschte Ordnung. Eine Tüte Milch, ein Bier und eine Flasche Zigeunersoße. Ich goss mir ein.
Den restlichen Kaffee ließ ich in der Kanne. Ich würde ihn später trinken. Nicht weil ich wollte, sondern weil er da war. Ich schmiss ungern etwas weg.
Auf dem Tisch lag die Zeitschrift. Ihr verdankte ich meine missliche Lage. Ich würdigte sie keines Blickes, als wäre sie eine untreue Ehefrau, die es nun mit Nichtbeachtung zu strafen galt.
„Sie können schreiben?“ blitzte es mir auf Seite zweiundfünfzig entgegen. Ich hatte dies nicht als Frage, sondern als unumstößliche Wahrheit aufgefasst. Sicher konnte ich das.
Den Beweis würde ich an die Redaktion der "Ahoi" schicken, mit freundlichen Grüßen Michael Säber, hoffnungsvollstes Talent hanseatischer Schreibkunst. Der Schreibwettbewerb war quasi nichts weiter als die Grundlage für den Beweis meines Talentes.
Scheiße.
Ehrlich hatte mein Text sein sollen, aus dem Leben gegriffen, Metapher für das schnelle Leben auf Pump, das Leben als App bei Facebook, gierig und hungrig nach mehr.
Die ersten Worte prasselten auf die Tastatur herab, beschwingt überflog ich meine Kreation und freute mich über mich selbst. Ein wenig. Kurzfristig.
Doch ich versagte.
Es schien mir, als hätten sich die Buchstaben gegen mich verschworen, die Worte folgten ihren eigenen Gesetzen und Zeilen gebarten sich wie Stacheldraht.
Der Bildschirm grinste mich an. Ich setzte mich vor ihn und starrte ins Leere. Der Kaffee wartete auf seinen Verzehr.
Ich hatte ab und zu schon mal Kurzgeschichten verfasst. Einen Roman angedacht und viele kleine Gedichte geschrieben. Ein paar Freunde hatten sie für gut befunden. Nun ja, sie mochten wohl eher mich als meine literarischen Ergüsse. Zumindest schloss ich dies aus den sehr verhaltenen Reaktionen in den Internetforen, in denen ich sie erwartungsvoll veröffentlichte. Gut gemeint, aber nicht gut, so das allgemeine Credo.
Wieder tippte ich dieses eine Wort:
„Scheiße“
Es war das letzte für diesen Abend.
Am nächsten Tag warf ich die "Ahoi" in den Papierkorb.
Von da an schrieb ich nur noch Gedichte.
Das konnte ich eben doch am Besten.

 

Moin.
Die flirtende kaffeemaschine find ich Gut; ansonste leichte Kost, eher eine Schreibübung, aber locker zu lesen...
Sollte es am Schluss nich "folgten ihren eigenen GESETZEN..." heißen?

Gruß LORD

 

Moin menschenkind,

tja, das ewige Thema des Schreibens an sich: Jemand meint, man könne schnell mal eben etwas Gutes zu Papier bringen. Du hast das sprachlich flüssig umgesetzt und schöne Details eingebaut. Inhaltlich geht aber noch mehr.
Was mich beim Lesen irritiert hat, ist die Vergangenheitsform. Ich denke, die Geschichte wirkt besser, wenn sie im Präsens erzählt wird, weil der Leser mehr in die Handlung gezogen wird. So spüre ich eine Distanz.

Drinnen herrschte Ordnung. Eine Tüte Milch, ein Bier und eine Flasche Zigeunersoße.
Diese Ordnung kann ich mir richtig vorstellen.

Insgesamt machten wir alle eine recht gute Figur.
Wer ist mit "wir" gemeint?

Ich schmiss ungern etwas weg.
Passt das zu einem Charakter, der sehr leicht mit der Löschtaste umgeht?

Ein paar Freunde hatten sie für gut befunden. Nun ja, sie mochten wohl eher mich als meine literarischen Ergüsse. Zumindest schloss ich dies aus den sehr verhaltenen Reaktionen in den Internetforen, in denen ich sie erwartungsvoll veröffentlichte. Gut gemeint, aber nicht gut, so das allgemeine Credo.
Wenn das die Wurzel für seine Selbstzweifel ist, dann würde ich hier anfangen, die Geschichte weiter aufzubohren. Lass ihn sich in einem Forum einloggen und nach Rückmeldungen suchen. Lass ihn neidisch bei anderen Geschichten auf die hohe Zahl der Antworten schielen. Dazu eine Mail einer Freundin: "Tolle Geschichte. Wann gehen wir wieder ins Kino?"
Teile davon kann man auch weiter nach vorne ziehen. Du könntest es am Anfang so aussehen lassen, als wäre er tatsächlich ein Profi. Dann lässt Du den Leser langsam entdecken, dass er sich nur für einen Profi hält.
Na ja, das sind nur so ein paar Anmerkungen. Nimm' was Dir weiterhilft. Den Rest kannst Du gerne ignorieren.

Gruß
Peter

 

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