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Wie ein nasser Sack

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23.07.2003
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Wie ein nasser Sack

„So, jetzt alle rüber zu den Seilen!“. Tobias stöhnte leise auf. Ausgerechnet heute! Es war schon schlimm genug, wenn die Jungen aus seiner Klasse zusahen, wenn er wie ein nasser Sack am Seil hing. Aber heute hatten sie gemischten Sportunterricht, das hieß zusammen mit den Mädchen. Und das wiederum bedeutete, zusammen mit Rebecca. Sie ging seit zwei Monaten in Tobias Klasse und war ganz anders als seine anderen Mitschülerinnen. Die kicherten immer nur albern herum, während Rebecca das süßeste Lächeln der Welt hatte. In der letzten Zeit hatte Tobais das Gefühl gehabt, als wenn sie ihn besonders häufig anlächelte. Aber das würde sich bestimmt ändern, wenn sie erst Zeugin von Tobias Versagen geworden war. Warum konnte Frau Richter nicht etwas anderes mit den Kindern machen? Etwas, worin Tobias gut war. Laufen, zum Beispiel, konnte er wirklich schnell, und er war auch ein toller Volleyballspieler. Aber er schaffte es einfach nicht, dieses blöde Seil hinaufzuklettern.

Währenddessen hatte die Klasse sich an den drei dicken Tauen zusammengefunden, die in einer Ecke der Turnhalle von der Decke hingen. „Links in drei Reihen aufstellen“, befahl die Sportlehrerin. Dann klatschte sie in die Hände: „Los jetzt“. Die ersten drei Schüler kletterten langsam an den Seilen hinauf. Als sie wieder unten waren, liefen sie zur rechten Seite, und die nächsten drei waren dran. Ulli schaffte es bis ganz nach oben, aber auch die anderen erreichten mindestens die Hälfte des Seils. Bis Tobias an der Reihe war. Während er auf das mittlere Tau zulief, dachte er: „Diesmal muss ich es schaffen. Jedenfalls ein paar Meter“. Er umfasste das Seil mit beiden Händen und stieg mit den Füßen auf den dicken Knoten am unteren Ende. Und dort hing er dann, fest an das Tau geklammert, und unfähig, Hände und Beine zu bewegen. Irgendjemand kicherte. „Hier wird niemand ausgelacht“, schimpfte Frau Richter und sagte dann: „Das reicht, Tobias. Der nächste ist dran“.

Mit rotem Kopf sprang Tobias vom Seil und lief zu der Gruppe auf der rechten Seite. Ulli empfing ihn mit einem überheblichen Grinsen, und auch die anderen schienen sich über ihn lustig zu machen. Zur anderen Seite sah Tobias lieber gar nicht erst hin. Mit gesenktem Kopf stand er da, um nur ja nicht Rebeccas Blick zu begegnen. Daher verfolgte er auch nicht, wie die anderen Jungen und Mädchen mit dem Klettern zurechtkamen. Erst als er Mario flüstern hörte: „Die hängt da wie ein nasser Sack“, sah er wieder auf. Und er glaubte, seinen Augen nicht zu trauen: Rebecca klammerte sich an das schwankende Seil, die Füße auf dem Knoten. Sie schaffte es nicht, auch nur einen Zentimeter nach oben zu klettern. Entgeistert starrte Tobias sie an. Und dann breitete sich ein Grinsen auf seinem Gesicht aus. Es machte ihm überhaupt nichts mehr aus, dass er nicht Seilklettern konnte. Denn das war schließlich auch etwas Besonderes. Das merkte er genau, als Rebecca nun auf ihn zukam. Woran? Natürlich an ihrem strahlenden Lächeln.

 

Hallo Wossibär,

nette Geschichte; ich musste an diese grausame Zeit des "Seilkletterns" zurückdenken. Auch ich war da genau so, wie Dein Prot. Hab es tatsächlich auch nie geschafft. :shy:
Hätte da Deine Geschichte auch gebraucht, denn sie zeigt, dass es ja doch was Gutes haben kann, wenn man "versagt". (zumindest dann, wenn auch noch die Angebetete das gleiche Handikap hat) :)

Zur Geschichte selbst: Finde, sie ist schon was für ältere Kinder. Ab wann ist man denn noch mal zum ersten Mal richtig verliebt? So ab zehn?
Wenn es denn so ist, denke ich, das diese Kids solche Geschichten nicht mehr lesen, oder?! (Harry-Potter-Wahn)

Ist also mehr ne Geschichte für Erwachsene, die sich zurück in ihre Kindheit versetzen lassen wollen. Sehe ich zumindest so. Aber kann auch sein, dass ich mich da täusche, mal abwarten, was die Anderen sagen ...

Lieben Gruß! Salem

 

Hallo Salem,

auch ich habe mit dieser Geschichte ein Stück negative Kindheitserinnerung ans Seilklettern verarbeitet, und ich bin mir sicher, dass es so manchem anderen Erwachsenen auch so ging (wie deine Antwort ja auch zeigt ;) ).

Aber trotzdem ist die Geschichte schon für Kinder gedacht. Ich bin mir nicht mal sicher, ob die Kids heute im Sportunterricht überhaupt noch Seilklettern müssen, aber die Erfahrung etwas nicht zu können, zu versagen und sich zu blamieren, haben sie sicher auch schon mal gemacht.

Wann ein Kind das erste Mal entdeckt, dass Jungs/Mädchen doch nicht so blöd sind, wie man immer getan hat, sondern dass es zumindest Ausnahmen gibt :rolleyes: , ist, glaube ich, sehr unterschiedlich. Wie alt Tobias und Rebecca sind, weiß ich nicht (das haben sie mir nicht verraten ;) ); ich denke, so zwischen 8 und 10 Jahre alt. Und - Harry Potter, gut und schön -, aber für Geschichten aus dem Alltagsleben der Kinder haben sie meiner Erfahrung nach immer ein offenes Ohr.

Liebe Grüße

Andrea

 

Hi Andrea,

Aber trotzdem ist die Geschichte schon für Kinder gedacht. Ich bin mir nicht mal sicher, ob die Kids heute im Sportunterricht überhaupt noch Seilklettern müssen, aber die Erfahrung etwas nicht zu können, zu versagen und sich zu blamieren, haben sie sicher auch schon mal gemacht.
Unter diesem Gesichtspunkt hast Du natürlich recht. Hab wohl nicht weit genug gedacht; sorry! :shy:
Nehm das Gesagte diesbezüglich also zurück. Werde sie am Wochenende, wenn ich wieder zu hause bin, mal meiner Tochter vorlesen (sie ist fast acht). Mal gucken, was sie dazu sagt.

Lieben Gruß! Salem

 

Hallo Jo, das freut mich aber, dass "Warum muss ich meine Füße waschen?" motiviert hat, mehr von mir zu lesen. Und dann wiederum eine positive Kritik; das baut einen doch auf :bounce: . Übrigens :D : es gibt auch noch ältere Kindergeschchten von mir auf kg.de....

Und du, Salem, gibst mir hoffentlich eine Rückmeldung, wie deiner Tochter die Geschichte gefallen hat?!

Liebe Grüße

Andrea

 

Hallo!

Mir gefällt die Geschichte gut. Besonders, dass Du am Ende geschrieben hast: "Es machte ihm überhaupt nichts mehr aus, dass er nicht Seilklettern konnte. Denn das war schließlich auch etwas Besonderes."
Ich finde es schön, es als etwas Positives/Besonderes heraus zu stellen. Das baut auf, oder? Zumindest bekommen die Kinder mal einen anderen Gesichtspunkt aufgezeigt.

Zum Alter denke ich, dass Kinder so eine Geschichte auch gut mal vorgelesen bekommen können. Bei unseren Vorlese-Nachmittagen in der Kinderbibliothek wäre das sicher mal eine gelungene Abwechslung zu abstrakten Fantasy/ Abenteuergeschichten.

Grüsse

Sabine

 

Hallo Sabine,

schön, dass dir die Geschichte gefallen hat. Auch für uns Autoren ist es ja immer wichtig, wenn man aufbauende Kritik erhält :thumbsup: .

Liebe Grüße

Andrea

 

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