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Wie die Trauer zu den Gefühlen kam
An einem Ort nicht weit von hier, da liegt ein Land ganz sonderbar. Von jedem unerkannt und doch immer da. Hier sind unsere Gefühle zu Hause. Von hier aus beobachten sie uns Menschen und begleiten uns für eine Weile, indem sie uns aus der Ferne ein winziges Stück ihres Zaubers schicken. Manchmal kommt es auch vor, dass sie aus Versehen zu viel von ihrem Zauber verschicken und die Menschen von ihren Gefühlen geblendet werden, oder über reagieren.
Die Gefühle sind so alt wie die Menschheit schon und doch sind sie in ihren Handlungen und Reaktionen so unverdorben und direkt, wie nur Kinder es sind. Auch ihre Gestallt gleicht keines Weges der von Wesen, die schon Jahrtausende erlebt haben. Da spielt die liebliche Freude, mit der unbekümmerten Liebe fangen, während die Neugierde ihnen interessiert zuguckt, bis die zwei sie schließlich ins Spiel einbeziehen. Etwas weiter entfernt steht die Unsicherheit mit der Angst Hand in Hand und beobachtet das Geschehen aus der Ferne. Es ist ein wunderbarer Ort, den sich kein Mensch vor zu stellen vermag.
Aber es gibt auch Gefühle die weniger unverdorben sind.
Die Welt der Erwachsenen Gefühle ist düster und Angsteinflößend. Hier Bekämpfen sich die Gier, der Hass und die Eifersucht in einem nie enden wollenden Krieg und zerstören sich gegenseitig. Keines der Kinder traut sich in die Nähe der Grenze zu dieser Welt. Auch die Erwachsenen halten sich von der Welt der Kindlichen und reinen Gefühle, die sie nicht verstehen fern.
Jedes Gefühl lebt in der Welt, in der es seinen Platz gefunden hat.
Dass hier, zwischen diesen beiden Welten noch ein Kind lebt, haben die Gefühle schon fast vergessen. Ein Kind, das jeder fürchtet. Die Trauer.
Doch als an einem Sonntagnachmittag, lautes Geschrei und Poltern aus der kleinen Hütte, die genau auf der Grenze steht, kommt, erinnern sie sich an das Kind, dass sie einst verstießen, weil es in keine der Welten passte. Der Lärm macht sich im gesamten Land breit.
Zuerst ignorieren die anderen Gefühle die Unruhen und versuchen ihrer Arbeit nach zu gehen, als ob nichts sei. Doch es mag einfach nicht aufhören.
Aufgeregt sammeln sich die Kinder auf dem großen Platz. So einen Trubel hatten sie noch nie erlebt. "Wir müssen etwas tun.", erklärt die Freude.
"Aber was? Wir kommen an die Trauer nicht ran.", antwortet die Hoffnung und zuckt zusammen, als erneut ein Poltern das Land erschüttert.
"Doch!", ruft eine piepsige Stimme aus dem Hintergrund und alle drehen sich zu dem kleinsten der Kinder um. "Ich werde zu ihr gehen. Sie ist doch auch nur ein Gefühl. Eine von uns.", sagt der Mut entschlossen. Die Kinder sehen sich gegenseitig an. Keiner will sich dazu bereit erklären, ihn zu begleiten, dennoch haben sie ein ungutes Gefühl ihn allen gehen zu lassen.
Wenig später ist der kleine Mut doch allein auf dem Weg. Er hat sich heimlich davon geschlichen, während die anderen Gefühle anfangen wollten auszulosen, wer ihn begleitet.
Als er zu der kleinen Hütte an der Grenze zur Welt der Erwachsenen Gefühle kommt, herrscht da ein riesiges Chaos. Die Scheiben sind zerbrochen und der Mut muss aufpassen, dass er nichts von der Einrichtung an den Kopf bekommt, die in regelmäßigen Abständen aus den Fenstern fliegt. Im inneren tobt ein Kind, kaum größer als er selbst. Es schreit und weint ganz verzweifelt. Der Mut setzt sich auf einen Stein, von dem aus er das Kind zwar gut beobachten kann, aber keine Angst haben muss, von herumfliegenden Gegenständen getroffen zu werden.
Nach einer Weile merkt das Kind, dass es nicht mehr allein ist und kommt aus seiner Hütte gerannt. Es fängt furchtbar an zu schimpfen. Es rennt auf den Mut zu und droht ihm, ihn zu schlagen, wenn er nicht sofort verschwindet. Doch das kleine Gefühl steht nur da und lächelt es an. Das macht die Trauer zunächst noch wütender. Kraftlos fängt sie an auf den Mut ein zu schlagen, bevor es in sich zusammen sinkt und nur noch als ein Häufchen Elend weinend vor ihm sitzt. "Keiner mag mich.", wimmert es immer wieder. "Alle flüchten vor mir." Da hört die Trauer plötzlich auf zu weinen. "Außer dir. Wer bist du?" Der Kleine lächelt stolz. "Ich, bin der Mut.", sagt er und setzt sich gerade hin, um etwas größer zu wirken. "Aber warum flüchten sie alle vor dir? Du bist doch so klein und zerbrechlich. Vor dir braucht man sich so gar nicht fürchten."
Die Trauer schaut auf den Boden und fängt an das Gras ab zu reißen, um etwas in der Hand zu haben, was sie beruhigt. "Weil ich anders bin. Unberechenbar. Weißt du ich bin nicht so eindeutig wie ihr anderen Gefühle. Ich hab von jedem von euch ein bisschen. Manchmal bin ich so traurig, dass ich nicht mehr atmen kann und dann im nächsten Moment möchte ich wieder lachen weil die Erinnerungen der Menschen die ich begleite so schön sind. Ich habe eine unglaubliche liebe in mir, die aber immer von dem Schmerz eines Verlustes begleitet wird und heute bin ich einfach nur wütend. Aber die meiste Zeit einfach alles gleichzeitig. Ich muss hier in allein in dieser Hütte leben, weil keiner der anderen Gefühle etwas mit mir zu tun haben wollen und auch die Menschen können es kaum erwarten mich wieder los zu werden, wenn ich sie Begleite. Warum hat mich keiner lieb?"
Der Mut antwortet nicht. Er sitzt einfach nur da und denkt über das nach, was die Trauer da gerade gesagt hatte. Nach einer sehr langen Zeit, steht er auf und streckt der Trauer seine Hand entgegen.
gemeinsam gehen die beiden zu den anderen Kindern, die immer noch diskutieren wer ihn begleiten soll.
Als der Mut und die Trauer sich nähern, weichen sie zurück. "Habt keine Angst.", sagt der Mut. "Sie ist uns sehr ähnlich. Sie vereint so viele von uns in sich. Sie hat etwas von uns allen. Die Wut, die Liebe, Hoffnung, Traurigkeit, und auch den Mut immer weiter zu machen. Sie schenkt denjenigen ihren Zauber, die ihn am meisten brauchen. Denjenigen, die einen schweren Verlust erlitten haben. Das ist der schwerste Job von uns allen. Denn das sind die Menschen, denen sich sonst keiner von uns annehmen möchte. Sie gibt viel und bekommt nichts zurück. Die wenigsten Menschen nehmen sich an und lassen ihren Zauber zu und auch wir schließen sie aus. Aber warum? Weil sie anders ist? Angst, bist du nicht auch anders als die Neugier, anders als ich? Sie ist eine von uns und sollte nicht allein in einer Hütte zwischen den Welten leben müssen."
Die Kinder sind auf einmal ganz leise. Langsam nähern sie sich den beiden wieder und mustern die Trauer neugierig, wie sie so da steht. Den Kopf gesenkt und in sich zusammen gesunken, in ihren alten zerfetzten Lumpen.
Sie sieht die anderen Kinder nicht an. Erst als sie eine Hand auf ihrer Schulter spürt, schaut sie auf. Es ist die Unsicherheit, die sie da festhält und sie anlächelt.