Wie der 3. Oktober Feiertag wurde - eine Vermutung
Wie der 3. Oktober Feiertag wurde – eine Vermutung
Es ist weit nach Mitternacht und tiefe Dunkelheit liegt über der offiziellen Hauptstadt der Bundesrepublik. Im hermetisch abgeriegelten Regierungsbezirk sind die Lichter erloschen und ganz Bonn schläft.
Ganz Bonn?
Nein, in einem Büro im obersten Stockwerk des Innenministeriums brennt noch Licht. Hinter den erleuchteten Fenstern sieht man die Gestalt von Ministerialrat Dr. Heinrich Sulzbach-Wenninger aufgeregt hin- und herwandern, seine Arme strecken sich wie in einem stummen Gebet flehend zum Himmel.
„Böhringer, so geht das nicht, wir müssen uns unbedingt etwas einfallen lassen!“
Die Stimme von Dr. Sulzbach-Wenninger überschlägt sich beinahe, sein Blick wandert unstet zwischen dem breiten Bücherregal aus massiver Eiche und seinem Referendar, der eingeschüchtert auf dem Gästefauteuil kauert.
„Bis morgen erwartet der Minister einen fundierten Vorschlag für das Datum eines gesamtdeutschen Feiertages. Also denken Sie nach, Böhringer! Und denken Sie gesamtdeutsch, verdammt noch mal, wir sind doch jetzt ein Volk von Brüdern und Schwestern. Egal, was Sie und ich davon halten.“
„Und wenn wir es einfach beim 17. Juni belassen, Herr Ministerialrat? Schließlich ist das Datum so gut wie jedes andere und man hat sich an den Feiertag gewöhnt. Warum jetzt daran etwas ändern?“
Böhringer windet sich in seinem Sessel von rechts nach links, um nicht den Blickkontakt zu seinem Vorgesetzten zu verlieren, die Hände krallen sich schweißnass in die Armlehne.
„Diesen Maureraufstand? Nee, nee, mein Lieber, damit kommen Sie nicht durch – beim Minister erst recht nicht. Die Idee hatte ich auch schon. Aber der sprach gleich von „neuer Ära“ und man müsse jetzt eine symbolische Gemeinsamkeit finden – vorne Mercedes und hinten Trabbi sozusagen. Also vergessen Sie es. Da merkt man doch gleich, dass uns nichts Besseres eingefallen ist. Und nachher gibt es vom Boss den großen Anpfiff. Von wegen: die haben mal wieder ihre Hausaufgaben nicht gemacht. Sie kennen doch die Sprüche des Alten! Was feiern denn die anderen so?“
„Welche anderen, Herr Ministerialrat?
„Na, unsere Verbündeten. Wie haben die sich denn aus der Affäre gezogen mit ihrem Nationalfeiertag? Die USA zum Beispiel...“
„Die USA begehen ihren Unabhängigkeitstag am 4. Juli. Befreiung von den Engländern. Machen ziemlich viele ehemaligen Kolonialstaaten, soweit ich weiß.“
„Na also, Böhringer, das ist doch schon mal was. Warum nicht gleich? Wann haben wir uns denn von den Engländern befreit?“
Böhringer gibt ein leichtes Räuspern von sich: „Noch gar nicht! Außerdem wäre dieses Thema nicht gut für das internationale Klima, EU und so, Sie verstehen?“
„Scheiß Engländer! Ich persönlich würde ja gerne die Befreiung von diesen Wichtigtuern als Feiertag haben, aber wenn es nicht geht. Und Frankreich?“
„Sturm auf die Bastille!“
Der Ministerialrat bleibt stehen, legt seine Hand an das Kinn und denkt nach. Sein linkes Augenlid beginnt nervös zu zittern.
„Sturm auf die Bastille, klingt irgendwie gut! Haben wir in unserer Geschichte auch so etwas gemacht, Böhringer?“
„Nicht, dass ich wüsste, Herr Dr. Sulzbach-Wenninger. Obwohl: wir haben einmal das Brandenburger Tor gestürmt.“
„Ja, ich erinnere mich. Diese Leutchen, die auf die Mauer kletterten und ein Paar Stücke heraus schlugen, um sie später teuer an die Amis zu verkaufen. Meinen Sie das?“
Der Referendar seuft zufrieden.
„Genau. War am 9. November.“
„9. November. Das hat doch was. Okay, schreiben Sie auf: das Innenministerium schlägt den 9. November als gemeinsamen nationalen Feiertag vor. Begründung: bla bla bla. Und die Franzosen beißen sich in`s Knie.“
„Geht leider nicht.“
„Warum das denn nicht, Böhringer? Haben Sie da etwa schon etwas anderes vor oder was?“
Übermüdet schüttelt Böhringer seinen Kopf:
„Reichskristallnacht. Den können wir wirklich nicht als Nationalfeiertag nehmen, da springt uns der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde im Karree. Und erst die internationale Presse. Außerdem hat der Chef doch wahnsinnige Angst vor den Rechten. Dies könnte ihnen Auftrieb geben. Wäre für die Wahlen nicht so gut!“
Der Ministerialrat wird bleich: „Auf keinen Fall die Wahlen gefährden, Sie wissen doch, was uns dann blüht. Vergessen Sie es! Böhringer, so kommen wir einfach nicht weiter.“
Der Ministerialrat lässt sich erschöpft in seinen Schreibtischstuhl fallen und drückt auf die Gegensprechanlage.
„Obersteinchen, haben Sie noch zwei Kaffee für uns?“
Eine Minute später öffnet sich die dick gepolsterte Bürotür und Frau Oberstein erscheint mit einem Tablett. Der Ministerialrat blickt aufmerksam in das üppig gefüllte Dekollete seiner Sekretärin, während diese die Bürotasse samt dampfendem Inhalt langsam auf den Schreibtisch stellt. Ein angenehm warmes Gefühl breitet sich in seiner Lendengegend aus. Plötzlich erscheint auf seinem Gesicht ein Leuchten:
„Obersteinchen, wann haben Sie eigentlich Geburtstag?“
Frau Oberstein stutzt, dann antwortet sie schüchtern: „Am 3. Oktober, Herr Ministerialrat, warum?“
„Schön, schön, mein Kind. Und hätten Sie gerne frei an Ihrem Geburtstag?“
„Wer hätte das nicht“, antwortet Frau Oberstein verlegen.
„Na also, Böhringer, da haben wir doch schon ein Datum. Schreiben Sie auf: das Innenministerium schlägt den 3. Oktober wegen seiner überragenden Bedeutung für die deutsche Wiedervereinigung vor!“
Er zieht das Wort "Wiedervereinigung" in die Länge, sein linkes Augenlid zwinkert heftig.
„Welche überragende Bedeutung?“
Der Ministerialrat, immer noch auf die Oberweite seiner Sekretärin fixiert, schüttelt nervös den Kopf.
„Böhringer, Sie kapieren aber auch gar nichts. Glauben Sie ernsthaft, da fragt noch jemand nach, wenn wir von nationaler Bedeutung sprechen?“
„Aber unser Koalitionspartner aus Bayern würde sicherlich gerne wissen, was wir damit meinen.“
Der Ministerialrat winkt ab.
„Geben Sie mir mal das Handbuch zur deutschen Geschichte, da wird sich doch was finden lassen.“
Der Referendar eilt mit geröteten Wangen zum Bücherschrank und reicht seinem Chef das gewünschte Buch.
„Sehen Sie, Böhringer, da hab` ich doch schon was. 3. Oktober 1988, Todestag von Franz Josef Strauß. Na, da werden unsere Bayern aber jubeln. Erzählen Sie ihnen unter dem Siegel der Verschwiegenheit, dass wir diesen Tag speziell aus diesem traurigen Anlass gewählt haben, dies aber nicht publik werden soll. Die freuen sich ein Loch in ihre Lederhose – von denen gibt`s bestimmt keine Gegenstimme.“
„Und die Opposition?“ Die Stimme des Referendars zittert.
„Böhringer, die Opposition kann uns doch egal sein. Aber ich schau mal nach, vielleicht finden wir für die auch noch etwas.“
Dr. Sulzbach-Wenninger blättert mit leichtem Grinsen in dem Buch, haut dann lachend mit der flachen Hand auf den Schreibtisch.
„Na, da haben wir`s doch. Geburtstag von Kurt Schumacher, 3. Oktober 1895. Das ist der Kracher, da wagt doch keiner von den Roten, noch sein Maul aufzumachen. Obersteinchen, ab nächstem Jahr haben Sie immer zu Ihrem Geburtstag frei, was sagen Sie nun?“
Frau Oberstein errötet: „Vielen Dank, Herr Ministerialrat, ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll!“
„Ich schon, Obersteinchen, ich schon. Ist noch was, Böhringer?“
Der Ministerialrat grunzt zufrieden.
„Nun ja, für die Öffentlichkeit müsste man doch wohl auch noch eine Begründung finden.“
„Böhringer, muss ich denn alles alleine machen? Da kramen Sie halt ein wenig in den alten DDR-Akten herum, da wird sich schon was finden lassen, oder? Und wenn nicht, dann machen Sie es eben passend!"
Der Referendar steht auf und verlässt mit kurzer Verbeugung das Büro.
Amtliche Begründung des Innenministeriums für die Einführung des 3. Oktober als nationalen Gedenktag der Wiedervereinigung:
Die Volkskammer der DDR hat am 23.08.2000 ihren Beitritt zum Geltungsbereich des Grundgesetzes mit Wirkung vom - 1. durchgestrichen -3. Oktober erklärt. Wegen der überragenden Bedeutung dieses Tages für die deutsche Einheit schlägt das Innenministerium vor, ab sofort den 3. Oktober als verbindlichen Feiertag für die gesamte Bundesrepublik einzuführen. Dafür entfällt der 17. Juni als bisheriger Feiertag.