Why
-Why?!
Stimme aus dem Hintergrund:
„Wenn Du einen Wunsch frei hättest, welcher wäre es?“
Spot an: Eine junge Frau sitzt auf einem kleinen Holzstuhl. Ihr kastanienbraunes Haar trägt sie gelockt und wild toupiert. Sie trägt rote Shorts, eine blau-weiß gepunktete Bluse und silberne High-Heels.
Sie zündet sich eine Zigarette an und geht auf und ab. Dann bleibt sie abrupt stehen. Den Blick voller Entschlossenheit.
„Dort oben!“, sie schaut in die Höhe, blinzelt in das Scheinwerferlicht und streckt ihre Arme hoch, als versuche sie nach etwas zu greifen.
„Dort oben!“
„Dort oben, wo die Sonne nicht mehr weit ist gibt es kein heute und kein morgen und kein Lachen und kein Weinen. Die vollkommene Zeitlosigkeit.“
Die junge Frau schaut schwärmend in das Publikum.
„Dort oben. Ja da oben möchte ich hin.“
Sie breitet die Arme aus
„Das ist mein größter Wunsch!“
Spot aus
Als das Licht wieder angeht stellt das Bühnenbild ein Hochhaus dar, auf dem sechs Personen stehen: ein Psychologe, ein Tankwart, der Chef eines großen Wirtschaftsunternehmens, eine Abiturientin, eine schwerkranke Frau und einen junger Mann der gerade wieder aus der 3. Welt nach Hause, Hamburg, kommt.
Unternehmer: „Pleite! Wir sind Pleite! Das ganze Unternehmen habe ich an die Wand gefahren.“
Er sieht nach unten auf den Parkplatz, wie sein Auto abgeschleppt wird. Ein schneeweißer Audi.
Unternehmer: „Mein Haus ist leergeräumt worden. Alles, alles haben sie gepfändet. Und jetzt? Liege ich im Anzug unter der Brücke. Sie haben mir meine Würde genommen!“
Junger Mann: „In den Entwicklungsländern verhungern und verdursten Kinder. Das ist nicht würdevoll! Alles nur wegen Ihnen. Ihr bekommt ja den Hals nicht voll genug mit Geld und Macht. Nur weil ihr in riesen Villen wohnt, drei Autos fahrt und euer Geld scheinbar in eurem Leben nicht ausgeben könnt, verrecken sie am anderen Ende!“
Psychologe: „Ich bitte um Sachlichkeit!“
Tankwart: „Ich muss trotz meines Jobs als Tankwart Sozialleistungen beziehen damit ich meine Kinder und mich über die Runden bringen kann. Meine Frau starb vor drei Jahren bei einem Verkehrsunfall. Der junge Mann hat Recht, das ist nicht fair. Fair ist, dass Sie jetzt dafür unter der Brücke schlafen.“
Kranke Frau (weinend): „Ich bin heute hier, weil ich bald gehen muss. So hat das Schicksal entschieden. Ich möchte nicht, dass mich meine Familie so sieht, also habe ich beschlossen dem Schicksal entgegenzukommen.“
Die Frau tritt an das Geländer
Abiturientin: „Nein! Stopp!“
Sie hält die Frau am Arm.
Abiturientin (flehend): „Bitte gehen Sie nicht. Ist es nicht jeder Tag wert gelebt zu werden?“
Frau: „Liebes Mädchen, nein, das verstehst du nicht. Nicht für mich.“
Psychologe: „Ihre Familie wird sie sehr vermissen. Ihrer Familie schenken Sie mit jeder Stunde sooo viel Glück. Letztes Mal sagten Sie, Sie wollen kämpfen. Ihr größter Wunsch war noch einmal mit ihrer Familie an den See zu fahren, an dem sie Ihren Mann das erste Mal gesehen haben.“
Unternehmer: „Springen Sie! Springen Sie doch! Glauben Sie mir, keinen wird das interessieren. Denn Sie sind ein so kleines Lichtlein, dass es niemand auch nur bemerkt.“ ( bitter böse lachend)
Abiturientin (pulsierend): „Und mich! Nehmen sie mich mit in die Zukunft. Die Gegenwart kann ich nicht mehr sehen. Krieg und Armut müsste es heute nicht mehr geben. Es gibt genügend für alle. Keiner muss eigentlich verdursten oder verhungern. Aber das Böse wird es wohl geben. Diese hässliche egoistische Machtgier…Ich hasse Sie!“
Schreiend geht die junge Frau auf den Unternehmer los. Der rückwärts gegen das Stahlgeländer prallt.
Unternehmer (bitter): „Wollen Sie mich umbringen? Machen Sie doch! Morgen stehen Sie mit Namen und Tatbestand in der Presse. Sie verbauen sich Ihre Zukunft! Nur zu! Mädchen, passen Sie sich der Gesellschaft einfach mal an. Als einen auf Karl Marx des 21. Jahrhunderts zu machen.“
Psychologe (ruhig): „Beruhigen Sie sich! Jeder seiner Meinung und Ansicht nach.“
Das Mädchen steht immer noch mit geballten Fäusten und vor Wut schäumend da, sagt aber nichts mehr.
Der Unternehmer grinst zufrieden und richtet sein Sakko, das mittlerweile voller Flecken ist und nach altem Schweiß riecht. Auch seine Haare liegen nicht mehr so perfekt gegelt, wie sonst.
Tankwart: „Wenn wir gehen, dann mit einem Knall. Wir müssen ein Zeichen gegen den Krieg und den Machtmissbrauch dieser Zeit setzen. In jeder Zeitung soll unser Sprung von diesem Hochhaus den Sprung in die Zukunft symbolisieren. Ein Zeichen für Frieden und menschliche Lebenszustände in jedem Land.“
Er tritt an das Geländer.
Psychologe: „Schicksalsschläge, Verlustängste und Armut… Wenn sie jetzt gehen, dann werden sie, die Menschen, die sie lieben in eine unendliche Trauer versetzen. Sie werden nicht mehr glücklich. Bleiben sie hier, für die Zeit mit den Menschen, die sie lieben. Sie setzten kein Zeichen. Weil es auch nur eine Schlagzeile ist, die zwar für Wirbel sorgt, aber nach wenigen Tagen wieder erlischt.“
Abiturientin: „Sie mit Ihrer Liebe…Liebe ist auch nur Utopie.“
Tankwart: „Alles ist Utopie. Wir sind die vom Staat alleingelassenen Minderheiten, durch das Schicksal bestimmt. Nichts ist mehr real.“
Abiturientin: „Wenn wir gehen, dann mit einem Knall.“
Junger Mann: „Wenn wir gehen, dann nur um ein Zeichen zu setzen.“
Die kranke Frau sitzt immer noch wimmernd auf dem Dach. Sie schaut zu, weil sie keine Kraft mehr dafür hat noch etwas zusagen.
Doch keiner der Fünf bemerkt sie mehr. Doch keiner der Fünf bemerkt die Menschenmassen hinter dem rotweißen Absperrband vor dem Hochhaus. Doch keiner hört das Martinshorn. Doch keiner bemerkt den Feuerwehrmann, den Sanitäter, der sich von einem Hubschrauber zu ihnen abseilt.
Als der Sanitäter auf dem Dach ankommt ist die Frau schon verstorben.
Abiturientin: „Sie ist in die Zukunft gegangen.“
Der Psychologe klettert über das Geländer
Psychologe: „Weil ich versagt habe!“
Er springt.
Junger Mann (betroffen): Er wollte uns retten. Er wollte unser Leben retten. Er wollte uns vor dem Sprung bewahren…(Pause)
Ein dumpfer Ton als der Psychologe in den Asphalt gedrückt wird. Die Menschen unten schreien.
Abiturientin: „Er wollte uns helfen…“ (Pause)
Junger Mann: „Und jetzt ist er tot.“
Tankwart (dumpf): „Er ist gegangen mit einem Knall.“
Das Licht auf der Bühne erlischt und im ganzen Saal herrscht Stille.
Nach einer kurzen Pause tritt eine junge Frau auf die Bühne. Sie hält in ihrer Hand zittrig ein Mikrofon.
„Einen wunderschönen guten Abend.“, sie versucht zu lächeln, doch das klappt nicht so recht. Ihre riesigen Augen starren in das Publikum, aber sie schaut niemanden wirklich an.
„Das Stück habe ich geschrieben. Ich hoffe es hat ihnen gefallen. Wenn sie Lust haben mir noch eine Weile zuzuhören, würde ich mich sehr freuen. Ich haben ihnen nämlich noch einen kleinen Slamtext mitgebracht, den ich für meine Schwester geschrieben habe. Sie ist im letzten Jahr bei einem großen Unglück gestorben. In dieser Welt passieren so schreckliche Dinge, die nicht passieren müssten. Dieser Abend soll ein Zeichen für den Frieden sein.
Atme ein – atme aus
Gehe Schritt um Schritt
Der Bass massiert mein Zwerchfell
Der aufsteigende Qualm lässt mich durch eine Geisterstadt gehen
Wir sind in einer Parallele gegenüber das Gute
Hinter uns das Böse
Zähle langsam von 100 hinunter
„Wir sind sicher“
Hast du gesagt und gelacht.
Aber, dann brach die Dunkelheit ein
Die Scheinwerfer beleuchten die Zeilen,
die wir gestern mit bunter Farbe auf die Werbeflächen
dieser Millionenstadt sprayten
„Be colourful in your heart
Be colourful in your consciene“
Doch leider gibt es Menschen,
die sind pechschwarz in ihrer Seele
„Tomorrow“
Hast du gesagt und gelacht.
Doch für dich hat es gestern kein
morgen mehr gegeben.
Wir haben John Lennon
gecovert und über den Dächern
dieser Weltstadt getanzt.
Atme ein, atme aus
Der Herschlag
Bum bum, Bum bum
RAST
Atme ein, atme aus
Ein Schuss, ein Knall, ein Schrei
AUS
„Peace“
Hast du gerufen und gelacht.
Wir haben Texte geschrieben
gegen den Hass
Wir dachten wirklich,
das würde etwas bewirken...
„Love“
Hast du geflüstert und dann…“
Die junge Frau hält für einen Moment inne. Dann beginnt sie wieder zu sprechen.
„Warum? Krieg, Terror, Hass und eine unendliche Machtgier. All das nimmt Millionen von Unschuldigen, Zivilisten, Journalisten und Menschenrechtlern das Leben. Ist das fair?“
Das Publikum steht zum Applaudieren auf und dem Mädchen rinnt eine kleine Träne über das Gesicht. Die anderen Schauspieler kommen mit auf die Bühne und verbeugen sich.
Der rote Vorhang läuft wieder zu.
„Chathrine?“ Die junge Frau schaut ihre Kollegin im Spiegel an. Als sie wieder abgeschminkt werden.
„Ja“
„Glaubst du wir können mit dem, was wir hier tun, wenigstens ein kleines bisschen bewegen?“
„Hope“, flüstert Chathrine. „Wer nicht kämpft und nicht hofft, der hat schon verloren.“
Ein schmales Lächeln ist jetzt auf dem Gesicht der jungen Frau zu sehen.
„Gegen den Hass!“ schreit das ganze Team laut hinaus.