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White Diamond
Es ist kurz nach Zehn. Die Mädels überraschen den Sicherheitsbeauftragten an der Tür.
„Schon so früh hier?“, fragt der Riese in schwarzer Uniform.
„Ja, wir wollen reden. Dann können wir auch gleich ins Warme gehen“, sagt eine junge, blasse Frau in Daunenjacke und Cocktailkleid.
Neben ihr stehen eine sehr Schlanke in Felljacke, Minirock und Spaghettitop sowie eine Kurze in Mantel und Cocktailkleid. Das Make-up des Grüppchens ist üppig. Ihre Haare sind jeweils in einem Pferdeschwanz gebunden. Heraus stechen bei der einen oder anderen die dunklen Ansätze unter den blondierten Haaren. Frierend schaut die junge, blasse Frau zum Zwei-Meter-Mann hoch. Nichts an dem Sicherheitsbeauftragten scheint sie zu beeindrucken. Forsch stellt sie Fragen.
„Lässt du uns rein oder nicht? Weißt du, wie kalt es ist?“
Er zeigt mit den Händen, dass sie sich beruhigen soll: „Hast du vorgeglüht? Ich sage euch gleich, heute habe ich gute Laune. Also geht rein oder haut ab!“
„Richtig so!“, ruft die Gruppe beim Hineinschlendern.
Die junge, blasse Frau flüstert noch eifrig ein weiteres Wort und beeilt sich, dass er ihr nicht nachkommen kann. Im Falle, dass er es doch gehört habe. Beim Garderobier legen die Frauen ihre Jacken ab und freuen sich über alles Mögliche. Im Tanzraum gibt es eine freie Tischwahl. Erst eineinhalb Stunden später füllt sich die Tanzfläche und die Sitze werden belegt. Das Grüppchen beginnt die Musik einzusaugen und ihr mit Bewegungen nachzugeben. Man tanzt für sich, miteinander oder mit Nachbarn. Plötzlich erstarren die jungen Frauen.
„Emma, sieh mal!“, ruft eine der Freundinnen der blassen Frau zu.
Sie wundert sich: „Was machen denn Mike und so hier? Hier dürfen nur schöne Leute rein.“
Die andere Freundin ruft: „Ja, nur die Bad Bitches und die geilen Typen!“
Lachend und jubelnd tanzen die Frauen weiter, während ihre Aufmerksamkeit immer wieder zu einer Gruppe verschiedener Männer im Alter von 18 bis 30 Jahren wandert. Die Ankunft der Gentlemen begrüßen die Frauen mit einem immensen Augenrollen und Seufzen. Eine Weile lang gehen sich beide Gruppen aus dem Weg. Sobald sich zwei Paar Augen ansehen, kommt ein schüchternes Lächeln und wieder weichen sie einander aus.
„Mike will wieder eine abschleppen“, sagt eine Freundin zur blassen Emma, „sieh dir mal den Schleimbolzen an!“
Die dünne Freundin macht Emma erneut auf einen breit gebauten Mann Anfang 20 aufmerksam. Sie beobachten, wie er sich minutenlang mit einer hübschen Clubbesucherin unterhält. Scheint das Gespräch wenig voranzugehen, wendet er sich einem Freund im gleichen Alter zu, der den jungen Frauen ebenfalls bekannt ist.
„Quatscht der Typ mich an, dann gehe ich weg“, droht Emma.
„Wenn die zu uns kommen, dann lasst uns verschwinden“, empfiehlt die dünne Freundin, „die versauen einem die ganze gute Laune! Rico geht noch, aber dieser Mike …“
„Guckt bloß nicht, sonst kommen die hierher!“, meint die Dritte aus dem Bunde.
Trotz viel Aufregung und vermeintlicher Vorausahnung geschieht lange nichts. Mike und sein Kumpel Rico reden eng angeschmiedet mit dem gleichen Mädchen. Für Emma und ihre Freundinnen bleibt dieses Spektakel spannend. Die jungen Männer stehen weiter unter ihrer geheimen Beobachtung.
„Ich habe Durst. Lasst uns einen heben!“, ruft die kurze Freundin und zieht beide Freundinnen mit voller Kraft an den Armen in Richtung Theke.
Der Weg führt an der verhassten Männergruppe vorbei. Man erkennt sich wieder und jeder grüßt auf seine Weise. Nachdem sie ihre Getränke ausgetauscht haben, bemerkt Emma, dass Mike seine Chancen verpasst haben muss. Die hübsche Clubbesucherin ist verschwunden. An der Stelle, wo Emma und ihre Freundinnen standen, wollen sich die Männer nun niederlassen. Die Frauengruppe macht es sich an der Theke umso bequemer, bis eine der Freundinnen plötzlich aufgebracht ihre Tasche durchsucht.
„Oh nein! Ich habe vorne etwas liegen lassen“, ruft sie.
„Wo vorne?“, fragt Emma.
„Da hinten …“, antwortet sie mit gesenkter Stimme und zeigt auf den Standort der Männergruppe, die ausgefallen die Tanzfläche beobachten.
Ein Unbehagen ist den Frauen anzusehen, während sie auf die Männer zugehen und sie freundlich darum bitten, ein Stück Platz zu machen, um Sicht auf den Boden zu bekommen. Der verlorene Gegenstand ist zugleich gefunden und die Freundin bedankt sich erleichtert.
„Bitte, bitte, immer schön auf die Sachen aufpassen!“, ruft Mike.
„Sieh dir die Schwalben an, wie die aussehen!“
Wessen Stimme es ist, kann Emma nicht ausmachen. Doch sie ist sich sicher, dass es nicht in ihrem Kopf ist. Sie dreht sich um und spricht die Gruppe an.
„Was heißt hier ‚Schwalben‘?“, fragt sie autoritär.
„Wovon sprichst du? Geh doch tanzen oder dir die große Nase pudern!“, ruft Mike.
Ein gehässiges Gelächter wird unter den Männern geteilt. Die dünne Freundin hält Emma zurück, welche standfest bleibt und Mike böse anguckt. Sein Kumpel Rico bittet ihn darum, Emma nicht weiter anzustacheln und redet ihm lange zu.
„Komm, Emma, lass uns gehen!“, bitten die Freundinnen.
Die drei tauchen im Getümmel der Tanzfläche ab und versuchen trotz des Vorfalls Spaß zu haben. Mit der Zeit gelingt es. Hinter Emma tauchen tanzend Mike und Rico auf. Emma wirkt abgelenkt und macht kleinere Bewegungen. Eine der Freundinnen versucht den Jungs mit einem anschmiegsamen Tanz entgegen zu kommen. Höflich wird sich angelächelt. Emmas Stimmung ist im Keller. Sie beschließt, die Tanzfläche zu verlassen. Als sie an Mike vorbeigehen möchte, spürt sie eine Hand auf ihrem Po. Mit Schwung klatscht Emma auf die zum Grinsen gestreckte Wange von Mike. Der Knall mag nicht zu hören sein. Jeder bezeugt dennoch einen gewaltigen Eindruck. Der zunächst verdutzten Männertruppe ist nun zum Lachen und Spotten zumute. Die Freundinnen ziehen Emma auf die Toilette.
„Was bildet der sich ein?“, schimpft Emma, „immer, wenn diese Typen da sind, passiert etwas! Er kann seine Hände wohl wieder nicht bei sich lassen.“
„Lass uns gehen, Emma“, rät eine Freundin bedrückt, „die Typen sind immer so.“
„Warum geht der Drecksack nicht? Ich habe nichts gemacht! Die Security gibt dann uns die Schuld. Alle sind Drecksäcke und Mike ist der größte von allen!“, findet Emma.
Emma wühlt in der Tasche, packt ein und aus, richtet ihre Haare, kontrolliert ihre falschen Wimpern. Als sie ihre großen Ohrringe einpackt, machen die Freundinnen große Augen und fragen sie, was sie vorhabe. Kurz darauf sehen sie Emma zur Tür hinauslaufen. Mit großen Schritten drängt sich Emma durch die Menge und stellt sich breitbeinig vor Mike. Sie überlässt der kurzen Freundin ihre Tasche und hebt die Fäuste zum Angriff. Die Gäste werden schnell auf dieses Spektakel aufmerksam. Es bildet sich ein Kreis um die beiden. Eine Mischung aus Verwunderung, Spott und Neugier ist im Gelächter und Tuscheln der Clubbesucher zu erkennen. Rico flüstert Mike etwas ins Ohr, woraufhin dieser den Kopf schüttelt.
„Was ist los, du Schwalbe? Dann mach doch!“, ruft Mike.
Emma mag ein paar Sekunden gedankenlos dastehen, ihre Augen bleiben jedoch aufs Ziel gerichtet. Sie holt mit einer Faust Schwung und rutscht stark am Kinn ab. Das Gelächter lässt sie kurz zusammenzucken. Doch der nächste Schlag ist ein Tritt in den Magen. Dieses Mal ist es kein Ausrutscher, sondern ein tiefer Treffer. Mike ringt kurz nach Luft und bekommt sodann einen Doppelschlag auf den Rücken. Verwirrt kniet er sich nieder und streckt eine Hand aus, um zum Warten aufzufordern. Emmas Freundinnen reißen die Augen auf.
„Was stimmt nicht mit dir? Was soll das?“, fragt Mike mit krauser Stirn.
Emma ist nicht in der Lage, sich umzudrehen oder wegzuschauen. Sie erahnt die verwirrten Blicke der Gäste und dass gleich der Sicherheitsbeauftragte kommen würde. Sie würde im White Diamond Hausverbot bekommen und müsste in noch schäbigeren Clubs versuchen, an der Security vorbeizukommen, während sie tagsüber jene trifft, die heute Nacht Zeugen ihrer Gewalttat wurden. Ob die Freundinnen zu ihr halten werden, kann sie nicht beurteilen. Hier ändert man Regeln nach Lust und Laune. Sie ist sprachlos. Einzig ein Pfeifen fällt ihr ein. Sie pfeift und macht Gesten mit den Händen. Es sind die Gesten der Männer, die im White Diamond regelmäßig zu Besuch kommen. Bevor Mike weiter sprechen kann, wirft sich Emma ihm entgegen. Rico stoppt sie und schubst sie mit viel Wucht gegen die Freundinnen. Die jungen Frauen halten sich kaum auf den Beinen. Als erwecke es einen Beschützerinstinkt, rennt die wesentlich kleinere Freundin auf ihn zu und schubst zurück. Als ein anderer Gast die drei Frauen zurückdrängt, stößt ihn jemand in den Rücken, sodass er auf den Boden fällt. Emma erblickt die Frau, die ihn attackierte. Es ist die hübsche Dame, die vor einer Stunde mit Mike sprach. Emma nickt ihr zu und greift Rico an. Die andere Frau schnappt sich einen weiteren Kumpel von Mike. Nun kommen Emmas Freundinnen zur Hilfe.
Die Sicherheitsbeauftragten erreichen den Tanzsaal. Vor ihren Augen findet eine Massenschlägerei statt. Beinahe jeder Gast ist beteiligt. Es sind Frauen gegen Männer, Männer gegen Frauen. Geht ein Mann gegen eine Frau vor, greifen ihn zwei Frauen gemeinsam an. Als viele männliche Gäste nach und nach flüchten, hört man im Club Jubelrufe. Die Sicherheitsbeauftragten wirken wie versteinert.
„Lasst die Musik an, ihr Wichser! Lasst die Musik an!“, ruft eine Clubbesucherin den Musikangestellten zu.
Die blasse Emma und einige andere Gäste feuern sich gegenseitig an. In einem Augenblick zeigen die Finger alle gleichzeitig auf ein Plakat, das über der Bühne hängt. Darauf steht:
Heute Abend:
Ladies Night!