WG-Koexistenz
Bei vielen jungen Menschen wurde im Laufe ihres Lebens das unbeschreibliche Glück, ja die Lebensbereicherung zuteil, in einer WG wohnen zu müssen. Würde ja keiner freiwillig tun!
Warum auch?
So ist man gerade der parentalen Tyrannei seiner Existenzschuldner entkommen und freut sich seiner gewonnenen Selbstverantwortung, das Leben eigens in die Hand nehmen zu können. Doch leider bekommt man unverfroren die Realität in das Bewusstsein gepflastert, dass temporäre Existenzversuche, als eigener Mieter, finanziell unzumutbar sind. Erst recht als brotloser Student, der gerade mal sein Geld in wöchentliche Partys und Tiefkühlnahrung investieren kann.
Also, was tun?
Richtig. Mensch wirft sich in den nächsten Wohnkäfig kompromissloser Sozialimpertinenzen, die besagte Unabhängigkeit und Lebensgestaltung möglich machen, weil das Geld spontan für die Miete und erspähte Wohnung da ist. Wie auch der Mitbewohner, den man zuvor nichts ahnend abfängt wenn sein Pegel Oberkante Unterkiefer auf einer Feier beträgt und dieser am nächsten Morgen mit einem zerknüllten Untermietvertrag unter dem Kopfkissen aufwacht.
Erste Hürde geschafft, willkommen im Paradies.
Ah, der Duft des Erwachsenwerdens. Dieses süße, prägende Bukett aus Lufterfrischer aus dem Bad, der immerwährend laufenden Kaffeemaschine und der leicht würzigen Note der Glimmstängel, wenn der Rauch vom Balkon mit in das Zimmer weht. Das schmeckt nach WG.
Aber wie in jedem Haushalt hat man auch hier Pflichten, die erfüllt werden wollen. Irgendwann, von irgendwem. Wenn die Teller neben der Spüle mit einer architektonischen Meisterleistung gen Zimmerdecke aufgetürmt werden, aber die Schränke nur noch Staub aufzuweisen haben. Beginnt man sich nur noch wie ein Schatten innerhalb des Wohnareals zu bewegen, um ja nicht zum Abwasch degradiert zu werden oder gar zu helfen. Doch wenn die Tür auch nur ein Hauch eines minimalen Quietschens von sich gibt, ist´s vorbei. „Wum wum, wum“, gefolgt vom höflichen aber energischen Klopfen an der Tür und schon schnellt der Kopf seines Untergangs hinein bevor man: „Ich bin nicht da!“ plärren konnte.
Nun ja, nicht nur dieser Umstand, der symbiotischen Raumverwaltung, kann zur Hürde werden, sondern auch jener, wenn es um allgemeine hygienische Instandhaltung der Nutzungsräume geht.
Wenn, zum Beispiel, mich die Idee befällt, den Palast der körperlichen Reinigung, dem Ruhepol sämtlicher rektaler Exodusse, die Festung heimlich nachgegangener Eitelkeit, zu reinigen. (Nur um sich noch beschwerlicheren Aufgaben zu entziehen, wie lernen, Vorträge ausarbeiten und Derartiges.)
So schrubbt einer meiner, wie im Wahn, den Boden, die Toilette, die Duschkabine und alles Andere, wogegen sogar Cinderella blass ausgesehen hätte und dann, urplötzlich, stöhnt es aus dem Nebenzimmer. Die fremden paar Schuhe im Flur hätten mir ein Indiz sein können.
Aber warum jetzt?!
Da klatscht es, schreit es und brunftet es vor sich hin, während man den Fußboden wienert wobei ich mir sowieso vorkomme als hätte ich die Seife im Knast fallen lassen. Warum nicht wenn man unterwegs ist? Nein! Jetzt muss es sein, im unfreiwilligen Beisein des Mitbewohners, mit Licht und ohne laute Musik!
Immerhin wurde es leise wo ich angefangen habe deren fehlende Musik anzustimmen.
Jedoch scheinen sich betreffliche Situationen des Jeweiligen abzuwechseln. Immerhin musste mein Untermieter sich zur unsäglichen Stunde überreden, den Pflichten eines Freundes nachzukommen. Schon das zur Tür schleppende Tölpeln, welches sich deutlich im Treppenflur vernehmen ließ und das darauf folgende mehrminütige Kratzen des Schlüssels an der Bretterpforte bescherte Ihm Albträume.
Damit nicht genug.
Ich trat ein, schoss eben noch meine Schuhe liebevoll in die Ecke und nahm auf dem Weg in mein Zimmer alles mit, was mir in die Quere kam. Mobiliar, Türschwellen, Schuhe. Türklinken gab es auch nicht. Ich halte die rechtwinkligen Türerker sowieso für überbewertet. Ganze Familien wurden schon Opfer jener Todesmaschinerie. Redete nur keiner darüber, wenn sie sich mit dem Auge voran aufgespießt hatten und leichenblass vor der Tür baumelten. Also fasste ich sie jener Nacht nicht an und warf mit Türen um mich, solange bis sie zu waren.
Er sollte ja wissen, wann ich zu Hause bin und dass es mir gut geht.
Zudem habe ich beiderseits stets vertrauensvolle Wände, die mich auffangen und Richtung Bett geleiten. Aber irgendwie war ich vom rechten Weg abgekommen und landete im Bad. Auch gut, lass plätschern! Nach dem Ausbranden des gelblichen Spiritus´... Bett. Kaum gelegen peinigte mich der Hunger und ließ mich erneut emporsteigen. So flanierte ich troglodytengleich in unsere wohnungseigene Bankettschmiede für einen schnellen Happen. Töpfe, Pfannen waren schon draußen und ich suchte gerade die halbe Gans, als ein Schemen langsam ins Licht schlurfte. Mit den Haaren strobelig, dem Gesicht zerklüftet, frug mich der Matsch von einem Mitbewohner knirschend, ob wieder sämtliche Türklinken nach meinem Leben trachten würden. „Gut, du bist wach! Ich glaube sie beobachten mich!“ lallte ich, grinste schief und reckte Ihm mein Bier entgegen. „Auch ein Schluck?“
Mitbewohner: „Nein.“
Ich: „Magst mitessen? Noch nicht angefangen aber gib mir fünf Minuten.“ versuchte ich es erneut, wobei der Tonus immer noch in sich verschwamm, da Worte dezent ausselektiert wurden.
Mit-niedergelassener: „Nein.“
Nachdem ich Ihm noch fünf Mal meine Liebe gestand und Ihn vier Mal umarmte, kroch ich vondannen, legte zarte Musik zum Einschlafen an (Lautstärke 35 von 40) schlich in mein samtenes Lager und wich in ein traumloses Koma.
Ohropacks hatte er ja.
Solche Situationen sollten natürlich die Ausnahme sein. Sind sie aber nicht. Doch gerade die Szenerien, die nach solchen psychisch zum Greinen bringenden Momenten entstehen, zeigen, dass WG-Koexistenzen dennoch gegen jegliche Vernunft wert, ja sogar manchmal erstrebenswert sind.
Wenn der Eine nach dem Koitus aus dem Brunftgefilde tritt, der Andere sich, am nächsten Morgen, an seine Kaffeetasse klammert und tiefe Augenringe aufweist. Dann in das grimmige Gesicht des Gegenübers blickt, welches man bei der ersten Begegnung „danach“ erkennt, und die Mundwinkel daraufhin stetig nach oben steigen, weiß man, man hat einen Freund fürs Leben gefunden und lacht darüber. Falls nicht, kloppt man sich kurz und lacht dann darüber. Zur Festigung des Bündnisses geht es auf den Balkon zum Rauchen.
So entstehen (als Außenstehender) aus billigen Geschehnissen, durchaus weniger vergessenswerte Minuten.
Ob man der Freundin des Anderen das Online-Gaming beibringt und sich beschwert, was für ein „Noob“ sie sei. Worauf Sie dann frustriert auf Klo stampft und man wenig später unterbewusst das Raumspray wahrnimmt. Das Essen gegenseitig weg nascht, sich gemeinsam Filme reinzieht, mal ein, vier Flaschen Wein einschraubt oder Seelenklempner ist, egal. Es macht über die Jahre eine ziemlich abenteuerliche Erfahrung im Leben aus. Die perfekte Ehe. Ohne Ehe.
Wie ein Stummfilm mit Ton. Wie ein Ei mit einem „Ü“.
Bis zu dem Punkt, wo die Ruinen der einstigen Wohnung verlassen werden (an die Existenz der Kaution hat man eh nicht mehr geglaubt), ehemals zusammenlebende auf die Jahre anstoßen und ihr absolut eigenes Leben beginnen.
© Van Nylle