Wertlos
Ich weiß nicht, wo ich bin, was ich war und was ich bin. Bin ich ein Monster? Was unterscheidet mich von den anderen Menschen? Was macht mich zu dem was ich bin? Ist es das Blut, das durch meinen Körper strömt und mich jedes Mal an mein schreckliches Schicksal erinnert?
In diesem Moment spürte ich wieder diesen stechenden, unbeschreiblichen Schmerz, der mich durchzuckte. Augenblicklich fing ich an zu schreien und meinen Gefühlen freien Lauf zu lassen. Sofort nahm ich die Veränderungen in mir war. Meine Instinkte bestanden nun nur noch aus: Töten, Überleben und auf der Hut sein. Ich merkte, wie sich meine Schwerkraft änderte und mich auf den Boden zog.
Hilflos und verwirrt lag ich auf dem Boden des Waldes, der nun mit Laub bedeckt war. Ich hatte das Gefühl zwischen Himmel und Erde zu schweben, doch zu keinem dieser Elemente dazuzugehören.
Ich versuchte meine Augen offen zu halten, doch ein erlösender und ersehnter Schlaf senkte sich auf mich. Ich fiel in Ohnmacht.
Ich weiß nicht, wie lang ich dort regungslos auf dem Waldboden geschlafen habe, wusste auch nicht wie ich hierhergekommen war. Ich war nicht mehr ich. Der starke Junge hatte sich in etwas verwandelt, das gefährlicher war als jede Waffe: in einen Werwolf.
Mein Instinkt trieb mich durch die Nacht. Der Vollmond schien in seinen schönsten Silbertönen, doch so geheimnisvoll wie er sein mag, er war ein Grund für mein Anderssein. Mit leisen, zielstrebigen Schritten schritt ich durch die Nacht. Der Junge in mir wusste nicht wohin, doch die Instinkte des unberechenbaren Tieres leiteten mich, denen ich folgen musste. Der Drang, schneller zu laufen und mich auf die Suche nach etwas Bestimmten zu machen, wurde immer stärker.
Geschickt bewegte ich mich durch die Nacht, durch Unterholz und Gebüsch, immer darauf bedacht zu sein keine verräterischen Geräusche von mir zu geben. Denn eines wusste ich auch ohne meine Erinnerungen: es wird kein gutes Ende nehmen, wenn je jemand etwas über meine Existenz erfährt. Menschen, die anfälliger und leichter auszulöschen sind als alles andere auf der Welt, fürchten sich vor den Jägern der Nacht. Sie fürchten sich vor den Räubern der Lüfte, Tiere, die die Gestalt einer Fledermaus annehmen können und sich anschließend in dem Körper eines Vampires befinden. Doch ihren wachsamen Augen entgehen die Gefahren, die auf ihrer Erde lauern. Eine Gefahr wie mich.
Der kalte Wind peitschte in mein Gesicht und meine Umgebung nahm ich als Filmstreifen wahr, der an mir vorbeilief. Es entstanden neue Bilder, in denen Realität und Traum ineinander verschmolzen. Bilder aus meiner Vergangenheit überholten die Gegenwart. All meine schrecklichen Ereignisse, von denen ich dachte sie längst hinter mich gelassen zu haben, tauchten in meinen Erinnerungen auf und branden sich in mein Gedächtnis. Mein Körper wehrte sich gegen diese grauenhaften Ereignisse aus meiner Kindheit.
Meine Kindheit ist ein trauriges Kapitel in meinem Leben, an das ich nicht gerne zurückblicke. Damals zog ich oft einsam und verlassen durch die Straßen unserer Stadt. Ließ mich treiben wie ein Blatt, das achtlos von einem Baum gerissen wurde und seinen einzigen Halt verloren hat, genau wie ich.