Mitglied
- Beitritt
- 19.07.2014
- Beiträge
- 3
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 4
Werd erwachsen
„Die Welt ist viel größer als du und ich.“
Wann immer Julie so etwas sagte, tiefsinnig und bedeutungsvoll, hatte sie eigentlich ein lustiges Lächeln auf den Lippen, eines, bei dem man ihre Zähne sehen konnte. Als würde sie nicht ganz ernst nehmen, was sie gerade gesagt hatte. Aber mit ihren dreizehn Jahren war es, als hätte sie einst in Gottes Plan geschaut und sich entschieden, hin und wieder mit der Welt zu teilen, was sie verstanden hatte. Manche aus der Schule nannten sie deswegen eine Angeberin.
Caitlin selbst war immer in Ehrfurcht, wenn ihre beste Freundin, denn das waren sie inzwischen wahrscheinlich, Sachen wie diese sagte. Und sie nahm jeden Satz und verstaute ihn tief in ihrem Gedächtnis, sodass sie ihn abends im Bett hervorholen konnte, um ihn von allen Seiten zu betrachten wie einen von diesen bunten Zauberwürfeln, von denen sie sich immer fragte, wie man alle Farben auf eine Seite bekommen sollte. Aber sie hatte sich ein Ziel gesetzt und ihre Augenringe waren der Beweis dafür, dass sie nicht so einfach aufgab und ehrlich gesagt ihre immer schlechter werdenden Noten auch. Es war einfach schwer sich zu konzentrieren, wenn es so schön warm war und die Stimme des Lehrers vorne einen praktisch in den Schlaf wiegte nach einer weiteren langen Nacht.
Sie ließ ihren Blick über das verdorrende Gras gleiten und war trotzdem froh, dass sie mit Julie auf dem Spielplatz mitten in der prallen Sonne und nicht im Schwimmbad war. Schweiß lief Cat, wie sie eigentlich von jedem genannt wurde, sogar von ihrer Mutter, den Nacken runter. Sie schaute auf den Boden, wo ihre Füße gerade so den staubigen Boden streiften und sie stieß sich ab, um ihre Schaukel wieder in Bewegung zu bringen.
Ihre Mutter hatte Cat einmal gesagt, als sie von der Neuen in ihrer Klasse geschwärmt hatte, die so viel wusste, dass Julie vielleicht einsam war und deswegen viel lass und sich viel informierte. Die anderen Älteren sagten nicht, dass Julie einsam war, sondern erwachsen, so wie sie.
Sie drückte ihr ganzes Gewicht in die rhythmischen Bewegungen der Schaukel, die Brise auf ihrem Gesicht eine herrliche Erleichterung und während ihre zwei Zöpfe an ihrem Gesicht vorbeisausten, wusste sie, dass diese Nacht schwer werden würde.
Es hieß für sie, mehr unter der „Welt“ zu verstehen, als nur die Tankstelle ganz im Osten der Stadt bis zu ihrem anderen Ende, wo der alte Mr. Harrison lebte. Nein, es hieß, über die all hübschen Orte in den Magazinen und die (möglicherweise) wichtigen Leute zu denken und natürlich über all die Dinge, die sie in den Nachrichten überhörte, wenn sie nach dem Essen mit ihrer Katze im Wohnzimmer spielte.
Vielleicht sollte sie sich diesen Abend neben ihren Vater setzten und leise sein. Er hatte sie schon mehrmals gefragt, ob sie mit ihm die Tagesschau schauen wollte, ein hoffnungsvolles Lächeln im Gesicht. Er hatte es Vater-Tochter Zeit genannt. Bis jetzt hatte sie immer abgelehnt, weil sie sich, ehrlich gesagt, nicht um die Nachrichten kümmerte und sie doch jeden Sonntag mit ihrem Vater klettern oder ins Schwimmbad ging.
„Aber warum kann ich nicht einfach nur Spaß in meiner eigenen kleinen Welt haben?“, jammerte Cat, weil sich auf einmal Bilder in ihren Geist drängten, wie Schlangen, als an einem Abend ganz viele Soldaten und schreiende Menschen im Fernsehen gezeigt wurden und ihre Mutter sie aus dem Zimmer geschickte hatte. Sie war froh gewesen.
Ihre beste Freundin guckte sie merkwürdig an und Cat musste sich daran erinnern, dass ihr nicht klar war, wie wichtig sie ihre Worte nahm.
Vielleicht würde sie sie auslachen, wenn sie es wüsste. Also schaute sie auf das Klettergerüste, wo ihre Schultaschen standen. Es fiel ihr mal wieder auf, wie anders Julies aussah. Hübsch bunt war die Tasche, aber praktisch nur ein Beutel. Ganz anders als die von allen anderen, welche in den Kaufhäusern gekauft wurden, mit breiten Schultergurten und ganzen vielen kleinen Taschen außen und innen. Julie sagte, in dem Land, wo sie vorher gewohnt hatten, hatten alle so eine gehabt wie sie.
Kein Wunder, dass Julie so viel wusste, für sie war es wahrscheinlich auch gar nicht schwer, die Welt als etwas Größeres zu sehen.
„Ich geh was trinken“, rief Julie zwischen ihre Gedanken und als es fast schien, als wäre ihre Schaukel horizontal, sprang sie ab. Cat konnte den Staub, den sie aufwirbelte auf der Zunge schmecken und er kratzte im Hals, dennoch dachte sie nur daran wie erwachsen Julie war. So selbstsicher und mutig.
Und eines Tages würde sie das auch alles sein. Sie musste nur die Gedanken, die wie Zauberwürfel waren, verstehen.
Sie hob ihren Kopf in den Wind und beschloss, dass ja, heute wird sie die Nachrichten schauen und über die Welt nachdenken.
Sie musste lächeln. Erwachsenwerden fühlte sich merkwürdig an.