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- 05.07.2003
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Heute hat sie seit Langem wieder gute Laune. Sie wundert sich selbst darüber, schmunzelt über ihre Gedanken.
Die letzten Wochen bedeuteten harte Arbeit. Eine Kollegin ist krank, Beinbruch, auf der Arbeitsstelle. Die Andere ist bis Übermorgen im Urlaub, Wochenenden gab es nicht.
Sie war praktisch drei Wochen allein auf der Arbeit, musste aber für Vier arbeiten. Zum Glück haben sich die Stammkunden, bis auf wenige Ausnahmen, genügsam gezeigt und sind fern geblieben, liebevoll wartend auf ihre Favoritinnen.
Noch eine Stunde bis zum Arbeitsbeginn. Wenn sie gemütlich laufen will, vielleicht ein bisschen trödeln, dann muss sie jetzt los.
Sie kontrolliert ihr Aussehen im Flurspiegel. Na ja, das wird nachher sowieso noch einmal aufgefrischt. Ist in der Tasche alles drin? Vollständig. Auf geht’s.
Frau Lehmann!
‚Nein!!!’ denkt sie. Aber, zu spät.
„Naaa, uff de Wech zu de Aabeet…?“ schreit sie ihr mit fast schriller Stimme entgegen, und: „um die Zeit, na!!“ Sie springt, so schnell sie nur kann, die Treppe herunter, lächelt der alten Hexe verlegen und schüchtern entgegen und fügt entschuldigend hinzu: „…hab’s eilig Frau Lehmann…“
Auf dem Weg nach unten fällt ihr ein, was sie am Liebsten der alten Lehmann alles an den Kopf knallen würde.
Draußen fühlt sie sich schon wieder besser.
‚Die Lehmann ist doch nur zu bemitleiden. So viel Einsamkeit werde ich nicht „im Alter“ haben’, denkt sie und schlendert, die Frau aus ihren Gedanken schiebend, in Richtung Arbeit.
Einmal über die Kreuzung, dann die Straße runter, um die Ecke und den Bus nehmen.
Sie läuft schnell, fast beschwingt, aber an der Ecke… der Bäcker ‚oh nein, DIE!’.
Ihre Gedanken werden zur Wahrheit. Die Weiber, tolle Familienoberhäupter, die ihre Männer nur „in die Kneipe bringen“, stehen schon da, um zu sehen wie sie heute wieder gekleidet ist.
‚Ob ich ihren Erwartungen heute wieder Folge leiste, dass sie wieder etwas zu „bereden“ haben?’ und ‚Bestimmt! und wenn schon, sie hebt den Kopf und geht, ein bisschen arrogant sogar, an dem Bäcker vorbei.
Sie meint, die Worte hören zu können, schmeißt die Gedanken aus ihrem Kopf und nähert sich der Bushaltestelle.
Der Bus kommt, sie steigt ein.
Sie merkt, wie sie doch leicht aufatmet, dieser Wohngegend entkommen zu sein. Ärgert sich ein wenig. Will es aber nicht.
Heute hat sie wohl wirklich gute Laune. Sie lächelt leise vor sich hin.
Eine Frau ihres Alters sagt zu ihrem Mann: „Na, da weeß man doch, als wat die aabeetet!“; „Wieso, meene Frisörin sieht ooch so aus. Wat du imma hast, jejen die jutaussehn’den Frau’n!“
Sie sieht aus dem Fenster, hofft heimlich, dass die Fahrt schnell vorüber ist und grinst dann doch, mit einem Hauch von Triumph.
Sie muss aussteigen. Die nächste Straße rechts und sie ist da. Zwanzig Minuten Weg.
Dabei wollte sie doch schlendern, sich über die Vielfalt der Menschen freuen, Kinder die ihr lachend begegnen oder irgendetwas.
Sie lässt ihrer Traurigkeit keinen Platz und geht weiter. An der Kreuzung sieht sie zwei Jungen, vielleicht zwölf, nicht älter. Die beiden stehen vor einem Plakat und freuen sich über den Anblick des nackten Busens.
Die Werbung hängt schon lange hier. Jetzt sieht sie genauer hin. Eine lasziv lächelnde Frau, freier Busen, dumme Sprüche von den Jungs, Margarine- Werbung.
‚Zigaretten, Autos, daran ist man schon gewöhnt, aber Margarine!? Was ist an Margarine sexy?’ Nach einiger Überlegung fällt es ihr ein.
Sogar bei Reinigungsmitteln wird mit dem Körper geworben. All das meist so schrill, dass man die Zahlen der Preise kaum wahr nimmt und einfach nur kauft. Ob das Zeug gut ist? Egal, die Werbung spricht viele an und die, die sie nicht anspricht, kaufen trotzdem, weil sie so laut war, dass man im Supermarkt geneigt ist, es besitzen zu müssen.
Alles Lügen.
Fast wäre sie vorbei gelaufen.
Sie geht gleich in den Vorbereitungsraum, kleidet sich um. Sie lässt sich Zeit. Die hat sie nun auch. Eine halbe Stunde noch.
Während sie sich schminkt, denkt sie an die zwei Jungen.
‚Sie sind noch so jung. Was soll aus ihnen werden, wenn sie in dem Alter schon so vollgepumpt werden mit nackten Körpern und sexwilligen Weibern, die sich allein durch eine Margarinesorte, die gerade angesagt ist, nehmen lassen?’ Welche Art Sex werden sie später wohl brauchen?
Sie beginnt ihr Haar zu toupieren. Wozu eigentlich?
Ihr erster Kunde, der junge Herr Doktor, ein kluger Mann. Sie setzt die Lederkappe auf, geht ins Zimmer und kontrolliert die Utensilien. Alles da. Sie hört es klingeln.
‚So alt ist der auch noch nicht’, denkt sie. Seit wann gibt es eigentlich diese Werbung?
Und: ‚Meine roten Lippen sieht man nicht einmal.’