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Werbewelt
Eigentlich war es ihm egal, wie er in diese Welt geraten war.
Er fühlte sich wohl hier.
Er hatte diese Welt während eines Formel-Eins-Rennens betreten.
Anfangs war das Rennen spannend gewesen, doch nachdem der Führende in der 21. Runde bereits siebzehn Sekunden Vorsprung auf den Zweitplatzierten hatte, wurde die Sache langweilig. In dem Augenblick, in dem er vor Langeweile einschlief, wurde die Werbung eingeblendet. Er hatte kaum noch Gelegenheit, sich über diese Unterbrechung zu ärgern.
Doch er ärgerte sich.
Und schlief ein.
Als er erwachte, war sein bisheriges Leben hinweg gefegt. Er stand buchstäblich auf der Straße, ohne Geld, ohne Arbeit und ohne Vergangenheit. Alles, was ihm geblieben war, war seine Kleidung. Er geriet selbstverständlich in Panik, verlor beinahe den Verstand. Doch bereits nach wenigen Stunden erkannte er die Regeln der Welt, in der er gestrandet war. Der Welt, die er eigentlich so sehr gehaßt hatte...
Geld spielte in dieser Welt keine Rolle. Man konnte haben, was immer das Herz begehrte. Man mußte nur wissen, wo man es bekam.
Zuerst bemühte er sich um eine Unterkunft. Er kaufte ein Haus. Die Tatsache, daß er dieses Haus von einem sprechenden, bebrillten Fuchs erwarb, störte ihn nicht weiter. Um die Finanzierung machte er sich keine Sorgen. Weswegen auch? Sorgen hatten in dieser Welt keinen Platz.
In großem Maße trugen dazu auch die Versicherungen bei, die ihm Herr Kaiser nahe gebracht hatte. Herr Kaiser verstand ihn schließlich. Und falls Herr Kaiser einmal nicht in der Nähe war, konnte man immer noch auf den Fels in der Brandung zurückgreifen.
Dieser befand sich am Strand. Dort war immer etwas los! Wenn die nette Dame in weißer Kleidung nicht gerade Süßigkeiten ohne Schokolade verteilte, reichten braungebrannte Schönheiten leckeres Eis. Einen erfrischenden Eistee konnte er auch jederzeit bekommen. Er mußte nur nach dem Wackel-Dackel Ausschau halten. Und falls ihm der Sinn nach Alkohol stand, mußte er nur zu dem Schiff mit den grünen Segeln paddeln. Dort gab es kaltes Bier – wenn man vorher auf den Meeresgrund getaucht war, um eine Halskette aufzusammeln.
Härtere Sachen waren etwas schwieriger zu beschaffen. Um einen Rum zu bekommen, mußte man sich auf einen Boxkampf einlassen – und diesen auch noch verlieren. Um dann einen Cuba Libre zu genießen, ging man einfach ein Stück weiter. Unterwegs war es nötig, warme Kleidung anzulegen, denn die roten Lastwagen, die Cola verteilten, waren in eisiger Kälte unterwegs. Wenn ihm der Weg dorthin zu weit war, legte er ihn mit seinem Auto zurück, in dem nichts unmöglich war. Dies behaupteten jedenfalls die beiden Affen, die ständig in der Nähe seines Fahrzeuges waren und munter losjohlten, sobald er die Fahrertür öffnete.
Auch für Speisen war gesorgt. Im Kochstudio waren viele Leckereien erhältlich. Leider etwas eintönig. Deswegen mußte man zeitweise auf Konserven zurückgreifen. Der Inhalt dieser Konserven war ein großes Geheimnis. Man kam darauf, aber nicht dahinter.
Nach einiger Zeit hatte er auch geheiratet. Seine Frau hatte er unter einer 0190-Nummer gefunden. Er war ihrem Aufruf („Komm hier rein!“) gefolgt und in ihre Badewanne gestiegen. Seine Kinder entwickelten sich prächtig. Schließlich erhielten sie nur die beste Nahrung. Dafür stand der Hersteller mit seinem guten Namen.
Als sehr angenehm empfand er auch, daß der Abfalleimer stets blitzsauber war. Der gesamte Haushalt bereitete nicht die geringsten Probleme. Die Waschmaschine, die ein so intelligentes Display hatte, daß selbst sein pubertierender Sohn sie bedienen konnte, lebte länger, weil das Wasser entkalkt wurde. Die Wäsche war stets aprilfrisch – auch wenn er den Teddybären, der permanent in die Wäschekörbe plumpste, als etwas störend empfand. Und für sein Hinterteil war ebenfalls gesorgt, denn bei jedem Gang zur Toilette drückte ihm ein freundlicher Braunbär eine neue Rolle Toilettenpapier in die Hand.
Alles in allem konnte er sehr zufrieden sein. So schob er - wie jeden Abend - die Möbel beiseite, rückte seinen roten Sessel vor das Panoramafenster und öffnete eine Flasche Bier. Nicht das Zeug, das man in der Kneipe bekam, wenn man einen Hund dabei hatte. Sein Hund war ein ganzer Kerl gewesen, doch er hatte ihn abgeschafft. Er mochte einfach kein alkoholfreies Bier. Wenn er es trank, wurde er permanent von Frauen belästigt. Außerdem ging er lieber in die Kneipe mit den beiden Hirschköpfen an der Wand. Dort mußte man sich für einen Schnaps wenigstens nicht k. o. schlagen lassen.
Er trank sein Bier und schielte zum Fernseher. Eigentlich mochte er das Fernsehen hier. Es gab ihm täglich neue Inspiration. Die rülpsenden Außerirdischen, die er in dem in der Wüste gelegenen Radioteleskop getroffen hatte, waren zwar etwas nervig gewesen, doch ansonsten hatte er im Fernsehen immer wieder neue Ideen gefunden, die sein Leben ein wenig angenehmer gestalteten.
Dummerweise wurde die Werbung immer wieder von Formel-Eins-Rennen unterbrochen.
Er hatte gerade noch Zeit, sich darüber zu ärgern.
Dann schlief er ein.
[ 24.06.2002, 00:12: Beitrag editiert von: H8 ]