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von Sven Klöpping

„Sterben auch Sie einen glücklichen Tod.“ steht auf dem Etikett, das neben der Adresse klebt. So ein Quatsch, denke ich mir. Aber ich hebe das Paket trotzdem vom Boden auf - so kann es da ja nicht liegenbleiben, direkt vor meiner Haustür. Was soll mein Besuch von mir denken? Schließlich will ich meine Freunde nicht bereits durch den Gestank vergraulen, der von meinen Paketen ausgeht.

Also beuge ich mich hinunter, staple die vielen kleinen bis mittelgroßen Päckchen in meinen Armen auf, und schwanke rückwärts zurück ins Haus. Doch da bemerke ich meinen Fehler. Ich muss ja nicht ins Haus, sondern nach draußen, da stehen die Mülltonnen. Ich kann mich gerade noch fangen und stolpere wieder aus der Tür hinaus. Vor lauter Paketen kann ich kaum etwas sehen, zum Glück finde ich den Weg zu einer der großen, metallicfarbenen Tonnen mit meinem integrierten Ortungssystem.

Dass ich das aber noch immer nicht gelernt habe! Pakete sofort in den Mülleimer, das sagen sie doch schon im Info-TV. Obwohl man für diese Weisheit überhaupt nicht das Fernsehen bräuchte. Das kriegt man spätestens heraus, wenn man vier Wochen hintereinander Dutzende von diesen Päckchen vors Haus gestellt bekommt. Einfach vors Haus stellen sie einem die Dinger, und man muss dann sehen, wie man mit ihnen fertig wird. Entsetzlich stinken tun sie, wie gesagt, und wehe, man wirft unschuldigerweise einen Blick hinein. Die ersten paar Male hatte ich sie noch aufgemacht. Als ich den ekelhaften Geruch, der aus ihrem Inneren herausströmte, behelfsmäßig mit der Hand vertrieben hatte, wollte ich schon gar nicht mehr hineingucken. Aber dann sah ich es doch, und ich wäre beinahe einem Kurzschluss erlegen. Von da an habe ich keins von diesen Päckchen mehr geöffnet, was, wie ich finde, eine kluge Entscheidung war.

Aber es soll sie ja geben, diese Typen, die das alles unglaublich toll finden. Sterben auf Knopfdruck, Eindringen in die Welt nach dem Tod. Klick. Jede Woche sieht man so einen Perversen auf dem Sofa bei X-Z-130 sitzen, und ich denke mir jedesmal: wieso lädt dieser Talkmaster eigentlich solche Leute ein? Nur wegen der Einschaltquote? Aber da lässt sich nicht meckern: die Quoten schnellen wie eine Kernreaktion nach oben, wann immer dieses brisante Thema im Fernsehen diskutiert wird. Kein Wunder, dass immer mehr seriöse Sendungen diesen Quatsch bringen. Ich persönlich finde das alles etwas makaber. Und diese Werbepost, die geht mir wirklich auf den Keks.

„Wir verwenden ausschließlich bestes Fleisch aus kontrollierter Aufzucht.“

Fleisch! Ein kalter Schauer läuft über meinen Rücken, ich reiße das Etikett ab. Fleisch! Wenn ich auch nur daran denke, was in dem Paket alles verborgen sein könnte, befällt mich das schiere Grauen. Angeekelt lasse ich die Dinger fallen, und da liegen sie genau richtig. In der Mülltonne. Ich muss mir mal wieder eine neue bestellen, denke ich, eine größere. Das werden aber auch immer mehr Pakete, die passen schon gar nicht mehr in den regulären Müll. Ist ja ganz normal, dass die jetzt soviel verschicken. Wenn die Leute die Pakete wegwerfen, landen sie auf der Müllkippe. Die sieht natürlich nicht ein, warum sie die ganzen scheußlichen Dinger lagern sollte, dafür hat sie erstens gar nicht den Platz, und zweitens: wie soll man das Zeug entsorgen? Der größte Teil geht deshalb wieder zum Institut zurück, und wird in der nächsten Aussendung, zusammen mit der neuen Produktion abermals versandt - zu den gleichen Empfängern. Ein Teufelskreis. Aber was soll ich machen? Die ganzen Leichenteile bei mir im Vorgarten stapeln? Wie sieht das denn aus?

Als ich das erste Mal eines dieser Pakete geöffnet hatte, da waren zwei gläserne Augen, die mich anstarrten. Tote Augen. An einem toten Kopf, dessen Wangen weit auseinandergezogen waren. Ein Lächeln. „Wir machen glückliche Tote.“ Ich war zurückgeschreckt, und hätte ich nicht zufällig an der Türklinke Halt gefunden, ich wäre direkt von den Magnetschienen gefallen.

Natürlich hatte ich mit sowas schon gerechnet, nachdem sie im Fernsehen die ganze Zeit damit Werbung gemacht hatten. Da hatte immer eine wohlklingende Frauenstimme gefragt: „Möchten Sie Ihren Verwandten nach Ihrem ‘Tod’ nicht ebenfalls eine solche Freude bereiten, wie unser Muster-Ehepaar?“ Das ‘Muster-Ehepaar’ lächelte dann in die Kamera, mit ihren rosa Bäckchen, obwohl die beiden schon längst kalt wie Stahl waren.

Irgendwie musste man herausgefunden haben, dass die meisten Robots unter einem akuten Minderwertigkeitskomplex leiden, was die Menschen betrifft. Sie glauben wahrscheinlich, dass sie niemals so kreativ sein können wie die Menschen in alter Zeit. Unsinn, sage ich! Aber die Werbeleute müssen ja aus allem Geld machen, und so hat man als besonderen Gag für die Simulator-Werbekampagne echte Menschen genommen - tote Menschen -, um die niederen Instinkte der Robots anzusprechen.

Das ist auch der Grund, weshalb sie die menschlichen Leichenteile per Post verschicken - ein Werbegag. Denn für echte Menschen ist es natürlich vollkommen unmöglich, diese Elektroschock-Simulation zu überleben. Und gerade das ist der entscheidende Anreiz für viele Roboter, den Simulator einmal auszutesten. Denn dadurch können sie sich noch einmal beweisen, wie überlegen sie den Menschen doch sind. So ein Unsinn! Ich weiß auch ohne den Simulator, dass ich diesen Humanoiden weit voraus bin - geistig wie körperlich.

Die Mülltonne ist schon wieder fast voll. Und in fünf Tagen ist erst die nächste Müllabfuhr. Das kann ja heiter werden. Vielleicht fange ich sie morgen ab, wenn sie frühmorgens mit ihrem LKW kommen und die Pakete vor meine Tür stellen wollen. „Heute nicht, Jungs.“ werde ich dann sagen. „Ihr könnt eure Leichen behalten.“
Dann werde ich mir ihre unisolierten Arbeiter-Schaltkreise schnappen, ihnen direkt in die farbenblinden Augen schauen, und mit einer grauenhaften Stimme, die noch irgendwo bei mir im Hauptspeichersystem verborgen sein muss, werde ich schimpfen: „Ich will diese beschissenen Werbesendungen nicht, und eure verdammte Tod-Simulator-Technik könnt ihr euch sonstwo hinstecken! Kapiert?“

Ja - so werde ich meinen Frust ablassen. Wie richtige Robots das tun.

 

Hi fictionality!

Der Geschichte liegt eine schön abstruse Idee zugrunde, und beim Schreibstil habe ich nichts zu meckern. :)

Ganz überzeugt hat sie mich aber nicht, denn an manchen Stellen erscheint sie mir unausgereift. Durch die Kürze der Geschichte ist das nicht so schlimm - beim ersten Durchlesen habe ich mich nicht wirklich dran gestört - aber ich versuche meinen Eindruck trotzdem mal an ein paar Details festzumachen, vielleicht ist es nützlich für zukünftige Geschichten.

Also beuge ich mich hinunter, staple die vielen kleinen bis mittelgroßen Päckchen in meinen Armen auf, und schwanke rückwärts zurück ins Haus. Doch da bemerke ich meinen Fehler. Ich muss ja nicht ins Haus, sondern nach draußen, da stehen die Mülltonnen.
Das ist so eine Sache, die mir nicht durchdacht scheint - abgesehen davon, dass der (simulierte) Tod in ihrer Gesellschaft zu einem Freizeitvergnügen geworden ist, scheint es zwischen Robots und Menschen so gut wie keinen Unterschied zu geben. Ein Roboter sollte nicht zerstreut sein und vergessen in welche Richtung er gehen muss, außer mit seinen Schaltkreisen ist etwas nicht in Ordnung.

Als ich den ekelhaften Geruch, der aus ihrem Inneren herausströmte, behelfsmäßig mit der Hand vertrieben hatte, wollte ich schon gar nicht mehr hineingucken.
Ich finde es auch ein bisschen komisch, dass er sich vor dem Geruch ekelt. Dass er einen Geruchssinn hat ist schon sinnvoll - aber warum sollte er Emotionen mit bestimmten Gerüchen verbinden? Ein Infektionsrisiko gibt es ja wohl kaum.

„Wir verwenden ausschließlich bestes Fleisch aus kontrollierter Aufzucht.“

Fleisch! Ein kalter Schauer läuft über meinen Rücken, ich reiße das Etikett ab.

Menschen werden gezüchtet, nur damit Leichenteile als Werbegag verwendet werden können? Das ist echt düster, und dass mir da ein kalter Schauer über den Rücken läuft ist normal, aber warum passiert das dem Protagonisten? Hat er ein moralisches Problem damit?
Ich fände es besser, wenn er einfach augenrollend genervt reagieren würde - wenn Leute Prospekte in den Müll werfen, ist das vorherrschende Gefühl seltener Unbehagen wegen all der Bäume die diesem Mist zum Opfer gefallen sind, als einfach Frustration. Ich glaube es würde den satirischen Effekt verstärken, wenn er die Pakete zwar als störend, aber nicht als gruselig empfindet. Das kannst du dem Leser überlassen :)

Natürlich hatte ich mit sowas schon gerechnet, nachdem sie im Fernsehen die ganze Zeit damit Werbung gemacht hatten. Da hatte immer eine wohlklingende Frauenstimme gefragt: „Möchten Sie Ihren Verwandten nach Ihrem ‘Tod’ nicht ebenfalls eine solche Freude bereiten, wie unser Muster-Ehepaar?“ Das ‘Muster-Ehepaar’ lächelte dann in die Kamera, mit ihren rosa Bäckchen, obwohl die beiden schon längst kalt wie Stahl waren.

Wieso heiraten Robots? Wieso macht es ihren Verwandten (was für Verwandten?) Freude, sie grinsend auf der Couch zu finden? Ich denke, der Reiz der Todessimulation besteht darin, dass es ein tolles Erlebnis für den "Sterbenden" selbst ist, und nicht darin anderen eine Freude zu machen? Und sind die Robots nicht immer "kalt wie Stahl"? Weder die Art der Werbekampagne noch die Gedanken die sich der Protagonist dazu macht sind aus meiner Sicht logisch.

Irgendwie musste man herausgefunden haben, dass die meisten Robots unter einem akuten Minderwertigkeitskomplex leiden, was die Menschen betrifft. Sie glauben wahrscheinlich, dass sie niemals so kreativ sein können wie die Menschen in alter Zeit. Unsinn, sage ich! Aber die Werbeleute müssen ja aus allem Geld machen, und so hat man als besonderen Gag für die Simulator-Werbekampagne echte Menschen genommen - tote Menschen -, um die niederen Instinkte der Robots anzusprechen.
Dieser Teil wirkt irgendwie verkrampft. Die Robots fühlen sich im Vergleich zu Menschen minderwertig wegen eines Mangels an Kreativität (was eigenartig ist - ihre Gesellschaft ist der menschlichen anscheinend extrem ähnlich, sie haben offensichtlich Emotionen, und Werbung - so blöd und nervig sie auch sein mag - ist letzten Endes ein Ausdruck von Kreativität), also "sterben" sie um sich überlegen zu fühlen, weil sie nicht wirklich sterben können? Warum so kompliziert? Du deutest an, dass die Todessimulation - aus welchen Gründen auch immer - ein schönes Erlebnis ist - wozu braucht es dann noch eine "psychologische Deutung" für das Interesse mancher Robots an dieser Dienstleistung?

Die Geschichte funktioniert trotzdem als Satire, aber ohne diese kleinen Unstimmigkeiten könnte sie noch besser wirken.

Grüße von Perdita

 

Mir gefällt die Story, auch und gerade wegen des Stiles.
Ich fasse sie mal als Allegorie auf Menschsein und Menschen ähnlich sein auf, darauf, anders zu sein und doch dem Programm dessen zu folgen, dem ich mich eigentlich unterlegen fühle. Die Vermenschlichung des Protagonisten, die eingestreuten Menschseinsprengsel, hätten allerdings ruhig noch deutlicher sein können. Die Zertreutheit ist in der Tat etwas verwirrend, ginge man von einer reinen ein-Robot-ist-ein-Robot Geschichte aus. Der Kreisschluß mit dem Paket hätte IMHO wirklich der Schluß sein sollen, der letzte Satz vor dem vorletzten Absatz kommen.

 

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