Wer zum Teufel ist eigentlich Habermass? Habermass' Hochzeit
Habermass? Ha ha!: Da hätte ich aber auch einiges zu berichten.
Es war vor zirka zehn Jahren. Ich war gerade dabei mein selbst auferlegtes Morgenprogramm zu absolvieren, das ich seit gut zwei Wochen konsequent durchzog, als Kim herein kam.
Zehn Rumpfbeugen und gleich danach fünf Liegestützen. Verächtlich knallte sie meine Post auf den Sekretär, doch ich war zu kaputt, sie gleich durchzusehen. Ich musste mich erst zwei drei Stunden hinlegen und meinen Kreislauf wieder in Ordnung bringen. Danach, so gegen achtzehn Uhr, holte ich mir die interessant aussehenden Briefe aus der Beige hervor. Ich traute meinen Augen nicht. Ein Brief von Habermass.
Habi, der alte Saftsack!, seit Jahren nicht mehr gesehen, lud mich zu seiner Hochzeit ein - wo wir doch alle davon ausgegangen waren, dass er homo sei. Er mit seinen Goldkettchen und weissen Socken und seinem ledernen Pfeifentäschchen am Knickhändchen, das zwar keine Pfeife enthielt, dafür aber andere nützliche Utensilien; so zum Beispiel ein Puderdöschen mit weissem Pulver drin, mit dem er sich ab und zu unter Zuhilfenahme eines grösseren Geldscheines sein Näschen puderte.
Wir kannten uns von der Corso-Bar - nicht gerade der vornehmsten Adresse. Aber eben: wir waren damals alle nicht sehr anspruchsvoll und einfach nur froh, dass wir uns irgendwie die Abende um die Ohren hauen konnten. Am Wochenende kam es auch mal vor, dass wir nach Polizeistunde noch zu ihm nach Hause gingen und eine Runde Poker spielten. Habi war da grosser Meister. Niemand wusste, wie er es schaffte, aber draufgelegt hatte er mit Sicherheit nie. Meist waren auch ein paar Nutten dabei. Solche, die nach zwanzig Jahren Geschäft keine Aussicht auf Kundschaft mehr hatten und sich einfach nur gratis vollaufen lassen wollten, nicht aber mitspielten. Dafür kommentierten sie uns Spieler mit primitiven Anzüglichkeiten und nebelten mit ihren grässlichen North Pol, Galant und Mary Long die Wohnung ein.
Wie auch immer: man wurde zum 18.07.1997 in die Kapelle zu Walchwil geladen und fuhr nach der kirchlichen Zeremonie im Konvoi dem Zugersee entlang, dem gemütlichen Teil im Weissen Kreuz in Oberwil entgegen. Eine schnieke Spunte direkt am See, mit Terrasse und leinen gedeckten Tischen. Habi war in seinem Element und hätte eigentlich gar keinen Conférencier - den sein Schwager gab - gebraucht. Er stellte alle allen vor, auch die, die sich schon kannten. Und dennoch gab es manche Überraschung: Was, du bist Willi?, eh Carlos, lange nicht gesehen!, ah, du bist gar nicht Carlos, sorry, ist schon lange her, ja genau! äh Pierre!, und so weiter.
So tönte es allenthalben und überall und es war eine riesen Gaudi. Die ganze Saubande nach zehn, fünfzehn Jahren wieder beieinander. Einige hatten unterdessen selber geheiratet und Ranzen bekommen, andere waren sonst in Begleitung und es wurde bereits tüchtig zur Brust genommen.
Kim wollte nicht mitkommen, obwohl sie auch eingeladen gewesen wäre.
Natürlich hatte es auch unbekannte Gesichter. Gitta zum Beispiel, seine Braut. Ein schreckliches Ding. Sie tippelte wie ein aufgescheuchtes Huhn auf der Terrasse herum und wollte von allen die Namen wissen und jeder war froh, der nicht mit ihr anstossen musste. Ausserdem konnte sie den Es nicht richtig sagen. Entweder klang es wie Eszeha oder wie Zeha. Das verlieh ihr eine ziemlich dümmliche Note, die allerdings recht gut zu ihr passte. Blond war sie auch und hatte einen übertrieben grossen Busen. Vielleicht ist Habi eben doch Schwul, dachte ich intuitiv.
Von Gittas Familie war nur noch ihr Vater, dann eben der Bruder, dessen schwammige Mund- und Kinnpartie auf eine Drüsenkrankheit schliessen liess, und eine Schwester anwesend, die allerdings ungleich attraktiver war als er. Der Bruder sollte den Abend moderieren und war Gitta im Wesen sehr ähnlich. Und auch noch von Gittas Seite kam ein kugelrunder Herr in antiker Polizeiuniform mit allem drum und dran. Er hiess Hermann Weibel und war echt Polizist, wie er ungefragt immer wieder betonte.
Nach einem unsäglichen Toast des Brautführers drängte er sich zum Paar vor und zückte seine Handschellen und legte sie Habermass an das linke und Gitta an das rechte Handgelenk. Für immer und ewig!, grölte er und warf den Schlüssel kurzerhand über die Terrasse in den Zugersee. Die Gesellschaft blieb verhalten, klatschte aber Beifall und das Brautpaar küsste sich innig.
Alsbald kam dann der Moment, wo die Braut austreten sollte, und ihre Ratlosigkeit breitete sich aus wie die feinen Ringe im Wasser, die der versunkene Schlüssel hinter sich gelassen hatte. Nicht alle bemerkten sofort um was es ging, doch schon nach kurzer Zeit war das Thema der Party gesetzt: Was jetzt?, und vor allem: wie lange dauert's. Gitta wurde immer ungeduldiger und stand auf einem Bein, mit angewinkeltem Knie neben Habermass, der tat, als ob nichts wäre. Weibel musste unterdessen vom Personal in ein Hotelzimmer gebracht werden, weil er schon zum zweiten mal vom Stuhl gekippt war und offenbar grossen und lauten Gefallen an Gittas Schwester Cordula, die per Zufall neben ihm sass, bekundete. (Ein peinlicher Nebenschauplatz, den ich ganz Ihrer Phantasie überlassen möchte.) Der Brautvater ging mit ihm und kam erst eine ziemliche Weile später wieder zurück, allerdings ohne Zweitschlüssel. Gitta flennte inzwischen offen, während Habermass betreten aber scheinbar unbeteiligt mit seinem Cüpli in der freien Hand neben ihr stand und über den See in die Abendsonne starrte.
Der Wirt wurde gerufen, und er holte einen Werkzeugkoffer, in der Meinung, er könne - die Zunge zwischen den Lippen - mit Schraubenzieher und Beisszange die Verbindungskette durchtrennen. Ich sah sofort, dass das nicht gehen konnte. Gitta begann zu heulen und auf einmal war ein leises Zischen unter ihrem weissen Rüschenrock zu vernehmen. Sie stand da, mit leicht gekrümmtem Rücken und gespreizten Beinen wie eine Kuh auf der Weide und heulte, dass der Rotz nur so floss. Nun wurde sogar Habi aktiv. Er tänzelte in bester Fred-Astaire-Manier um die sich ausbreitende Pfütze und die davon ausgehenden Nebenarme herum, wohl bedacht, sich seine weiss-schwarzen Lackschuhe nicht zu besudeln. Nicht auszudenken, was geschehen wäre, wenn es sich bei Gittas Bedürfnis um ein Grösseres gehandelt hätte. Zuerst war uns sehr peinlich, doch auf einmal begann Claude zu kichern und konnte sich kaum mehr halten. Das war sehr ansteckend und begann um sich zu greifen, denn die Szene war wirklich sehr komisch. Der Brautvater seinerseits und seine Entourage war äusserst ungehalten und rief einen professionellen Schlosser. Der konnten zwar auch nicht viel ausrichten, weil es ja nicht nur darum ging, die Verbindungskette zu durchtrennen, sondern auch die Manschetten zu lösen. Dazu wurde ein Mitglied der Dorffeuerwehr, das zufällig in der Gaststube anwesend war, aufgeboten, das einen Rüstkraftwagen in Form eines selbst umgebauten roten Ford Fiesta Kombi anforderte und die Manschetten mit einem Bolzenschneider kurzerhand durchschnitt. Habi fühlte sich geschieden und schüttelte erleichtert die Hände, wie bei einer Lockerungsübung vor einem Dartspiel, und grinste belämmert und wie frisch aufgewacht in die Runde, während Gitta sich triefend um den Hals ihres Vaters warf, der sie tunlichst von seinem Zweireiher fern zu halten versuchte. Die Gesellschaft war nun natürlich gespalten. Allerdings mit einem Übergewicht auf Habis Seite. Jedenfalls suchten wir nach einem flüchtigen, aber tiefen Griff ins Buffet das Weite und rasten johlend gegen Zug zurück. Habi neben mir, weil er vorher vom Brautführer gefahren wurde und nicht mit dem eigenen Wagen unterwegs war. Bei Steinhausen kamen wir wieder einigermassen zu uns und besinnten uns auf den weiteren Verlauf des Abends. Habi liess bereits den zweiten Mauler chlepfen, von denen er in der Eile des Aufbruchs zwischen allen Fingern einen mitgenommen hatte. Beim Kreisel machten wir einen grossen Zirkus und fuhren einige Minuten rundum, was gezwungenermassen die übrigen Verkehrsteilnehmer behinderte. Aber eben: Hochzeit ist Ausnahme. Wir bremsten uns gegenseitig aus und kamen im Pulk zum Stillstand. Wohin jetzt? Alle waren sich einig: Ins Corso natürlich! Wir tauschten Flaschen untereinander aus, die Verdecke offen und mit lauter guter Musik, und flogen in Formation der Autobahn entgegen. Serge sah ich kurz im Rückspiegel schlingern und einen fremden Wagen touchieren, aber es war glaube ich halb so schlimm. Er überholte uns kurz später hupend und winkend und nahm die Führung Richtung Bern auf. Das Corso war leider längst nicht mehr, und wir machten den Saubannerzug die Altstadt hinunter zum Goldenen Schlüssel. Die wollten uns erst gar nicht herein lassen. Erst nach dem wir alle Flaschen deponiert hatten, durften wir eintreten.
Flaue Stimmung liess uns ins Leere laufen, seichte Barmusik, verhaltene Gäste, und, in einer dunklen Ecke hing Kim mit irgend einem mir unbekannten Affenarsch an einer Flasche Schampus.
Ich drehte mich um und schlich unbemerkt und leise wieder hinaus. So ist halt das Leben, dachte ich.