Wer will noch Qual, wer hat noch nicht?
Nicht, dass ich einer dieser verachtenswerten Menschenhasser wäre - es ist mir lediglich eine menschenhasserische Idee in den Kopf gekommen. Ich könnte ja, habe ich mir gedacht, in meinem Zustand auf die Straße gehen.
Und während ich das so denke, schießen meine beiden Mundwinkel weit hinaus in die Höhe. Ja, denke ich mir noch einmal, du gehst jetzt hinaus in die Kälte und steckst alle Leute, die dir begegnen, mit deinem wunderhübschen grippalen Infekt an.
Auf diesen glorreichen Einfall nippe ich erst einmal an meinem Kamilletee, spüle damit eine Hand voll Vitamin- und Schmerztabletten den Hals herunter und huste die Hälfte der Pillen während eines Hustenanfalls wieder heraus. Wahrscheinlich habe ich sogar Fieber.
Draußen ist es bitterkalt, aber das soll mich nicht weiter stören, denn schließlich bin ich schon krank. Noch kränker als ich im Moment bin kann ich schließlich gar nicht mehr werden. Sterbenskrank bin ich. Und eigentlich gehöre ich ins Bett, doch wenn ich nun schon so gnadenlos meinem Schicksal ausgeliefert bin, sollen es gefälligst alle anderen Mitmenschen mit mir teilen.
Da! Mein erstes Opfer. Ein Geschäftsmann mit edlem Herrenanzug und teurer Designeruhr, der sein Aktentäschchen durch die Fußgängerzone spazieren führt, wahrscheinlich spekuliert er sogar mit Aktien. Ich schleiche mich von hinten an ihn heran, tippe ihm auf die Schulter.
„Ja, bitte?“, näselt er mir entgegen, seine Nase gnadenlos in Richtung Himmel gehoben, ganz so, wie es Snobs nun einmal zu tun pflegen. Und dann huste ich ihm eine Wolke an Krankheitserregern ins Gesicht, lache erfreut und springe vergnügt davon.
Das nächste Opfer könnte ein kleiner niedlicher Wegtrethund nebst Besitzerin sein. Man hat auch schon Hunde niesen sehen – ein königlicher Anblick.
Ach, was könnte ich für einen Spaß haben, wenn ich jetzt auf die Straße gehen würde. In meinem Zustand! Nur leider bin ich so von meiner Krankheit mitgenommen, dass ich geradezu ans Bett gefesselt bin. Kein Gedanke ans Herumtollen in der Fußgängerzone.
Und wenn Sie wirklich glauben sollten, dass ich solch ein verachtenswerter Menschenhasser sei, dann muss ich Sie in aller Deutlichkeit aufklären: Ich liebe die Menschen - manchmal jedenfalls.