Wer sucht, der findet nicht
Sie war neu im Ort. Kürzlich erst, war sie hergezogen. Hatte sich außer grünen Vorhängen nichts gekauft, denn sie hatte schon alles besessen. Von der Couch bis hin zu den Cocktailgläsern hatte sie alles aus der alten Wohnung mitgenommen. Doch eine Sache hatte sie dennoch vermisst. Eine Sache, die man nicht im Supermarkt kaufen konnte und auch nicht beim Möbelgeschäft um die Ecke. „Ich brauche Freunde.“, sagte sie leise zu sich selbst und schaute dabei vom Balkon aus hinweg über die Dächer ihres neuen Heimartortes. Ja Freunde waren es, die sie brauchte. Sie hatte schon keine gehabt, als sie noch in woanders gewohnt hatte. Doch innerlich sehnte sie sich nach Freundschaft. Nach einer Person zum reden, lachen und weinen. Nach einer Person zum Nägel lackieren und zum Ausgehen am Abend. In Gedanken versunken schenkte sie sich ein Glas des besten Discounter Rotweins ein, den sie finden konnte und setzte sich auf ihren alten Gartenstuhl. „Die Wohnung ist ja ganz schön.“, dachte sie, „aber viel zu einsam. Ich werd mir wohl endlich Freunde suchen müssen.“
Und so kam es, dass sie einige Tage später am Sommerfest des Ortes teilnahm, in der Hoffnung auf neue Bekanntschaften zu treffen. Sie kaufte sich ein Bier (denn das taten die meisten Leute), setze sich auf eine freie Bank und wartete. Sie wartete, weil sie erwartete, dass man sie wohl ansprechen würde. Doch niemand kam. „Sind die denn alle nicht an neuen Freundschaften interessiert?“, fragte sie sich und hielt dabei Ausschau. Und da sah sie sie. Perfekt! Sie sah aus, wie eine perfekte beste Freundin eben aussehen muss! Also sprang sie auf, um die Fremde anzusprechen und sie schließlich einzuladen, denn Zuhause hatte sie ja noch den Discounter Wein geöffnet im Kühlschrank stehen.
Und so kam es, dass sie mit der Fremden Rotwein trank, sich unterhielt und lachte. Sie lackierten sich sogar die Nägel gegenseitig. „Besser kann es nicht sein auf der Welt.“, kicherte sie und fühlte sich gut dabei. Denn sie glaubte die eine Sache gefunden zu haben, die es nirgends zu kaufen gibt. Wenige Zeit später versprach die fremde neue Freundin, bald anzurufen und verließ die Wohnung. Doch mit ihr verschwanden auch Wertsachen aus der alten Kommode im Flur, sowie das Sparschwein, das auf der Kommode gestanden hatte.
Und so kam es, dass sie plötzlich traurig war. Sie hatte sich getäuscht in der Fremden. Sie war doch perfekt! Und dennoch war sie nichts als jemand, der seine Chance wohl zu gut genutzt hatte. Enttäuscht schenkte sie sich den letzten Tropfen Wein ins Glas und dachte daran, dass ihr eine Sache fehlte. Eine Sache, die es weder im Supermarkt noch im Möbelgeschäft um die Ecke zu kaufen gab. Wahre Freundschaft. Diese war wohl schwerer zu finden als sie angenommen hatte. „Die Wohnung ist ja ganz schön. Aber ziemlich einsam. Ich brauche Freunde, denen ich blind vertrauen kann. Es muss nicht immer Tage geben, an denen wir lachen oder weinen können gemeinsam. Oder an denen wir uns viel zu sagen haben. Wir müssen uns einfach nur vertrauen können.“, dachte sie und sah dabei hinweg über die Dächer ihres neuen Heimatortes.