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Wer sieht hier alt aus?
„Ich bin dann mal weg“, sagte Harald ungerührt, schnappte sein Köfferchen und wollte mich ohne Angabe von Gründen tatsächlich mit offenem Mund stehen lassen.
„Aber wieso denn?“ Für weitere Worte fehlte mir die Kraft.
„Wir haben uns schon lange nichts mehr zu sagen, Hanni.“ Er drehte sich um und ging.
Dass ich nicht lachte. Wenn das als Trennungsgrund taugen würde, dann wäre dieser Planet nur von Scheidungsopfern bevölkert. Nach zwanzig Ehejahren warf er unser gemeinsames Leben einfach so weg.
Natürlich war mir klar: Er wollte nicht eingestehen, dass ich ihm zu alt war oder zu alt aussah.
Die Worte meiner Großmutter fielen mir ein: „Wenn die Frauen verblühen, verduften die Männer."
Wie Recht sie hatte.
Doch für Verzweiflung war kein Raum. Ich musste einen Plan ersinnen: Wie gewinne ich meinen Mann zurück?
Ich brauchte einen Attraktivitätsschub und eine Verjüngungskur.
Gemäß dieser Logik führte mich mein Weg direkt ins Kosmetikstudio um die Ecke und die Fachberaterin hatte prompt Zeit für mich. Als ich ganz entspannt auf der bequemen Liege ruhte, erfuhr ich von der Hochqualifizierten, dass ich unter hochsensibler, trockener Mischhaut mit der Neigung zu starkem Juckreiz bei Vollmond leide. Und die niedlichen braunen Punkte auf meiner Nase, in die sich Harald damals verliebt hatte, entpuppten sich zu allem Überfluss als Epheliden.
Kein Wunder, dass er mich verlassen hatte.
Meine Ausbeute an Tuben und Tiegelchen fiel entsprechend der Dringlichkeit meines Falles reichlich aus. Besondere Empfehlung der Beauty-Frau, der letzte Schrei: Eine Nachtcreme, mit Zellen von Schafembryonen angereichert, der reinste Jungbrunnen, meinte sie. Und nein, ich könne ganz unbesorgt sein, Langzeitstudien belegen, dass mit einem Blöken meinerseits, auch nach längerer Anwendung, nicht zu rechnen sei.
Als die Summe, die ich zahlen sollte, meine Ohren erreichte, klappten meine Kiefer auseinander. Hoffentlich wurde diese Gesichtsentgleisung nicht zu einem Dauerzustand. Jedoch mit einem konkreten Ziel vor den Augen schmerzte das entstandene Loch in der Haushaltskasse nicht so heftig.
Am Abend schmierte ich die erstandenen Wundermittelchen messerdick in mein bedürftiges Gesicht. Mein Lebensmotto: Viel hilft viel.
In dieser Nacht schwebten Fachbegriffe wie Retinol, Hyaluron und Kollagen gleich Rosenblättern durch mein Hirn, bevor ich mit einem starken Prickeln auf dem Nasenrücken in einen unruhigen Schlaf fiel.
Leider konnte ich am nächsten Morgen den tollen Effekt des straffenden Konturgels nicht sofort erkennen, weil meine Augenlider von der sündteueren, tausendfach allergiegetesteten, parfümfreien Augencreme völlig zugeschwollen waren. Vorsichtig tastete ich mit den Fingerspitzen über meine nasolabialen Falten und mir schwante Schlimmes.
Aber ich musste zugeben, als ich endlich wieder sehn konnte, die gelben Eiterpusteln auf meinen hohen Wangenknochen verliehen meinem Gesicht etwas Exotisches.
Das musste ich Harald erzählen. Ich griff zum Telefonhörer. Doch dann überlegte ich es mir anders. Was hätte ich ihm sagen sollen?
Da der erste Versuch zur Radikalverjüngung gründlich gescheitert war, begab ich mich hilfesuchend zum Apotheker meines Vertrauens.
Der studierte Mann konnte seinen Blick nicht von meinem eitrigen Hautausschlag losreißen. Aber er wusste Rat. Jovial und mitfühlend legte er seine Hand auf meinen Arm und flüsterte mir zu: „Wahre Schönheit kommt von innen.“ Dann deckte er mich mit Fachliteratur ein.
Das Infomaterial war reines Gold wert. Ich las das erste Mal von Colostrum: Von der Kuh für ihr Neugeborenes produziert. Dieses wunderbare Mittel gibt dem Kalb Immunschutz und dem Menschen, der es sich zu beschaffen und zu würdigen weiß, Leistungsstärke und Jugendlichkeit. Vor Rührung traten mir Tränen in meine brennenden Augen.
Colostrum musste her, abgemolken, naturbelassen, koste es, was es wolle.
Seine Inhaltsstoffe würden dem Alter den Stinkefinger zeigen und hurra, mich in einen Zustand ständiger Glückseligkeit befördern. Und die Trennung von Haraldchen würde mir nicht mehr so extrem zusetzen.
Der Medizinmann lächelte glücklich, als ich mich zum Kauf einer Sechs-Monats-Kur entschloss. Mein Haushaltsdefizit nahm derweil colostrale Größenordnungen an.
Die Verzehrempfehlung konnte mich mal. Viel hilft viel.
Schließlich brauchte ich sofort sichtbare Erfolge.
Nach zwei Tagen Endlosdurchfall hatte ich vier Kilo abgenommen, aber Dank der Glückshormone im Gesundheitstrank die Quälerei mit einem Lächeln auf den Lippen ertragen.
Auf jenem stillen Örtchen lief meine Kreativität zur Hochform auf.
Ideendünnschiss, wie der Volksmund so schön sagt.
So ganz nebenbei entwarf ich eine geniale T-Shirt-Kollektion mit Sprüchen, die die Welt nicht braucht. Rote Schrift auf schwarzem Grund quer über den Busen.
Mein Lieblingsgag: „Jung zu bleiben ist nicht schwer, klug zu werden etwas mehr.“
Ich war begeistert.
Außerdem kam mir meine beste Freundin Anne in den Sinn, die mich seit Monaten in ihren Fitnessclub schleppen wollte.
Bisher hatte mir bereits der Gedanke, mich für einen jugendlich straffen Körper zu schinden, den Angstschweiß auf die Stirn getrieben. Mit einem Mal wurden mir die unheimlichen Kräfte bewusst, über die ich verfügen würde, sobald ich von der Diarrhöschwäche genesen war. Da würde der beide Beine-Bauch-Busen-Kurs zum Osterspaziergang werden.
Lesen bildet ja bekanntlich.
Aus keinem anderen Grund hatte ich die Frauenzeitschrift ´Jung und Jünger` abonniert. Und was ich da erfuhr, ließ mein Herz juveniler schlagen: Die Pop-Ikone Madonna schwört auf die Goji-Wunder-Beere aus dem Himalaya als persönlichen Jungbrunnen. Getrocknet ins morgendliche Müsli gemengt, ist sie Quell ewiger Jugend und Gesundheit. Plötzlich bin ich nur noch von Wundern umgeben und ich habe auch die Fähigkeit, sie zu sehen. Und das habe ich nur Harald zu verdanken. Danke Harald, danke.
Aber meine Idee schlug die Trockenbeeren-Methode um Längen. Ich würde mir die winterharten Kletterpflanzen vom Dach der Welt einfliegen lassen. Genau. Und jeder Quadratzentimeter unseres zierlichen Vorgartens würde einer Beeren-Plantage zum Opfer fallen. Im Geiste sah ich robuste Sträucher wuchern und wuchern. Im Herbst würde ich herrlich süße Früchte, vollgepumpt mit Vitaminen und Antioxidantien, ernten.
Nach dem massenhaften Verzehr - viel hilft bekanntlich viel - würde ich zum Anti-Aging-Wunder schlechthin aufsteigen. Auch Harald würde sich wundern, seine Augen würden leuchten wie Gojibeeren und winselnd würde er zu mir zurückkehren.
Aber bis zur Ernte war noch ein halbes Jahr Zeit und bis dahin musste ich eine Überbrückungsvariante einsetzen. Es handelte sich um ein Geheimnis, um ein offenes Geheimnis. Der Glaube an die Macht der Gedanken. Eine Amerikanerin hat es aufgespürt und für alle Interessierten niedergeschrieben und veröffentlicht.
Es war ganz simpel. Ich müsste mir nur selber glauben machen können, dass der Alterungsprozess spurlos an mir vorbei ginge, dann, aber nur dann, bliebe ich für immer jung. Unglaublich, diese Amis. Der starke Wille überlistet die Naturgesetze.
Ich übte täglich vor dem Spiegel. Lange. Denn viel hilft viel.
Bislang die preisgünstigste Variante, die allerdings hohe Anforderungen an meine mentalen Fähigkeiten stellte.
Haralds Stimme fand sich auf dem Anrufbeantworter. Er müsse mir dringend etwas mitteilen,
er bat mich um Rückruf.
Gerne, aber vorher musste ich schnell noch mit Professor Doktor Mang von der Bodenseeklinik, einer Koryphäe auf dem Gebiet der ästhetischen Chirurgie, Kontakt aufnehmen. Sicherheitshalber. Sollten meine Wundermittel versagen, dann hälfe nichts, dann müsste ich unters Messer. So ein schlupflid- und tränensackfreies Dasein stellte ich mir wie den Himmel auf Erden vor.
Ja, und dann, es war mir peinlich, habe ich vergessen, Harald zurückzurufen.
Kein Wunder, mein Leben war randvoll mit Terminen. Es hat einen wunderbaren Sinn bekommen, ist prickelnd und federleicht geworden.
Letzte Woche hat das Ernährungs-Seminar begonnen: „Ein Leben ohne Zucker - iss dich jung!
Die ersten Zeilen meines Ratgebers waren zu Papier gebracht. Ich erwog ernsthaft, und was sprach schon dagegen, dass ich mein profundes Halbwissen nutzte und die Erfahrungen aus meinen schmerzhaften Selbstversuchen in einem Lebenshilfe-Guide zusammenfasste.
Ein Leitfaden für alle verlassenen und geächteten Frauen im besten Mannesalter.
Der Titel stand schon fest: „Verfallsdatum abgelaufen? Etikettiere dich neu!“
Das Geld würde ich gut gebrauchen können, um den finanziellen Ruin abzuwenden.
Und gerade, als ich glaubte, über die Trennung von meinem Mann hinweg zu sein,
da sah ich die beiden.
Harald und ein üppiges Weib in seinem Arm. Mein Gott, sie hätte seine Mutter sein können.
War der Kerl blind?
Sie waren in ein Gespräch vertieft, in ein angeregtes Gespräch.
Verstehe einer die Männer.
Ich kann nicht sagen, wie lange ich dem Paar mit offen stehendem Mund hinterher gegafft habe.